Die süße Würze einer dichten Komposition aus Rumfrüchten - oder: Das unverständliche Gefasel Anderswahrnehmender
Dufterlebnisse mitzuteilen, auszutauschen, ist schwer. Es fängt bei der persönlichen Suche nach den geeigneten, passenden Vokabeln an und hört bei der Aneinanderreihung dieser in Kombination mit dem Schreibstil auf. Es ist nicht gewährleistet, dass die Empfänger der Nachrichten das selbe Vokabular für die selben Eindrücke benutzen, manchmal gleicht es sich nicht einmal, wie ich immer wieder bei duften Unterhaltungen mit meiner allerallerweltbesten Freundin Lotte feststellen muss.
Zur Erklärung: Wir kennen uns seit etlichen Jahren und ziemlich gut, manchmal kennt sie mich sogar besser, als ich mich selber und umgekehrt. Doch unterhalten wir uns über Düfte, über Parfum, scheine ich die Welt nicht mehr zu verstehen. Andersherum ergeht es ihr genau so, sie versteht mich einfach nicht. Kein bisschen.
Sagt sie: "Oh, dieser Duft ist aber wirklich schön frisch!", ziehe ich grübelnd die Augenbrauen zusammen und erwidere: "Der ist doch nicht frisch! Der ist eher ... grün und fruchtig!", wobei sie daraufhin ihre Augenbrauen zusammen zieht und mich ansieht, als hätte ich einen Sockenschuss. Sage ich: "Oh, wow! Der ist aber krass dunkel und animalisch.", schaut sie mich empört an und antwortet: "Der ist doch ganz harmlos und nur holzig mit ein bisschen Leder. Ich weiß nicht, was du schon wieder riechst!" und wenn ich meine: "Yeah, was für eine wunderbare Wuchtbrumme, oudig und schön, holzig und ein Hauch Schwärze!", gehen über ihrem Kopf tausend Fragezeichen auf, sie stupst mich an und kontert: "Das ist ein widerwärtiges Stinktier, das sich im Morast gewälzt hat! Ekelhaft! Mach das weg!". Was für mich als zu süß abgetan wird, ist ihr nicht süß genug und was ihr zu stechend erscheint, verursacht bei mir nicht den kleinsten Piekser.
Streit bekommen wir deswegen keinen, aber doch mussten wir irgendwann erstaunt, erschüttert, gebeutelt und (fast) hoffnungslos feststellen: In dieser Beziehung können wir uns nicht aufeinander verlassen, wir haben "einfach" nicht den gleichen Geschmack und empfinden die jeweils geliebten Düfte des anderen als abscheulich und ekelerregend und es ist alles andere als "einfach", da auf einen vernünftigen Konsens zu kommen. Wir verstehen uns nicht gut in unserer Duftbeziehung. Nicht, dass wir uns nicht riechen könnten, ihre hochgeliebte Jasmin-Affinität äußert sich bei mir als Aversion, doch an ihr riecht es wunderbar und passt. Sie hasst Weihrauch über alles, aber an mir nimmt sie ihn als interessant und passend wahr.
What to do? Wir möchten uns verstehen. Wie das geht? Durch fleißiges Vokabelpauken. Ich muss "Lottisch" lernen. Und sie "Mamskisch". Ich muss Lottisch lernen, weil ich Mamskisch spreche und ich sie nicht verstehen kann, weil Lottisch eben "einfach" anders ist als Mamskisch. Ich muss lernen, was zum Beispiel die Worte: "etwas zu herb, da fehlt ein Hauch Süße" bedeuten und wie sie für mich verständlich zu übersetzen sind. In meinem Verständnis, in meiner Duftsprache im Bezug auf Lotte bedeuten diese Worte, "der ist quietschend süß, aber ein guter Schlappen voll Vanille fehlt mir". Sage ich: "Der ist wahnsinnig schön.", weiß Lotte mittlerweile, da ist auf jeden Fall Weihrauch drin, absolut nicht ihr Fall und es wäre für sie eine übel riechende Geschichte, sich diesen aufzusprühen.
Wenn die Kommunikation unter besten Freundinnen sich schon so schwierig gestaltet, wie viel schwieriger ist es dann, sich in einem Forum mit was weiß ich wie vielen Mitgliedern über Dufteindrücke auszutauschen? Missverständnisse sind vorprogrammiert, Fehleindrücke (eigene oder andere, das ist das gleiche) vorhersehbar.
Damit meine ich, wenn jemand schreibt, er liebe die süße Würze dieser dichten Komposition aus kandierten Rumfrüchten, woher will ich wissen, was das letztendlich für mich bedeutet, bzw. wie sich dieser Geruch mir offenbart? WISSEN tu ich in dem Moment nur eins: Dieser User riecht in dem getesteten Duft eine süße (wie definiert er Süße?) Würze (was bedeutet für ihn Würze?) heraus, die sich aus einer dichten (was bedeutet für ihn dicht? Viele Duftstoffe auf einmal? Wenige Duftstoffe, komprimiert auf einen kleinen Fleck? Heißt das üppig? Überbordend? ) Komposition aus kandierten (was meint in dem Zusammenhang kandiert? Die Zuckerkruste über den Früchten? Orangeat? Zitronat? Essbar konserviert?) Rumfrüchten (welche Früchte? Orangen? Aprikosen? Pflaumen? Rosinen? Zimt? Nelke? Was für ein Rum? Alkoholischer Geruch? Was bedeutet hier Rumfrüchte?) heraus, die er liebt.
Letztendlich bin ich also genauso schlau/nichtwissend wie vorher und ich weiß im Grunde genommen nur, wie jemand anderes diesen Duft wahrnimmt. Ob sich unser Duftvokabular deckt, ob wir also die gleiche Duftsprache sprechen, kann ich nur dadurch herausfinden, in dem ich den Duft selber teste und anfange, seine Sprache mit meiner zu vergleichen und gegebenenfalls in die meine zu übersetzten.
So kann es sein, dass die süße Würze einer dichten Komposition aus kandierten Rumfrüchten mich an klebriges Dr. Oetker Vanillebackaroma mit einer Messerspitze Zimt und in Glühwein eingelegte Kirschen erinnert. Anders ausgedrückt: BÄÄÄH!
Möglich ist aber auch, dass die süße Würze einer dichten Komposition aus kandierten Rumfrüchten für mich nach lieblichem, in fließend goldenen Honig eingelegtem Ingwer duftet, der eng und gequetscht neben süffigen Pfirsichen liegt und Muskatanklänge aus- und einatmet. Oder in anderen, weniger Worten: GEILO MIO!
Verstehen werde ich nur, wenn ich meinen Standpunkt verlasse, mich von meiner manchmal festeingesessenen Stelle erhebe, mich ein Stück weit entferne von dem, was mir verständlich (und daher bekannt) vorkommt und meinen (Duft-)Blick auf ein mir in dem Zusammenhang unbekanntes Vokabular lege und lerne, eine andere Ausdrucksweise (Sichtweise, Ansicht, Draufsicht) so zu lesen und zu übertragen, dass ich sie für mich verstehe und sie Sinn ergeben.
Neue Welten können sich eröffnen! Unter Umständen können vier kleine, hingerotzte Worte wie "billig, fäkal und ekelerregend" meinen ganz persönlichen Dufthimmel bedeuten, in dem ich selig dahin schmelze und dem Verfasser dieser Worte unendlich dankbar bin. Weil ich ihn zu verstehen gelernt habe. Und es anders sehen kann und darf.
Was ist also hilfreich/nicht hilfreich?
NICHTS ist hilfreich. ALLES ist hilfreich.
Weil nicht die Schönheit (der Ausdrucksweise) bestimmt, wen oder was (oder welchen Duft) ich liebe, sondern die Liebe bestimmt, wen oder was (oder welchen Duft) ich in seinem sich mir offenbarendem Ausdruck schön finde.