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vor 5 Jahren - 01.03.2019
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Kurzer Versuch zum Thema "Parfums und Geschlechter"

Vor kurzem hat ein Mitglied der Community in einem Kommentar zu einem Duft die Ansicht vertreten, dieser sei für Homosexuelle sehr gut tragbar, für Heterosexuelle berge er das Risiko der Ablehnung. Dies hat eine heftige Debatte mit derben Wortwechseln ausgelöst, in deren Verlauf der Kommentar geändert worden ist (die wesentliche Kernaussage ist aber noch vorhanden, jedenfalls war sie das vorgestern noch, seitdem habe ich nicht mehr nachgeschaut).

Mir gefällt der Kommentar gar nicht und ich halte die Kritik im Wesentlichen für berechtigt. Ich würde sogar so weit gehen, den Verdacht zu äußern, dass es sich um die bewusste Provokation von Streit in Troll-Manier handelt, obwohl ich sonst als treuer Anhänger von "Ockhams Rasiermesser" Verschwörungstheorien bis zum Beweis des Gegenteils ablehne. Dafür, dass der Kommentar nicht wirklich ernst gemeint ist, spricht die (in ernstzunehmenden Kommentaren selten anzutreffende) 10/10/10/10-Bewertung des Duftes und die Aggressivität und Penetranz, mit der die kontroversen Aussagen im Text des Kommentars immer wieder gleichsam holzhammerartig wiederholt werden. Dadurch wirkt der Kommentar in der Tat etwas behämmert (einer der Kritiker hat „grenzdebil“ geschrieben), aber so töricht wie er sich gibt scheint mir der Verfasser in Wirklichkeit gar nicht zu sein.

Im Rahmen der losgetretenen kritischen – und heftigen – Diskussion hat der Kommentarverfasser allerdings einen intelligenten Einwand geäußert, nämlich sinngemäß „ihr regt euch hier über die Klassifizierung als Duft für Schwule auf; wenn ich aber geschrieben hätte, der riecht feminin oder metrosexuell, hätte niemand was gesagt“. Darüber sollte man doch vielleicht nachdenken und es nicht zu schnell vom Tisch wischen. Dieser Blogbeitrag hier stellt also eine kurze Analyse dar, was von diesem Einwand zu halten ist.

Wenn wir einmal den (etwas schwer zu konkretisierenden) Begriff des Metrosexuellen außen vor lassen, stellt sich die Frage, ob die Klassifizierungen als „femininer Duft“ und als „homosexueller Duft“ überhaupt vergleichbar sind. Das ist in einem wesentlichen Punkt nicht der Fall. „Femininer Duft“ bezieht sich auf das Geschlecht des potenziellen Trägers, „homosexueller Duft“ auf dessen sexuelle Orientierung.

Dennoch: Ist nicht auch die Klassifizierung als „femininer Duft“ im Grunde genauso unpassend, vorurteilsbehaftet und diskriminierend wie die Bezeichnung eines Duftes als „homosexuell“? Steckt damit nicht auch ein Körnchen (oder mehr) Wahrheit in dem Einwand des Kommentarverfassers? Klar, die wichtigsten Dufthersteller und Parfümerien bedienen jeweils getrennt einen Markt für „Herrendüfte“ und „Damendüfte“ (obwohl gerade Nischenparfümerien oft fast nur noch „unisex“ deklarieren), und auch hier auf Parfumo findet sich (noch?) eine entsprechende Unterscheidung (neben der dritten als „unisex“). Und schließlich schreiben auch etliche Kommentatoren (auch ich selbst) ständig etwas von „riecht sehr maskulin“, „eher für Damen tragbar“ und dergleichen. Ist das überhaupt valide? Oder wird man das vielleicht schon in zehn oder zwanzig Jahren für genauso absurd halten wie wenn man schreiben würde „gut tragbar für Schwarze“?

Als erstes kann man hier den Einwand nennen, dass schon die Aufteilung in (nur) zwei Geschlechter, ein männliches und ein weibliches, willkürlich sei, dass es eine praktisch unendliche Geschlechtervielfalt gebe und die Reduktion auf die Bipolarität diskriminierend und unterdrückend sei. Ich habe dieses Argument erstmals Mitte der 90-er Jahre gehört, damals kam es mir völlig absurd vor. Heute hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung verschoben, es gibt das LGBT-Sternchen, erste Stadtverwaltungen wollen die Anrede „sehr geehrter Herr… / sehr geehrte Frau…“ nicht mehr im amtlichen Briefverkehr verwenden, das Bundesverfassungsgericht hat die Eintragung eines dritten Geschlechts „divers“ in amtlichen Registern erzwungen. Man kann das für übertrieben oder für noch nicht weitgehend genug halten, jedenfalls scheint da etwas in Bewegung zu sein. Und so scheint es mir gar nicht so abwegig, dass wir womöglich bald Demonstrationen oder Internet-Aktionen gegen die Großparfümerien wegen deren binärer „Damen-Herren-Aufteilung“ erleben werden.

Als zweites kann man darüber nachdenken, ob selbst dann, wenn man ganz konservativ annimmt, dass es durchaus (im Großen und Ganzen jedenfalls) zwei Geschlechter gibt, nämlich männlich und weiblich, es denn wirklich irgendeinen realen Grund (außer ungerechter Vorurteile) dafür gibt, dass bestimmte Düfte als „männlich“ und andere als „weiblich“ klassifiziert werden. Dazu könnte man – was meine Möglichkeiten überschreitet – einen räumlichen und zeitlichen Vergleich anstellen. Werden in Asien, Südamerika oder Afrika dieselben Düfte als „für Männer untragbar“ oder „sehr maskulin“ empfunden wie in Mitteleuropa? Und wie war es z.B. im Jahr 1700? Hat sich da nicht Ludwig XIV., der Sonnenkönig mit seinen vielen Mätressen, mit Blumendüften eingedieselt, die heute als sehr feminin (oder, Gott bewahre, homosexuell!) gelten würden? Ich denke, da sind Zweifel erlaubt, ob unsere Empfindungen des Jahres 2019 in Mitteleuropa der Weisheit letzter Schluss sind oder letztlich nur eine vollkommen zeit-, orts- und vorurteilsbedingte Momentaufnahme.

Werden wir etwas konkreter, können wir auch innerhalb unserer Lebensspannen bereits deutliche Verschiebungen feststellen: herb-krautige Chypres wie das alte „Dioressence“ waren in den 50-er Jahren (nicht meine Lebensspanne, ok…) noch klassische Damendüfte, heute muten sie eher maskulin an. Die heutigen „Jungmännerdüfte“ (wie One Million) sind hingegen oft von einer klebrigsüßen Plörrizität, die ein „echter Mann“ (egal welcher sexuellen Orientierung) noch vor 40 Jahren vermutlich nicht einmal in einer Limonade (wenn er so etwas überhaupt getrunken hätte) hingenommen hätte, auf keinen Fall aber in einem Duftwasser. Das sind die Grenzverschiebungen, die ständig stattfinden.

Daneben gibt es die Grenzüberschreitungen, sozusagen die Eroberungen fremden Terrains. Hier aber, und das finde ich sehr spannend, ist ein Ungleichgewicht festzustellen. Ich behaupte, dass es keinen Herrenduft gibt, den nicht auch eine Dame heutzutage tragen kann ohne dumme Bemerkungen zu kassieren. Das gilt aber faszinierender Weise umgekehrt eben nicht. Die Duftrichtungen „blumig-schwer“ und „blumig-süß“ sind, behaupte ich, in unserer Weltregion derzeit so feminin besetzt, dass ein Mann, selbst wenn er sie persönlich mag, nicht „diskriminierungsfrei“ tragen kann. Jedenfalls im heterosexuell dominierten Milieu! Wäre es nicht spannend zu wissen, im Sinne einer Zeitmaschine, ob das in dreißig Jahren noch immer so sein wird? Oder ob es dann nicht genauso normal ist, wenn ein „richtiger Kerl“ nach Blümchen duftet, wie es heute normal ist, wenn eine „heiße Braut“ so etwas wie Aramis, Knize Ten oder Habit Rouge trägt?

Ich spreche aus eigener Erfahrung. Ab und an mag ich blumige Damendüfte tragen, und obwohl ich das weder allzu oft, noch in allzu aggressiver (hochdosierter) Weise tue; auch obwohl ich nicht einmal auf „extrem weibliche“ Düfte ausgedehnt habe (sagen wir mal „Samsara“), bin ich damit regelmäßig angeeckt. Besonders gut erinnere ich mich daran, dass mir an einem Tag, als ich den etwas schweren Weißblüher-Saubär-Duft „Blanche“ von Byredo trug (den ich gar nicht soooo eindeutig feminin finde, aber in der Tendenz schon), mehrere Kollegen ihr Missfallen bekundet habe. Darunter, und jetzt wird es richtig spannend, ein von mir ansonsten sehr geschätzter Kollege, der aber aus meiner Sicht ein deutliches Problem mit sexuellen Minderheiten hat.

Mir scheint also, dass es heute bestimmte Düfte (weniger die klebrigwürzigsüßen, als vielmehr die blumigschweren und die blumigsüßen) gibt, die Männern – genauer gesagt heterosexuellen Männern – von der Mehrheitsgesellschaft, bis ganz weit in sehr liberale, weltoffene Kreise hinein, nicht zugebilligt werden. Auch von Frauen übrigens nicht. Trägt „mann“ solche Düfte, scheint man als „weibisch“ (oder eben, für die, die damit ein Problem haben, „schwul“) zu gelten. Das darf nicht sein, da werden sofort Abwehrreaktionen geweckt, weil das gewohnte Männlichkeitsschema bedroht ist. Ist das nicht eigentlich komisch? Sollte das nicht eigentlich geändert werden?

Ich fand den – ansonsten eher unterirdischen – Kommentar und die sich daran anschließende Debatte dafür gut, dass er mir Gelegenheit gegeben hat, darüber mal nachzudenken.

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