JacSi9
JacSi9s Blog
vor 6 Jahren - 13.07.2018
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Von brennenden Parfümerien und Duftsynapsen

Parfumo hat mein Leben verändert.

Dieser platte Satz bereitet tief in mir Schmerzen. Doch er stimmt zumindest zum Teil. Unter einem Mikroskop würde man diesen Teil sicher sehen.

Was meine ich damit? Kam es zu einer funkelnden Bewusstseinserweiterung? Habe ich plötzlich angefangen, den Armen zu geben, um meine Sattheit zu entlüften? Tat sich vor mir magisch ein Masterplan zur Migrationssache auf? Kurze Antwort: Joa, ehm nö. Doch trotzdem hat sich da etwas in meinem Empfinden verschoben. Und deswegen will ich Parfumo loben!

Oh mein Gott, warum kriege ich keinen Text ohne solche Sätze hin. Und warum lösche ich das nicht einfach wieder? Therapeuten unter euch?

Vor einem Jahr noch, ja da war etwas anders. Bei einem Duft wie dem "Black Afgano (Extrait de Parfum)" hätte ich zuerst im Strahl gekotzt, laut gekreischt, anschließend hektisch die Parfümerie abgefackelt und später vor Gericht mit glühendem Selbstbewusstsein auf Notwehr plädiert. Heute sitze ich da, führe den Arm (ganz smooth) zu meinem Gesicht und denke mir Sätze wie: „Aaaachja, genau die richtige Dunkelheit. Schön rund und gleichzeitig kantig, unterstreicht meine weibliche Seite. Toll“.

Beim "Jubilation XXV Man" erschrak ich fast zu Tode, als die Pelz-bemantelte Puffmutter unangekündigt durch meine Zimmertür kam und mich zum Tanz aufforderte. Heute kippe ich die Probe auf meinen Puls und gebe den Leuten im Penny zu verstehen: „Ich bin ein König, weichet zur Seite und reichet mir doch gleich mal die fettreduzierte Milch, wenn se schon dabei sind.“

"Noir de Noir (Eau de Parfum)"? Kopfschmerzlieferant, zuverlässiger als Amazon (kriege leider kein Geld für den Satz, bin gerade auch etwas enttäuscht). Wer will denn bitte nach schwülstiger Rose riechen? Bin ich 85 und spreche zum millionsten Mal vom Einmarsch der Russen? Ich mein, ich hab in der Schule vielleicht viermal darüber geredet.

Jetzt tut sich da eine edle Tiefe aus Trüffeln, Safran, schokoladigem Patch (nur Laien nennen es Patchouli) und dunkler Rose auf. Mit diesem Duft spreche ich automatisch weniger in den Weiten der Nacht. Ich lächle mystisch, nicke hier und da und schaue genüsslich zu, wie die Menschen meinem Bann verfallen. Spätestens nach der Dusche bin ich dann eben wieder voll der Otto. Aber immerhin.

Heute kam ein Flakon vom "Encre Noire (Eau de Toilette)" bei mir an. Genüsslich lächle ich über die „Oh mein Gott, er ist so dunkel und anstrengend“-Kommentare. Kann man voll nicht bei der Arbeit tragen und so. Ich frage mich, ob ich die Sport-Version erhalten habe und denke mir: Wer zur Arbeit 16 Sprüher auf seinem gierigen Körper verteilt, ist eh ignoranter Abschaum. Die umschmeichelnde Zypresse und der markante Vetiver beruhigten mich zeitnah. Nathalie Lorson sei Dank. Keine Ahnung, wer das ist. Aber einfach mal fix die Parfumeurin rauskopieren. Kommt sicher gut.

Ich bin ganz ehrlich: Mindestens der letzte Absatz stimmt nicht so ganz. Aber dennoch: Vor nicht allzu langer Zeit wäre ich beim Encre Noire sofort in den „Flucht oder Angriff“-Modus gewechselt. Wie kann ich also meinen Sinnen trauen, wenn in einem halben Jahr wieder alles anders aussieht? Was bedeutet die Welt noch, wenn sie doch so sehr von der wackelnden, instabilen Wahrnehmung abhängt? (Regieanweisung: Offenbar zufällig setzt ein Streichorchester ein. Sanft, adagio und doch voller Inbrunst.)

Keine Angst. So einen Scheiß diskutiere ich hier nicht. Hauptsächlich, weil ich keine Ahnung habe.

(Regieanmerkung: Ehm, ja. Das Streichorchester hat wieder abgebaut und braucht mehrere Großraumtaxen zum Hauptbahnhof.)

Wie dem auch sei. Das neu gewonnene Parfum-Hobby ist nun fest in meinem Alltag integriert. In der U-Bahn, während der Arbeit (hihi), im Bett, an vielen Orten. Immer weiter verfeinert sich der Geruchssinn. Düfte, die früher eben da waren, stören jetzt gewaltig. Bei den Snapchat-Kids neben mir in der U-Bahn sind nicht nur die Selfies gekünstelt. Alles unter 2 Euro/ml ist einfach nur noch un-ter mei-nem Ni-veau. Ordentliche Bilanz für ein Hobby, das ich früher noch als „richtige Opferaktivität für Leute ohne Hobbys“ betitelt hätte. Ich werde älter.

Parfumo hinterlässt Spuren in der Verkettung meiner Synapsen. Ihr alle seid ein bisschen Schuld daran. Ihr hättet mich vorher fragen, ihr hättet warnen können. Aber nein, ihr musstet euch währenddessen bei irgendeiner Probenverlosung im Forum anbiedern.

Ich bin euch sehr dankbar dafür.

Denn so kam etwas, das ich so nicht erwartet hätte. Man ist auf einmal überrascht über sich selbst. Klärt für sich eigene Präferenzen, hat einen Wust an Möglichkeiten vor sich, spielt Detektiv, wird zum Entdecker. Und plötzlich fragt man sich: Was war denn damals los mit mir? Hatte ich einen schlechten Tag, war die Probe gekippt?

Nein, die Welt war dieselbe. Es ist die Zwischenzeit, die kippte.

So muss ich feststellen, dass Parfumo durchaus etwas verändert hat. Vielleicht nicht für Außenstehende sichtbar. Doch in meiner Nase, gut versteckt, wurde eine neue Kreuzung gebaut. Ohne Rücksicht auf behördliche Regeln, organisch, ohne bewusste Intention. Frische Vergabelungen leiten Düfte auf neue Weise in meinen Kopf und drücken neue Schalter. Das Ergebnis? Wie ihr oben schon sehen konntet: Tolle Dufterfahrungen, feiner justierte Sinne und ein ungesundes Maß an Überheblichkeit.

Oder anders ausgedrückt: Parfumo hat quasi die oben genannte Parfümerie gelöscht und vor dem Feuer gerettet. Ihr Helden! Darauf einen Sprüher Black Afgano und einen abschätzigen Blick auf die aktuellen Mainstream-Düfte. Das Leben kann so einfach sein.

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