Jean-Claude Ellena: Der Duftpoet der Parfumerie
Ein Einblick in das Leben und Werk von Jean-Claude Ellena, dem „Schriftsteller der Düfte“, der als Meister der Reduktion und poetischen Tiefe die Parfumkunst geprägt hat.
Kunst ist Verführung, und die Art des Schreibens ist eine Form der Verführung. Es gibt ein Atmen und es gibt Übergänge, genau wie in Sätzen. Parfüm ist vor allem eine mentale Konstruktion.
Jean-Claude Ellena; Quelle: Scentertainer.net
Jean-Claude Ellena ist eine lebende Legende der Parfumerie - ein Meister der Kunst, Düfte in minimalistischer und poetischer Form zu kreieren. Mit seiner Philosophie des „Weniger ist mehr“ hat er über Jahrzehnte hinweg ikonische Düfte geschaffen, die Menschen auf der ganzen Welt begeistern und Parfumeure inspirieren. Dieser Artikel nimmt uns mit auf eine Reise durch sein Vermächtnis: von den duftgeprägten Momenten seiner Kindheit in Grasse, die den Grundstein für seine Passion legten, über seine prägenden Jahre bei Hermès, wo er als Hausparfumeur einige der heute bekanntesten Düfte der Marke erschuf, bis hin zu seiner Rolle als Poet und Schriftsteller.
Kindheit in Grasse: Der Duft der Provence als Muse
Jean-Claude Ellena wurde 1947 in Grasse geboren, der Stadt, die seit Jahrhunderten das Herz der Parfumerie ist. Die Düfte der Provence zogen ihn schon als Kind in ihren Bann: Lavendel, Jasmin und Orangenblüten waren für ihn alltägliche Gerüche, die ihn jedoch faszinierten und in ihm eine besondere Leidenschaft für Aromen weckten. Eine seiner ersten Duft-Erinnerungen führt zurück in die Zeit, als er mit vier Jahren den süßen, verheißungsvollen Duft einer versteckten Keksdose im Küchenschrank erschnupperte. Oder wie er vorsichtig einen Schmetterling in seinen kleinen Händen hielt und den zarten, flüchtigen Duft seiner Flügel wahrnahm.
Mein Vater sprach selten über seine Arbeit, und meine Mutter war nicht daran interessiert. Natürlich war sie an dem Geld interessiert, das er damit verdiente. Aber mein Vater schnüffelte an allem - an dem Buch, das er gerade las oder an dem Essen, das er aß. Meine Mutter fand das unschicklich. Vielleicht bin ich Parfümeur geworden, um herauszufinden, was meinen Vater so fasziniert hat.
Jean-Claude Ellena; Quelle: Spiegel.de/international
In der Schule tat sich Ellena jedoch schwer und hatte immer wieder mit schlechten Noten zu kämpfen. Disziplin war nicht seine Stärke, und so beschloss sein Vater, der selbst Parfumeur war, ihn von der Schule zu nehmen und ihn in die Welt der Parfumerie einzuführen. Noch bevor Ellena richtig wusste, wohin ihn sein Weg führen würde, begann er diesen Weg an der Seite seiner Großmutter, die mit ihm frühmorgens an den Hängen von Grasse Jasminblüten pflückte, um sie später an Parfumerien zu verkaufen.
Im Alter von 17 Jahren verschaffte ihm sein Vater eine Stelle als Hilfskraft bei Antoine Chiris, einem der ältesten Parfumhäuser der Welt. In den folgenden drei Jahren durchlief Jean-Claude verschiedene Abteilungen vom Forschungslabor bis zu den Destillationsräumen. Es war eine harte Schule, die ihm half, Aromen nicht nur wahrzunehmen, sondern auch zu verstehen.
Die Anfänge bei Givaudan – Der Traum wird Realität
1968 folgte ein wichtiger Schritt im Leben von Jean-Claude Ellena: Als die Parfumerieschule von Givaudan in Genf eröffnet wurde, wurde Ellena ihr erster Student. Hier begann seine berufliche Reise in die Welt der Düfte. Er lernte die Grundlagen der Parfumkomposition und fand in dieser Ausbildung seine Berufung. Schon bald wurde man bei Givaudan auf sein Talent aufmerksam - ein Gespür für Düfte, das ihn von anderen unterschied und ihm erste Erfolgserlebnisse bescherte.
Ein besonders prägender Moment in seiner Karriere war die Begegnung mit Edmond Roudnitska, einem der einflussreichsten französischen Parfumeure seiner Zeit. Bei ihrem ersten Treffen lud Roudnitska ihn in sein Haus in Südfrankreich ein.
Ich kam an, ein wenig schüchtern. Er öffnete die Tür und sah mich an. ‚Du stinkst‘, sagte er mir. ‚Du riechst wie Waschmittel. Komm morgen wieder, dann können wir vielleicht reden.’
Jean-Claude Ellena; Quelle: marieclaire.com
Roudnitska war unverblümt in seiner Ehrlichkeit, doch genau das schätzte Ellena an ihm. Schnell wurde er für Ellena zu einem Mentor, der ihm eine neue Perspektive auf die Parfumerie eröffnete – eine Sichtweise, die Düfte als eine Form der Kunst begreift. Beide teilten die Überzeugung, dass wahre Schönheit mit Großzügigkeit verbunden ist. Roudnitska vermittelte ihm eine Kompositionsmethode, die sich auf das Wesentliche konzentrierte. In einer Zeit, als Parfums oft aus Hunderten von Zutaten bestanden, lehrte er Ellena die Kraft der Reduktion und wie man mit weniger mehr erreichen kann.
Nach seiner Ausbildung ging Jean-Claude Ellena zurück nach Paris. Mit seinem Duft „First (Eau de Toilette)" für Van Cleef & Arpels feierte er im Alter von 28 Jahren seinen ersten großen Erfolg. Dieser Durchbruch eröffnete ihm weitere Türen in der Branche. So übernahm Ellena führende Positionen als Parfumeur in bekannten Häusern wie Givaudan, Roure-Givaudan und später Haarmann & Reimer.
In einem Interview mit Destination Deluxe erinnert er sich, dass er damals von hohen Erwartungen an sich selbst getrieben arbeitete, immer bestrebt, den Anforderungen des Marktes gerecht zu werden und in die Fußstapfen der großen Klassiker zu treten.
Ich weiß, wie man „Chanel No. 5“ mit ein paar Produkten herstellen kann. Ich weiß im Grunde alles. Ich habe die Technik. Ich habe mit all diesen Dingen gespielt. Und „First“ für Van Cleef & Arpels ist ein Ergebnis davon. Und wenn man „First“ riecht, ist es natürlich einzigartig, aber man kann auch „Fidji“ riechen, man kann „Chanel No. 19“ riechen und andere Parfums darin.
Jean-Claude Ellena; Quelle: destinationdeluxe.com
Er extrahierte aus den großen Düften der Parfumgeschichte das, was er als essenziell und besonders ansah, und verschmolz diese Essenzen zu einem einzigartigen Ausdruck seines künstlerischen Verständnisses. Doch mit der Zeit veränderte sich sein Ansatz: „Ich bin ich selbst“, sagt er. Was er kreiert, stammt aus ihm selbst, ohne Rücksicht auf den Markt. Seine oberste Priorität ist es, etwas zu erschaffen, das ihm selbst gefällt.
Im Jahr 1990 gründete er zusammen mit berühmten Parfumeuren wie Jean Kerléo und Guy Robert die Osmothèque – das weltweit erste und bis heute größte Archiv für Parfums. Hier bewahren sie historische Duftkompositionen und machen die reiche Tradition und Geschichte der Parfumerie für zukünftige Generationen erlebbar.
Die Blütezeit bei Hermès – Eine Duftlegende entsteht
2003 kam eine außergewöhnliche Gelegenheit auf ihn zu: Hermès bot ihm die Position des exklusiven Hausparfumeurs an – eine Rolle, die es ihm erlauben würde, die Duftidentität der Marke von Grund auf zu gestalten. Ellena sagte zu, stellte aber zwei Bedingungen: Er wollte in seiner Heimat Grasse leben und arbeiten und dabei kreativ frei sein, ohne sich um kommerzielle Zwänge kümmern zu müssen. Hermès stimmte zu und so begann eine neue Ära für das Parfumhaus, das von Ellenas Vision geprägt werden sollte.
Seine erste Kollektion für Hermès, die „Jardin“-Serie, startete 2003 mit dem fruchtig-frischen und grünen Duft „Un Jardin en Méditerranée“ - inspiriert von seiner Reise entlang des Nils. Die Kollektion wurde zu einer Duftreise, die die Menschen an verschiedene Orte der Welt entführte und die Parfumerie als Erzählkunst auf eine neue Ebene hob.
2006 folgte eine seiner bekanntesten Kreationen für Hermès: „Terre d’Hermè“. Das Eau de Toilette verbindet frische Zitrus- und Gewürznoten mit einer warmen, holzigen Basis. Es verkörpert die gelungene Balance zwischen Leichtigkeit und Tiefe und spiegelt Ellenas Fähigkeit wider, aus einfachen Kompositionen etwas von außergewöhnlicher Eleganz und Komplexität zu schaffen.
Obwohl Ellena sich 2015 offiziell aus seiner Rolle bei Hermès zurückzog, bedeutete dies keineswegs das Ende seiner Reise als Parfumeur. Als gefragter Freelancer setzt er seine Reise fort, arbeitet an innovativen Duftprojekten und berät renommierte Marken auf der ganzen Welt. Beweisen muss er dabei längst nichts mehr: Sein Name steht für über 50 Meisterwerke allein für Hermès sowie für zahlreiche weitere Duftkompositionen für Luxusmarken wie Bulgari, Frédéric Malle, L'Artisan Parfumeur, Van Cleef & Arpels, Balenciaga, Cartier, Yves Saint Laurent, Christian Lacroix, Giorgio Armani und viele mehr.
Einer seiner ersten großen Erfolge außerhalb von Hermès war das Parfum „Eau Parfumée au Thé Vert“, das er 1992 für Bvlgari entwarf. Inspiriert vom zarten, beruhigenden Aroma grünen Tees, kreierte Ellena eine Komposition, die damals revolutionär war. Der Duft betörte durch seine Frische und Leichtigkeit und leitete die Ära der „Teedüfte“ ein.
Eine Philosophie der Klarheit und Einfachheit
Für Jean-Claude Ellena ist Parfumerie mehr als die bloße Technik des Duftmischens – sie ist eine Kunstform, eine Sprache, die Emotionen und Erinnerungen zum Leben erweckt. Ellena verfolgt eine Philosophie der Reduktion und Verfeinerung, die auf dem Prinzip basiert, dass weniger oft mehr ist.
In einem Interview mit The Plum Girl vergleicht Ellena seine Herangehensweise mit der eines Kochs: „Parfumeur zu sein ist wie ein Koch zu sein. Man gibt alles, wenn man für Freunde kocht.“ Für ihn ist Reduktion kein Verzicht, sondern eine Bereicherung, die den Weg zur Essenz eines Duftes freimacht. Seine Düfte bestehen nur aus den nötigsten Bestandteilen, um Raum für Nuancen und überraschende Perspektiven zu schaffen. Diese Philosophie spiegelt sich in Ellenas Prinzip „1 + 1 = 3“ wieder: Zwei Duftnoten verschmelzen, um eine dritte, unerwartete Dimension zu entfalten.
Er sieht sich selbst als „Schriftsteller von Düften“ und beginnt jede Kreation mit handschriftlichen Notizen, die seine Ideen in Worte fassen. Für Ellena soll ein Duft weniger verstanden als vielmehr intuitiv gefühlt werden. Seine Kompositionen sind deshalb weit entfernt von „lauten“, eindimensionalen Parfums – sie sind leise Erzählungen, die in Schichten verweilen. Ein Parfum muss, so glaubt er, Geschichten erzählen, Erinnerungen wachrufen und inspirieren.
Auch wenn er eine reduzierte Duftpalette bevorzugt, bleibt Ellena offen für Innovationen – doch nur, wenn sie echte Inspiration bieten. Modernen „lauten“ Duftstoffen wie Ambermax, die in vielen aktuellen Parfums dominieren, steht er skeptisch gegenüber: Sie machen Parfums oft übermächtig und nehmen ihnen die subtile Verführungskraft, die für Ellena die wahre Essenz eines Parfums ausmacht.
Ein Parfüm ist nicht nur ein Produkt! Es muss mehr sein als das. Ein Parfüm muss verführerisch sein. Es muss jemandem eine Geschichte erzählen oder ihn dazu bringen, seine Geschichte besser zu hören und zu erzählen. Diese „PRODUKTE“ sind nicht verführerisch.
Sie schlagen einem auf den Kopf und schreien laut: ICH BIN HIER.-
Ich bin hier, ich bin hier, ich bin hier - das ist alles, was ich höre. Und ich frage mich: Na und?
Du bist hier, und? Wer bist du? Was versuchst du zu sagen? Ah!Jean Claude Ellena; Quelle: theplumgirl.com
Zwischen Duft und Poesie: Die literarischen Werke von Jean-Claude Ellena
Jean-Claude Ellena ist jedoch nicht nur Parfumeur, sondern auch Autor. In seinem Buch „Der geträumte Duft: Aus dem Leben eines Parfumeurs“, das 2012 erschien, erzählt Ellena von den kleinen, oft unscheinbaren Momenten, die seine Kreativität beflügeln: der zarte Duft von Tomatenblättern, eine sanfte Frühlingsbrise, das Salz in der Luft an einem Sommertag. Diese Eindrücke sind für ihn wie Miniaturgeschichten, die er in seine Düfte einfließen lässt. Das Buch ist weniger eine Anleitung als vielmehr eine Einladung, Parfumerie durch die Augen eines Künstlers zu erleben, der den kreativen Prozess als „Duftpoesie“ begreift.
Ein weiteres Werk, „Parfum: Ein Führer durch die Welt der Düfte“, ist eine unterhaltsame und lehrreiche Reise in die Geschichte und Techniken der Parfumerie. Hier erklärt Ellena nicht nur die Grundlagen, sondern teilt auch seine Überzeugung, dass Parfumerie eine „Alchemie“ ist, bei der Kunst und Wissenschaft auf besondere Weise zusammenkommen. Für ihn ist die Harmonie eines Duftes oft das Ergebnis von Gegensätzen, die er zu einer Balance bringt.
Ein lebendes Vermächtnis
Jean-Claude Ellena wurde für sein außergewöhnliches Schaffen in der Parfumwelt mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Für seine Duftkreationen erhielt er sechs FiFi Awards, den „Oscar“ der Parfumwelt. Für seinen kulturellen Beitrag zur Parfumkunst wurde er mit dem französischen Orden Chevalier des Arts et des Lettres ausgezeichnet, eine Auszeichnung, die nur wenigen Künstlern zuteil wird und die seinen Status als Künstler seines Fachs unterstreicht.
Auch seine Heimatstadt Grasse ehrte ihn mit der Ehrenmedaille für seine Verdienste. Im Jahr 2015 erhielt Ellena schließlich den deutschen Duftstars-Preis für sein Lebenswerk - ein Meilenstein, der seinen langjährigen, prägenden Einfluss auf die moderne Parfumerie anerkennt und seine Stellung als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Duftkunst würdigt.
Heute lebt der 77-Jährige zurückgezogen in der Nähe von Grasse. Der Stadt, in der alles begann. Noch immer ist er eine unverkennbare Stimme in der Welt der Parfumerie, die er als freischaffender Parfumeur weiterhin bereichert. Seit 2019 teilt er seine Kreativität und sein Wissen als olfaktorischer Direktor von Le Couvent und entwickelt eine moderne Haute Parfumerie, die von seiner Philosophie der Einfachheit inspiriert ist.
Sein Vermächtnis ist eine Erinnerung daran, dass der wahre Zauber oft in der Einfachheit liegt - in der Reduktion auf das Wesentliche, die einen Duft zeitlos und unvergesslich macht.
Quellen:
https://scentertainer.net/en/perfumer-jean-claude-ellena-the-alchemist-of-scent/; https://www.tuoksu.co/blogs/perfume/jean-claude-ellena-the-man-behind-the-fragrance-empire?srsltid=AfmBOopGRj6D0lp2FMz3sXGAb1_5Sv0we0w3bX260vrgXNZbCoLaBw2k; https://www.spiegel.de/international/business/perfumer-jean-claude-ellena-discusses-the-life-of-a-nose-a-855685.html; https://www.marieclaire.com/beauty/a9638/jean-claude-ellena-hermes-interview/; theplumgirl.com https://theplumgirl.com/interview-with-jean-claude-ellena-the-plum-girl/; https://nstperfume.com/perfumers-a-to-e/jean-claude-ellena/; https://destinationdeluxe.com/jean-claude-ellena-interview/; https://destinationdeluxe.com/contact-destination-deluxe/; https://www.manager-magazin.de/lifestyle/mode/briefings-sind-bullshit-a-1029942.html
Bilder: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Exterior_of_the_Osmoth%C3%A8que.jpg#/media/Datei:Exterior_of_the_Osmoth%C3%A8que.jpg; https://pixabay.com/de/photos/duftjasmin-jasmin-zierstrauch-5267072/
https://www.parfumo.de/Parfums/Hermes/Un_Jardin_sur_le_Nil, bahnbrechend in seiner Stilistik.
Mit so vielen Dingen spricht er mir aus der Seele.
Ein Virtouse auf der Klaviatur der Duftkompositionen. Chapeau.
Sehr gerne gelesen, danke!
Die Handschrift von Herrn Ellena sagt mir sehr zu und ich teile seine Ansicht zu Parfum. Lieber subtil und leiser als laut und dreist.
Auch ich mag die lauten, schrillen Düfte nicht, bevorzuge auch eher die leisen Töne. Mit der Jardin-Reihe von Hermes hat er mich voll erwischt 🥰.
Ein toller Artikel! Vielen Dank dafür!
vielen dank für diesen einblick und die gute recherche! ♥️