Streaming / Ströme
Wie wir uns im Fluss der Zeit verorten
Ich sitze im Auto und höre den örtlichen Unterhaltungssender. Wippe mit dem Kopf, lasse mich davontragen von einem Musikstück, geschrieben, arrangiert etc. von einem jungen Musiker in den Zwanzigern, am Anfang seines Lebens, aus Norwegen. Ein Hit. Sehr oft gespielt seit einigen Wochen, sehr cool, sehr tanzbar.
Ich habe eine Affinität zu House, Drum'n'Base und EBD. Ich tanze gerne. Leider gibt es nur noch wenige, die mich zu den ebenfalls wenigen Tanzevents begleiten, die es für alle Ü30 noch gibt. Und ich spreche nicht von den Ü30-Partys. Sondern von ganz normalen Anlässen, zu denen sich (viel) Jung und (wenig) Alt irgendwo trifft. Klubs, Beachpartys, private Feiern.
Die Ü30-Tanzveranstaltungen finde ich unerträglich. Ich mag das Neue. Ich begrüße das Neue. Auch und vor allem bei tanzbarer Musik.
Das liegt vielleicht daran, dass ich Künstlerin bin. Da gehört es gewissermaßen zur Stellenbeschreibung, sich für Neues zu interessieren. Doch bleiben wir beim Beispiel Musik. Es gibt geniale Titel, geniale Musiker, die ich kennenlernte, als ich aufwuchs. Als ich zuhause auszog, um zu studieren. Als ich weiterzog, um mich selbstständig zu machen. Und so weiter und so fort. Eintagsfliegen und ganze Serien von unterschiedlichen Musikstilen, die mich durch die Zeit begleiteten. Und ja, es freut mich, mitunter den einen oder den anderen Titel wieder zu hören.
Doch in Reihe? Und dann dazu tanzen? Das hatte ich doch bereits erledigt. Nein, ich will nicht zurück in meine Jugend. Die Zeit hat sich und mich verändert und in der Massivität, in der Titel gespielt werden, die mehr als 20 Jahre alt sind, liegt für mich nichts Tröstendes. Im Gegenteil. Ist die Gegenwart so viel schlechter oder warum wird sie "zum Vergnügen" ausgeblendet? Warum die Jugend beschwören und die Zeit jetzt mit Missachtung strafen?
Auch ich vermisse die lockeren Studentenpartys, die durchtanzten Nächte, bis zum Morgen, bis zum Aufräumen der Locations.
Ich bewege mich immer noch gerne zur Musik. Ich tanze vielleicht nicht mehr bis zum Morgen, denn der Berufsalltag und das Alter fordern ihren Tribut. Aber das Gefühl, sich zu Drums, Bass und Cimbals zu bewegen, Synthiesounds und Stimmen nachzufolgen – das liebe ich immer noch. Nur finde ich immer weniger Menschen, die dieses Vergnügen mit mir teilen möchten. Einen Teil habe ich verloren an anstrengendes Familienleben, einen anderen Teil an ebenso anstrengenden Berufsalltag und den Rest an die Ü30-Partys.
Ich jedenfalls bekomme auf diesen Partys Beklemmungen. Fühle mich gefangen in dieser Vergangenheitsbeschwörung. Und gelangweilt. So wenig gerne ich zwischen Teenagern hopse, so wenig mag ich einen dauerhaft rückwärts gewandten Blick. Welches sind die Gründe dafür, dass manche Menschen sich so gerne an dem orientieren, was war und dafür das verachten, was ist? Ich jedenfalls freue mich auf die neuen Titel, die ich entdecken kann. Und manchmal, wenn ich Glück habe, kann ich auch auf Partys dazu tanzen. Mit noch mehr Glück sogar mit einigen meiner Freunde, die nichts gegen Neues haben;)