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vor 4 Jahren - 04.07.2020
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Von Tsaren, Monarchen, Royals, Kronen und Imperien. Ein paar Stilfragen zum Duft der Demokratie und der bürgerlichen Gesellschaft

Nein, ich will keinen König Ludwig wiederhaben. Nein, ich lese lieber andere Bücher und Zeitungen als die Yellow Press und ihre Klatschgeschichten vom Glanz und Elend der Royals. Ja, ich finde es gut, dass es (fast) keine Imperien, keine Kolonien und keine aristokratischen Vorrechte mehr gibt. Ich finde konstitutionelle Demokratien und Rechtsstaaten mit Gewaltenteilung die besten (aller imperfekten) Staatsformen.

Schaue ich aber in meinen Parfumschrank oder lese ich hier auf Parfumo mal wieder ein paar Kilometer Kommentare & Statements, so versetzt mich das tendenziell in eine andere Welt. In eine rigide geschichtete Welt, in die ich gar nicht möchte. Da blicken mich (oftmals durchaus wohlduftende und gut komponierte) Tsaren und Monarchen, Duchessen und Ducs, Könige und Kronen sowie ganz viel ‚Royales‘ und schrecklich viel ‚Imperiales‘ an. Ihr könnt die in die Tausende gehende Vielzahl solch verstaubten Namensgebungen leicht hier auf Parfumo selbst überprüfen. So wie der letzte deutsche Kaiser sich nach Holland verzog (nach dem von ihm maßgeblich mitausgelösten 1.Weltkrieg), so scheinen sich die Aristokraten der Welt in der Parfümwelt verschanzt zu haben.

Nun, abgesehen von den wohl auch in die Hunderte gehenden Parfums, die tatsächlich zur Vermarktung ‚echter‘ Adelsnamen auf den Markt geworfen werden, ist es wohl meist so, dass die Image-Berater und Marketing-Spezis der Duftfirmen glauben, dass sich so etwas besser verkauft als mit einem anständigen (will sagen: bürgerlichen) Sachnamen. Und dass hinreichend viele Käufer*inn*en darauf reinfallen und diese obsoleten, rückständigen Namen kaufen. Also: ich könnte auf diesen Adels-Klimbim in Parfümdingen sehr gut verzichten und auf das peinliche Imperial-Gedöns gleich noch viel besser!

Führen wir diesen Gedankengang über Images, Produktnamen und über die Verpackungen noch einen Schritt weiter, indem wir konstruktiv fragen: Was sind oder was wären denn zeitgemäße, politisch akzeptable Parfümkonzepte für eine demokratische, bürgerliche Welt? Gibt es Markennamen und Produktbenennungskonzepte, die statt per Produkttaufe nach einer höchst fragwürdigen Sozialschicht zu streben, einen selbstbewusst bürgerlichen Begriff von Qualität oder auch Luxus anbieten?

Es ist ja auch in anderen Bereichen des Luxus oder der Künste, wenn ich recht sehe, nicht üblich, raffinierte Produkte mit Adelstiteln zu vermarkten: Wir gehen in die Staatsoper (nicht mehr in die Königliche Hofoper), fahren ein Auto ohne Adelsklimbim, den Flügel schmückt eine Harfe, keine Krone, den Champagner kein Imperium, den feinen Anzug oder die Designerjeans keine Krone… Ihr merkt, es gibt ein verfeinertes Leben, es gibt Luxus durchaus auch ohne alberne Aristokraterei.

Neben Euren Rückmeldungen, was Ihr von dem Königs-, Kaiser- und Imperial-Getaufe haltet, wäre ich gespannt auf Rückmeldungen zu Tendenzen (oder Neueinsätzen!) einer bürgerlich-demokratischen Kultur der Verfeinerung. Im Hinblick auf Parfüms fallen mir verschiedene Aspekte ein, die mir als tendenziell republikanische erscheinen, jedenfalls als Alternativen zur doch eigentlich lächerlichen Adelsprätention.

Düfte können den Duftschöpfer (den Namen des Hauptkreateurs) ins Zentrum stellen: Jo Malone tat das (auch wenn das gleichnamige Haus längst zu Estée Lauder gehört), Francis Kurkdjian oder Annette Neuffer und andere tun dies. Die Düfte selbst kann man (was ja eh sachdienlich ist) nach Hauptingredienzien benennen, oder nach Farben, Jahreszeiten, Landschaften, Musikstücken. Oder…?

Und die Verpackungen und Flakons können - wie dies etwa Artisan Parfumeurs praktizieren oder auch die apothekerartigen Fläschchen von Guerlains Herren-Klassik sowie der Gentlemenreihe von Aramis - eher funktional als show-artig, ostentativ-angeberisch gestaltet werden. Da werden jetzt die Fotograf*inn*en hier vielleicht aufschreien - klar Serienflakons wie von Artisan Parfumeurs sind nicht die kurvigsten und buntesten Pfauen-Models für tolle Fotos. Aber dies sind, nicht zuletzt durch ihr dunkles Glas und ihre ‚vernünftige‘ Form (die das Sammeln auf überschaubare Regalmetern erleichtert), eigentlich doch ziemlich gute Ideen, so etwas Schönes und Fragiles wie Parfums gut gebottled unter das Volk zu bringen. Aber klar: ich hab auch Augen und kann die Originalität eines toll gestalteten Flakons genießen.

Auch und gerade die Duftnamen und schlichten, funktional-schönen Flakons der Individualparfümerie Harry Lehmann kann man als Beitrag zu einer im besten Sinne bürgerlich-demokratischen Duftkultur begreifen. Hier steht wohl sogar der populäre-demokratische Gedanke der Zugänglichkeit für ärmere Schichten am Anfang der Geschichte des Hauses in den 1920er Jahren: Parfüms nach Gewicht auch in kleinen, günstigen Mengen an ALLE Einwohner der großen Stadt zu verkaufen. Bürgerlich im besten Sinne ist dabei natürlich (wie bei einigen wenigen kleineren Manufakturen) auch der Besitz der Firma durch eine Familie. Andere Duftreihen wie die von 4711 oder die Tabac-Düfte haben historisch aber auch in Fragen der Verpackung gewiss auch einen Beitrag zu einer Demokratisierung und Verbreitung von Parfums in alle Bevölkerungsschichten geleistet.

Die meisten Düfte werden ja von milliardenschwere Konzernen (LVMH, Kering, Chanel etc.) produziert, die zwar teilweise auch bürgerlich im Sinne eines breiter gestreuten Aktionärskreises (LVMH) sein mögen, die aber oft doch durch megareiche Individuen mehrheitlich besessen und kontrolliert werden. Von Milliardären (Pinault, Arnault, Lauder, Wertheimer, die L’Oreal-Eigner; Puig), deren geballter Reichtum - wie man in den USA schon stärker als in Europa bemerkt - zu einer Art Oligarchentum und einer Gefährdung der Demokratie führen könnte.

Selbstverständlich geht es mir nicht darum, irgendwelche Namen zu verbieten oder fixe Verpackungsformen vorzuschreiben. Natürlich gibt es wichtigere Dinge in der Welt und sogar in der Parfumwelt, als Relikte oder eigentlich ridiküle Prätentionen auf besseres Blut oder vorrechtlich feinere Kreise.

Natürlich sind für Parfums und Parfumo/a/s die Qualität und Originalität der Duftkomposition und die dadurch ermöglichten ästhetischen Erlebnisse das Wichtigste, das eigentliche A & O. Und doch: Vieles dreht sich bei im strengen Sinne nicht-notwendigen, eben luxuriösen Produkten, wie es Parfums sind, doch um Fragen des Images, der Namen, des Stils.

Und da scheint mir halt, dass es besseren Stil, zeitgemäßeren und sympathischeren Stil gibt, als ‚Royal‘, Tsar (toller Duft!!) oder ‚Imperial‘ wieder und immer noch auf die armen Düfte zu drucken.

Was meint ihr? Gibt es überzeugende und sympathische Formen einer demokratischen, republikanischen und nicht adelsseligen Parfümkultur? Was gefällt oder missfällt Euch beim Blick auf Parfümnamen und Image-Kampagnen?

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