Berliner Duftspaziergänge. Teil 4: Dona Herrera, Sancha Pansa und die Propellerflügel
Es
wäre jetzt leicht, endlich den Sprung in die Duftwelt von
Berlin-Mitte zu wagen. Denn wenn wir den Parfumsalon Berlin verlassen
haben, fallen wir schon fast hinein in die U-Bahn-Station
Uhlandstraße, von wo aus wir bequem mit nur einmaligem Umsteigen zu
den Dufttempeln im ehemaligen Ostteil der Stadt kämen. Aber auch in
der vierten Folge der Duftspaziergänge kommen wir noch nicht aus
Charlottenburg los. Es ist aber nun auch mal viel los hier!
Wir
gehen die Uhlandstraße, die wir von Norden gekommen sind, weiter
südwärts bis zur Lietzenburger Straße, durch die mindestens
genauso sehr wie durch die Kantstraße der Durchgangsverkehr braust
und die noch weniger weiß, was sie eigentlich sein will: Wohnstraße,
schicke Shoppingmeile oder Autobahn. Wir biegen nach rechts ab und
stellen fest: Es hat sich hier viel getan in den letzten Jahren, auch
was die Baustile angeht: Neben die übliche bürgerliche
Charlottenburger Architektur um 1900, die noch immer die relative
Mehrheit hier behauptet und neben eher gruselige Betonmachwerke der
weit gefassten Nachkriegsmoderne wie das Mark Apart Hotel auf der für
uns jetzt rechten Straßenseite treten cool daherkommende Glaspaläste
aus den letzten fünf bis zehn Jahren wie das Art'Otel und das Abba
Hotel Berlin schräg gegenüber auf der linken Straßenseite. Während
wir die Frage einstweilen offen lassen, ob die Gebäude aus dieser
Epoche wirklich schöner sind als die aus der vorigen und
konstatieren, dass es hier wirklich ziemlich viele Hotels gibt,
beschließen wir, weil wir schon eine Übernachtungsmöglichkeit
haben und die Lietzenburger letztlich dann doch nicht anziehend genug
finden, diese wieder zu verlassen.
Wir
könnten die Emser Straße nach links einbiegen, die uns in die
Gegend des wunderschönen Ludwigkirchplatzes bringen würde,
entschließen uns dann aber doch, wieder auf bekanntes Terrain
vorzudringen: Wir biegen die Bleibtreustraße nach rechts ein. Die
kennen wir schon von unserem Besuch bei „Belle Rebelle“
(Duftspaziergänge Teil 2), das war aber ein ganzes Stück weiter
nördlich. Am südlichen Eingang dieser Straße fällt uns gegenüber,
auf ihrer jetzt linken Seite das Herrenschuhgeschäft des Klemens von
Truschinsky ins Auge, vielleicht die klassischste Berliner Adresse
für den Liebhaber klassischer Schuhmode. Das ist aber heute nicht
unser Thema, und so gehen wir die Bleibtreustraße auf ihrer rechten
Straßenseite nordwärts, als wir nach ein paar Häusern Weges
plötzlich bemerken, dass ein Bistrotisch auf dem Gehsteig steht, auf
dem sich Gegenstände befinden. Die Raucherecke vor einer Kneipe?
Aber die Objekte auf dem Tisch sind gar keine Aschenbecher, das sind
Parfümflakons, mit einer Art Diebstahlsschutz versehen und mit einem
Set Teststreifen dabei. Witzige Idee.
Selbst wenn wir heute
eigentlich ein anderes Ziel hatten, da können wir nun nicht
widerstehen und sprühen etwas aus einem der Tester auf das Papier.
Im Weitergehen schnuppern wir und – huch, das ist ja richtig gut!
Neugierig geworden, drehen wir um, um noch einen anderen Duft zu
probieren, da lacht uns durchs Schaufenster des neuen Ladengeschäfts
von Urban Scents, Bleibtreustraße 32, schelmisch eine
burschikose junge Frau zu, die bald darauf zu uns nach draußen an
den Bistrotisch tritt und wir kurz darauf mit ihr in den Laden. Eine
schlauere und angenehmere Art, Kunden einzufangen, muss noch erfunden
werden.
Um es vorwegzunehmen, die anderen Düfte, die wir im
Laufe der nächsten Dreiviertelstunde noch probieren, sind ebenfalls
außergewöhnlich schön, und so habe ich mit „Urban Scents“
wieder ein Label gefunden, dass es in die handverlesene Gruppe meiner
Lieblingsmarken schafft.
Das
ursprüngliche Quartier dieser sympathischen Manufaktur befand sich in der Eisenacher Straße in
Schöneberg, die ich sehr mag. Schade, dass ich es dort nie richtig
wahrgenommen habe. Das neue Domizil in Charlottenburg ist edel,
minimalistisch und objektiv betrachtet ein bisschen kühl
eingerichtet. Alles ist wertig, um nicht zu sagen teuer. Geradezu
futuristisch mutet das Duftlabor an, das im hinteren Teil des Ladens,
abgetrennt durch eine Glaswand, eingerichtet ist und wo man die
Meisterin bei der Arbeit beobachten kann. Man denkt an ein
Riesenaquarium oder an das fantastische Labor eines James-Bond'schen
Q.
Da fragt man sich, warum alles trotzdem freundlich,
einladend und ansprechend wirkt und eine geradezu anheimelnde Wärme
ausstrahlt, als ob wir uns in einer sizilianischen Trattoria befänden
und als ob die Glaswand mit dem Duftlabor dahinter eine niedrige
Mauer wäre, über die hinweg wir dem Pizzabäcker bei der Arbeit
zusehen könnten.
Vielleicht liegt es daran, dass der Laden
ziemlich leer ist, kein wuseliger Kundenbetrieb, und dass unter der
Theke ein vielleicht dreijähriges Mädchen herumtollt, sodass wir
uns wie private Gäste statt wie Kunden vorkommen können. Mit
Sicherheit liegt es aber an dem kongenialen Paar, das sich –
jedenfalls an diesem Tage – hier gefunden hat: Die etwas
zerbrechlich und scheu, jedenfalls aber sehr anmutig wirkende
Duftmeisterin Marie Le Febvre, einer Ritterin von der duftigen
Gestalt, und ihrer bereits erwähnten, robuster veranlagten
Schildknappin, Übersetzerin und Popularisiererin. Diese
bodenständige Sancha Pansa spricht mit einem verrückten Akzent, der
Phoneme mehrerer Sprachen aus entgegengesetzten Ecken Europas
miteinander vereint und lacht ein so helles und warmes Lachen, dass
es trotz tiefsten Frostes das Eis der kurischen Nehrung schmelzen
würde.
Das Grundsortiment des jungen Labels besteht aus den
sechs EdPs Gunpowder Cologne, Desert Rose, Lost Paradise, Vetiver
Reunion, Singular Oud und Sensual Blend. Dazu kommen (auch zeitlich)
limitierte Editionen – wie derzeit die fünf Düfte der Serie
„Vintage Spirit“, Duftkerzen und die Möglichkeit, sich einen
individuellen Duft maßschneidern zu lassen.
Obwohl
ich nicht das gesamte Sortiment getestet habe, wage ich zu sagen,
dass die (mit 180 Euro je 100 ml, die Editionen mehr, nicht ganz
billigen) Urban-Scent-Düfte eine gemeinsame DNA haben. Sie sind
sanft, unaufgeregt und besonders - genauso weit entfernt von
„langweilig und angepasst“ wie von „schrill, grell und
gesucht“. Sie sind anmutig, aber nicht weichgezeichnet. Sie sind
klassisch verwurzelt (etwa an die Tradition der Chypres angelehnt),
weisen dabei aber sehr ausgefallene, moderne Twists auf. Diese
Unisex-Düfte sind wie ein Dreiteiler aus feinstem Zwirn, getragen
mit einem zehn Zentimeter breiten Silber-Amring aus dem antiken
Georgien oder wie ein Etuikleid von größtmöglicher Eleganz,
versehen mit „unmöglichen“ postmodernen Farb- und
Materialapplikationen. „Urban Scent“ ist sehr vornehm und dabei
ganz lebendig. Die Ausgewogenheit und Beherrschtheit der
Kompositionen entspringt nicht der Beherrschung starrer Regeln,
sondern kommt von innen – und diese in sich ruhende
Selbstsicherheit macht diese Düfte sinnlich.
Alle Düfte
werden in denselben kunsthandwerklich gefertigten Einheitsflakons aus
dickem dunkelblauem, den Inhalt vor Lichteinstrahlung beschirmenden
Glas gefertigt und sind mit dem wunderbar retro gestalteten
Propellermotiv und dem Schriftzug „Urban Scents“ geschmückt. Die
Marke ist ein Gemeinschaftswerk der französischen Chemikerin und
Parfumeurin Marie Le Febvre und ihres österreichischen Ehemannes
Alexander Urban, was die Vermutung nahelegt, dass der Name des Labels
nicht nur für „Stadt-Düfte“ steht. Und wer die Werbetexte des
Labels aufmerksam liest, kann entschlüsseln, dass der Propeller auch
auf die Flugleidenschaft anspielt, die das privat und geschäftlich
verbundene Paar miteinander teilt.
www.urbanscents.de
Nach
der Begeisterung, die „Urban Scents“ in uns geweckt hat, ist es
vielleicht etwas unfair, überhaupt noch einen Besuch in einem anderen
Dufttempel folgen zu lassen. Wir bleiben der Tradition aber treu, in
jeder Folge der Duftspaziergänge zwei Ziele anzusteuern, und wir
haben es nicht weit. Wir sind schon oft an dem Diptyque-Flagshipstore
in der Nähe vorbeigegangen und wollten diese uns unbekannte Marke
uns schon lange erschließen, und so gehen wir nun die
Bleibstreustraße ein paar Häuser weiter bis zur Ecke mit dem
Kurfürstendamm und biegen, ohne die Straßenseite zu wechseln,
wiederum nur einige wenige Häuser weit nach links in ihn ein, dann
sind wir da: Diptyque, Kurfürstendamm 193.
Das Pariser
Dufthaus Diptyque ist im Gegensatz zu „Urban Scents“ schon über
50 Jahre alt, und es ist im Ursprung auch keine klassische
Parfümerie. Zu Beginn des Unternehmens stand Raumschmuck und
Raumduft im Vordergrund, daneben wurden Parfüms fremder Hersteller
vertrieben. Noch immer machen Raumdüfte, Duftkerzen und auch
Kosmetika einen erheblichen Teil des Sortiments aus. Inzwischen ist
jedoch eine gediegene Auswahl eigener EdTs und EdPs im markanten
einheitlichen schwarzweißen, schriftbetonten ovalen Design
hinzugekommen.
Der Laden am Kurfürstendamm ist nicht die
einzige Verkaufsstelle für Diptyque-Düfte in Berlin, es gibt zwei
oder drei weitere, unter anderem im KaDeWe. Es ist aber die einzige
eigenständige Diptyque-Boutique in Berlin, ja sogar in ganz
Deutschland. Obwohl der Fußweg seit „Urban Scents“ nur vier
Minuten betragen hat, und obwohl die Bleibtreustraße auf dieser Höhe
kaum weniger fein als der Ku'damm ist, ist die Atmosphäre
verwandelt. Das etwas kruschelig und unübersichtlich, aber dennoch einladend und hell wirkende Geschäft ist voller Laufkundschaft,
und es lässt sich erahnen, dass die beiden überaus freundlichen,
engagierten, trotz Hochbetriebs gut gelaunten und augenscheinlich von
den Produkten ihres Arbeitgebers ehrlich begeisterten Fachverkäufer
hier einiges erleben, was ihre Widerstandsfähigkeit und ihre
gleichbleibende Souveränität auf den Prüfstand stellt. Gewiss
schneien hier des öfteren auch chinesische Immobilienaufkäufer,
russische Oligarchen und emiratische Scheichs mit extravagantem
Betreuungsbedarf herein, ebenso wie ein ganzes Spektrum von Besuchern aus der
west- wie ostdeutschen Provinz auf dem obligatorischen
„Kudamm-Spaziergang“, von Hausfrauen bis zu Bordellwirten, die
Fragen der Art stellen „haben Sie auch so was in Richtung 1 Million“. Wir trauen der Dame und dem jungen Mann aber
zu, auch in derart kniffligen Fällen genau den richtigen Ton zu
treffen und das kommerziell gewiss nützliche Leuchten in den Augen
zu behalten.
Wie bereits angedeutet wird der größere Teil
der Ladenfläche von Cremes, Duftkerzen und dergleichen okkupiert,
aber es steht auch eine schöne Test-Bar mit dem Gesamtsortiment
aller Düfte des Hauses zur Verfügung. An Tintenfässer erinnernde
Vorrichtungen, deren Deckel aus poröser Keramik gefertigt sind, die
mit dem jeweiligen Duft vollgesogen sind, erlauben es, auch ohne
wildes Herumsprühen den jeweiligen Duft zu testen. Manchmal
funktioniert das gut, manchmal etwas weniger gut (vielleicht sollte
mancher Keramikdeckel öfter nach-gesättigt werden?), aber es bleibt
immer noch auch die Möglichkeit des klassischen Testens auf Papierstreifens
oder auf der Haut. Manche der Düfte, die ich teste, erfüllen
meine Erwartungen nicht, aber einiges gefällt mir auch gut oder
begeistert mich sogar. Der zitrische Oyédo, bei Parfumo im Schnitt
nicht überragend bewertet, gefällt mir sehr, mit Eau de Lierre
teste ich (mit einiger Freude) meinen ersten Efeu-Duft, und wirklich
angetan hat es mir Philosykos EdT, der mich wahrhaftig vom Feigensaulus
zum Feigenpaulus bekehrt: Ein fast schon vollendet schöner
Feigenduft, wie ich ihn nicht mehr glaubte, jemals finden zu
können.
Deswegen und wegen des wirklich sehr zugewandten, kompetenten und angenehmen Personals, das sich zudem auch
wirklich nicht geizig mit Proben gezeigt hat, verlassen wir
„Diptyque“ frühlingsadäquat sehr gut gelaunt, obwohl die
Messlatte nach dem Besuch des „Urban Scents“ unerreichbar hoch
lag.
www.diptyqueparis.eu
Nun
aber, beim nächsten Spaziergang, geht es wirklich nach Berlin-Mitte.
Das steht fest und ist versprochen!
Bisher
besucht:
Mekkanische Rose (Teil 1)
Harry Lehmann
(Teil 1)
Belle Rebelle (Teil 2)
The English Scent (Teil
2)
Manufactum (Teil 3)
Parfumsalon
Berlin (Heinz Schlicht) (Teil 3)
Weitere Fortsetzungen in loser
Folge!