Gerry
Gerrys Blog
vor 12 Jahren - 20.01.2013
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Der Duft meines Vaters

Mein Vater hat, soweit ich mich zurück erinnern kann, keinen Duft verwendet. Es geht hier also nicht um einen Duft, wie wir ihn verstehen, sondern um das, was ich seinen Eigengeruch nennen möchte. Dieser Duft hat mich durch meine Kinder- und Jugendzeit begleitet und ich habe ihn immer als d e n  Ausdruck von „taffer“ und führsorglicher Männlichkeit empfunden. Darunter waren Duftnoten wie Rauch, Ruß, Metall/Rost, Benzin und Leder, die seine manchmal harsche und harte Art unterstrichen, und welche, die ihm eine weiche, sanfte und nahbare Seite gaben: Seife, Puder und etwas, das ich als frischen und sauberen Schweiß bezeichne (war es wohl auch).

So konnte ich mir manche Duftnoten an meinem Vater erklären, vieles blieb jedoch rätselhaft. Keine Frage, es musste mit dem zutun haben, was mit ihm in den 8 Stunden seiner Abwesenheit passierte und eine Ahnung davon bekam ich, wenn er mit einem schmutzigen Arbeitsanzug für die Wäsche nach Hause kam. Umso größer wurde für mich das Mysterium seiner Arbeit auf der „Hütte“, über die er kaum etwas erzählte, außer, dass es „Maloche“ wäre.

 

Im Sommer 1974 wurde ich endlich 18 Jahre alt und konnte mich somit auch um einen der begehrten Ferienjobs für die Schichtarbeit im Stahlwerk bewerben. Durch welche Fügung auch immer wurde ich für das Walzwerk eingeteilt, und für dieselbe Walzstraße, an der mein Vater bis wenige Jahre zuvor noch gearbeitet hatte, bis er zu einer anderen Walzstraße wechselte.

 

Ich sah dem Ferienjob mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits war ich scharf auf das sehr gute Geld, das ich verdienen konnte, aber insgeheim hatte ich ganz schön „Muffe“ vor dem, was mich dort erwarten würde. Ein leptosomer Jüngling und Schulsport-Loser will auf der Hütte malochen. Ich redete mir ein, dass Ferienarbeiter bestimmt nicht die übliche Hüttenarbeit machen müssten. Mein Vater raubte mir in seiner typisch trockenen Art alle Hoffnung. „Die haben Dich nicht zum Reden schwingen eingestellt“.

 

So betrat ich an einem Montagmorgen um 5:30 Uhr mit heftig klopfendem Herzen die Waschkaue um mich für meine erste Schicht fertig zu machen. Ich kam aus der klaren, frischen Luft des beginnenden Tages. Beim Öffnen der Tür schlug mir eine Woge feuchtwarmer Luft entgegen und trug eine wilde Mischung aus allen möglichen Aftershave- und Pflegedüften und reichlich Tabakqualm an meine Nase. Über alle dem lag aber eine Seifennote, die ich bereits sehr gut kannte. Mein Vater und seine Aktentasche rochen nach ihr.

 

Was für ein Gewusel zwischen den Spindreihen. Endlich hatte ich meinen gefunden. Die Blechspinde hatten im oberen Teil eine Ablage für das Waschzeug. Der Raum darunter war durch ein vertikales Blech in zwei Hälften geteilt. In die eine wurde die schmutzige Arbeitskleidung gehängt, in die andere die Straßenkleidung. So konnte man beim Umziehen vermeiden, dass die sauberen Sachen mit der Arbeitskleidung Kontakt bekamen und verschmutzt wurden. Die verschwitzten Arbeitssachen trockneten in den Spinden recht gut, hinterließen zusammen mit den ledernen Sicherheitsstiefeln allerdings den typischen Hüttengeruch.

 

In meinem neuen Arbeitsanzug und den noch blitzblanken Sicherheitsstiefeln wurde ich von ein paar „Alten“ gleich als „Frischling“ erkannt. Wie sich herausstellte, waren es meine neuen Kollegen an der Walze. Ich war dankbar, den Weg ins Inferno in der Obhut alter Hasen gehen zu können. Als wir direkt auf die Walzstraße zumarschierten, hatte ich angesichts dessen, was ich da 50 Meter vor mir sah, tatsächlich den Eindruck, direkt in ein Inferno zu geraten. Ein gelb glühender Stahlblock rumpelte laut polternd auf einem Rollgang durch ein Gerüst mit sich gegenläufig drehenden Walzen – immer hin und her. Bei jedem Durchgang wurde Wasser und eine Art Teer auf den Block gepumpt und trotz der Gebläse verschwanden Menschen und Walze in einer Wolke aus Dampf und schwarzem Qualm. Der Dampf reflektierte den gelben Schein des glühenden Blocks, wodurch er selbst zu glühen schien; darin schemenhaft erkennbar die Arbeiter. Ein surreales, unwirkliches Bild. Mir verschlug es die Sprache.

 

Wie sich herausstellte, war es die ehemalige Schicht meines Vaters und so wurde ich gleich als „Alfons sein Junge“ herumgereicht. Ob es das war, oder ein genereller Welpenschutz für den ersten Tag, ich war sehr angetan und dankbar für die mir entgegen gebrachte Geduld und die Führsorge. Nicht dass etwa jemand meine Arbeit gemacht hätte – nein, da waren diese knorrigen Stahlwerker kompromisslos. Vielmehr nahm ich immer ein verstohlenes Schmunzeln wahr, wenn mir etwas nicht gleich beim ersten Anlauf glückte. „Jaja, Junge, so ist das hier auf der Hütte“, hieß es dann und ich bekam Tipps wie es besser ging. Ich hatte am ersten Tag einen Buddy, der mir nicht von der Seite wich. Schließlich gab es viele Gelegenheiten erschlagen, zerquetscht oder verbrannt zu werden.

 

Es gab immer wieder kurze Pausen, um etwas zu essen, zu trinken und zu verschnaufen. Für die Pausen setzten wir uns in eine Art Baracke neben den Walzgerüsten. Eine Holzbank, Stühle aus verschiedenen Epochen und ein Tisch mit Resopalplatte. Da saß ich nun völlig verschwitzt im Tabakqualm meiner Kollegen und stellte mir vor, wie auf der Bank die Ledertasche meines Vaters stand, dort wo jetzt mein Army-Brotbeutel mit dem Ostermarschzeichen lag.

 

Kurz vor Schichtende kam meine Ablösung und ich marschierte schwitzend, zur Waschkaue,  zog mich in ihrer Badezimmerschwüle aus, stellte mich in das heiße Wasser der Dusche, schrubbte mich sauber und selbst nach einem kalten Wasserstrahl schwitzte ich immer noch. Das raubte mir aber nicht das Gefühl des Sauberseins. Auf dem Weg zum Werkstor fühlte ich zwar den Schweiß auf meiner Haut, aber auch, wie der Wind ihn trocknete und etwas vom Duft der Seife an meine Nase trug. Das war eine ganz besondere Seife. Sie gehörte zusammen mit der Schutzkleidung zur Grundausstattung. Und es gab davon soviel, wie man benötigte. Im Nachhinein muss ich sagen, es war die beste Seife, die ich je hatte. Sie machte einen dichten, fetten Schaum und trocknete die Haut nicht aus. Sie roch cremig und leicht puderig, so ganz anders als das was zu der Zeit inflationär mit „Meeresbrise“- und Limonendüften beworben wurde. Vor allen Dingen wurde man mit dieser Seife sauber. Die Luft an der Walzstraße war voller metallisch riechender Schlackenpartikel, die sich mit dem Schweiß zu einer feinen und hartnäckigen Kruste auf der Haut verbanden. 

 

Nach einem dieser ersten Frühschichttage wollte mich meine damalige Freundin überraschen und stand unerwartet am Werkstor. Nach der ersten Umarmung meinte sie lachend, „Ich wollte es Dir vor Tagen schon sagen, Du riechst jetzt auch nach Hütte, genau wie dein Vater“.

 

Für einen jugendlichen, rebellischen Späthippie gab es in dieser Zeit wohl kaum schlimmeres, als so zu riechen wie sein Vater. Ich hätte in dem Moment irritiert sein müssen. Da stand ich, langhaarig, in verwaschenen Jeans und einem Tunika-Hemd aus dem Dritte-Welt-Laden und ich roch wie mein Vater.  Aber die Worte meiner Freundin hatten damals nichts, das etwas hiervon in Frage stellte oder einen Widerspruch andeutete. Sie wirkten auf mich vielmehr wie die Bestätigung einer Initiation, auch wenn ich es damals so nicht hätte formulieren können. Nun wusste ich auch, womit sich mein Vater seine Duftaura erarbeitet hatte.

 

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Als ich vor wenigen Monaten von Mona di Orio „Les Nombres d’Or Cuir“ testete, ergriff mich Bestürzung, Fassungslosigkeit und Rührung. Es war als käme mein Vater gerade von der Frühschicht zur Tür herein, müde, hungrig und froh, zu Hause zu sein.

 

29 Antworten
FirstFirst vor 1 Jahr
Das hast Du sehr eindrücklich geschrieben und es hat mich sehr berührt!
Blumenkind68Blumenkind68 vor 2 Jahren
Wow, was für eine tolle Geschichte!
GreenGorillaGreenGorilla vor 2 Jahren
Sehr gerne gelesen, das waren noch Zeiten
VollbartVollbart vor 11 Jahren
Tolle Geschichte !
FreeestylerFreeestyler vor 11 Jahren
Sehr schön, Gerry!!!
Butterfly89Butterfly89 vor 11 Jahren
Schöne Geschichte, sehr liebvoll geschrieben, auch der Papa, trotz seiner Autorität, dürfte ein doch lieber Papa gewesen sein?! (sonst wohl nicht diese Geschichte?!).
Ja an dem Jungen Hippie oder dem Papa hätt' ich auch gerne gerochen; geballte Männlichkeit mit dem Seifenduft... stell ich mir sexy vor! ;)

P.S. Danke für die Antwort zu M7; da mögen wir wohl beide den unsüßen Cacao-Geruch?!
AnneSuseAnneSuse vor 12 Jahren
Wunderwunderschön, danke für Deine Erinnerungen!
RoninRonin vor 12 Jahren
Danke, Gerry. Wunderschön.

P.S. Ich finde es auch sehr gut, dass Du dies nicht als Kommentar eingereicht hast, sondern uns über diesen Blogartikel daran teilhaben lässt.
MonsieurMonsieur vor 12 Jahren
Gut beschrieben.
Das kannst Du auch gleich als Kommentar zu Les Nimbres d’Or Cuir stehen lassen... :-)
MilosavaMilosava vor 12 Jahren
Danke fürs Teilen! Was für eine schöne Hommage an Deinen Vater...
DuftbettyDuftbetty vor 12 Jahren
O wie schön und rührend. Den Mona di Orio-Moment habe ich miterlebt, nicht wahr? In einem Berliner Keller.
JifatJifat vor 12 Jahren
Ja, die Gerüche und die Erinnerungen sind eins... Sehr eindrucksvoll erzählt, Gerry.
MissPiggyMissPiggy vor 12 Jahren
Klasse Kommentar, anrührende Erinnerung. Mein Opa hat auch auffe Hütte malocht, die Seife kenne ich :-), und auch den Schock, wenn irgendein Duft plötzlich eine Riesentüre zu Erinnerungen vergangener Zeiten (und Menschen...) aufreisst. Danke !
ExUserExUser vor 12 Jahren
Eine interessante, sehr persönliche und äußerst bildhafte Geschichte, die zugleich anrührt.
AuraAura vor 12 Jahren
So schreibt man, wenn eine Geschichte unbedingt erzählt werden will. Toll!
SonnenfeeSonnenfee vor 12 Jahren
Danke für das Teilhabendürfen an Deiner Erinnerung! :))
McgeitnerMcgeitner vor 12 Jahren
Toll geschrieben, man kann es fast riechen! Das ist das schöne an Düften, hin und wieder gibts ein überraschendes Déjà-vu.
FlorblancaFlorblanca vor 12 Jahren
Eine wunderbare, olfaktorische Reise, ich konnte die Hütte förmlich riechen, und eine sehr schöne Liebeserklärung des Sohnes an seinen Vater. Das Leben schreibt die schönsten Geschichten und es ist ein Geschenk, wenn ein Mensch sie dann in Worte fassen kann. Vielen Dank dafür.
CallasCallas vor 12 Jahren
Bei mir steht "riecht, wie wenn man die Nase in Aschenbecher hält, sehr rauchig, ledrig" ;-)
TurandotTurandot vor 12 Jahren
Ich habe eben meine Notiz zu "Les Nombres d`Or Cuir" nachgelesen. Da steht: "Irgendetwas stört mich an dem eigentlich schönen Lederduft, vielleicht ist er mir zu männlich". Ich denke, da ist für mich zu viel "Hütte" drin. *lächel*
TurmalinTurmalin vor 12 Jahren
Danke für's Teilhaben-Lassen!:-)
TurandotTurandot vor 12 Jahren
Vielen Dank Gerry, Du hast allen körperlich hart arbeitenden Menschen mit diesem Kommentar eine Ehrung erwiesen, Deinem Vater natürlich zu allererst. Und ja, Resopaltische waren damals etwas ganz alltägliches. Ich musste schmunzeln und sehe sie vor mir mit der messingfarbenen Kunststoffkante, die Metall vortäuschen sollte.
CallasCallas vor 12 Jahren
Du hast mir am Ende Gänsehaut verschafft. Du hast das sehr, sehr bildlich beschrieben. Ich habe Deine Worte verschlungen.
SisyphosSisyphos vor 12 Jahren
Bravo, wunderbar!
HermessenzHermessenz vor 12 Jahren
Da kriegt der Ausdruck *gerry,alte Hütte* gleich eine andere Bedeutung.. ;) Schöne Geschichte.
FrauHolleFrauHolle vor 12 Jahren
Die Resopaltischplatte verfolgt mich in so vielen Büchern. Toll geschrieben; Gratuliere zum Erinnerungsduft.
SeeroseSeerose vor 12 Jahren
Verstehe ich total! So kann es einem gehen mit Gerüchen, Erinnerung und Déjà vue.
Thadl68Thadl68 vor 12 Jahren
Wow, fantastisch und bildhaft geschrieben. Danke fürs Mitnehmen in ein unbekanntes Duft- und Gefühlsabenteuer deiner Jugend! :)
AjlizeaAjlizea vor 12 Jahren
wirklich schöne Geschichte :)