Das bessere und das schlechtere Parfum – Gibt es das?
Ich bin in den letzten Wochen häufiger über Aussagen von Parfumos gestolpert, die das Gefühl haben, sie müssten ihre Sammlung verteidigen, weil diese „nur“ aus Mainstream-Düften besteht oder „nur“ aus modernen Parfums.
(Das kann man auch noch weiter spinnen: teure/preisgünstige Parfums, natürliche/synthetische Duftstoffe.)
Darüber habe ich zunächst ungläubig den Kopf geschüttelt. Der naheliegendste Gedanke, der sicher in diesem Zusammenhang nicht nur mir kommt, ist: Es kann doch jeder mögen, was er will. Düfte sind Geschmackssache. Niemand muss sich hier schlechter fühlen als andere.
Ich habe mir dann die Frage gestellt, ob ich selbst dazu beitrage, dass jemand seine Mainstream- oder modernen Düfte als minderwertig empfindet. Und musste mir eingestehen, dass dies so ist. Ich erinnere mich an mehrere meiner Äußerungen in letzter Zeit. In meiner Leidenschaft für alte Caron-Düfte habe ich einige Male Verwunderung darüber geäußert, dass Caron (hoffentlich nur vorübergehend) seine alten, qualitativ hochwertig gemachten Klassiker, die Geschichte geschrieben und die Duftwelt beeinflusst haben, zugunsten von blassen nichtssagenden Mainstream-Wässerchen aufgegeben hat.
Nun ist es so, dass ich meine Aussage in Teilen sogar objektiv als wahr empfinde. Und falls das nicht so sein sollte, dann urteile ich zumindest subjektiv immer noch genauso. Zurücknehmen werde ich sie also nicht.
Andererseits empfinde ich es als schlimmen Dünkel, seinen eigenen Geschmack zum Maßstab zu machen und den Geschmack anderer als minderwertig zu kennzeichnen.
Meine persönlichen Duftvorlieben haben sich in den vergangenen zwei Jahren sehr verändert. Ich habe auf Parfumo angefangen mit einer Vorliebe für Vanille. Das exzessive Testen von Düften mit dieser Note hat dazu geführt, dass ich sie kaum mehr mag. Ich habe mich zunächst nahezu ausschließlich mit modernen Düften beschäftigt, gerne süß, gerne Gourmands. Chanel N. 5 hatte ich in meinen Zwanzigern mal getestet und für mich verworfen. Hängen geblieben war in meinem Kopf die Assoziation einer Dame mittleren Alters, großzügig mit Schmuck behängt und im Pelzmantel unterwegs. Als ich N. 5 hier testete, war ich überrascht. Plötzlich gefiel mir dieser Duft. Hätte ich vor einem Jahr „Narcisse Noir“ von Caron getestet, dann hätte ich gedacht „Meine Güte, der stinkt.“ Als ich vor ca. 6 Monaten diesen Duft tatsächlich das erste Mal getestet habe, konnte ich die Qualität des Parfums anerkennen, seine Tiefe und Intensität, den Wohlgeruch einzelner Akkorde und ich konnte seine vielfältigen Facetten schätzen. Ich hätte aber nicht gedacht, dass ich mir "Narcisse Noir" jemals kaufen würde. Was ich letzte Woche getan habe. Gerade noch rechtzeitig habe ich mich in diesen Duft verliebt, bevor er womöglich auch vom Markt verschwunden ist.
Was ich hier beschreibe, ist die Entwicklung meines persönlichen Duftgeschmacks, die ich nicht als Entwicklung vom Niederen zum Höheren betrachte. Was ich als Fortschritt empfinde: Ich weiß heute viel besser als vor 2 Jahren, was mir gefällt und was nicht.
Aber dass ich heute auch sehr alte Düfte klassischer Machart liebe, bringe ich eher in den Zusammenhang, dass Geschmack sich manchmal ändert.
Als ich 10 Jahre alt war, mochte ich z.B. keine Leber, als ich 18 war kein Bier und mit 25 mochte ich noch keinen Whisky. Habe ich inzwischen alles für mich entdeckt. Wenn ich einer Person in meinem Alter begegne, die keine Leber mag, kein Bier oder keinen Whisky, wäre mir der Gedanke vollkommen fremd, dass sie auf einer meiner früheren Entwicklungsstufen stehengeblieben ist. Sie hat einfach andere Vorlieben.
Genauso ist das mit dem Duftgeschmack. Wenn jemand lieber moderne Düfte mag als Klassiker, dann sucht er eben etwas anderes in seinen Parfums als die klassische Machart. Es gibt ja auch Parfumos, die generell nur frische Düfte mögen und nichts Schweres.
Ich finde da nicht das eine höherwertiger und andere weniger wert.
Trotzdem kann ich an einer Stelle meine Eingangsfrage nicht auflösen: Wenn es nämlich konkret wird. Ich trage seit heute morgen „Accord 119" als Eau de Parfum. Ein moderner Caron, der in der Kopfnote nach der Ahnung von verfremdeten schwarzen Johannisbeeren riecht. Die Herbe vom Cassis ähnelt in diesem Duft eher Teppichschaum (habe ich bei Meggi geklaut, trifft aber diesen Cassis-Ersatz gut). Die Kopfnote ist bald verflogen, übrig bleibt ein fruchtiger Eindruck mit viel Cashmeran („Molecule 05“ sei Dank, kann ich das ja nun zuordnen und halte diese Note nicht mehr länger für Kellerpatchouli).
Das Fazit dieses Dufts würde man in Berliner Mundart beschreiben mit „Da hat eena vasucht, aus Kacke Bonbons zu machen“.
Was würde es jetzt mit mir machen, wenn jemand diesen Duft in seiner Signatur hätte? Sicher würde ich ihn nicht zu seinem großartigen Duftgeschmack beglückwünschen.
Bin ich also doch nicht so tolerant, wie ich von mir denke.
Lustige Fußnote: Ich habe vor einigen Monaten „Accord 119" in der Parfumversion, die auch nicht viel anders riecht, noch mit 8 bewertet. Caron Bonus? Cassis Bonus? Ich weiß es nicht.