Parfum als Trost…

… und als Antidepressiva, die mit Duft betören.



Sie sind das Erste, woran sich Neugeborene orientieren und sie prägen entscheidende Momente in unserem weiteren Leben: Düfte. Der Geruch der Mutter, der für Wärme und Nahrung, Geborgenheit und Aufgehobensein steht, ist das, woran ein Neugeborenes sich als Erstes orientiert. Unser Geruchssinn ist als einziger Sinn vom ersten Tag auf Erden an voll ausgeprägt.



Der Geruchssinn ist zugleich der komplexeste chemische Sinn. Gaumen und vor allem Nase sind mit leistungsfähigen Geruchsrezeptoren ausgestattet. Etwa alle 40 Tage erneuern sich diese Zellen, unser Leben lang. Was wir riechen, speichern wir im Hippocampus. Auch die Amygdala, der Hypothalamus und der orbitofrontale Cortex werden angesprochen. Kaum eine Hirnregion, die nicht in die Verarbeitung der Duftreize eingebunden ist.



So gehen Duft und Erinnerung eine enge Symbiose ein – im Guten wie im Schlechten. Denn wir riechen und erinnern nicht nur Leckeres, Feines, sondern auch Schweres, Übles. Gerüche leiten uns bei der Partnerwahl, Ihre Wahrnehmung wird vom Hormonstatus beeinflusst oder ob wir sie hungrig oder satt erschnuppern. Mitunter warnen sie uns vor Gefahr und Ungemach. Manches riechen wir, ohne uns dessen bewusst zu werden – zum Beispiel Pheromone –, anderes drängt sich ganz unverschämt in den Vordergrund unserer Wahrnehmung.



Und darüber hinaus erleben wir noch eine ganze Reihe von Geruchsvarianten, die erst durch den erlebten Kontext individuell eingeordnet werden. Manchem erscheint eine Geruchsnote als angenehmer Duft, bei anderen ruft sie einen Würgereflex hervor. Die meisten dieser hedonistisch genannten Duftwahrnehmungen legen wir innerhalb der ersten zehn Lebensjahre fest. Was nicht heißt, dass über unser ganzes Leben hinweg nicht einprägsame Erlebnisse eine Duftspur in unserer Seele hinterlassen. Und mitunter begeben wir uns ganz bewusst auf die Spuren dieser Erlebnisse, Erfahrungen, Erinnerungen – als Stimulanz oder eben als Trost.



Oft lese ich hier zärtliche Beschreibungen von Düften als etwas, in das wir uns hüllen wie in Wolken, Mäntel, Schleier. Etwas, das uns sanft umgibt, das uns hält, stützt und schützt. Wie uns unsere Mütter hielten und schützten. Wie uns Liebe und Fürsorge stützen. Wie uns schöne Erinnerungen trösten und halten. Wir müssen nicht traurig sein, um diesen Trost zu spüren – auch schöne Lebensphasen intensivieren sich durch Düfte, denen wir vertrauen, wie wir unserer Mutter vertraut haben, unseren Lieben und – im Idealfall – uns selbst.



Düfte schaffen ein emotionales Mikroklima, das nicht nur unsere Begleitung affiziert – sie kommunizieren auch mit unserem inneren Erleben, mit unserem Selbst aus verknüpften Sinneseindrücken und emotiven Ausdrücken. Wir finden Aufnahme und Geborgenheit, finden Rückhalt und Vertrauen in lieb gewonnenen Duftnoten. Opas Rosengarten oder Vaters Fahrradwerkstatt, Tante Linas Pflaumenkuchen und Mutters heiter parfümiertes Kaffeekränzchen, das Lächeln unserer ersten Liebe, die unvergesslichen Zeiten eines einprägsamen Sommers – das alles hat seinen Geruch. Wenn uns eine Duftwolke erreicht, die der ähnelt, die wir mit diesen Ereignissen verbunden haben, scheinen vor unserem inneren Auge diese Bilder aus der Vergangenheit wieder auf.



Doch auch jenseits dieser sehr konkreten Dufteindrücke speichern wir emotionale Befindlichkeiten – und Parfums sind der Versuch, einen Duft zu kreieren, der die positiven Emotionen anspricht, ohne mit verstetigten determinierten Bildern* verbunden zu werden. Und wir nutzen diese "Universalstimuli" gerne, um uns aus einem Tief zu holen, um einen besonderen Moment zu bewahren oder um unserer Stimmung einen passenden Geruchsausdruck zu verleihen.



Wir sind jederzeit ansprechbar für Geruchseindrücke: In Läden beispielsweise, die ihre Verkaufsflächen beduften, um den Absatz zu erhöhen. Wer sich wohlfühlt, verweilt länger. Wer länger bleibt, kauft mehr. Neulich probierte ich eine Jacke an. Sie muss länger neben dem Beduftungskanal gelegen haben, sie hatte einen intensiven, weichen Duft, der nicht vom Material kam. Ich weiß immer noch nicht sicher, ob ich die Jacke kaufte, weil sie einfach toll ist, oder ob ich sie toll finde, weil sie so angenehm riecht. Es war wohl kein Parfumrest, den eine andere Kundin vorher an die Jacke weitergegeben hat, dann wäre heute kaum noch etwas zu riechen. Doch ich freue mich immer noch jedes Mal, wenn meine Nase den Geruch aufnimmt. Kuschelig. Aufgehoben.



Und wer kennt es nicht, dass manche Tage nach einem bestimmten Duft verlangen, nach einem Geruch, in den wir uns hüllen, weil er passt: zu Verfassung, zur Grundstimmung. Oder von dem wir uns versprechen, dass er etwas hervorruft, das uns freundlich umfängt, das Schatten vertreibt und Düsteres aufhellt. Wir nutzen die Macht der Düfte, um uns selbst in den Arm zu nehmen oder an der Hand. Wir müssen dabei nichts in Worte fassen, müssen nichts erklären – es reicht, zum richtigen Zerstäuber zu greifen, um eine Atmosphäre zu schaffen, die uns positiv stimuliert.



Die Vorgänge dazu sind komplex, aber alte wie neue therapeutische Anwendungen arbeiten genau damit: Ayurveda oder Aromatherapie sind nicht nur moderne Lifestyle-Phänomene, sie greifen auf eine sanfte Beeinflussung unseres seelischen Befindens zurück, die auch nach Jahrtausenden zivilisatorischer Entwicklung nichts von ihrer Strahlkraft verloren hat. Omas Fichtennadelbad galt nicht nur der Reinheit und das Lavendelkissen im Schrank nicht nur der Abwehr von Schadinsekten. Wir greifen zur Bodylotion nicht nur wegen der kosmetischen Wirkung auf die Haut, sondern wir hüllen uns in Florales, Orientalisches oder Herbes, weil wir uns selbst verwöhnen möchten. Uns Schutz und Aufgehobensein geben, uns trösten, uns belohnen und stärken möchten. Auf eine einfache (und manchmal etwas teure ;) Weise: Indem wir uns mit dem umgeben, was wir gut riechen können. Und das ist an einigen Tagen genau das Richtige für uns. Finde ich. Und ihr?



* also Bilder, die überindividuell von jeder Person identisch visualisiert werden

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