Matvey
Matveys Blog
vor 7 Jahren - 10.06.2017
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Noch 'ne Bachelorarbeit. Oder: Forschung aus erster Hand.

Seit ich in meinem vorletzten Blog (Lach- und Sachgeschichten aus der Biopsychologie, Teil 2) einen fiesen Cliffhanger aufgebaut habe, dass ich "später" auf die dort erklärten Zusammenhänge aufbauen werde, ist einige Zeit vergangen. Fast ein Jahr. Aber jetzt habe ich schwer zu tun und wie immer, wenn ich viel zu tun habe, lümmele ich statt zu Malochen auf Parfumo herum. Gerade wollte ich einen Beitrag mit dem Titel "Die Wahrheit über Pheromone" raushauen, da ist mir der Cliffhanger wieder eingefallen. Bevor ich also irgendwas zu anderen brisanten Geruchsthemen schwadroniere, hake ich das Thema ab. Vielleicht gibt's ja sogar Leute, die wirklich noch auf einen Folgebeitrag gewartet haben ;-) Der Artikel wird recht umfangreich und stellt ein spezifisches Forschungsgebiet dar - daher nenne ich das bewusst nicht "Lach- und Sachgeschichte", um keine falschen Erwartungen zu wecken.

Zur Erinnerung, kurz und bündig: Ich studiere Psychologie und arbeite seit gut anderthalb Jahren in einer Abteilung für Biopsychologie, die sich auch mit dem Geruchssinn beschäftigt. Mittlerweile plane ich vor der Masterarbeit noch ein Extraforschungsjahr in Frankreich, und zwar in einer Einrichtung, in der interdisziplinär am Geruchssinn geforscht wird. Will heißen: Chemiker, Biologen, Psychologen, Ernährungswissenschaftler, Neurowissenschaftler und so weiter arbeiten zusammen. Klingt schön, was? Ich sage: Dat könnt wat werden. Seid gespannt auf meine Berichte, es geht los im Herbst.

Im heutigen Blog möchte ich die Hintergründe und Ergebnisse meiner Bachelorarbeit umreißen, wozu ich auch nochmal auf Blogbeitrag 2 verweise, in dem ich mit ein paar vorbereitende Fakten zur Geruchspsychologie um mich geworfen habe. Die Arbeit trägt den eingängigen Titel "Zusammenhänge zwischen Stress, psychiatrischen Symptomen und der Geruchsleistung in einer gesunden studentischen Stichprobe". Die Daten dazu wurden im Winter 2015/2016 erhoben, und zwar von mir und zwei KommilitonInnen (die haben mit den Daten auch ihre Arbeiten geschrieben, denn wir hatten viel mehr Daten als nur die, die ich berichte). Das ganze Machwerk ist letztendlich eingereicht, benotet und in einem Kolloquium vorgestellt worden, - … und ja. Das war's auch schon so ziemlich. Da die Ergebnisse methodisch nicht wert sind, in einer Fachzeitschrift oÄ veröffentlicht zu werden, steht es mir immerhin frei, die Arbeit noch auf einem Parfengforum zu verwursten. Klingt jetzt vielleicht nicht motivierend zum Weiterlesen, aber haltet ruhig durch, so belanglos isset auch nicht.

Kostprobe gefällig? Klaro! Hier ist der Abstract, also die offizielle Kurzzusammenfassung, die am Anfang meiner Arbeit steht. Keine Sorge, ich erklär noch einiges davon :-)

Hintergrund: Aktuelle Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen psychiatrischen Erkrankungen und der Geruchsfunktion hin. Affektive Störungen wie die Depression scheinen assoziiert mit einer geringeren Geruchssensitivität. Die Ursachen und Kausalität dieser Befunde sind noch unklar. Stress wird als Vermittler über eine dysregulierte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse diskutiert.

Ziel: Die Untersuchung möglicher Zusammenhänge zwischen depressiven Symptomen, Stress und der Geruchsleistung in 117 gesunden, männlichen Studenten.

Methoden: Die Geruchsleistung (Geruchsschwelle, Identifikation und Diskrimination) wurde mit der Sniffin‘ Sticks-Testbatterie gemessen. Psychiatrische Symptome wurden mit der deutschen Version des Brief Symptom Inventory, die chronische Stressbelastung mit dem Trierer Inventar für Chronischen Stress erhoben. Die Datenanalyse erfolgte mit IBM SPSS 22.0.

Hypothesen: Wir erwarteten einen negativen Zusammenhang zwischen der Geruchsschwelle und depressiven Symptomen sowie Stress, während kein Zusammenhang zwischen Stress oder Symptomen mit den anderen Geruchsmaßen erwartet wurde. Zusammenhänge zwischen weiteren Symptomen und der Geruchsleistung wurden explorativ untersucht.

Ergebnisse: Keine signifikanten Korrelationen zwischen Stress oder depressiven Symptomen und der Geruchsschwelle wurden gefunden. Eine Subgruppe klinischer Probanden offenbarte allerdings negative Korrelationen zwischen Stress und der Geruchsschwelle. Einzelne positive Korrelationen zwischen Stress und der Identifikationsleistung wurden ebenso beobachtet wie ein negativer Trend zwischen Stress und der Diskrimination.

Schlussfolgerungen: Die Haupthypothese konnte nicht bestätigt werden. Methodische Einschränkungen und Vorschläge für teststärkere Designs werden diskutiert. Einschränkungen des Geruchssinns treten jedoch möglicherweise erst bei schweren depressiven Verläufen auf.

(Ende Abstract)

Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Messmethoden, um irgendwie festzustellen, wie gut jemand riechen kann. Die hier verwendete Testbatterie ist in Kliniken recht üblich, um mögliche Geruchsstörungen festzustellen. Durchgeführt wird das Ganze mit verschiedenen Filzstiften, die mit Düften präpariert sind. Sie unterscheidet die Kennwerte "Geruchsschwelle" (= absolute Schwelle, siehe Blog 2), "Diskrimination" (= Unterscheidung verschiedener Gerüche) und "Identifikation" (= Erkennung einzelner Gerüche). Ich habe bei Gesunden untersucht, ob akute depressive Verstimmung oder chronischer Stress einen Zusammenhang mit der Geruchsschwelle haben. Aber warum?

Zwei gesicherte Befunde sind dafür wichtig. Erstens weiß man von schweren Depressionen, dass die Geruchsschwelle im Vergleich zu Gesunden erhöht ist (d.h. schwer Erkrankte riechen schlechter), und nach einer erfolgreichen Psychotherapie oder Medikation sinkt die Schwelle wieder ab. Die Identifikations- und Diskriminationsleistung scheinen davon unbeeinflusst. Kurzum: Schwer Depressive erkennen Gerüche unverändert, nehmen sie aber schwächer wahr.

Zweitens und dazu gegenteilig weiß man von neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer, dass als recht frühes Symptom die Identifikations- und Diskriminationsleistung nachlassen, während die absolute Schwelle unbeeinflusst bleibt. Kurzum: Alzheimerpatienten erkennen Gerüche schlechter, nehmen die Gerüche aber nicht schwächer war.

Die Befunde bei Alzheimerpatienten sind schnell erklärt: Das Erkennen von Gerüchen ist eine "höhere" geistige Leistung und ist unter anderem in der Hirnrinde verortet, und eben solche höheren Leistungen werden bei neurodegenerativen Erkrankungen durch den Abbau von Zellen in der Hirnrinde zuerst beeinträchtigt. Das kennt man von den typischen Demenzsymptomen. Die bloße Wahrnehmungen von Gerüchen ab einer bestimmten Duftkonzentration ist eher abhängig von der Riechschleimhaut und den frühen neuronalen Verarbeitungsschritten der Duftinformation. Diese findet unter anderem im Riechkolben und in tieferen Hirnschichten wie der Amygdala statt, die bei Alzheimer erst mal nicht beschädigt werden.

Wie erklärt man sich den umgekehrten Effekt bei Depressionen? Hier setzt meine Arbeit an, und es gibt da eine Menge theoretischer Überlegungen. Ich möchte es auf zwei Erklärungsmuster vereinfachen. Zuerst kann man ganz grob zusammenfassen, dass der Geruchssinn in seiner neuronalen Verarbeitung sehr stark überlappt mit der Verarbeitung von emotionalen Prozessen. So ist beispielsweise die Amygdala sowohl für die basale Geruchsleistung als auch für Emotionen entscheidend (aber die ist fast immer irgendwo entscheidend, also muss das nicht viel heißen). Bei längeren und schwereren Depressionen kann man im Gehirn in vielen Regionen Veränderungen des Volumens und der Aktivität feststellen. Manche Regionen verkümmern etwas, manche Regionen sind etwas stärker aktiv als bei Nichtbetroffenen. Die Theorie ist also, dass bei einer schweren Depression eben durch diese Veränderungen auch der Geruchssinn betroffen ist. Tatsächlich gibt es ein paar Studien, die einen kleineren Riechkolben bei Depressiven berichten.

Eine zweite Herangehensweise ist eigentlich nur eine konkretere Vorstellung. Bei zwei Dritteln der an Depressionen Erkrankten findet man eine viel höhere Konzentration von Cortisol im Blut als bei Gesunden. Cortisol ist ein wichtiges Stresshormon, das auch bei ganz normalem Alltagsstress vermehrt im Blut zu finden ist. Dieses Hormon ist erstmal hilfreich in Stresssituationen, kann aber auf Dauer und in hoher Konzentration auch Schaden im Gehirn und im Körper anrichten. Konkret ist hier die Theorie, dass Cortisol bei schweren Depressionen allmählich den Riechkolben angreift und so die Geruchsschwelle erhöht wird. Diese Theorie liegt einigen Forschern zufolge auch nahe, weil man im Tierversuch sogenannte "Depressionsmodelle" erreichen kann, indem man Ratten den Riechkolben entfernt - die Tiere zeigen danach Verhaltensänderungen ähnlich einer Depression beim Menschen. Es scheint also irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Geruchssinn und Depressionssystememn zu geben. Hier muss man aber sehr mit der Kausalität aufpassen, denn das gesicherte Wissen betrifft fast nur Zusammenhänge, nicht aber kausal belegte Wirkungsreihenfolgen (also kann es sein, dass der Geruchssinn Einflüsse auf depressive Symptome hat und umgekehrt).

Darauf aufbauen habe ich in meiner Studie gut 100 gesunde Studenten auf ihren Geruchssinn und ihre aktuelle Lebenssituation in Bezug auf Stress und psychischer Belastung untersucht. Ersteres mit der genannten Batterie, letzteres mit klinischen Fragebögen. Der Gedanke dahinter war eine Wiederholung der oben genannten Ergebnissen auch bei Gesunden. Wenn das Stresshormon Cortisol für die höhere Geruchsschwelle bei Depressionen verantwortlich sein sollte, könnte man vielleicht auch ähnliche Effekte bei Nicht-Depressiven nachweisen, und zwar vornehmlich bei Menschen mit akuter depressiver Verstimmung oder bei chronisch Gestressten. Vor allem ein Zusammenhang zwischen Geruchssinn und Stress würde auf eine Vermittlung durch Cortisol hinweisen. Und es hätte eine gewisse Alltagsrelevanz, denn längere Stressphasen kennt jeder.

Am Ende konnte ich keinen Zusammenhang in diese Richtung finden. Wenig Gestresste riechen etwa genau so gut wie stark Gestresste, zumindest in meiner studentischen Stichprobe (übrigens waren es nur Männer, weil das Cortisolsystem und auch der Geruchssinn bei Frauen durch den Zyklus deutlich stärkeren Schwankungen ausgesetzt ist, die man rausrechnen müsste. Dafür bräuchte man mehr Probanden). Dafür gibt es zwei naheliegende Erklärungen:

  1. Es gibt vielleicht keinen Zusammenhang zwischen psychischer Belastung, Stress und Depressiven bei Gesunden. Demnach führen erst schwere Verläufe (und evtl damit einhergehende hohe Cortisol-Konzentrationen) zu den Veränderungen im Geruchssinn.
  2. Die Untersuchung war zu testschwach. War sie auch: Die Testbatterie für den Geruchssinn unterscheidet nur mäßig gut zwischen einem mittleren und einem guten Geruchssinn und so weiter. Die klinischen Fragebögen sind nicht gut geeignet zum Finden leichter Symptome bei Gesunden (nicht genügend Varianz). Kleine Unterschiede bei der Handhabung der Testbatterie. Tagesform beim Riechen. Und und und.

Immerhin gab es eine kleine Gruppe von Studenten, die ebenfalls angaben, aus verschiedenen Gründen in psychologischer Behandlung zu sein. Hier fand sich ein kleiner negativer Zusammenhang zwischen der Geruchsschwelle und psychischer Belastung. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass erst längere Syndrome eine Auswirkung auf den Geruchssinn haben. Oder einfach nur statistisches Rauschen, weil diese Subgruppe sehr klein war.

Für alle, die bis hierhin durchgehalten haben: Das hier präsentierte Thema ist offensichtlich recht spezifisch und mag sogar dem Ein oder Anderen trivial erscheinen. Ein paar Folgerungen möchte ich daher hervorheben, die den Sinn solcher Forschung verdeutlichen mag:

  • Für mich persönlich war die Studie ein wichtiger Schritt zur Erkenntnis, wie verdammt schwierig Geruchsforschung ist: Die Geruchsleistung zuverlässig zu messen ist sehr schwierig. Zwar kann man mit einer einfachen Testbatterie recht genau sagen, ob jemand einen klinisch beeinträchtigten Geruchssinn hat. Allerdings spielen so viele schwankende Faktoren in das Endergebnis rein, dass man kaum Riechleistungen von "Riechgesunden" untereinander vergleichen kann. Das erschwert die statistische Analyse enorm. Wir forschen hier auch mit sog. Olfaktometern, die ein deutliches Upgrade darstellen, aber diese Teile sind a) sehr teuer und b) sehr aufwendig zu bedienen.
  • Geruchsbeeinträchtigungen gehören zu den ersten Symptomen, die im Rahmen von neurodegenerativen Krankheiten auftreten, noch vor jeder offensichtlichen Denkstörung. Oft wird Alzheimer im frühen Stadium mit Depression verwechselt, die Symptome ähneln sich anfangs. Ein Geruchstest kann einen Verdacht in die ein oder andere Richtung erhärten, etwa wenn die Identifikationsfähigkeit beeinträchtigt scheint. In der gesunde Bevölkerung sind solche Einschränkungen nämlich sehr selten.
  • Für uns ist es selbstverständlich, dass der Geruchssinn emotional eine hohe Bedeutung hat. Das ist aber gar nicht so trivial! Der Geruchssinn ist als einziger Sinn direkt mit dem Frontalhirn und dem emotionalen System verbunden, d.h. es gibt vorher keinen Filter wie bei allen anderen Sinnen, die immer erst über den sogenannten Thalamus vorgeschaltet werden. Aber warum ist das beim Geruchssinn so? Evolutionär scheint dieser Sinn eng gekoppelt an die Entwicklung des emotionalen Systems, möglicherweise waren chemische Informationen die ersten Unterscheidungssignale zwischen "gut = Fressen" und "schlecht = Fressfeind", und so entwickelte sich aus einem einfachen Bewertungssystem über den Lauf der Zeit so etwas wie Emotionen. Das ist allerdings auch nur eine Theorie :-)
  • Informationen über die Geruchsleistung könnten bei der Diagnosestellung und Therapie von Depressionen hilfreich sein. Eine Verbesserung der Geruchsleistung im Lauf der Therapie könnte einen einfach messbaren Marker für Therapieeffekte auf neuronaler Ebene darstellen. Dazu ist viel mehr solcher Forschung nötig.
  • Da noch nicht ganz geklärt ist, wie genau Riechen und psychische Belastung zusammenhängen, könnte man die Frage stellen, ob man den Geruchssinn nicht auch als Ansetzpunkt für begleitende Therapie nutzen könnte. Aromatherapie gibt's ja schon. Interessant wäre also zu wissen, ob, wie, warum und wo genau das bei psychischen Störungen wirken kann.

Das soll es dann für heute auch sein. Wenn ihr Fragen habt, schreibt sie gerne hier oder mir als PN. Ich hoffe, ich konnte euch ein Stück Geruchsforschung aus erster Hand rüberbringen, ohne zu sehr in langweilige Details abzuschweifen. Mit Parfum hat das sicher nur entfernt zu tun. Da ich mittlerweile in einem Forschungsprojekt zu "Sozialem Riechen" arbeite, werde ich in Zukunft aber auch stärker auf Themen wie Geruchssinn und Partnerwahl, soziale Kommunikation über Duftstoffe usw. eingehen. Darauf freue ich mich schon jetzt! …und ihr vielleicht ja auch ;-)

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