Felicity
Felicitys Blog
vor 6 Jahren - 20.06.2018
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Duftbiografie oder Von Gänsen und Molekülen

Die Gänse. Ich hatte Angst vor ihnen und schaute mich gründlich um, denn sie waren so groß wie ich und ich musste an ihnen vorbei auf dem Weg zum Kindergarten. Wenn sie einen erst mal zischend verfolgten, war es zu spät. Da half nur noch Beine in die Hand und weg. In dieser Zeit brachte der Sohn einer Erzieherin etwas mit, das er mir heimlich zeigte. Es war ein kleines viereckiges Fläschchen in einem hellen, filigran durchbrochenen Plaste-Schober, er nannte es „Parfüm“. Gerochen habe ich es nicht, aber ich fand das Fläschchen mit dem hellen Knopfdeckel sehr hübsch und spannend.

Später hielt ein anderes gläsernes Kleinod Einzug in unser Badezimmer. Meine Mutter liebte ihr „Desirè“. War es , weil Desirè ihre Lieblings-Romanfigur war? Es hatte in dieser Zeit einen Film über Desirè gegeben, der Verlobten von Napoleon. Meine Mutter hatte auch das Buch, las es über viele Jahre immer wieder mal und sprach auch gerne über diese Frau.

Im Konsum standen dann eines Tages auch diese kleinen viereckigen Fläschchen herum mit Blumendüften: Maiglöckchen, Flieder, Rose. Diese Düfte haben mich in ihren Bann gezogen, auch wenn sie der gnadenlose Overkill für die Nase waren.

Vielleicht fing ich auch deshalb eines Tages an, den Saft aus Orangenschalen zu quetschen, zu sammeln und mit Hilfe von Kupferdraht in eine leere „Desire“-Flasche zu füllen. Das Ganze war mühselig, die Ausbeute gering. Aber immerhin, ich hatte mein eigenes Parfüm, das roch herrlich , auch wenn es sehr wenig war!

Regelmäßig bekamen wir Westpakete und da meine Mutter so für den Duft der Seife „Fa“ schwärmte, hatten wir immer eine Fa – Seife im Bad liegen. Auch ich fand wie sie den Duft sehr frisch und irgendwie sehr faszinierend.

Selbst Parfüm gekauft habe ich erst nach der Wende. Die DDR-Parfüms wie Schwarzer Samt, den unsere Nachbarsfrau manchmal ihrem Sohn in die hellblonden Haare träufelte (igitt!), wenn wir ihn morgens zur Schule abholten, mochte ich überhaupt nicht. Meine ersten beiden Parfüms dann nach 1990 waren Charlie von Revlon und Nature von Yves Rocher. Die beiden hatte ich lange, denn damals benutzte ich Parfüm nur für auserlesene Anlässe.

Irgendwann brachten Freunde aus den USA ein Miniaturenset vom Flughafen mit: Estèe Lauder, darunter White Linen und Pleasures. In Pleasures fand ich dann einen treuen Begleiter für viele Jahre. Der Duft machte mir zuverlässig immer wieder gute Laune und ich habe ihn oft nachgekauft oder ihn mir schenken lassen. Andere Düfte an mir nervten mich irgendwie immer nach kurzer Zeit und standen dann nur herum. Das mit Pleasures war anders. Wir waren nach der Initialzündung auf den ersten Riecher quasi „ein Paar wie Blitz und Donner“.

Aber hinterm Horizont geht’s weiter und eines Tages beim Saubermachen im Bad meiner Mutter fiel mir ein Duschgel von Isabelle Rosselinis „My Manifesto“ in die Hände. Ich machte es auf und der Duft e-l-e-k-t-r-i-s-i-e-r-t-e mich! Es gab also doch eine Alternative in dieser Welt der Düfte für mich! Zweimal habe ich mir dann das EdP aus der Bucht herausgefischt, aber da er nicht mehr hergestellt wird, wird er immer älter und teurer. „My Manifesto“ war mein erstes Ausscheren aus meiner Ehe mit Pleasures und er schlug ein wie eine Bombe!

Seit dem bin ich unermüdlich und voller Begeisterung unterwegs im schier endlosen Duft-Universum. Ich wusste nicht, dass ein Duft mit solcher Macht alte und tiefe Sehnsüchte stillen imstande ist. Bei mir wären da zum Beispiel: die Sehnsucht nach

*Geborgenheit - Lacoste pour femme.

*Reisen in den Süden -Light Blue.

*Frühling –Pleasures.

*Erotik - 1881 Cerruti.

*der Süße des Lebens - Si von Armani,

und oft einfach nur namenlose Verzückung und Seligkeit! Fürwahr ein lohnenswertes Hobby . Einfach nur geil und cool sozusagen oder wie es der kleine Sohn einer Freundin mal in anderen Zusammenhängen schrieb „guhl und keil“ !

Sehnsüchte stillen und die Vielfalt des Lebens feiern, überhaupt die Wichtigkeit des Riechens und Möglichkeiten der unbewussten Beeinflussung (z.B. in Räumen) entdecken, die Nase schulen und das Wissen um die Parfümherstellung erweitern, all das ist in den letzten zwei Monaten über mich gekommen und ich feiere es, auch über das Schmökern auf der Parfumo-Plattform. Danke an euch alle!

Neulich sah ich in der elektronischen Bucht Fotos von einem Zimmer mit Hunderten Parfümflaschen jeder Größe und Form in Glasregalen, Tischchen und überfüllten Setzkästen an der Wand. Preis: 7000 €. Gerne würde ich das beeindruckende Foto hier einfügen, aber ich finde es nicht mehr. Vielleicht ist es schon verkauft? Im Text des Verkäufers kam dann zum Ausdruck, dass er fürchtete, mit seinem Angebot nicht ernst genommen zu werden. Und irgendwie hat er da Recht: wer braucht schon Tausende z. T. offensichtlich überlagerter Düfte? Schöne, antiquierteFlakons mit hell- bis dunkelbrauner Flüssigkeit und Jahren der Lagerung auf dem Buckel – da drängt sich mir unwillkürlich die Vorstellung von dickem Staub und versifften Sprühlöchern auf und es schüttelt mich. Aber dieses Bild projiziere ich auf meine innere Leinwand, wenn ich mich vor einem weiteren „wirklich guten Angebot“ sehe. Es ist der Protest meines Verstandes gegen die Symptome der Sucht, der flüstert „Man kann es riechen und sich daran freuen, aber man muss es nicht haben“. Mein Wadenwickel gegen das, was ich inzwischen nenne: das Schnüffelfieber.

Ich arbeite daran, mein neues Hobby nicht ausufern zu lassen.

Amen!

PS: Seit gestern kenne ich Molecule 01 und dieser Duft ist das Schönste, Aufregendste und gleichzeitig angenehm Unaufdringlichste, was ich je überhaupt gerochen habe. Eine Explosion der Gefühle, vielschichtig, rätselhaft und tief. Fast überirdisch. Ich glaube, ich brauche nichts anderes mehr. Wer hätte das gedacht J !

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