LillyJo
LillyJos Blog
vor 8 Jahren - 21.11.2015
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Die andere Stadt - Teil 1 *München*

Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, dass ich immer, wenn ich in einer anderen Stadt bin, einen Duft als Erinnerung mitnehme. Eine Mischung aus Stimmungsbild und augenblicklichem Hinzoomen an den Ort, an dem ich den Duft erworben habe. Die VerkäuferInnen spielen da auch immer eine Rolle, denn so manche Flasche wäre nicht mitgegangen, hätte dort wer anderer beraten.

Jüngst war ich in München, eigentlich als Zwischenstopp, eine Übernachtung in der Nähe des Bahnhofs, am nächsten Morgen ging es dann weiter nach Schwäbisch Hall. Ich hatte abends einen Termin und als ich das Hotel verließ, bemerkte ich eine Parfümerie gleich als Nachbargeschäft. Ein Zeichen ! Ich war sehr knapp mit der Zeit und so huschte ich schnell rein, um die Regale nach *nicht-in-Wien-erhältlichen-Düften* abzusuchen. Die Verkäuferinnenschaft warf mir befremdliche Blicke zu, offenbar war ihnen mein leicht hektisches Suchen suspekt. Jeder Versuch ihrerseits mir mit Neuerscheinungen auf die Sprünge zu helfen, wurde meinerseits nur mit *kenn ich schon, kenn ich auch schon* quittiert.

Ich drang dann in die hinteren und unteren Bereiche der Regale vor, bis ich dann kniend den Balmain Ambre Gris in Händen hielt. Was für ein wundervoller Flakon, dachte ich, während ich meinen dritten Ärmel zum Probieren hochschob. Sprüh - und ! - ja, der ist doch nett. Kurz der Verkäuferin zum Absegnen hingehalten - das war schon die zweite Verkäuferin, die erste hatte sich mittlerweile vertrollt - , die mich nach einigen Augenblicken ein *hmmmm, ja, der kommt wirklich sehr gut bei ihnen* bestätigte. Am Weg zur Kassa fragte sie immer wieder nach, ob ich denn schon drüben geschaut hätte. Ich verstand die Frage nicht ganz, denn ich dachte, sie meinte die Regale auf der anderen Seite. *Keine Zeit, leider*, antwortete ich immer wieder, rauschte zur Kassa, zahlte und beeilte mich aus dem Geschäft zu kommen, denn ich war schon superspät dran.

Dann geh' ich raus, mach fünf Schritte, schau' und was sehen meine Augen ? Eine Nischenparfümerie direkt neben der Parfümerie, aus der ich grad gekommen war. "Das meinte die Dame also mit ihrer Frage, ob ich drüben schon geschaut hätte", schoß er mir durch den Kopf.

Blick auf die Uhr, Mist, geht sich nicht aus, naja, vielleicht ganz kurz. Ich also rein ins Geschäft und um mich herum das *Nischenparfumparadies*. Eine supernette Verkäuferin, hinter ihr lauter Micallefs, beim Eingang alle Different Companies, vieles wovon ich nicht mal wußte, dass es das überhaupt gibt und ich zieh' schon mein Handy, um ein SMS Richtung Termin abzusetzen, dass ich mich leider etwas verspäten werde. Ich mein', wenn man aus Wien kommt, dann kann man seine Ankunftszeit ja nicht so genau wissen.

Oder ? Eben. Und man kann schon überhaupt nicht wissen, dass sein Hotel ungünstig neben zwei Parfümerien liegen wird.

*Mon Parfum* von Micallef beginnt sich auf einer kleinen Restfläche meiner dritten Hand zu entfalten, während sich am anderen Arm in Ellbogennähe der Favorit der Verkäuferin den Weg zu meiner Nase zu bahnen versucht. Ich kann mich nicht so schnell entscheiden, der Zeitdruck macht mir zu schaffen und ich höre mich fragen: " Wann sperren Sie denn morgen auf ?"

"10 Uhr", so die nette Dame. Schade, denk' ich bei mir, ich muß bis längstens 9 Uhr abreisen, sonst komm' ich auch noch nach SHA zu spät. Sie füllt mir trotzdem 2 Proben ab und schweren Herzens packe ich die ein und finde es schade, dass es schon vorbei ist.

Mein Abend im "Trader Vics" im Bayrischen Hof entführt mich in exotische Gefilde, zwischendurch schnuppere ich laufend meine Arme ab, um es von Mal zu Mal immer noch mehr schade zu finden, dass ich nicht mehr hinkommen werde, in die nette Parfümerie mit der netten Verkäuferin.

In der Früh sieht die Welt ja bekanntlich immer anders aus und was ist schon eine Stunde ? Ich mein', wenn ich um 10 Uhr wegfahre und noch schnell den Duft kaufe, dann geht die Welt davon ja auch nicht unter, oder ? Mach ich halt keinen Stopp. Toilettenpausen werden ohnehin überschätzt.

Punkt 10 Uhr steh ich als erste Kundin im Geschäft, die Verkäuferin lacht.

"Den Micallef von gestern bitte. Und bitte schnell, danke".

"Wir haben 20 % Rabatt, das macht dann 144 Euro, bitte."

Mein wunder Punkt, zack, getroffen.

Ich so: " Echt ? Das ist ja super. Was haben sie denn sonst noch, was mir gefallen könnte ? " höre ich mich fragen.

Ein innerer Teamspieler versucht mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich eigentlich schon gestern den Balmain als Erinnerung an die Stadt gekauft habe und der Micallef dazu genug ist. Ein weiteres Mitglied meines inneren Teams macht mir zeitlichen Druck, du mußt jetzt endlich fahren, tu nicht so lange herum.

Währenddessen wird einer meiner frisch gewaschenen Arme mit Royal Muska von Micallef eingesprüht. Was sich auf den anderen Händen mittlerweile tut, nehme ich nur entfernt wahr.

"Maaaahhh, ist der gut. Wieviel ?" - 100 ml um 156 Euro, wegen des Rabatts, sie lächelt wieder, kurze Gedankenpause meinerseits, die sie nutzt, um aus dem Lager ein Royal Muska Set zu holen, 100 ml + 30 ml.

"180 Euro für das Set, das ist sehr praktisch, weil dann können sie die 30 ml für die Handtasche - blablabla ...

Wärme steigt in mir auf, ich addiere im Kopf und es wird noch wärmer. 324 Euro - ufff. Und der Balmain vom Vortag dazu, puh. Die Zeit im Nacken und zwei Kreditkarten später verlasse ich in einer Wolke aus Moschus und feinen Blumen die Parfümerie im Laufschritt Richtung Garage, wo mein Auto steht.

Mit etwas schlechtem Gewissen, aber von einem betörenden Royal Muska Duftschal umhüllt fahre ich über die Autobahn Richtung Schwäbisch Hall, die Sonne scheint, die Herbstblätter spiegeln mir die Fülle des Lebens in allen Farben, die Musik untermalt die Szenerie und das Leben ist schön.

Eine Stunde zu spät komme ich dann wohlbehalten an, denn manchmal kann man auf die Toilette ebenso wenig verzichten wie auf ein Eau de Toilette ;-)

Und drei Erinnerungen an eine Stadt sind sicher besser als eine.

Oder ?


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