Kunst oder Handwerk? Einige Gedanken
Irgendwo auf Parfumo habe ich mal gelesen, bei unserem Thema handele es sich nicht um Kunst, weil das revolutionäre oder gesellschaftskritische Moment fehle oder so ähnlich. Da bin ich anderer Meinung, jedoch sozusagen anders herum. Machen wir uns nichts vor: Vieles an „offiziell anerkannter Kunst“ ist nicht avantgardistisch, revolutionär oder anderweitig sternstundig, sondern Handwerk, häufig epigonales noch dazu. Wer sich etwa Porträt- oder Landschafts-Malereien alter Meister ansieht, erwartet sicherlich darin keinen revolutionären Geist, hält das trotzdem für Kunst - und liegt damit selbstverständlich richtig.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein war mit dem Begriff Kunst übrigens stets gleichermaßen die Ausübung eines Handwerks gemeint, bevor dann der Ausdruck „schöne Kunst“ das heraushob, was wir nunmehr unter dem Begriff Kunst verstehen. Immanuel Kant unterschied schließlich (praktisch-zweckgerichtetes) Handwerk und (freie) Kunst gedanklich voneinander.
Nun hatte Kant es bekanntlich besonders gerne besonders präzise. So lehnte er beispielsweise die „Gefühls-Ethik“ ab, nach der - salopp gesagt - jeder schon irgendwie wisse, was richtig und was falsch sei. Dem guten Mann wird keineswegs entgangen sein, dass man „mit Gefühl“ in bummelig 99 Prozent der Fälle durchaus richtig liegen dürfte. Wohl kein Zufall, dass zu den Vertretern dieser Idee einige womöglich entspanntere angelsächsische Philosophen gehörten. Den Mann aus Königsberg indes beunruhigte offensichtlich die verbliebene Lücke und er entwickelte seinen kategorischen Imperativ, der - deshalb eben kategorisch und nicht hypothetisch - ausnahmslos immer gelten soll. 100 Prozent der Menschheit erreicht. Und nicht nur das: Sogar E.T. & Co. wissen seither genau Bescheid.
Wenn jener Meister-Denker nun in seiner „Kritik der Urteilskraft“ (§ 43 – Von der Kunst überhaupt) die Kunst vom Handwerk messerscharf abgrenzt, könnte damit alles gesagt sein. Würde er nicht selbst feststellen, dass es eine Schnittmenge gibt und geben muss (ebda., § 47). Zu Deutsch: Die Unterschiede mögen theoretisch exakt greifbar sein, im wirklichen Leben sieht es mitunter völlig anders aus. Nun, wenn das so ist, dürfen wir vermutlich ebenfalls beruhigt sein. Und in der konkreten Anwendung noch einen Schritt weitergehen:
Vor Jahren saß ich dabei, als der Künstler Bernhard Schwichtenberg gefragt wurde, wie er in seiner Eigenschaft als Professor eigentlich die künstlerische Arbeit eines Studenten objektiv bewerten könne. Bei seiner Antwort kamen zuvorderst handwerkliche Aspekte zur Sprache. Er maß denen ein Gewicht bei, welches Kunst-Idealisten ungebührlich groß scheinen mag. Nur: Hat er nicht recht? Wie sollte er sich dem Werk sonst nähern, ohne zwingend in sinngemäß-simples „Gefällt mir“ oder „Gefällt mir nicht“ zu entgleiten? Kunst kommt von Können (tut es begrifflich tatsächlich). Käme es von Wollen, hieße es Wulst. Erst, wer seine Ideen handwerklich gekonnt umzusetzen vermag, avanciert vom Woller zum Könner, vielleicht zum Künstler und grenzt sich vom Scharlatan ab. Und welcher revolutionäre Funke womöglich zündet oder was letztlich avantgardistisch wirkt, darüber befindet ohnehin der Rezipient allein.
Wir maßen uns einiges an, wenn wir (da nehme ich mich selbstverständlich nicht aus) Oma Piepereits Makramee-Eule, fingerfertig hergestellt für den Herbstmarkt in Todenbüttel, trotz der innovativen, orange-blauen Farbstellung belächeln. Ihr allenfalls den Rang des Kunst-Handwerks zugestehen, hingegen etwa die erratischen Wandschmierereien eines „Aktionskünstlers“ nur wegen des Tamtams drumherum sicherheitshalber für Kunst erklären. Wir sollten da vorsichtig sein. Hurz.
Ich möchte jetzt für einen Duft nebst Drumherum gewiss nicht den Begriff „Gesamtkunstwerk“ bemühen, der ist für Größeres besetzt und ich bin mir der zweifellos bestehenden Unterschiede zwischen (den Sternstunden) der Kunst und der beauftragten Kreation eines zumeist für die Massenfertigung geeigneten Duftes bewusst. Es gibt dennoch keinen Grund, allzu sehr abzuwerten, womit wir uns beschäftigen.
Allein, dass eine Verkaufsabsicht dahintersteht, kann die Kunst bzw. das Können der oder des Schaffenden jedenfalls kaum in Zweifel ziehen. Na und? Auch mutmaßlich „echte“ Künstler müssen verkaufen, manche sind und waren Meister der geschäftsförderlichen Selbst-Inszenierung. Wer will wo die Grenze ziehen? Ist einzig - im kantischen Sinne - frei geschaffene Kunst „richtige“ Kunst? Wieviel Auftrag erklären wir für zulässig? Zur Schaffung seiner Matthäus-Passion erhielt Bach einen Auftrag. Stellt das den Rang eines Jahrtausendwerkes in Frage?
Der Vergleich mit derlei kriecht natürlich. Ich finde aber unverdrossen: Allermindestens ein kleines bisschen Kunst ist unser Thema hier durchaus – sofern tatsächlich angewandtes Können und nicht liebloses Zusammengepansche am Werk ist. Selbst wenn das revolutionäre oder die Epochen überspannende Moment systematisch fehlt, sprich: im Gegensatz zu anderen Formen von Kunst nie wird erlangt werden können, mithin der handwerkliche Aspekt ein Übergewicht haben mag.
Bei aller berechtigten Anerkennung (und Bewunderung!!!) und fallweisen Notwendigkeit für rein analytisch-professionellen Umgang mit Düften. Lassen wir bitte ab und zu mal einen Zacken mehr mit hinein. Versuchen wir bitte nicht, das Thema als banales Handwerk kleinzureden oder am besten gleich eine reine Wissenschaft daraus zu machen. Denn beides ist es noch weniger als „echte“ Kunst.