Olfaktorische Poetik Teil 3 - Dufte Reime
Intro
In den beiden ersten Folgen der Reihe „Kleine olfaktorische Poetik“ ging es um das Versmaß: Wir haben dort nebst allerlei allgemeinem Vorgeplänkel die vier grundlegenden Metren Fougère, Chypre, Eichenmoos und Shalimar vorgestellt.
Zu einem klassischen Gedicht gehört – wenn es denn nicht im Blankvers abgefasst ist, dazu haben wir schon etwas geschrieben – jedoch auch der Reim; dieser wird hier behandelt.
Lassen wir Sonderformen wie den Stab- und Binnenreim beiseite, so findet ein Reim immer am Zeilen- (Vers-) Ende statt und zeichnet sich dadurch aus, dass die letzte betonte Silbe im Vokal und in dem auf den Vokal folgenden Konsonanten übereinstimmen; dasselbe gilt für alle unbetonten Silben, die der letzten betonten noch folgen.
Männliche Reime
Am einfachsten ist das zu verstehen, wenn die letzte Silbe des Verses betont ist, was typischerweise im Fougère- und im Shalimar-Versmaß der Fall ist. Fällt die Betonung auf die letzte Silbe des Verses, folgt also keine unbetonte mehr danach, wird auch – oder wurde jedenfalls bisher, möglicherweise ist das Ganze nicht gendergerecht und muss geändert werden – von einem „männlichen“ Reim gesprochen:
Spr´ühst du dích mit D´üften éin,
músst du dábei spársam séin.
Der letzte betonte Vokal (oder genauer gesagt in diesem Falle der Diphtong, also Umlaut) „ei“ und der darauf folgende Konsonant „N“ müssen also identisch sein, sonst nichts. Weil danach keine weitere (unbetonte) Silbe mehr kommt. Auf das Schriftbild kommt es dabei nicht an, sondern auf den Laut, Worte mit „Ai“ statt „Ei“ wären also auch ok. Der Konsonant vor dem Vokal kann (und soll, sonst ist es ja kein richtiger Reim, sondern eine bloße Wiederholung) anders sein. Zulässige Reimworte wären hier also z.B.: klein, fein, Bein, Schwein, Führerschein, Wittgenstein, oder, für die klassischen Poeten unter uns: Hain und Rain. Unzulässig wäre „Dasein“, denn da fällt die Betonung auf „Da“. Und die Betonung muss bei Reimen schon übereinstimmen, sonst hört sich das auch beknackt an.
Weibliche Reime
Folgt auf die letzte betonte Silbe noch eine unbetonte (so genannte „weibliche Reime“) ist es schon etwas schwieriger, passende Reimworte zu finden, denn das Reimwort muss ja sowohl hinsichtlich der letzten betonten Silbe als auch hinsichtlich der darauf noch folgenden unbetonten zusammenpassen:
Hier d´uftet’s áber stárk nach Véilchen…
Tja, jetzt brauchen wir ein Wort mit einem kurzen „eilchen“ oder „ailchen“. Ist nicht so leicht, oder? „Pfeilchen“ wäre suboptimal, weil es lautlich fast genauso klingt wie „Veilchen“ und damit kein echter Reim wäre. „Beilchen“, „Teilchen“ oder „Seilchen“ würde gehen, aber ich wüsste nicht, wie man damit dichten soll. Naja, vielleicht wenn es um einen Gourmand-Duft geht:
Hier dúftet’s áber stárk nach Véilchen
Gepáart mit éinem Kúchentéilchen.
Gleitende Reime
Am schwierigsten wird es bei den gleitenden Reimen, wo auf die betonte Silbe noch zwei unbetonte folgen. Wir denken natürlich sofort an das Eichenmoos-Versmaß! Da müssen dann gleich drei Silben in den Reim gepresst werden.
In Schwábing riéchts nach Éichenmoos,
Was íst bloß béi den Réichen los?
Mir hätte als Reimwort irgendwie auch „Leichenfloß“ gefallen, aber ich fürchte, das ist ein Scrabble-Wort.
Assonanzen
Wenn man als guter Dichter in Erscheinung treten will, sollte man unechte Reime vermeiden. Unechte Reime, die in ihrer veredelten Form und Bezeichnung auch als Assonanzen bezeichnet werden können, sind sozusagen „verkümmerte Formen“ eines echten Vollreims; solche, bei denen der Vokal zwar noch (ganz oder mehr oder weniger) übereinstimmt, aber die Konsonanten entweder „nur so halbwegs“ oder gar nicht.
Wenn es stark nach Weihrauch riecht…
Um hier einen passenden Reim zu finden, brauchen wir zwingend einen „ie“-Laut (es kann natürlich auch „ih“ oder einfach ein langes „i“ sein, denn es kommt ja nur auf den Klang an) und dann ein „cht“. Ob im Einzelfall vielleicht auch ein „scht“ gehen würde, da kann man drüber streiten. Möglich wäre also
… ein Jucken in die Augen kriecht.
oder
… der Hund und auch die Katze siecht.
(siechen = kränkeln).
Schon deutlich weniger gut wäre z.B.
… es meistens an dem Priester liegt.
Denn „liegt“ spricht sich nur in manchen Regionen Deutschlands wie „liecht“ aus, in anderen aber wie „liekt“, und dann ist es schon kein echter Reim mehr.
Endgültig auf das Gebiet des unechten Reimes begeben wir uns mit
Wenn es stark nach Weihrauch riecht
mir heftig meine Nase trieft.
Denn ein F ist eben kein CH, und damit haben wir hier keinen Reim, sondern eine bloße Assonanz. Ich bin zwar kein Experte für moderne Musikstile, aber mir scheint, dass die Sprechgesänge von Deutschrappern meistens Assonanzen sind, keine echten Reime. Wenn das konsequent durchgezogen wird, hat das schon wieder was. Es sollte bloß nicht "gewollt, aber nicht gekonnt" wirken.
Abschluss
Man könnte jetzt zum Reimen noch viel schreiben, aber ich will euch hier nicht langweilen und mache es deshalb kurz mit ein paar vermischten Betrachtungen und einem kleinen Beispiel zum Abschluss:
Bisher sind hier immer nur Paarreime präsentiert worden, also Reimwort-Reimwort (AA). Es gibt aber natürlich auch ganz andere Kombinationen, wie z.B. ABBA oder ABAB. Von Beispielen sehe ich da mal ab, das kann man sich im Internet oder in jeder beliebigen Poetik ganz leicht anlesen.
Und – viel spannender, wie ich finde – es gibt natürlich immer etwas langweilige Reime und saugute, originelle, brillante. Was richtig gut ist, ist Gefühls- und auch ein bisschen Geschmackssache, aber nicht besonders sind natürlich sehr naheliegende oder ausgelutschte Reime wie Herz-Schmerz oder, für unser Thema hier: Duft-Luft. Wenn man Duft hingegen auf Gruft, Schuft oder Motorradkluft (oder auf „es mufft“) reimt, hat das schon mehr Esprit, finde ich. Einen netten Effekt erzielt man auch mit Worten, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenpassen (z.B. eines aus der gehobenen Sprache und eines aus der einfachen Sprache; oder ein normales Wort und ein Eigenname) oder auch mit gespaltenen Reimen, wenn also das Reimwort auf zwei Worte aufgeteilt wird, z.B. (aus dem Lied „In der Bar zum Krokodil“ von den Comedian Harmonists)
Denn Theben war für Memphis
Das was Lausanne für Genf is‘
(Gespaltener Reim + witziger Kontrast zwischen Antike und Neuzeit)
oder (aus dem Lied „Es lebe der Sport“ von Reinhard Fendrich) (wienerisch auszusprechen)
Wäu a flammendes Inferno
schaut ma immer wieder gern oh
hochdeutsch:
"Weil ein flammendes Inferno
schaut man immer wieder gerne an"
(Gespaltener Reim – Kontrast von Fremdwort zu Dialektausdruck).
Zum Abschluss noch ein Duftgedicht auf meinen Signaturduft: Als ich vor etwa 20 Jahren mit zwei Freunden eine Spaß-Dicht-Wettstreit machte, grübelten wir, welche Reimworte es auf das berlinerische 'knorke' (prima, klasse) gibt. Folgende haben wir gefunden: Borke (Baumrinde), Lorke (berlinerisch für Plörre, dünner Kaffee), entkorke als erste Person Singular von „den Wein entkorken“ und, dank Tolkien, „Orke“, als förmlich-altmodischer Dativ von „Ork“. Drei dieser vier Worte hab ich hier reingepackt:
Und kaut ich auch auf bitt’rer Borke,
und söff‘ ich auch die trübste Lorke,
so schrie ich’s doch dem letzten Orke
ins Ohr noch: Heritage ist knorke.
ENDE.