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vor 5 Jahren - 17.03.2019
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Die Königin des Neo Deco - Illusion Captive 1898 von Lalique - Flakondesign

Über das Art Deco haben wir schon im Beitrag über Vol de Nuit gelesen. Was soll jetzt Neo Deco sein? Um das zu klären, möchte ich zuerst zusammenfassen, was das Art Deco ausmachte. Das Art Deco war ein Stil innerhalb der Strömung der Moderne und hatte seinen Höhepunkt in den 1920er und 1930er Jahren. Die Moderne allgemein war die Entwicklung einer reduzierten, auf die Funktion konzentrierten Formensprache in Architektur, Gestaltung und Mode. Das Art Deco zeichnete sich daher ebenfalls durch geometrische Formen aus, fließende Ornamente wie noch im Jugendstil waren seltener zu finden. Neue industrielle Materialien fanden Einzug, beispielsweise verchromte Metallteile. Oberflächen von Holzmöbeln wurden glatt und glänzend poliert, um diesen spiegelnden Effekt von Metall aufzunehmen und auch Typografie und andere Grafiken durften metallisch schimmern.

Man verwendete Muster und Ornamente mit einer starken Dynamik und baute diese aus geraden Linien symmetrisch auf. Die Inspiration für die Gestaltung kam von schnellen, modernen Verkehrsmitteln (viele Stromlinien) aber auch aus der Natur wie bereits im Jugendstil. Bekannte Beispiele aus der Architektur, die jeder kennen dürfte, sind das Empire State Building und das Chrysler Building in New York:

Wer schon in Amsterdam war, hat garantiert das Tuschinski-Theater von 1921 gesehen und ist am Versuch gescheitert, ein gutes Foto von der gegenüber- (und viel zu nahe-) liegenden Straßenseite zu schießen. Es interpretiert das Art Deco recht verspielt mit ein paar gotischen Elementen (Erker und Türmchen) und wirkt wie ein Fantasiegebilde von einem anderen Stern:

Wenn wir heutzutage das Design des Art Deco sehen, sei es in einem alten Hollywoodfilm oder bei „Bares für Rares“, empfinden wir es als edel, elegant und extravagant. Was 90 Jahre später besonders beeindruckt, ist, dass es keinesfalls altmodisch wirkt. Im Gegenteil, es entspricht nach wie vor dem, was wir unter „modern“ verstehen. Erfrischend dabei finde ich persönlich, dass ihm das Sterile des verwandten Bauhauses fehlt und es uns auf emotionaler Ebene anspricht. Dies geschieht unter anderem durch die Verwendung von Verzierungen und Symbolik, auf die auch heute noch aus Angst vor Kitsch oftmals verzichtet wird.

Es ist also kein Wunder, dass viele auch im Jahr 2019 vom Art Deco fasziniert sind und gezielt nach Schmuck, Möbeln oder Mode aus der Zeit suchen. Und wiederum andere die Formensprache erneut aufgreifen und auf eigene Weise interpretieren. Tut dies jemand heutzutage, 100 Jahre nach dem Aufkommen des Art Deco, sprechen wir von Neo Deco.

Beispiele dafür gibt es zahllose. Sei es der Umschlag eines Buches, eine aktuelle Laufstegkreation von Galliano für Dior oder Designermöbel, immer wieder begegnen und begeistern uns die neu entdeckten Formen aus der Zwischenkriegszeit:

Wer sowohl dieses neue Design beherrscht als auch die historischen Vorbilder selbst geformt hat, ist das französische Unternehmen Lalique. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts produziert es traumhaften Schmuck und Parfümflakons, ursprünglich für andere Parfümeure wie Coty oder Molinard und seit einigen Jahrzehnten auch für eigene Duftkreationen. Unter seinen Schmuckstücken finden sich perfekte Beispiele für den Jugendstil und das Art Deco.

Besonders sticht dabei ein Werk heraus: Eine Jugendstilbrosche aus dem Jahre 1898 – eine Libelle mit dem Oberkörper einer Frau, phänomenal fein gearbeitet und perfekt im Design. Diese Brosche nahm sich auch Innenarchitekt Ashley Sutton zum Vorbild, um das Spirituosenregal der Cocktailbar „Dragonfly“ in Hong Kong zu entwerfen:

Und auch Lalique selbst haben das Design der Brosche immer wieder in Parfümflakons aufgegriffen, zuletzt in jenem zu „Illusion Captive 1898“ aus der Noir-Premier-Reihe, der 2017 lanciert wurde.

Während der Duft an sich keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat, so hat der Flakon dies umso mehr geschafft. Er ist komplett in der Formensprache des Art Deco gehalten und ist wegen seines jungen Alters ein Vertreter des Neo Deco. Die Glasflasche besteht im Grunde aus einem aufrechten, flachen Quader mit ausgesparten Kanten. In den Ecken jeweils treten die Kanten wieder auf und flachen sich zur Mitte hin in Dreiecken ab, die die ausgesparten Kantenflächen begrenzen. Dadurch erhält der Flakon eine skulpturale Form, die an einen speziell geschliffenen Edelstein oder ein Hochhaus aus den 20er Jahren denken lässt. Das goldene Glas des Flakons ist an den Seitenwänden und an der Rückwand von einem Muster aus schwarzen Linien und Flächen bedeckt, das sich symmetrisch von der Mitte aus über die gesamte Fläche ausbreitet. Seine Außenfläche ist dabei schwarz, während die Innenfläche golden eingefärbt ist und durch die unbedruckte Frontseite hindurchschimmert.

Genau dieses Muster ist es, was den Bezug zur Libellenbrosche herstellt. Es imitiert die gläsernen Zellen mit den metallenen Gliedern der Libellenflügel. Ohne das Muster wäre der Flakon recht langweilig anzusehen, doch die wuselnden Linien sorgen für eine starke Dynamik. Ihr organischer Aufbau ist unserem Auge aus der Natur bestens bekannt, auf deren Formen und Verhältnissen unser gesamtes Harmonieempfinden beruht (Insekten, Blätter, Äste, etc.). Deshalb war es von Lalique besonders genial, nicht irgendein eigenes Muster zu verwenden, das sich lediglich auf natürliche Raster bezieht, sondern mit dem Libellenflügel eine der Quellen unseres Schönheitsempfindens direkt auf den Flakon zu kopieren.

Durch diesen einfachen aber genialen Zug wird die Schönheit der Oberfläche maximal gesteigert. Auch der Kontrast von organischem Muster und geradlinigem Flakon sorgt für eine enorm harmonische Erscheinung. Den Deckel bildet eine halbierte, schwarze Kugel, die mit der offenen Hälfte nach oben auf dem Korpus liegt. Mit der Verwendung einer weiteren geometrischen Form zusätzlich zum Quader-Flakon bleibt Lalique konsequent der Gestaltung auf Grundlage von mathematischen Formen treu, die typisch für das Art Deco und die Moderne an sich war. Die offene Seite der Kugel wird von einem durchsichtigen, facettierten Material ausgefüllt. Auf der Vorderseite schließlich findet sich auf einer schwarzen Fläche die Bezeichnung des Parfüms, wobei die Buchstaben einfach im Aufdruck ausgespart geblieben sind. Die Namen der Marke und der Produktlinie sind in der unteren Hälfte in schwarzen Lettern aufgedruckt.

Bei den meisten Düften kann man die Umverpackung außer Acht lassen, doch nicht bei Illusion Captive: Wie alle Parfüms der Noir-Premier-Linie liegt auch dieser Flakon in einer schweren, schwarzlackierten Holzschatulle, die mit Stoff ausgeschlagen ist und leicht an einen edlen Sarg erinnert. Die Schatulle selbst ist wiederum von einer matt-schwarzen Kartonbanderole umgeben, auf die das Muster des Libellenflügels schwarz-glänzend aufgedruckt wurde.

Für mich persönlich ist Illusion Captive 1898 der schönste Flakon der jüngsten Vergangenheit und ein perfektes Beispiel für die aktuelle Stilrichtung des Neo Deco.

Wie gefällt euch der Flakon? Seid ihr genauso glücklich über das Revival eines altgedienten Stils oder stören euch die ollen Kamellen?

Die übrigen Beiträge der Reihe:

Shocking von Schiaparelli

L'Heure Bleue/Mitsouko/La Petite Robe Noire von Guerlain

Midnight in Paris von Van Cleef & Arpels

Diva von Emmanuel Ungaro

Vol de Nuit Extrait von Guerlain

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