HeavyAlice

HeavyAlice

Rezensionen
Filtern & sortieren
1 - 5 von 16
HeavyAlice vor 12 Monaten 14 4
Hollywood ist untot
Meine erste Wohnung, in die ich mit zarten 19 Jahren gezogen bin, war im Sommer der höllischste Hochofen, den man sich nur vorstellen konnte. Meine ,,kleine Puppenstube", wie ich sie liebevoll nannte lag in einem alten Wohnhaus (also nicht schön-alt im Sinne von Altbau sondern wirklich nur alt) direkt unter einem alten, knarzigen Holzdach. Die Wände meiner kleinen Küche waren dunkelrot gestrichen und wenn die gleißenden Sonnenstrahlen auf das Fenster der Dachschräge trafen, war es als würde das Glas schmelzen und mich jeden Moment in dicken Rauch aus Feuer und Schwefel hüllen.

Ich wohnte nicht in der besten Gegend (was normal ist, wenn du grade mal aus dem Teenageralter raus, noch keinen Job hast und deiner kränklichen Mutter nicht den letzten Cent aus dem Ärmel leiern willst) aber mir gefiel sie trotzdem. Abgesehen von der Hitze liebte ich es, wenn die Abendsonne durch meine Fenster schien und ihre rot glühenden Muster an die schlecht gestrichenen Tapeten zeichnete. Ich liebte die kleinen Vögel, die morgens oder auch frühabends in der Regenrinne unterm Dach saßen oder badeten. Ich liebte den Netto, der von der Einrichtung her in den 90ern hängen geblieben war, wo das junge Personal immer überlastet war, das Gemüse immer schlecht und wo du abends gegen 18 Uhr blöd angeschaut wurdest, wenn du keine Flasche Korn aufs Band gelegt hast. Ich liebte den kleinen, blühenden Kastanienpark, durch den ich jeden Tag ging und in dem sich Obdachlose, Trinker, Punks und Bewohner des Hospiz gegenseitig die Hand reichten und über das Leben philosophierten. Ich liebte die Erdnusschokolade vom REWE und ich mochte meine türkische Nachbarin, die durch ihren westlichen Lebensstil von der Familie verstoßen wurde und dann in einem Jazzmusiker ihr Glück gefunden hatte. Ich liebte es im Sommer mit meinen ausgelatschten Sneakers durch die Straßen meines Viertels zu ziehen und mir nach einem langen Tag noch eine Pizza oder eine Schale Erdbeeren zu gönnen, die ich zuhause verspeiste.

Ich liebte es, in die Stadt zu gehen, die nur fünf Minuten von mir entfernt war, auch wenn ich immer pleite war und nie große Sprünge machen konnte. Ich liebte den Geruch des Waschsalons, in den ich jede zweite Woche ging und in dem ich auch mal bis spätabends meine Stephen King-Romane las, solange bis die Wäsche endlich durch war. Und ich liebte es, Mittwochabend pünktlich um 20:15 vor Tele5 zu sitzen und mir mit einer eiskalten Dose Coke in der Hand schlechte B-Movie-Horrorfilme anzusehen.

Brennende Mülltonnen, ständig die Polizei vor den Häusern, meine schnarchende und ziemlich nervige Nachbarin von nebenan, die einen mit Vorliebe Sonntagmorgens um 6 Uhr aus dem Schlaf klingelte und fragte, ob man noch sowas wie Schokolade daheim hätte.

War es immer einfach?

Oh nein. Es waren ziemlich harte Jahre, aus Gründen die ich genannt und die ich nicht genannt hab und auch nicht nennen werde. Ich sage nur soviel; ich strauchelte sehr stark auf meinem Weg zum Erwachsenwerden und wenn ich ehrlich bin, bin ich es immer noch nicht wirklich. Und ich werde es vermutlich niemals sein.

Aber diese Jahre bergen gleichzeitig soviele schöne Erinnerungen, das ich mich weigere sie zu verteufeln. Denn für mich besteht einer der vielen Sinne des Lebens darin, alles Schlechte was mir passiert ist in etwas Gutes zu verwandeln und als Herausforderung des Wachstums zu sehen.

Eine meiner schönsten Erinnerungen lässt mich zurück in das Jahr 2015 reisen; der Sommer des ,,God Of Thunder", den ich nach dem gleichnamigen Lied von KISS benannte.

Ich und meine beste Freundin bereiten uns in meiner Wohnung auf unser erstes, größeres Konzert in Dresden vor; sechs Bands, eine Nacht im billigsten Motel das wir als frischgebackene Abiturientin und Freizeit-Autorin bekommen konnten, eine dreistündige Fahrt mit dem Flixbus, damals als das Leben noch bezahlbar war.

Wir waren aufgeregt wie ein frisch benusstes Eichhörnchen; machten uns in meinem engen Badezimmer mit den pissgelben Kacheln, in dem man sich grade mal umdrehen konnte, zurecht. Ich trug ein geblümtes Kleid unter meiner schwarzen Lederjacke, ein Kontrast der mir nicht gefiel, doch alles andere war in der Wäsche. Meine Haare flogen wie ein ungezähmter, roter Wattebausch um meinen Schädel, während die meiner besten Freundin in perfekten Locken den Rücken hinabfielen (ach ja wir kennen das alle...:D). Sie und ich, wir waren an diesem Abend kurz vor unserer großen Tour nicht mehr die kleine Abiturientin und die erfolglose Autorin.

Wir waren Thelma & Louise, hungrig nach Freiheit, hungrig nach flutenden Stadtlichtern und hungrig nach dem großen Abenteuer, auf das wir hinfieberten.

Ich stand ein wenig ratlos vor meinem Billigspiegel; ich war geschminkt, frisiert...frustriert, denn ich besaß anders als heute kein Parfumregal. Und ich wollte zu meinem ersten richtig großen Konzert mit meiner besten Hälfte noch toll riechen! Es sollte ein Duft sein, der mich an genau diesen Abend, genau diese Stimmung erinnerte und einfing...

In diesem Moment sagte meine beste Freundin ,,Boah, wir beide fahren nur nach Dresden, aber ich fühl mich fast als wären wir auf einem Trip nach Hollywood..."

Und da traf es mich aus dem Nichts. Ich grapschte an ihr vorbei in mein Krimskrams-Körbchen und fand sie; die Parfumprobe von LUSH die mir die nette Verkäuferin damals mitgegeben hatte!

Ich gab mich nicht damit zufrieden mir ein Tröpfchen an die Kehle zu tun und es sanft mit dem Zeigefinger dort zu verteilen wo ich geküsst werden wollte; denn erstens wollte ich nicht geküsst werden und zweitens...Goth Girls müssen duften (so dachte ich damals) unzwar meilenweit!

Meine beste Freundin, die eher Typ ,,Frisch-cremig-Nivea" ist hustete damals und rettete sich in die Küche. Als ich sie fragend ansah, zuckte sie mit den Schultern und grinste.

,,Zur Band passt es allemal, hast schon Recht!"

Death & Decay.

Denn dieser Abend sollte zum Sterben schön werden.

In dieser Nacht sollten die Dämonen in uns tanzen.

In dieser Nacht wollten wir ewig leben.

Und in dieser einen Nacht war Hollywood für mich untot, statt unerreichbar.
4 Antworten
HeavyAlice vor 12 Monaten 14 7
Dolce & Gabbana-Tussigürtel

Hey ,,Dangerous Woman"

Tut mir Leid, es dir sagen zu müssen, aber wir beide werden niemals Freundinnen.Vielleicht bin ich oberflächlich, vielleicht zu sehr von subjektiven Erfahrungen aus meiner Jugend geprägt aber ich erinnere mich bestens an dich. Vor allem daran wie du mir jeden verdammten frühen Morgen im großen Stil aus verhassten, bestimmten Mädelsgruppen entgegenschlugst, sodass mich an berüchtigter Rathaus-Haltestelle fast der frühe Erstickungstod ereilt hätte. Du riechst für mich nicht nach Kokosmilch, bist für mich kein spritziger, toller Sommerduft, bist für mich keine süße Verführung und du bist für mich schon gar nicht gefährlich, keine ausgelassene Miss Babylon, keine verführerische Vampirella, keine stilvolle Mafiabraut. Du riechst für mich nach Charlene, Charlene mit dem fiesen Mopsgesicht, den schlecht gefärbten roten Haaren und dem gefälschten Dolce & Gabbana-Tussigürtel. Du riechst für mich nach den White Trash-New Yorker-Jacken mit Fellkragen, den kleinen Plastikhandtaschen von Bloodsport, nach billigem Kompaktpuder von Essence und kitschigen Shirts mit dem ,,Playboy Bunny"-Logo.

Oh, Charlene, wir beide hatten viel Spaß, bereits in der 6. Klasse als mich Frau Weigel an deinen Gruppentisch gesetzt hat und du mich angeschaut hast wie ein Pavianweibchen, was Analpolypen am Hintern hat. ,,Hier ist kein Platz!", hast du herausfordernd gesagt und mich mit diesen stechenden Augen angeblickt, die gar nicht so recht zu deinem Mopsgesicht mit dem kantigen Kiefer gepasst haben. Ab da hast du mich gehänselt, standest mir fast jeden Tag auf dem Mädchenklo gegenüber zusammen mit deiner Clique aus 14-jährigen, Blondierleichen, rosa Lipgloss, blauer Lidschatten, falsche Wimpern, schneeweiße oder rote Lederstiefel, Hüfthosen, über deren Bund noch der Babyspeck rausquillt. ,,Hässlich" hast du mich genannt. ,,Guck mal wie die rumrennt" hast du lautstark geflüstert, wenn ich auf dem Schulflur an dir vorbeiging. Einmal hast du mich sogar geboxt als ich an dir vorbei in den Musikraum wollte.

Und begleitet hat dich immer ,,Dangerous Woman", den du dir literweise aufgesprüht hast, sodass das gesamte Mädchenklo mit seinen pissgelben Kacheln danach gestunken hat- was wolltest du dir beweisen? Wolltest du dir beweisen, wie ,,gefährlich" du bist, Charlie?

Ach, Charlie.

Ich hab dich ehrlich gesagt damals schon bemitleidet, genau wie deinen nach Bruno Banani stinkenden Anhang. Aber ich hab erst später gesehen, wie berechtigt dieses Mitleid ist. Hätten wir uns zu einer anderen Zeit, jetzt zum Beispiel kennengelernt, hätten wir vielleicht gemerkt wie viel wir gemeinsam haben- zum Beispiel die Tatsache, das unsere Mütter beide dem Alkohol verfallen sind. Ich denke fast, wir hätten Freundinnen werden können.

Waren wir aber nicht.

Unsere Vergangenheiten, unsere Lebensumstände mögen es begünstigen vielleicht das wir uns wie Arschlöcher verhalten, werden uns aber niemals als Entschuldigung oder Rechtfertigung dienen, wenn wir es dennoch tun.

Du hast es getan und ich nicht. Das ist der einzige Fakt, der feststeht.

Deine Lebensentscheidungen lassen sich heute anderweitig bewundern. Jeden Abend in der Citykneipe, direkt gegenüber von meiner damaligen Wohnung.

Genau wie die der anderen, die dachten die Schule wird ewig weitergehen und das sie auch nach ihrem Abschluss immer noch die Stärksten auf dem Spielplatz sein werden- und die unbarmherzig und mit Reißzähnen von der Lebensrealität der Erwachsenenwelt eingeholt wurden.

Also liebe ,,Dangerous Woman"- auch wir hätten vielleicht Freunde sein können, aber du wirst mich mit deinem klebrig-süßen Duft auf ewig an Charlie erinnern, Charlie die gerne mit ihrer Clique auf Schwächeren rumgetrampelt ist, Charlie die Wörter wie ,,Schlampe" und ,,Fo**" für jede Frau benutzt hat, die sie schief angesehen hat und an Charlie, die mir und meinen Freunden auf dem Mädchenklo Schläge verpasst und andere schikarniert hat.

Ich bin weit davon entfernt, zu sagen, das ich immer ein Opfer war, denn dann täte mein Gegenüber gut daran mir zu misstrauen- kein Mensch ist in der Vergangenheit immer nur Opfer oder Held.

Aber ,,Dangerous Woman"- du erinnerst mich an einen Menschen, der handfest dafür gesorgt hat das aus Opfern irgendwann Täter werden.

Da gibt es eine schöne Stelle von Casper zu (der musikalisch leider enorm abgebaut hat, den ich aber mit 17 sehr gern gehört hab): Wegen Menschen wie dir sind Menschen wie ich Menschen wie er.

Ich trage dich nicht.

Und ich bin bereit mir einzugestehen, das es nicht nur daran liegt, das du wie ein pappsüßer Cocktail aus dem Barbiepuppen-Country Club riechst.

In vollendeter Entschuldigung für die bewusste Nichtbeachtung im Parfumregal,

Jasmin


7 Antworten
HeavyAlice vor 12 Monaten 24 7
Vanilla Laced Goth Girl
,,Ahh...was ist das denn?", dachte damals mein 17-jähriges Ich, als es an einem regnerischen Septembertag von seinem Kurs kam und ein kleines, hübsch verpacktes Päckchen auf der schwarzen Bettwäsche mit den Spinnennetzmustern liegen sah. Ein weißer, kleiner Karton, bedruckt mit schwarzen, spitzenartigen Mustern und eben darin befanden sich ein kleines Duschgel und der erste Signaturduft von Christina Aguilera.

Mein Tantchen kam ins Zimmer.

,,Freust du dich? Ich dachte ich mach dir mal eine Freude!" sagte sie strahlend und beobachtete dabei gespannt meine Reaktion.

Nun ja...Christina Aguilera?

Überhaupt nicht meine Musik.

Ich hatte Bettwäsche mit Spinnennetzen, an meiner Wand klebten Poster von Marilyn Manson, Trent Reznor und Misfits und ich trug eine schwarze, kurze Nietenjacke mit Patches wie ,,FCK The Whole World" oder ,,Satan Made Me Do It". Ein mainstreamartiger Promiduft wäre nicht unbedingt das gewesen, was ich mir selbst auserwählt hätte.

Wer jetzt allerdings denkt, ich hätte da ein undankbares Schreikonzert losgelassen, könnte nicht falscher liegen. Erstes zählte für mich die Geste und die war sehr lieb und verdammt aufmerksam. Zweitens respektierte ich den Umstand, das meine Tante ihn mir von ihrem erarbeiteten Geld erstanden hatte obwohl mein Geburtstag erst in vier Monaten war und Weihnachten auch noch nicht vor der Tür stand. Und drittens, auch wenn ich Popmusik wenig bis gar nichts abgewinnen konnte, beschloss ich Christina in Sachen Parfum dennoch eine Chance zu geben.

Denn der geschwungene Flakon mit der aufgedruckten, schwarzen Spitze und dem veredelten Design sah trotz allem romantisch, mysteriös und ein wenig verrucht aus und dies traf, zugegebenermaßen, natürlich genau meinen Geschmack.

Ich stellte mich also vor meinen schwarzen Barockspiegel (was ich aus merkwürdigen Gründen irgendwie immer tue, wenn ich das erste Mal ein Parfum teste), sprühte mir den Duft der guten Christina auf- und bekam leuchtende Augen.

Eine wolkige, flauschige Vanille traf mich mitten in mein schwarzes Gruftiherz- keine pappsüße, in ekelerregender Sirupvanille getränkte Messerklinge, welche vorher noch durch sämtliche 30-Cent-Vanillepuddings gezogen wurde, sondern ein luftig leichter Wattebausch, zu dem sich im Drydown ein kleiner, hellblau flatternder Schmetterling aus süßem Jasmin gesellte.

Ob dieser Duft damals etwas Besonderes war, ob er im Mainstream gut ankam, ob er billig oder teuer roch,- darüber habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht und das ist bis heute so. Das Einzige was für mich zählte war, das er mir gut gefiel.

Ich bedankte mich bei Tantchen und freute mich ab da jeden Morgen, wenn ich mich vor allem an düsteren Herbsttagen mit dieser flauschigen Moschus-Vanillewolke einnebeln konnte und ich genoss das Stirnrunzeln was mir von gleichartigen Nachtgestalten entgegenschlug. ,,Oh nein, kein billig gepanschter Patchouliduft in Verbindung mit toten Katzen deren Kadaver in der Morgensonne vor sich hinvegetieren...sag, dunkle Schwester, was stimmt mit dir nicht?"

Nun.

Mit mir stimmte alles.

Ich trug meine Nietengürtel, meine Lederjacke, meine Marilyn Manson-Patches. Und ich trug Christina Aguileras pseudosexy , überpudrigen Signatureduft, der sich in dem Stoff meiner Kleidung festsetzte wie eine zweite Haut und der mich jeden Tag in der Straßenbahn, im Park, am See auf dem Weg nach Hause und am Wochenende begleitete.

Vanilliger, synthetischer Moschus in einer wunderschön designten Flasche.

Schwarze Netzstrümpfe vereint mit Spitze und einer cremefarbenen Corsage getragen von einem Mädchen, was niemals einen Victoria Secret-Laufsteg erklimmen noch die pompöse Welt des Burlesque entdecken wird- aber dafür Licht in der eigenen Dunkelheit gefunden hat.

Und ja, ich liebe ihn heute noch, allein schon aufgrund der vielen, schönen Erinnerungen.
7 Antworten
HeavyAlice vor 12 Monaten 5 3
She`s a demon, she`s a venus, she`s a real tiger, she`s a goddess...

Als ich dieses Parfum in seiner vollen, harzigen Dunkelheit das erste Mal gerochen habe, befand ich mich mitten im kalten November in der Innenstadt von Hannover, voller Vorfreude auf ein Wochenende mit meiner besten Freundin. Bereits als ich aus dem Zug stieg, hatte sich die Farbe des Himmels von einem einschläfernden, nie enden wollenden Wintergrau zu einem neblig-zornigem Schwarz gewandelt und ehe ich mich versah, goss es in Strömen. Ich stand in meinem viel zu dünnen, schwarzen Wollmantel auf dem Bahnhofsvorplatz, in beiden Händen eine dampfende Pappschachtel mit chinesischen Nudeln und beobachtete wie die graubreiige Menschenmasse verzweifelt versuchte, den Perlenschnüren zu entkommen, welche wütend auf die bunten Regenschirme und deren darunterliegende Häupter niederging. Eine Armee aus feingliedrigen Nadeln, die felsenfest beschlossen hatte, die Welt bis auf die Grundmauern mit Wasser zu fluten!

Das Haar klebte mir am Kopf wie ein Helm und ich weiß noch wie froh ich darüber war, an dem Tag kein Make-Up aufgelegt zu haben. Faulheit und Eitelkeit- im Zweifelsfall kann das eine Tugend, das andere Leid sein.

Meine beste Freundin war noch nicht von der Arbeit zurück und da der Hauptbahnhof in Hannover nicht unbedingt der angenehmste Ort ist, um in Vorfreude auf ein gemütliches Mädchenwochenende zu schwelgen beschloss ich mir die Innenstadt anzuschauen. Die Luft dampfte von dem gefrorenen Ozon, meine Hände fühlten sich taub an, meine Augen schimmerten wie feuchtes Glas und starrten mir aus den Schaufenstern entgegen, als würden sie unter einem See aus Eis dahintreiben.

Und da war er- der LUSH-Shop!

Warmes, weiches Licht, gedämpft durch den gierigen Regennebel empfing mich, genau wie der Schwall aus Parfum der mir entgegenschlug und bei dem ich versuchte, tapfer standzuhalten bis ich das Regal mit den kleinen goldenen Fläschchen erreicht hatte.

Meine Fingerspitzen glitten bereits über meine Duftfavouriten, ,,Lust" und ,,Vanillary"- doch dann sah ich ein neues Parfum mit dem vielversprechenden Namen ,,Goddess", der in goldenen und pompös heischenden Lettern auf die schlichte Parfumflasche aufgedruckt war.

Ich musste bei dem Namen sofort an einen Song denken, den ich im hitze-und schweißtreibenden Hochsommer gern gehört hatte und der mich an diesem regnerischen Regentag an die Wüste Nevadas erinnerte.

,,She`s a demon, she`s a venus, she`s a real tiger, she`s a goddess.."

Ich musste es sofort aufsprühen, dieses goldene Elixir, erwartete einen prunkvollen Sirenenduft und wurde...erschlagen. Erschlagen von der staubigen, stechenden Alkoholwolke, die mich einhüllte und mir das Gefühl gab in ein Whiskeyfass gefallen zu sein. Verletzt von meinen eigenen Erwartungen zog ich sofort die Nase kraus und stellte ihn empört ins Regal zurück; riecht so etwa eine Göttin? Riecht eine Göttin als wäre sie in ein Fass voller Äther gefallen? Sind wir hier etwa im Labor von Jean-Baptise Grenouille?

Doch dann, als hätte die schöne ,,Goddess" geahnt, wie sehr ich sie verschmähte, begann sie sich auf meinem Wollmantel zu entfalten. Ein äußerst harziger, majestätischer Rauch stieg mir in die Nase, begleitet von einer sittsamen Konkubine aus Jasmin auf der einen und einer etwas feurigeren Dame Sandelholz auf der anderen Seite. Diese ,,Goddess"- wer war sie? War sie der Dämon, eine Venus, ein wahrer Tiger, hungrig und auf der Jagd?

Ich fühlte mich in die Wüste versetzt, diesmal jedoch in eine hitzigere und heißere als Nevada und in dieser stand...ein majestätischer, mit veilchenfarbenen Juwelen besetzter Palast, prunkvoll, schimmernd in der Sonne, ohne jede zurückhaltende Eleganz. Dies war nicht das orientalische Reich einer Königin oder einer normalen Prinzessin; dies war der Tempel einer überirdischen Sirene, einer schönen, geheimnisvollen Konkubine, die nichts an ihrem Körper trug außer ihren Juwelen und dem violetten, durchsichtigen Schleier in den sie ihren Körper hüllte, der einer Göttin glich. Sie ist gefährlich, verführerisch, jedoch auf eine schmutzige, verwegene Art und in ihren dunklen Augen spiegeln sich die Dämonen, welche bei ihrem Anblick um ihr Leben flehen.

Oh, was ist diese Dame der veilchenvioletten Dunkelheit nicht alles...sie ist eine Venus, ein Dämon, ein wahrer Tiger, ein Raubtier, eine Göttin..

Der Duft begleitete mich das gesamte, regnerische Wochenende über, räucherstäbchenartig und ummantelt wie eine zweite Haut. Er begleitete mich auf dem langen Waldspaziergang den wir machten und mitten in der kahlen Landschaft vereinte sich der rauchige Nebel mit dem Geruch der kalten Tannennadeln...und ließ mich an die Göttin denken, die im Winter im Dunkeln durch die Wälder streifte, auf der Suche nach Abgründen, dem Verborgenen, nach Geheimnissen die sie verschlingen und reißen konnte...

Wie ein wahrer Tiger.




3 Antworten
HeavyAlice vor 1 Jahr 17 7
Ihr Name ist Emily
Das allererste Mal erblickt er sie auf der Party, die er jedes Jahr im Sommer auf seiner prächtigen Yacht veranstaltet. Der Himmel ist stahlblau und lässt sich von den winzigen, wattigen Wölkchen kaum beeindrucken. Sie sind lediglich schwache Dekoration, die der Perfektion eines lauen Sommertags entgegensteht und ihn grade dadurch so rund, so aufregend macht. Auf dem Boot, das direkt am Strand liegt, tummeln sich dutzende von schönen Frauen; die Luft ist erfüllt von prickelndem Champagner, von gekühlten Himbeeren, von schwülstigen, schweren Parfumdüften, die sich genau wie die Gäste versuchen in ihrer Luxuriosität gegenseitig zu übertrumpfen.

Er lacht. Er lächelt. Er schüttelt Hände. Er gibt den perfekten Gastgeber. Er latscht in seinen weißen, teuren Tennisschuhen durch klebrige Pfützen aus Chardonnay Irgendwas, streichelt mit seinen Armen beiläufig sonnengebräunte, seidige Haut. Schneeweißes Hollywoodlächeln droht seine Augen zu verbrennen, hohes Gekicher zerrt an seinem Trommelfell und an seinen Nerven, Erwartungen drücken ihm ständig die starken Schultern zusammen. Er drängelt sich panisch durch die Menge, hin zum Rand des Bootes, will der feierwütigen, protzigen Masse entkommen, die er sich selbst eingeladen hat wie die Geister die er nie rufen wollte- und dann ist es plötzlich still um ihn herum.

Denn dann sieht er SIE.

Die opulente, schwülstige, protzige Wolke aus teuren Damendüften weicht zickig und zeternd zurück vor dieser zarten, unschuldigen und doch bemerkenswert durchsetzungsfähigen Note aus Pfingstrose, die seine Nase in einen weißen Schwanensee taucht und ihn an einen Ort entführt, der so einladend, romantisch und sicher ist, das er sich sofort geborgen fühlt.

Sie,- das ist Emily.

Emily steht im Abseits, hält nervös ein Glas Champagner in der Hand, weiß überhaupt nicht was sie hier soll zwischen all den luxuriösen, gut betuchten Gästen die sich über Pferdewetten und Aktien unterhalten. Sie wurde von ihrer Freundin, einer selbsterklärten Fashionista mitgeschleift, die jedoch sofort im Getümmel verschwunden ist und sie zurückgelassen hat.

Emily ist nicht reich; sie arbeitet in einem Dessousgeschäft und lebt in einem winzigen Haus am Strand, was sie von ihrem Vater geerbt hat. Ihre honigblonden Locken trägt sie offen, sie umschmeicheln ein rundes, natürlich schönes und freundliches Gesicht, was ihn schüchtern anlächelt als er sich traut, zu ihr heranzutreten. Fasziniert nimmt er wahr, um wieviel eleganter und weiblicher sie wirkt, als die kreischenden, bunten, pompösen Damen die ihn amsonsten umschwänzeln. Das weiße, cremige Sommerkleid aus Satin umspielt ihre braungebrannten Beine, die Diamantstecker in ihren Ohren passen zu dem glitzernden Anhänger an ihrer Halskette und denen an ihrem Armband. Das diese nicht echt sind, stört ihn keineswegs. Die schwarzen Riemchensandalen umschmeicheln gepflegte, zierliche Füße. Sie will nicht auffallen, sie muss es auch gar nicht. Sie ist die Taube unter tausend Raubvögeln, die Cinderella auf dem Ball. Eine Frau von zurückhaltender Eleganz, weiß, rein und trotzdem anschmiegsam.

Er vermisst sie. Er vermisst sie schon, wenn er sie nur ansieht.

Bevor er etwas sagen kann, streckt sie ihm ihre zierliche, weiche Hand hin.

,,Hallo", sagt sie. Eine weiche und doch klare Stimme, präsent und doch zurückhaltend, begleitet von weißen, etwas zapfenartigen Zähnen, die trotz ihrer fraulichen Präsenz noch das niedliche Mädchen aus früheren Tagen erahnen lassen. ,,Mein Name ist Emily."

Sie kuscheln im Strandhaus. Auf dem kleinen Landhaustisch vor ihnen zwei leere Teller mit Resten von Wildlachs in Tagliatelle. Hell und schmeichelnd schmiegt sich ihr Duft an ihn; er sieht gleißend helle Blumenfelder, riecht Zedernholz und Rosen, riecht bodenständiges und leises Frühlingserwachen und weiß, das er nie wieder aufhören wird zu träumen. Und so lässt er sich von ihr mit in die Ewigkeit nehmen; in ihren eigenen weiß blühenden Garten aus Pfingstrosen, Freesien und Rosen, einem Bouquet was ihm die Sicherheit schenkt, nach der er schon solange sucht und die nun endlich ein Zuhause gefunden hat.

Dieser Duft ,,Cute" ist dem von Chloe nachempfunden und ich muss sagen, das ich Chloe ein wenig besser finde, jedoch heißt das nicht das der hier schlecht ist. Ich bemühe mich immer, das ,,Dupe" als eine eigene Duftkomposition zu sehen. Für mich ist es ein Duft wie die Emily aus meiner Geschichte; sanft, rein, kühl in seiner zurückhaltenden Eleganz, ein weiblicher Duft, recht klassisch. Ein Duft für die Frauen, die trotz ihrer wichtigen Berufe, egal ob Lehrerin, Verkäuferin, Köchin oder Pflegerin immer noch vor allem eins sind: Bemerkenswerte Ladys.
7 Antworten
1 - 5 von 16