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vor 3 Jahren - 12.11.2020
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Bergtouren und Düfte, Teil 2: Tirol

Dort, wo wir in Teil 1 aufgehört haben, beginnen wir heute wieder: in Rauris im Salzburger Land. Wir stehen frühzeitig auf, denn wir haben einiges an Strecke vor uns. Heute ist es nicht mehr so strahlend wie gestern. Wolkenfetzen hängen in den Bäumen und der eine oder andere Regentropfen klatscht gegen die Windschutzscheibe. Ob wir überhaupt werden wandern können? So, wie wir hergekommen sind, fahren wir auch wieder weg – das Salzachtal hinauf bis Zell am See, dann die Saalach hinab bis Lofer. An diesem inneralpinen Knotenpunkt verlassen wir die bekannte Straße und machen uns auf den Weg nach Tirol. Dort sind wir schon fünf Minuten später und kurven ins Reich des Wilden Kaisers. Den unbändigen Monarchen bekommen wir erstmals zu Gesicht, nachdem wir in Waidring unter den Gondeln der Seilbahn hindurch gefahren sind. Schroff streckt er seine Zinnen in den grauen Himmel, als wollte er die Wolken aufkratzen und uns mit Regen piesacken. Abgesehen von der aufregenden Natur ist die Kulisse entlang der Strecke nicht sehr ästhetisch. Industriegebiete, Bergbahnstationen und Siedlungshäuser in einer tristen Abwandlung des omnipräsenten Jodelstils begleiten uns. Nur ab und zu sticht ein historisches Bauernhaus oder ein schickes Chalet aus dem Einheitsbrei hervor. Vorbei an der Heimat des Bergdoktors rutschen wir dem Inntal entgegen. Mit Schwung geht’s auf die gleichnamige Autobahn gen Süden. Das Wetter wird leider nicht besser, im Gegenteil.

In Schwaz fahren wir ab und gönnen uns ein kleines Frühstück im Laden der Sennerei Zillertal in der Fußgängerzone. Auch nach Kaffee und Preiselbeerjoghurt regnet es noch, sodass wir eine Stunde in einem wundervollen Einrichtungsgeschäft verbringen. Schaut da unbedingt vorbei, wenn ihr in der Gegend sein solltet. Eine wahre Schatzkammer!
Nun traut sich die Sonne zaghaft hervor und wir fahren weiter in Richtung Innsbruck. Mittlerweile kündet das Autoradio vom nahen Süden: Den Brenner herab schwappen die Wellen des italienischen Radio Dolomiti bis zu uns und verbreiten Urlaubsstimmung. Bei Hall in Tirol verlassen wir die Autobahn und kämpfen uns in Serpentinen auf die Gebirgsterrasse über dem Tal. Dort blicken viele kleine Dörfer hinab auf den Innsbrucker Talkessel. Ihre Namen erinnern an das Rätoromanische, das hier vor der Germanisierung gesprochen wurde: Ampass, Aldrans, Lans, Igls. Bei letzterem sind wir am Ziel.

Froh, endlich angekommen zu sein, schlüpfen wir in die Sportsachen und stapfen zur Talstation der Patscherkofelbahn. Da uns die Wanderung vom Vortag noch in den Knochen steckt, ist heute eine Alibitour angesagt. Das heißt, minimal wandern, um danach mit gutem Gewissen ausführlich einkehren zu können. Die Sommersaison ist noch jung und Covid bindet viele potenzielle Touristen ans Zuhause. So kommt es, dass wir die Talstation und die Bahn komplett für uns haben. Sanft schaukelt die Gondel nach oben, dem Patscherkofel entgegen. Dort erwartet uns ein architektonisches Highlight. Die neue Bergstation vermittelt eher das Gefühl, in einem komfortablen Hotel zu sein, als in einem touristischen Funktionsbau.

Draußen suchen wir dann erstmal Orientierung. Es ist um einiges frischer als im Tal und wir ziehen die Regenjacken über. Uns umgibt eine Art Almlandschaft mit Wiesen, Fels und vereinzelten Bäumen. Eine breite Schneise zeigt, wo im Winter die Skifahrer vorbeiwedeln. Dort wollen wir nicht entlang gehen und nehmen einen schmalen und steilen Pfad. Ziemlich steil sogar. Das Atmen fällt schwer in der dünnen Luft und schnell sind die Jacken wieder ausgezogen. Vom Vortag zwicken die Wadeln und der kurze Weg verlangt uns mehr ab, als er es sonst tun würde. So haben wir beim Gehen auch kaum einen Blick übrig für die Kühe, die am Wegesrand gelangweilt wiederkäuen. Nach einer halben Stunde sind wir unterhalb des Gipfels angekommen. Und das wars dann im Grunde auch schon. Wie gesagt, Alibiwanderung. Hier haben wir erstmals ein Auge für das, was uns umgibt. Der Patscherkofel steht fast wie eine Pyramide am Rande des breiten Inntals und ist von unten weithin sichtbar. Und genauso weit sieht man eben auch, wenn man ihn erklommen hat.

Rechts unter uns breitet sich das Unterinntal aus, links begrenzt von den steil aufragenden nördlichen Kalkalpen, rechts von den sanft ansteigenden Tuxer Alpen mit ihren Wiesenterrassen und Bergbauernhöfen. Am Horizont grüßt der Wilde Kaiser. Direkt zu unseren Füßen liegt Innsbruck. Wie ein grauer Teppich breitet sich die Großstadt mit ihren Hochhäusern und Nachbardörfern im Tal aus, eingezwängt zwischen Bergflanken.

Wir gehen noch ein paar Schritte weiter. Die Sonne gewinnt an Kraft und heizt uns ein. Ihre Strahlen kitzeln den würzigen Duft aus den wenigen Bäumen, die vielleicht oder vielleicht auch nicht Zirben sind. Bunte Steine blitzen mit kristallenen Facetten zwischen den Gräsern und Kräutern hervor. Vorbei an einer unscheinbaren Berghütte kommen wir zu einem kleinen Gipfel und können gen Westen und Süden schauen.

Links schneidet sich das Wipptal von Italien kommend in die Berge. Wie eine Schlange windet sich darin die Brennerautobahn aufwärts nach Südtirol. Hinter der filigranen Europabrücke mit der riesigen Kurve an der Mautstelle zweigt das Stubaital ab und lockt mit blanken Gletschern am Horizont. Direkt gegenüber von uns klammern sich die Ausläufer des Dörfchens Mutters an die steilen Hänge, ehe der Blick ins Oberinntal mit der schroffen Mieminger Kette und dem Zugspitzmassiv dahinter schweift.

Dieser Anblick bleibt uns erhalten, wie wir wieder absteigen. Jetzt fallen uns auch immer mehr glitzernde Steine auf, von denen ein paar kleinere in den Rucksack wandern. Die Bergstation kommt wieder in Sicht. Ein flacher Bau mit umlaufender Terrasse und Spielplatz.

Im Restaurant empfängt uns viel architektonisches Können. Man begreift sofort, was die Idee war: Eine moderne Interpretation einer Bauernstube. Helles Holz bedeckt die Wände und Decken, unterbrochen von den talseitigen Glasscheiben. Holzbänke, Holztische, Holzstühle, alles wie in einer Tirolerstube, modern aus klaren Formen zusammengesetzt. Über den Tischen im vorderen Bereich pendeln simple, schwarze Leuchten mit Tellerschirm, deren Umrisse an die alten Porzellan-Stubenlampen des Alpenraums erinnern.

Wir setzen uns auf eine der Bänke und bestellen. Verdächtig schnell sind die Hirtenmaccheroni dann auch da. Letztere kannte ich bisher nur aus Südtirol, doch sie schmecken auch hier im Norden.

Während wir auf den Nachtisch warten, der eigentlich nur aus einem Espresso besteht, betrachten wir die beiden Gemälde an der Wand: Auf den ersten Blick hätte ich sie für Werke von Alfons Walde gehalten, doch ein kleines Schild weist auf einen kontemporären Künstler aus der Gegend hin. Sie zeigen bäuerliche Szenerien, grob gezeichnet in satten, dick aufgetragenen Farben.

Auf der Terrasse lassen wir uns die Sonne auf den Pelz scheinen. Liegestühle und eine wellenförmige Holzliege für zwei laden dazu ein, den Blick über Innsbruck gleiten zu lassen.

Und was tragen wir dabei? Alt-Innsbruck natürlich. Das Eau de Cologne wird 1.000 m unter uns in Hall in Tirol seit den 1950er Jahren produziert. Sein Duft besteht laut Pyramide aus Minze und Tabak und viel mehr lässt sich tatsächlich nicht daraus erriechen. Es ist frisch wie ein Gletschereisbonbon und hinterlässt ein sauberes und aufgewecktes Gefühl.
Mit einer der letzten Bahnen schweben wir wieder ins Tal und gönnen uns noch einen Nachtisch in einer Biobäckerei in Hall.
Bald geht’s weiter, kommt doch wieder mit!

Wer von euch kennt die Gegend oder wohnt vielleicht sogar dort?

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