Anstelle eines Lebenslaufes
Die Voraussetzungen, hier Sinnvolles beizutragen sind eigentlich schlecht: Ich bin noch sehr unbeschlagen auf dem Gebiet, die begrifflichen Kenntnisse und auch die olfaktorische "Bibliothek im Kopf" sind noch wenig umfangreich, Termini wie "Sillage" wurden erst mit dem Besuch dieser Seiten in den Wortschatz überführt etc. Überdies bin ich Raucher. Meine Sensorik konnte ich in der Vergangenheit (abgesehen von der Küche) vor allem an Whisky und Pfeifentabak schulen. Und an der Literatur, so eigenartig das klingen mag.
Ernsthaftes Interesse an Düften kam eigentlich erst durch die Beschäftigung mit klassischer Herrenmode auf, die ebenfalls vor noch nicht allzu langer Zeit begann. In seinem Standardwerk (so nennt man das wohl) "Der Gentleman" hat der Autor Bernhard Roetzel Herrendüften ein eigenes Unterkapitel gewidmet und durch die Lektüre wurde ein latent vorhandenes Interesse mit einem Mal brennend, das vorher durch meine literarische Sozialisation in einem schwelenden Zustand gehalten wurde: Mit Mitte Zwanzig, also vor weniger als zehn Jahren, kam ich zum ersten Mal mit den Romanen Heimito von Doderers in Kontakt und wurde recht rasch zu dem, was in einschlägigen Kreisen als "Heimitist" bezeichnet wird. Sowohl im Privaten als auch im Akademischen überholte für mich sein Werk bald das vieler anderer "Großer" und schloss im Rang zu Dostojewski oder Proust auf. Und ähnlich wie Proust ist auch Doderer einer der gewaltigen Duftautoren. Einer derjenigen, die die Fäden der Gerüche als eines der grundlegendsten, unhintergehbaren Elemente im Gewebe des Lebens ausgemacht haben. Der "strichzarte Geruch von Naphtalin" in den sauberen, leeren Wohnungen der zur Sommerfrische ausgefahrenen Wiener Großbürger stellt sich bei der Lektüre ebenso unweigerlich ein, wie das Bewusstsein, dass der Sektionsrat von Geyrenhoff im Roman "Die Strudlhofstiege" in der Tat umfassend (!) in das Leben des jungen René Stangeler eingriff, als er diesem ein Fläschchen Lavendelwasser (von Filz in Wien?) schenkte, das Stangeler von nun an sein Leben lang verwenden sollte; einer der stillen Umschlagpunkte des Lebens. "Ein irgendwie bitterer, rundlicher, sozusagen comfortabler Geruch".
Ergeben sich aus diesem Abriss schon viele meiner Zuneigungen und vor allen Dingen meiner Abneigungen? In meiner "Mag ich/Mag ich nicht"-Profilauskunft schreibe ich:
"Ich mag
Düfte, deren Komplexität aus der Einfachheit entsteht. Die wertig gearbeitet sind. Die Form und Textur haben. Zumeist also: Alte Düfte.
Ich mag nicht
Düfte, deren Komplexität nur aus geschicktem Verwischen und Nebelwerferei besteht. Die auf billigen Effekt und "Wirkung" schielen. "Jeremy Fragrance"-Düfte."
Wirkung (als: Wirkung auf andere) muss sich ergeben, wie aus einem Kunstwerk und darf nicht, wie in der Werbung, treibende Kraft hinter der Gestaltung sein. Wenn ich seit Neuestem gewohnheitsmäßig durch Parfümerien und Drogeriemärkte schlendere und mich neben verfügbaren Klassikern wie "Habit Rouge" auch mit jüngeren Modedüften vertraut mache (oder es zumindest versuche), möchte ich es nur teilweise meiner relativen Unerfahrenheit und noch unentwickelten Fähigkeit zur Differenzierung zuschreiben, wenn ich etwa zwischen "Bleu de Chanel" und Diors "Sauvage" nur vernachlässigbare Unterschiede, dafür aber weitreichende, tiefe Wahlverwandtschaft ausmache. Der spätestens seit den 90er Jahren sich herausbildende "Duschgelmann" findet hier zu sich selbst. Ob im dunkelblauen Slimfit-Anzug oder als frustrierter Filialleiter in Kurzarmhemd und vorgeschriebener Franchise-Krawatte: Dieser Hang zur uniformen, hauptsache "frischen" Unklarheit, in der immer auch eine gewisse gleichgültige Brutalität mitschwingt, findet sich hier nicht weniger als beim Goldbarrenkäufer.
Auf der anderen Seite gilt Ähnliches auch für dezidiert männliche Kerl-Düfte. Nicht erst seit der Verballhornung des Mannes durch den Hipster ist dessen Selbstverständlichkeit dahin. Hölzerner Brutalismus soll aufwiegen, was ihm gesamtgesellschaftliche Entwicklungen nahmen. Dabei braucht es kein Terre d'Hermès, um nicht mitzumachen. Es gibt andere Möglichkeiten. Der kolumbianische Aphoristiker Nicolás Gómez Dávila schrieb sinngemäß, dass man dahin kommen kann, einer Generation nicht qua Geburt, sondern durch freie Wahl anzugehören. Düfte können dabei helfen. Schreibt der blasierte Neuling, zwei Tupfer Knize Ten am Hals und sich groß dünkend.