Kollerl
Verschnaufpausen.
vor 2 Jahren - 24.01.2022
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Das Ambroxan meiner Kindheit

Mein Großvater war Jahrgang 1901.

Für den ersten Weltkrieg war er zu jung, für den zweiten zu kriegswichtig.

Er war ein einst stattlicher, knorriger Patriarch, gezeichnet von einem harten Leben als Bauer und von überwältigenden Lebensenttäuschungen. Den Stolz auf seine große Familie drückte er in einer altmodischen, unzureichenden Art aus.

Als er es mit mir zu tun bekam, war er weit in seinen 70ern.

Es zählte zu meinen Privilegien, ihm bei seinem Frühstück Gesellschaft zu leisten. Er liebte Milchkaffee mit eingeweichten Stücken harten Gebäcks drin. Weißbrot bedeutete für ihn Luxus. Ich beobachtete mit kindlicher Faszination, wie er das fürchterliche Gemisch genüsslich und geräuschvoll aus der Tasse löffelte.

Und er liebte Honigbrote.

Da seine Generation äußerst sparsam war, unnötig das zu erwähnen, wurde das Honigglas sehr langsam geleert. Nach Monaten schließlich war der letzte Rest dieser Kostbarkeit steinhart. Man konnte die großen, scharfen Kristalle nur mit einiger Mühe herauskratzen, herausmeißeln. Besonders Blütenhonig hatte dann schon ein unglaublich scharfes Aroma entwickelt.

Bei meinem ersten bewussten Kontakt mit Ambroxan vor einigen Monaten (danke, "Club de Nuit Sillage | Armaf") erlebte ich den Riechstoff unerträglich stechend. Er setzte mir körperlich zu und kratzte mir die Kehle wund.

Und noch etwas passierte: der Riechstoff beamte mich augenblicklich in die Wohnstube meines Opas.

Seit dieser Erfahrung weiß ich, dass Gerüche verlorengehen und wiedergefunden werden können.

So kostbar mir diese exklusiven Momente mit meinem Großvater waren und sind, so unerträglich ist mir unerklärlicherweise Ambroxan.

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