Helena1411
Helena1411s Blog
vor 3 Jahren - 01.07.2021
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Von Duft-Süchten, Wiederkehr und Neu-Anfängen

Vor gut einem Jahr habe ich Parfumo den Rücken zugekehrt, und das schweren Herzens.

Denn Parfumo ist für mich ein Ort der Duft-Begegnungen, aber auch der menschlichen Begegnung mit so einigen überaus netten (und hier ist das Wort „nett“ im tatsächlichen, eigentlichen Sinne gemeint) sowie lieben Parfuma/os gewesen, ein Ort des regen  Austausches, ein Ort des wohlriechenden  Rückzuges vom (oft nicht so wohlriechenden) Alltag und der realen Welt.

Zeitgleich war es aber auch ein Ort der persönlichen Bestätigung, der ich mich trotz standhafter Leugnung nicht entziehen konnte: Wie viele Auszeichnungen sind schon für den neuesten Kommentar vergeben, wie viele Follower sind dazu oder - oh Schreck!!! - abhanden gekommen, wie kommt wohl das aktuelle Statement an, wer hat schon den letzten Blogbeitrag kommentiert. Im Grunde so vollkommen unerheblich und irrelevant, doch schreibt vermutlich ein Großteil der hier Aktiven auch mit dem (Hinter-)Gedanken des Gefallen-Wollens, zumindest kann ich mich keineswegs davon ausnehmen. Und am Rande erwähnt übrigens auch ein immer wieder gerne und vor allem auch heiß diskutierter Umstand in Blogbeiträgen. Aber das soll nicht weiter stören und ist auch nicht verwerflich aus meiner Sicht; verwerflich ist höchstens die Art und Weise, wie damit umgegangen wird bzw. wie es von anderen bewertet wird. 

Wie dem auch sei, so war Parfumo recht schnell schon ein zweischneidiges Schwert, sozusagen Fluch und Segen zugleich. Vor allem aber aufgrund des Suchtfaktors: Immer mehr Düfte kennenlernen, immer mehr Düfte besitzen, immer mehr schreiben wollen, mehr…mehr… mehr… 

Und das tat mir nicht gut. In vielerlei Hinsicht nicht. Mehrfach, wo ich schon bei dem Wort „mehr“ bin, habe ich den Versuch gestartet, mich von meiner Duft-Sucht, denn nichts anderes war es, zu distanzieren, gebraucht hat es aber die plötzliche und sehr schwere Erkrankung meines Mannes, dass ich letztlich meinen Account habe ruhen lassen. Ein Jahr lang.

Ein Jahr, in dem ich so gut, wie es in meinen Möglichkeiten stand, für meinen Mann da war, ihn in seinem Sterben bis zum Schluss begleitet habe, mich von ihm verabschieden und ihn zu Grabe tragen musste, ein Jahr, in dem ich dachte, es gäbe nie wieder ein Licht am Ende dieses endlosen Tunnels der Trauer. Ein Jahr, in dem ich mich mühsam zurück ins Leben gekämpft habe, ein neues, ungewolltes, aber nunmehr für mich einzig vorhandenes Leben. Ein Jahr, das mich zurück ins Leben gebracht hat, nur dass ich nicht mehr bin wie vor einem Jahr. Ich bin ich und doch nicht mehr ich. 

Und die Düfte? Ist die Passion, meine große bisherige Passion noch die Meinige? Sind die Düfte noch von gleicher Wichtigkeit für mich? Und ich kann sagen, es ist immer noch meine Leidenschaft, einen Duft zu riechen, die Facetten zu ergründen, mich in dem olfaktorischen Genuss zu verlieren, Duftbilder vor meinem inneren Auge entstehen zu lassen, Erinnerungen aus Gerüchen zu kreieren. Und Düfte vermögen es immer noch, sich wie ein schützender Kokon um mich zu legen, mich in gute Laune einzunebeln, mich an den gefühlt grauen Tagen getragen fühlen zu lassen, mir ein Parfumhäubchen voller Esprit und Charme aufzusetzen.
Dabei war mir diese Leidenschaft zwischenzeitlich abhanden gekommen; Parfum war so vollkommen banal und unwichtig vor dem Hintergrund meiner persönlichen Lebensgeschichte geworden, dass ich dachte, es sei kein - zumindest bedeutender - Bestandteil mehr meines zukünftigen Lebens. Fragt man mich zum Beispiel, welchen Duft ich zu der Beerdigung meines Mannes getragen habe, so weiß ich es nicht mehr, weil es so vollkommen und grundsätzlich egal war. Und dennoch erinnere ich mich, dass ich einen Duft getragen habe und sogar - trotz dieser absoluten Ausnahmesituation - daran gedacht hatte, keinen meiner bisherigen Lieblingsdüfte aufzulegen, um die gedankliche Konnotation und die damit mögliche dauerhafte Abneigung gegen diesen Duft zu vermeiden. Wahrscheinlich war es aber auch in diesem Moment oder gerade wegen dieses Momentes für mich wichtig, alte Gewohnheiten zu pflegen, um irgendeine Konstante zu haben, wo doch alles andere inkonstant geworden war und zu zerbrechen schien. Vermutlich brauchen wir Menschen diese selbst erschaffenen Bräuche als Ankerpunkte in unserem Leben. 
Und obwohl ich den Großteil meiner Duftsammlung, die wahrlich keine kleine ist, noch zu Lebzeiten meines Mannes in den Keller meiner Eltern ausgelagert habe, um keine Trigger mehr vor Augen zu haben, blieb Parfum immer ein Bestandteil in meinem Leben, wenn auch verändert. Es war nicht mehr so essentiell, welcher Duft aufgelegt wurde, es machte keinen Unterschied, ob Alltags- oder Spezialduft, es war unerheblich, welche Kopf-, Herz- oder Basisnote beinhaltet waren, es war nur wichtig, ein Parfum aufzutragen. Eine liebgewonnene Gewohnheit noch aus mittlerweile recht fernen Jugendzeiten, eine tröstliche Konstante, etwas zum Festhalten. 

Nun, ein Jahr nach meiner Parfumo-Abstinenz und 46 Wochen nach dem Tod meines Mannes, stelle ich fest, dass meine Liebe zu schönen Düften geblieben ist, dass ich mich immer noch gerne einem olfaktorischen Genuss hingeben mag und dass ich auch immer noch gerne Duftbeschreibungen lese und mich über Parfums austausche. Und doch ist alles anders als vor einem Jahr. Es ist nicht mehr wichtig, immer mehr zu besitzen. Immer mehr zu riechen. Immer mehr kaufen zu wollen. Immer mehr mein eigen zu nennen. Stück für Stück reduziere ich, nicht nur Düfte, im Grunde genommen alles, denn Besitz macht nicht reich und gibt mir vor allem nicht zurück, was mir das Liebste war. 
Schlimm genug, dass es solch einschneidender Erlebnisse bedarf, um zu erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben; nichts desto trotz bin ich aber auch dankbar für jede Erkenntnis, die daraus hervorgeht. Vielleicht auch, weil dem Tod somit noch irgendein Sinn abgerungen werden kann.

Nun stellt sich die Frage, warum ich zurückgekehrt bin. Tatsächlich bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich zurückkehre; ich bin vorerst wieder hier, jetzt werde ich mal sehen, was daraus wird. Zugeben kann ich aber, und das gänzlich ohne Hintergedanken, dass ich den meist sehr herzlichen Austausch mit vielen mir lieb gewordenen Parfuma/os vermisst habe. In diesem Zuge möchte ich mich auch bei all denen entschuldigen, denen ich zugesagt hatte, den Kontakt weiterhin zu pflegen, und es dann doch nicht getan habe. Das tut mir leid, aber es war nicht an der Zeit für Kontaktpflege. Es war nur Zeit für Trauer und den Versuch der Neu-Ordnung meines Lebens. Aber seid gewiss, Ihr ward immer wieder in meinen Gedanken, vergessen habe ich Euch nie. 

Ich bleibe dabei: Parfum ist eine Konstante in meinem Leben, die sich wie eine Brücke über alle Lebensabschnitte zieht und all die einzelnen (manchmal gefühlten Bruch-)Stücke verbindet. Und das ist ein schönes Gefühl. Das reicht mir fürs Erste völlig. Und vielleicht ja auch in Gänze. 

Wir werden sehen …

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