FvSpee
FvSpees Blog
vor 7 Jahren - 05.10.2017
29 56

Buying Scent from a Shop in Brussels oder Die perfekte Parfümerie

Als ich vor einigen Tagen durch Brüssel schlenderte, ein paar schöne epikureische Tage teils nur mit Frau von Spee, teils auch mit guten Freunden genießend, suchte ich nicht gezielt nach Parfümerien, geschweige denn, dass ich mich zuvor über die einschlägigen Hotspots der Unionsmetropole informiert hätte. Dass ich die Augen ein wenig offen hielt, kann ich freilich nicht abstreiten.

An der Place Stéphanie, die den kurzen nordwestlichen Teil der Avenue Louise von ihrem Überbreite und Überlänge aufweisenden Hauptteil abgliedert, fiel mein Blick auf eine halbwegs auffällige Schaufensterbeschriftung „Jo Malone“, und als inzwischen geschulter Parfumo dämmerte mir, dass es sich hier um eine Duftmarke handelte. Wähnend, hier eine Art Flagschiffgeschäft vor mir zu sehen, und von der freundlichen, zurückhaltenden Gestaltung der Fassade und der Schaufenster angesprochen, trat ich ein. Erst nach ein, zwei Minuten bemerkte ich, dass das Etablissement eigentlich „Senteurs d'ailleurs“ heißt (ich würde das mal mit „Düfte von anderswoher“ übersetzen). Sein Name war so unauffällig an der Fassade angebracht, dass ich ihn gar nicht bemerkt hatte. „Jo Malone“ war nur eine der dort angebotenen Duftmarken (und bei weitem nicht die interessanteste), und wenn dieser Schriftzug etwas plakativer angebracht war, dann womöglich, weil vielleicht gerade eine Art „Aktionswoche“ zu dieser Marke stattfand (wobei der recht aufdringlich nach Grabbeltisch riechende Begriff „Aktionswoche“ angesichts des distinguierten Ambiente grob deplatziert erscheint).

Nach einer halben Stunde in diesem Tempel, und nach einem weiteren, etwas längeren Besuch ebenda zwei Tage später (jeweils mit etlichen Dufttests und am Ende mit einem kleinen Kauf) kann ich verblüfft resümieren, hier eine (im Rahmen des möglichen) für meine Bedürfnisse und Ansprüche perfekte, ideale Parfümerie gefunden zu haben, ein Duftgeschäft, wie ich mir eines backen würde, wenn ich denn könnte. An Ort und Stelle habe ich mich einfach nur pudelwohl gefühlt und war begeistert. Inzwischen hab ich darüber nachgedacht, warum, und das Ergebnis dieser Überlegungen will ich mit euch teilen.

Erstens: Für ein Duftgeschäft vielleicht am wichtigsten, und dieser Punkt ist mir erst zuhause in Deutschland so richtig klar geworden: Es riecht dort nicht. Die Luft ist kompromisslos klar und frisch. Ich denke, die Höhe der Räume reicht nicht zur Erklärung; es muss dort, auch wenn ich keine Zugluft oder dergleichen gespürt habe, ein ausgeklügeltes Luftaustauschsystem verbaut sein. Ebenfalls eine Rolle mögen die an den Probenregalen dezent aber deutlich angebrachten Hinweise spielen: „Bitte besprühen Sie beim Testen nicht die Möbel“. Das Ganze hat den überaus angenehmen (und seltenen) Effekt, dass man sich olfaktorisch nicht in einem tadschikischen Puff wähnt (Entschuldigung, liebe Tadschikinnen und Tadschiken, das ist natürlich nur eine dumme Redensart), sondern an einem fröhlich plätschernden Gebirgsbach. Und somit beim Testen eines Duftes wirklich diesen Duft testet und nicht dreihundertsechsundzwanzig andere en passant noch mit.

Zweitens: Die gesamte Einrichtung ist ruhig, zurückhaltend, erkennbar hochwertig (aber nicht protzig), extrem ordentlich, fast schon zen-mäßig minimalistisch und absolut klar gegliedert. Die Räume sind sehr hoch und das Geschäft besteht aus einem einzigen, allerdings in sich etwas gegliederten und nicht völlig symmetrischen, ziemlich großen Raum. Es gibt keinerlei reißerische Reklame, keine Aktionsschilder, alles spricht sachlich nur für sich selbst. Auf der anderen Seite stehen die Artikel nicht in protzender Leere, ein Flakon pro Regalbrett, sondern angemessen aufgereiht wie gute Bücher in einer Bibliothek. Kein Preis ist reißerisch plakatiert, aber kein Preis wird versteckt, man kann ihn sich am Regal oder am Produkt problemlos anschauen. Hier und da stehen einige wenige Sitzgelegenheiten und Tische, im Übrigen erinnert alles tatsächlich ein wenig an eine schöne Bibliothek. Nirgendwo stehen beschmutze oder halbleere Flakons oder Schachteln herum, nirgendwo ist die geringste Unordnung, alles hat System. Die (wenigen) Düfte, die nicht auf Lager sind, von denen aber ein Testflakon vorhanden ist, sind, um einerseits das Testen gleichwohl zu ermöglichen, andererseits Enttäuschungen zu vermeiden, mit einem schwarzen Punkt auf dem Tester gekennzeichnet.

Drittens: Ein perfekt ausgewogenes Sortiment. Senteurs d'ailleurs verfolgt erkennbar das Konzept der Nischenparfümerie, große klassische Marken wie Guerlain oder Chanel fehlen völlig (am Rande: ein Laden derselben Konzeption ließe sich aber ohne Weiteres auch mit Mainstreamdüften aufbauen). Bei den Nischenmarken wird wiederum auf die eher etwas bekannteren, sagen wir, mainstreamnäheren, fokussiert. Was mir wirklich herausragend gut gefällt: Es gibt etwa ein gutes Dutzend Marken (ich erinnere mich konkret an Creed, Parfumerie Générale, État libre d'Orange, Annick Goutal, Jo Malone, Byredo, Comme des Garcons, L'Artisan Parfumeur, Tom Ford, Maison Martin Margiela und Serge Lutens, aber es waren noch ein paar mehr), die jeweils mit ihrem – soweit ich es erkennen konnte – vollständigen Sortiment vertreten sind. Wie oft habe ich sonst schon in einer großen Parfümerie ein Regal mit „Comme des Garcons“ oder „Annick Goutal“ gesehen und mich schon gefreut, und dann war der Duft, den ich gerade besonders gesucht habe, gar nicht im Sortiment. Dazu kommen dann noch ein paar Marken, von denen nur einige ausgewählte Einzeldüfte angeboten werden.

Viertens: Eine wundervolle Art der Präsentation. Jede Marke, die mit ihrem vollen Sortiment vertreten ist, hat ein eigenes Regal für sich. Je eine Abteilung der „Aromathek“ von oben bis unten fein säuberlich mit der kompletten Serie befüllt. Neben oder vor der jeweiligen Verpackung – und es steht in der Regel je Duft nur eine Verpackung zum Anschauen im Regal, steht der Testflakon, leicht zugänglich. Auf den Preis wird immer durch diskrete Ausschilderung hingewiesen, auf Besonderheiten der Düfte sehr gelegentlich und sparsam. Überall liegen Teststreifen in ausreichender Menge, nirgendwo habe ich gebrauchte herumliegen sehen (anscheinend werden die diskret und effizient entfernt, denn Mülleimer habe ich auch nicht gesehen). Als ich an meinem zweiten Besuchstag einen Duft kaufte (es war „Inflorescence“ von Byredo, für Frau von Spee), stellte ich fest, dass die Beraterin eine Treppe hinaufging; erst da bemerkte ich eine Galerie, die als erster Stock in den Raum eingezogen war und in der sich die Produktvorräte befanden, wodurch der eigentliche Ladenraum zum reinen Schau- und Schnupperraum entlastet wird.

Fünftens: Personal, das sich so verhält, wie man es erwartet. Zwei bis drei Angestellte waren ständig im Laden präsent und wären auch jederzeit ansprechbar gewesen, rückten einem jedoch nicht im Geringsten mit irgendwelchen ungebetenen Ratschlägen oder Fragen mit Peinlichkeitspotenzial auf die Pelle, sondern hielten sich konsequent im Hintergrund, sodass mein erster Besuch nach etwa einem halben Dutzend Dufttests und einer Menge herumstöbern äußerst angenehm ohne Sozialkontakt zu Ende ging. Bei meinem zweiten Besuch wurde ich irgendwann ganz zurückhaltend angesprochen, ob man helfen könne. Meine Erwiderung, nein, ich komme erstmal ganz gut klar, sei aber von dem Laden schlichtweg begeistert, so etwas Schönes hätte ich in Berlin noch nicht entdeckt, wurde mit bescheidenem Niederschlagen der Augen quittiert: Nun, es sei wohl so, dass man eine der größten Nischenparfümerien Europas sei, aber dass es in Berlin nichts ähnliches gebe, also nein wirklich doch, gewiss sei das zu viel des Lobes. Als ich meinen fünften besprühten Teststreifen sauber auf einem Tisch abgelegt hatte und mich dem nächsten Test widmete, schaute ich dann über die Schulter und sah, wie die charmante Beraterin meine Teststreifen in kleine Tütchen einpackte. Mir entgleisten die Gesichtszüge, da ich mir vorkam, wie am Tatort eines Verbrechens, wo die Forensik Beweismittel einsammelt. Mein Gegenüber aber, mein Entsetzen bemerkend, anstatt mir z.B. durch einen schnöseligen Blick zu verstehen zu geben, dass ich ja wohl ein armseliger Nixchecker sei, wenn ich nicht wisse, wie das in so einem Dufttempel abgehe, erklärte mir ganz freundlich: Oh nein mein Herr, keine Sorge, wir entsorgen das nicht, das packen wir für Sie ein, damit Sie den Duft zu Hause noch gut nachtesten können. Das ist souverän. Und als ich beim Kauf eines 50-ml-Flakons Byredo erklärte, meine Frau und ich hätten uns gemeinsam in diese Marke etwas verliebt, wurden mir mit einem schlichten "oh wie schön" gleich noch 4 Proben Byredo-Düfte dazugepackt, und zwar (zufällig oder der präzisen Beobachtung der Verkäuferin geschuldet) vier, die wir noch nicht getestet hatten.

Nach diesen fünf Punkten wäre vielleicht noch zu ergänzen, dass ich keinen einzigen unangenehmen Kunden wahrgenommen habe, insbesondere keine protzigen Millionärstypen saudischer, russischer, asiatischer oder auch europäischer Provenienz, und dass es laut Homepage auch noch einen angeschlossenen Beauty-Salon geben soll (den ich allerdings nicht wahrgenommen habe, keine Ahnung, wo sie den versteckt haben).

Fazit: Ich kann mir nicht vorstellen, wie man es besser machen kann. Gut, meine geliebten Harry-Lehmann-Düfte müsste ich weiter beim Hersteller kaufen (was aber sowieso so lustig ist, dass ich es nicht missen möchte), und für schöne Mainstreamdüfte bedarf es auch einer anderen Quelle, aber davon abgesehen sind das für mich mindestens 10 von 10 Punkten. Wenn der Laden in meiner Heimatstadt stünde, wäre ich dort Dauerkunde.

Nachtrag: Vor sechs Monaten hätte ich mich nicht getraut, diesen Blog zu schreiben, weil dann vielleicht der Verdacht aufgekommen wäre, ich sei ein bezahlter Werbetroll. Nachdem ich hier allerdings inzwischen über 40 Duftkommentare, etliche Statements und auch sonst einiges veröffentlich habe, hoffe ich, dass hinreichend bewiesen ist, dass es mir nicht um Reklame geht (die meisten Leser dieses Blogs werden eh selten nach Brüssel kommen), sondern darum, an diesem Beispiel zu zeigen, was für mich eine perfekte Parfümerie ausmacht.

Falls ihr diesen Blog interessant fandet und etwas erwidern möchtet, mich würde zum Beispiel Folgendes interessieren: Findet ihr ähnliche Dinge wie ich an einer Parfümerie wichtig, oder kommt es euch auf ganz andere Aspekte an? Und: Kennt ihr in Berlin oder anderswo in Deutschland eine Parfümerie, die der oben beschriebenen ähnelt?

Was übrigens den ersten Teil des Titels dieses Beitrags betrifft: Für die, die es nicht erkannt haben, es soll eine Anspielung auf die Zeile „Buying bread from a man in Brussels (he was six foot four and full of muscles)“ aus „Down under“ von „Men at Work“ sein. Mir ging der Ohrwurm in Brüssel nicht aus dem Kopf, und so konnte ich mir den Titel dieses Blogs nicht verkneifen, obwohl die sehr nette Verkäuferin im „Senteurs d’ailleurs“ zierlich und durchaus kein Muskelpaket von Einmeterneunzig war.

29 Antworten