Die schönsten Flakons aller Zeiten - heute: Diva von Emanuel Ungaro
Ich muss es zugeben: Die Diva ist aus rein oberflächlichen Gründen in meine Sammlung gewandert. Ihre Schönheit hat mich geblendet und ich bin ihr erlegen. Innere Werte hat sie zweifellos, doch so ganz d'accord gehen wir nicht. Die typische Würze der 70er Jahre hat sie auf sanfte Weise in die 80er getragen und lässt darauf herbe Blumen folgen. Eine gute Mischung, aber mein Herz erreicht sie damit kaum. Ihr Äußeres dagegen umso mehr.
Zwar ist sie in den frühen 1980er Jahren geboren, doch wie schon "Vol de Nuit" aus meinem letzten Blogbeitrag würde ich sie gestalterisch eindeutig dem Art Deco zuordnen, wenn auch diese Ära zur Zeit ihrer Geburt schon seit 40 Jahren passé war.
Beim Diven-Flakon ist Nomen definitiv Omen: Er steht da wie eine elegante Primadonna nach der Vorstellung, eingehüllt in eine Stola, mit einem Glas Champagner in der Hand. Entspannt unterhält sie sich auf der Premierenfeier mit Journalisten, Kolleginnen und geladenen Gästen über den gelungenen ersten Auftritt und über die kleinen Fehler, die ihr in einer besonders komplizierten Koloratur unterlaufen sind. Ihre Stola könnte man im Muster des Flakons erkennen. Werbeaufnahmen zufolge spiegelt das Muster ein Kleid wieder, doch für mich ist es eindeutig eine Stola. Parallele Linien streben von rechts und links oben zur Mitte hinab, wobei die linken Rillen dort enden, wo sie auf die äußerste Rille des rechten Strangs treffen. So entsteht der Eindruck, dass die rechten darüber liegen, wie das Ende der Stola. Das selbe geschieht auf der Rückseite und ist durch die Stirnseite hindurch zu sehen. Dadurch entsteht optisch ein Dreieck mit einem Muster aus sich überkreuzenden Linien. Dessen Spitze trifft auf den Bereich, der von den Rillen ausgespart wird und sozusagen das Decollete der Diva formt. Dort prangt, eingerahmt in Gold, auf rotem Grund der weiße Schriftzug "Diva" in selbstbewussten Majuskeln mit Serifen. Weiß und Rot bilden hier einen starken Kontrast und sorgen für Aufmerksamkeit und Lesbarkeit. Assoziationen mit feuerroten Lippen oder dem samtenen, roten Kleid der Diva sind sicher beabsichtigt.
Der Hals, zwischen Dekollete und Deckel, ist von einem goldenen Metallband eingefasst und liegt auf dem Flakon wie ein enges Collier. Darauf sind Bögen eingraviert, die wellenartig ineinander greifen und tatsächlich an eine Halskette erinnern. Darüber schließlich sitzt der schwere, gläserne Deckel. Dieser wiederholt die Mitra-ähnliche Form des Korpus, läuft mittig aber weniger spitz zu und ist abgerundet. Von der unteren Mitte breiten sich strahlenförmig eingravierte Rillen nach außen hin aus, wie eine aufgehende Sonne.
Die parallelen Linien, die überall am Flakon zu finden sind, sorgen für seine Schönheit. Wiederholung empfinden wir grundsätzlich als sehr ästhetisch, man denke nur an eine synchron tanzende Gruppe wie im Ballett oder bei einer Boygroup aus den 90er Jahren. Das Auf-und-Ab der harten, gläsernen Rillen macht den Flakon auch haptisch sehr ansprechend. Doch nicht nur die parallelen Linien lassen die Diva umwerfend aussehen, auch die Aufteilung ihrer Flächen trägt maßgeblich dazu bei. Die beiden gleichschenkligen Dreiecke aus Decollete und überkreuzten Stola-Linien teilen die Höhe des Körpers genau in ein Verhältnis von 1 zu 2 und dritteln ihn somit. Das entspricht ungefähr einer Einteilung nach dem Goldenen Schnitt oder der Fibonacci-Sequenz, die unser Auge als besonders harmonisch empfindet. Die beiden äußeren Stola-Dreiecke sind wiederum ungefähr nach dem Goldenen Schnitt aufgebaut. Da sich die mittig zulaufenden Linien zumindest optisch überkreuzen, entsteht Symmetrie und die beiden Hälften der Diva spiegeln sich an der senkrechten Mittelachse.
Wurde bisher mit den Diven-Assoziationen und der Aufteilung schon alles richtig gemacht, so kann auch die Blickführung teilweise das gute Gefühl erklären, das man beim Betrachten bekommt. In unserem Kulturkreis lesen wir von links nach rechts, daher verläuft eine optische Handlung immer in dieser Richtung. Unser Auge folgt somit zuerst den Linien von links nach unten (=negative Emotion), wird dann aber durch die von rechts kommenden Rillen schlagartig steil nach oben gelenkt (=positive Emotion). Ein Parfumo, der beispielsweise aus dem arabischen Kulturkreis kommt, wird das selbe Auf-und-Ab mitmachen, nur dass sein Auge wahrscheinlich rechts anfängt, die Diva zu betrachten und sein Blick links aufwärts wandert.
Der Name des Designers Emanuel Ungaro ist schließlich in serifenlosen, schwarzen Minuskeln relativ unauffällig rechts unten in der Ecke platziert, wie um den Gesamteindruck nicht zu stören.
Für mich ist die Diva ein optisches Gesamtkunstwerk und rangiert mit Vol de Nuit Extrait von Guerlain auf den vordersten Rängen der schönsten Flakons aller Zeiten. Was haltet ihr von der Dame?
Die übrigen Beiträge der Reihe:
L'Heure Bleue/Mitsouko/La Petite Robe Noire von Guerlain