MonsieurTest

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MonsieurTest vor 1 Jahr 51 40
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Duft
Was Manuel Neuer nicht tragen darf: Grundgut grünes Neochypre mit lila Blüten
Feinzitriertes Veilchenblatt eröffnet helle Räume für ein Flieder-Magnolienbouquet. Eine gut aufgestellte, cremigweiche Viererkette aus Hölzern, Vetiver, Eichenmoos und Ambrettesamen sorgt für ein stabiles Fundament. Das sauber strahlende Ganze macht einen edlen, leicht kühlen (näherhin: erhabenen, sanft distanzierten) Eindruck – wie es sich für einen großen Scherrer Duft gehört. Denn kühlere grüne Schönheit als das (in unseren Kreisen) berühmte erste Scherrer Parfum lässt sich kaum denken.
Safran gibt dem ganzen einen minimalwürzigen Kick. One Love ist mithin ein würdiger Nachfahr, gleichsam Next Generation zu Scherrer und Scherrer 2, den strahlenden Helden der 80er Jahre. Das Allerschönste ist, dass diese qualitativ hochwertigen Düfte allesamt im Netz für bescheidene Beträge verkauft werden. Viel Parfumkunst für wenig Kohle. DAS ist doch wahrhaftig eine verlockende Nische im großen Parfumbusiness.

Bei Parfumo ist es bekanntlich alter Brauch, über die IFRA zu schimpfen, weil sie es mit immer neuen Allergie- und Gesundheitsvorschriften schwer macht, die guten alten Düfte, die klassischen Fougères und Chypres etwa, fein und wiedererkennbar für die Gegenwart am Leben zu halten.

Heute wollen wir mal nicht über die IFRA schimpfen. Heute wollen wir über die FIFA fluchen. Im Namen der Liebe, im Namen von One Love wollen wir dies tun. Im Namen dieses gelungenen Neo-Chypres – auch wenn das grüne Fundament hier eher von gut verbautem Vetiver als von einem lauten Eichenmoos Bass gebildet wird.

‚1 Love‘ - gedruckt auf einer leicht abgewandelten Regenbogen-Fahne - sollte auf der Kapitänsbinde der westeuropäischen Fussball-Nationalmannschaften stehen beim gerade laufenden FIFA World Cup in Katarrh. ‚1 Love‘ als Protest gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Schwulen, Lesben und Transsexuellen. ‚One Love‘ als Mahnung gegen die massive Ungleichbehandlung und Ausbeutung von Arbeitsmigranten. ‚1 Love‘ auf dem Regenbogen hätte mehr als berechtigte, überfällige Forderungen und Respekt zum Ausdruck gebracht.
Doch die FIFA hat das Tragen dieser Symbole auf dem Spielfeld verboten. So viel Gleichberechtigung möchte Herr Infantino seinen autoritären Gastgebern und seinen reaktionären Wahlmännern bei der FIFA Vollversammlung offenbar nicht zumuten. Zum Schreien, zum Lachen, zum Wegzappen oder gar nicht erst Einschalten ist das.

Was Manuel Neuer nicht um den Arm tragen darf, tragen wir auf demselben. Und tragen dazu noch ein wenig vor zu Thomas Fontaines Werk, von dem wir nicht wissen, warum gerade DIESES Parfum DIESEN schönen Namen bekam. Aber Parfum-Namen sind eh ein Buch mit 77 schwer zu öffnenden Siegeln (vgl. dazu Vorstudien in meinem Kommentar zu Trussardis ‚Scent of Gold‘ ;-).

Mit seinem insgesamt doch recht seifig sauberen Duftcharakter dreht es sich bei diesem Parfum jedenfalls nicht um die animalische, schwitzend sich wälzende körperliche Liebe. Es geht hier eher um neoplatonische Liebe. Um den nach Vollkommenheit strebenden Eros; wenn Sex, dann allenfalls Blümchen-Sex. Um die wohlproportionierte Schönheit von harmonisch montierten Zitrusfrüchten, Blumen, Hölzern und Würzgras.

Wenn ich schon nicht dahinterkomme, was sich Lizenzgeber Scherrer (ein Ex-Tänzer und Modemacher, der als Assistent neben Yves Saint Laurent bei Dior anfing und dann in den 60ies sein eigenes Modehaus aufbaute) oder seine Parfummacher- und Vertriebsgehilfen bei der Namensgebung gedacht haben, dann nutzen wir diesen suggestiven Namen doch einfach für eine kleine Liebeserklärung an den Parfumeur: an Thomas Fontaine, der für One Love verantwortlich zeichnet.
Denn es sind ja in Wirklichkeit diese ‚Nasen‘ (meist als gut ausgebildete Angestellte bei einem der großen Duftstoffhersteller), die Parfüme erfinden. Die namensgebenden Designer im Verbund mit den Marketing Teams der Kosmetik-Vertriebsfirmen wählen dann bloß noch aus den vorgelegten Kompositionen der Duftlabor-Orgler, denen sie vorher im Pitch nur die grobe Richtung anwiesen, aus.

Verliebt habe ich mich in Thomas Fontaines Duftmischer-Genie, seine geschmackvolle Nase, durch die von ihm verantwortete ‚Collection Heritage‘ von Jean Patou. Dort hat er, in die groooßen Schuhe seiner Vorgänger Henri Alméras und Jean Kerléos steigend, eine Reihe von Patou Düften aus den 20er bis 70er Jahren sehr schön rekonstruiert. Wir wollen hier nicht verschweigen, dass er für die Patou Düfte vermutlich über ein etwas größeres Budget im Hinblick auf verwendbare Rohstoffe verfügte. Jedenfalls duften in meiner Nase seine Kompositionen für Patou noch wertvoller oder 'tiefer' als diese Arbeit für Scherrer, die etwas synthetischer, greller, günstiger und heutiger wirkt als seine (leider ja schon wieder verstorbenen) Patou-Revivals. Die wiesen jene milchige Verschliffenheit, jene eingebaute Patina auf, welche auch die alten Guerlains so auserwählt edel wirken lassen.

Diese meist meisterlich gelungenen Rekonstruktionen klassischer Patou Düfte dürften Fontaine wohl den Auftrag eingebracht haben, für Le Galion - also jenes von Paul Vacher geprägte französische Parfumhaus, das kaum weniger glanzvolle Kreationen in seiner Backlist stehen hat - erneut ein Dutzend alter Düfte wiederzubeleben. Die Neufassungen des Hauses Le Galion kenne ich leider noch nicht, bin aber sehr gespannt auf diese neueren Taten Fontaines.

One Love hieße, so gewendet: Es sollte doch irgendwie möglich sein, auch unter (verständlich strengen) IFRA Allergievorschriften, die Eichenmoos und viele andere klassischen Zutaten verbieten, Parfums im Stil der großen, samtig weichen, tiefen doch rund geschliffenen Düfte der klassischen Moderne wiederzubeleben und in der Welt zu halten. One Love mithin als Respekt gegenüber den großen Kunstwerken der kreativen Vorfahren: eines Henri Almeras, Jean Kerléos oder Paul Vachers – oder auch eines Bernard Chant, einer Germaine Cellier und der Roudnitzkas – deren Erbe freilich woanders mehr oder weniger glücklich gepflegt wird.

Scherrers wunderbare ersten beiden Düfte sind bei Parfumo völlig zu Recht sehr hoch angesehen – wiewohl sie in den einschlägigen Offline Parfumbibeln, Luca Turins ‚Perfumes. The A-Z Guide‘, und Elisabeth Feydeaus monumentaler Enzyklopädie ‚Les Parfums. Histoire – Anthologie - Dictionnaire‘ seltsamerweise gar nicht vorkommen.
Am Beispiel Scherrers (oder auch an der Würdigung Toscas als Parfum) findet man Belege, dass es eine Überlegenheit der Schwarm-Intelligenz durchaus auch im Bereich des Ästhetischen oder Kunsthandwerklichen geben kann. Parfumo machts möglich.

Bei den beiden ersten, herausragenden Scherrer Düften von 1979 und 1986 wissen wir nicht, welcher Parfumeur für sie verantwortich zeichnete. Womöglich waren es Teams bei einem der großen Duftliferanten (IFF, Givaudan, Symrise…).
One Love ist nicht nur ein seifig cremig intoniertes Neochypre, das mit einigen neu eingewechselten Blumen (anstelle der alten Recken Rose, Nelke, Jasmin) bunt leuchtet. Es ist auch ein Autorenparfum aus der Feder des tüchtigen Thomas Fontaine, der hier die herrlich kristalline Eleganz der Parfum-Handschrift des Hauses Scherrers aufnahm und in die Gegenwart fortschrieb.

Dass diesen gut haltbaren, angenehm (moderat) projizierenden Duft nicht nur Frauen tragen können sondern Junge und Alte jeglicher geschlechtlichen oder stilistischen Konfession, muss hier wohl nicht ausführlich erklärt werden.

One Love geht und gilt für mich, für Dich, für alle. Und es hilft sogar bei mittelschweren katarrhischen Verstimmungen... :-).
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MonsieurTest vor 2 Jahren 50 40
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9.5
Duft
TERZINEN über VEILCH VANI NELKIGKEIT. Die unvergängliche, mel ANIS cholischste Schönheit seit es Guerlinade gibt
Meilenstein, Meisterwerk, Monument: Jacques Guerlains 'Blaue Stunde' bezaubert noch heute.
Wie fass ich Dich, Du dunkelpudrig feinst abgestimmtes Duftjuwel?
Direkt geht das wohl nicht; einen Umweg braucht es.
Mit Goethes Tasso soufflieren wir:
Und wenn der Teste bei so nem Duft verstummt,
Gab mir ein Hofmannsthal zu sagen, was ich fühle.
Will sagen: Mit diesem wunderschönen, dunklen, sentimentalen, sinnlichen, tiefen, blumig pudrig schattierten doch keineswegs pfauenhaften Duft verbinde ich ein paar Erinnerungen. Den oft beschriebenen Jahrhundertduft von Jacques Guerlain hier analytisch aufzudröseln und seine mild melancholischen, dabei absolut kunstvoll gefassten Duftstimmungen mit unauffindbaren eigenen Zeilen zu kommentieren, das verschlägt mir die Worte. WIE soll man solch runde, tiefe, matte Duftschönheit in Prosa nachbuchstabieren? Wie schreibt man solche traumhaft dunkle Vanille, die in der Nase klingt wie Vanalle oder Vanulle? Wie?
Was ich schon lange mit mir rumtrage, soll nun with a little help from Hugo von Hofmannsthal, am Gängelband seiner 'Terzinen über Vergänglichkeit', mitgesummt, nachgehaucht und aufgeschrieben werden.
Die Stimmung, die Hofmannsthal gut 15 Jahre vor Guerlains Duftkomposition evozierte, trifft den Duft wohl ganz gut. Es bedurfte nur ein paar kleiner Umdichtungen / Reformulierungen für diese Annäherung an die Blaue Stunde, die bei Guerlain aus dem Jugendstil-Flakon und bei Hofmannsthal aus seinen Fin de Siècle Zeilen stimmungsvoll, sentimental, anrührend aufsteigt. Also, los mit den Terzinen über Blaustundigkeit, Terzinen über Anis-Nelkigkeit, Terzinen über Vanill-Iriskeit

I
Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann es sein, dass diese hellen Stunden
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?

Dies ist ein Duft, den keiner voll aussinnt
Und viel zu wundervoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.

Und daß Paris, Anis, durch nichts gehemmt
Vorüberglitt mit sanfter Bergamotte
Und Neroli, fast stumm, heimlich, dezent.
Dann: daß DAS auch vor hundert Jahren war,
Ich mein zu ahnen, wie dies Stimmungsbild
Mit mir verwandt ist wie mein eignes Haar,

So eins mit mir als wie ihr eignes Haar.



II
Die Stunden! wo wir auf das helle Blauen
Des Duftes achten und den Tod verstehen
So leicht und feierlich, ganz ohne Pfauen
Wie kleine Veilchen, die sehr blaß aussehn,
Mit hübschen Blüten und die nimmer frieren
An einem Abend stumm vor sich hinstehn
Und duften, daß die NELKEN jetzt aus ihren
Schlaftrunknen Kelchen nun doch überfließen
In Bäum' und Gras, und sich matt lächelnd zieren

Wie eine Selige, die ihrn Duft versprüht.



III
Das ist aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie Jacques Guerlain einst am Kriegsvorabend,

Auf Guerlainade den blaßgoldnen Lauf
Von Iris, Tonka und Vanille-Benzoe.
… Nicht anders lagern solche Träume auf

Sind da und leben wie ein Duft, der sacht,
Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.

Das Unterste steht offen ihrem Weben,
Wie Geisterlüfte in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind Eins: ein Kopf, ein Herz, ein Fond.



IV
Zuweilen kommen niegeliebte Noten
Im Traum als dunkle Düfte uns entgegen
Und sind unsäglich rührend einzuotmen
Als wären sie mit uns auf fernen Wegen
Einmal an einem Abend lang gegangen,
Indes die Wipfel atmend sich bewegen

Und Duft herunterfällt und Nacht und Bangen,
Und längs des Weges, unsres Wegs, des dunkeln,
Im Abendschein die stummen Weiher prangen

Und, Spiegel unsrer Sehnsucht, traumhaft funkeln,
Und allen leisen Düften, allem Schweben
Der Abendluft und erstem Sternefunkeln

Die Seelen schwesterlich und tief erbeben
Und traurig sind und voll Triumphgepränge
Vor tiefer Ahnung, die das große Leben

Begreift und seine Herrlichkeit und Strenge.
40 Antworten
MonsieurTest vor 2 Jahren 40 34
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Duft
Aus der Zeit gefallener herbblumiger Gentlemen-Scent
Gedämpft abstrahlende Jasmin-Rosen welken herrlich herbstlich auf einem Lager von Farnen, Moos und einem buttrig weichen, sanft verführerischen Moschus. So in etwa wirkt dieses altmoderne, keinesfalls altmodische, vielmehr klassische, dandyhaft männliche Floris Juwel – auf mich. Herrlich und tatsächlich ein wenig nach englischem Herrenhaus duftend.

Man möchte, mit diesem leider ausgestorbenen Duft auf dem Arm, in ein englisches Landhaus ziehen, durch Rosenrabatten wandeln, über Deckchairs baumelnde Jasminspaliere inhalieren. Beinahe möchte man auf Rosamunde Pilchers Spuren gen Cornwall oder in andere südenglische Landstriche pilgern. Beinahe nur – bin ich doch im Grunde frankophil und kitschavers… also muss ich mich zur Ordnung rufen!

Ormonde ist ein fraglos elegantes, aus der Zeit gefallenes Parfum, das seltsamerweise erst 1990 vom englischen Traditionshaus Floris auf den Markt gebracht wurde. Es hätte auch 1890 oder 1960 sein können, meint meine Nase und schwelgt erinnerungstrunken am Handrücken.
Bedauerlich ist freilich und sentimentalitätssteigernd, dass dieser wundervolle Retro-Elegantling trotz seines – für Floris-Verhältnisse und die lange Geschichte des Hauses – späten Erscheinens schon wieder eingestellt wurde. Schade! Warum bloß?

Von der Kopfnote und seinem eher unzitrisch, gedämpftem Auftrittsakord her erinnert mich dieses Parfum an das (weibliche) Chamade von Guerlain aus den späten 1960ern. Wo Chamade seine weichen, wie durch Milchglas jublierenden Rosen und Jasmin-Blumen auf einer minimal süßen- vanilligen grünherben Basis singen ließen, bettet Floris‘ Ormonde seine ganz ähnlich intonierten Blumen auf einem noch etwas dunkler grünbraunen Eichenmoos Fundament, dem eine dezente, gentlemen-like Minimalanimalik, moschussierend unterlegt ist.

Kaum je hab ich so einen fluffig dunklen, völlig unsüßen und nicht-lieblichen Moschusduft gerochen; kaum je so herrlich herb gleichwohl sanft gebettete Blumen genast.
Weil die Sache so fein und das Wort so schön ist, noch einmal: eeeeelegannte, englisch zivilisierte, blumige Minimalanimalik!

(Mit herzlichem Dank an Mörderbiene fürs Abfüllen aus seiner feinen Klassikkollektion).
34 Antworten
MonsieurTest vor 2 Jahren 39 25
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6.5
Duft
Polges populärer Pudding: Kardamorangenblüten mit Zedern-Tabak weichgekocht bis zum Amber-GAU
Einen mild süssen, zu mild gewürzten, viel zu kantenlosen Orangenblütenduft auf Softfundament hat Olivier Polge da 2008 als EdT und 2015 als etwas haltbareres EdP in die Welt entlassen. Seither verklebt es Nasenhaare. Denn von den in der Pyramide aufgeführten Würznoten, von Ingwer und Kardamom, von Basilikum und Koriander ist nur ein kraftloses Nebelchen zu vernehmen. Von einem kernig grünen oder gar rauchigen Tabak ebenso wenig. Unfreches Grapefrüchtchen im Kopf erfrischt so wenig wie Zeder in der Basis stützt.
Alles wirkt, wie 20 Minuten gekochte Spaghetti: nix al dente; große Matsche.

An der A7 im Westharz gibt es einen Autobahnparkplatz namens ‚Ambergau‘. Als ich umlängst mit The One hinter den Ohren dort vorbeifuhr, musste ich lachen und dachte: Ja, wenn es zuuu wohlig und weich, zuuu kantenlos süß-gefällig wird, dann ist das wohl ein Amber-GAU.

Und dabei ist dieser Größte Anzunehmende Unfall der Herrenparfümerie (ok: natürlich gibt es schlimmer, immer…) durchaus erfolgreich. Unter den meist besessenen Herrendüften bei Parfumo liegt Das EdP mit gut 3700 Besitzern auf Platz 8. Nimmt man noch die etwa 1400 EdT Eigner dazu dann schließt Polges populärer Pudding sogar zu Aventus auf und liegt also mit ganz vorne.
Uff!
Dieser Fluff?

Amberdüfte mag ich ja schon gelegentlich, besonders winters gerne. So etwa Azzaros Amber Fever oder auch Ellenas Ambre Extême für L‘Artisan Parfumeur. Doch bei Olivier Polges Erfolgsduft The One für Dolce & Gabbana wird es mir dann doch zu weich, zu rückgratlos. Ich versinke, leicht genervt in dem Duft wie in einem viel zu soften Sofa. Plüschpolster-Overkill durch dieses Nasenbreichen. Eine sanft, sanftst würzige Puddingsoße.

Möglicherweise steht so ein Duft ja so richtig harten Männern, Holzfällern oder Stahlwerkern mit breiten Kreuzen, dichten Bärten und meterdicken Schwielen, deren harter Körperschale der Duft eine weiche Aura umhängt? Für eher kantenlose Stadtmenschen, für jüngere Männer, für Hipster oder Metrosexuelle scheint mir dieses Parfum doch zuviel des Fluffigen.

Jacques Polge, der Vater des Schöpffffers dieser traurigen, troppo dolce Dolce&Gabbana Kreation, hat übrigens viele sehr erfolgreiche Parfums gemixt, die nicht so ungeniessbar übergefällig ausfielen: etwa Chanels Coco Mademoiselle (Platz 3 der hier meist besessenen Damendüfte); oder Allure Sport Extreme (Platz 15 bei den Herrendüften).
Warum hat er seinem Sohn nicht verboten, so ein obersuhliges Parfumdings zu kochen?

Vermutlich, weil Olivier mit seiner Weichkochmasche durchaus Erfolg hat. Sein - in meiner Nase auch eher schlimmes, Lancomes und seines Individualnamens nicht würdiges - La vie est belle hält hier Platz 7; Balenciagas Florbotanica Platz 11 bei den Damen, und Spicebomb Extreme bei den Herren Platz 12 - als Flanker zu Olivier Polges Spicebomb von Victor&Rolf.

Olivier Polge zählt hier (Hélas!) zu den Top 5 der Erfolgsparfümeure, wenn man ihre Verkaufszahlen bei den Parfumo SammlerInnen zugrunde legt. Nur Olivier Cresp, Alberto Morillas, Francis Kurkdjian und Francois Demachy erzielen noch mehr Platzierungen in den Top 15.

Der 1971 geborene Olivier Polge wollte eigentlich Pianist werden. Er hielt sich dann jedoch für nicht gut genug für dieses hoch kompetitive Instrument. Also trat er nach einem Praktikum in die Fussstapfen seines Vaters, Jacques Polge, der 37 Jahre Head-Parfumeur bei Chanel war - und dabei neue Klassiker wie Coco, Antaeus und Egoiste schuf.
Musikalisch gesprochen klingt The One wie ein weichgespülter Chopin, womöglich gar noch mit Synthi-Strings auf dem E-Piano eingespielt. Ohne nennenswerte Übertreibung könnte man The One als den Richard Clayderman der Herrendüfte bezeichnen (Polges zweites Massenerfolgsparfum Spicebomb wäre dann gleichsam Rondo Veneziano, das statt Vivaldi hier Gewürze durch Kandierung schändet…).

Was soll das? Man muss ja keine harten 80er Herrendüfte mit Ultrakante propagieren, man kann ja weiche unisex oder metrosexuelle Herrendüfte wie Dior Homme oder die neueren mit Mandel angesüssten Guerlain Düfte der Homme Ideal Reihe gut und zeitgemäß finden. Doch diese knochenlose Ultrakuscheligkeit von Dolces The One, bei der man sich von einer Gelatine-Zeder gewiss nicht mehr gestützt oder basisgelagert fühlt, sondern eher wie getunkt in eine total erschlaffte Süsssuppe? DAS ist dann doch etwas zu viel des Süssen, Soften und Schlaffen.

Spray Dir The One hinter die Ohren, und Du fühlst Dich wie weicher Griesbrei mit zuviel Orangensirup.
Ein Duft für Mollusken und andere Weichtiere.
Nicht meins.
25 Antworten
MonsieurTest vor 2 Jahren 42 38
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8.5
Duft
Don't know much about History... Sentimentale Reise zum fruchtigen Samtklassiker samt Honignelke
Ein samtener Parfumumhang. Ein dunkler, herber Kokon mit Duft und Textur eines blütenpollensatten Honigs nebst Aprikosenpfirsich Touch. Mit Nelkenhauch auf balsamisch ambriertem Eichenmoos.
Schön, seidig schimmernd, warm, wie nicht aus dieser Zeit oder dieser Welt, so steigt einem dieser dichte, mittelwuchtige Patou-Duft der bald 100 Jahre alt wird, in die Nase.

Dies ist kein Kracher wie Guerlains Shalimar aus dem selben Jahr. Patou ist gemäßigter, gedämpfter. Man möchte, bei allem Respekt für Guerlain, sagen: das wirkt eleganter, gesetzter, etablierter als der ikonische Orientale aus dem hundert Jahre älteren Duftklassiker-Haus. Würzige, dezent orientalische Einschläge liefern hier zart harzige Weihrauchnoten. Doch statt der rauchigen Guerlain‘schen Wuchtvanille führt bei Patou ein tiefdunkler, mildwürziger Honig den Taktstock des Begehrens.

Dieser feine Duft zählte - drei Jahre nach Coco Chanels Einstieg ins Duftgeschäft mit ihrem großen Wurf No. 5 - zu den ersten drei Düften des damals ebenso erfolgreichen und berühmten Modemachers Jean Patou. Der sportlich moderne Damenmoden entwarf. Es sind dies also gewissermaßen mit die ersten Designer-Düfte, denen wir hier begegnen.

Als Sprachliebhaber hab ich mich wohl, bevor mich diese dichten und für heutige Nasen nicht unkomplizierten Duftauren fesselten, zuallererst in die philosophisch resonanzreichen, tiefgründigen Duftnamen der frühen Patous verliebt. Statt orientalischem, floralem oder sonstigem Wortgebimmel tauften Henri Alméras und Jean Patou ihre ersten Düfte : Que sais-je; Amour Amour und Adieu Sagesse.

Es zirkulieren zwei Narrative, was diese Namen anzeigen sollten. Die eine Dekodierung meldet, es handele sich bei dem Auftakttrio der New Parfumkids on the Block um einen Duft für Blonde, einen für Braunhaarige (eben dieser Que sais-je?), einen für Rothaarige.
Viel besser gefällt mir hingegen die andere Mythe, mit den drei Düften des Lebemans Patou würden die Stadien des Verliebens aufgerufen: Die kribbelnde verstörende Unsicherheit der aufwallenden Gefühle in Que sais-je; die folgende Kristallisation (so Stendhal in De l’amour) des deutlichen Verliebens in Amour Amour; und die rückhalts- oder kopflose Hingabe in Adieu Sagesse.

Die Zutaten-Pyramide diese auf angereicherten Chypre Basen ruhenden Fruityflorals der frühen Jahre (kein Vergleich zu heutigen Kunst- und Blassblumen oder Süssfrüchtchen; Patou machte für mich, damals und bis zum Schluss, die schönsten Blütendüfte!) ist gewiss viel umfassender als die hier bei Parfumo angezeigte.
Alméras und Kerléo sind nicht Ellena; statt Minimalismus wurde mit reichlich feinen Zutaten gemixt!

Basenotes listet für die Kopfnote Aldehyde, Pfirsich, Bergamotten und Petitgrain. In der würzigen Herznote werden Haselnuss, Honig, Mandeln, Gardenia, Nelken, Jasmin, Orangenblüten und bulgarische Rosen aufgeführt. In der weichen und reichen Basis Patchouli, Eichenmoos, Amber, Styrax, Opoponax und Vetiver.

Dieserart aufgefächert klingt der dichtgewebte, tiefflorige Que-sais-je-Teppich pyramidal schon viel pausibler. Auch wenn man von den Blumen kaum alle, am ehesten aber Nelke herausriecht und von den Gewürzen eine sämig gesättigte, nicht-zuckrige Honignote mit Weihrauchtouch. Hier herrscht weitgehend das 'Je ne sais quoi', jenes Unbestimmbare, das 'gewisse Etwas', welches schon in klassischen Ästhetiken als kaum analysierbares Faszinosum des Schönen ausgerufen wurde.

Nach meinen bisherigen Testläufen zählt Que sais-je noch nicht zu meinen Patou Favoriten – dafür ist mir dieser Umhang dann doch etwas zu schwer, zu oldfashioned, zu retro. Obwohl gerade das ja auch der Reiz fast aller Patou Kreationen ist: die perfekte, klassisch moderne Komposition dichter Düfte… Freilich zählen eigentlich fast alle Patous mittlerweile zu meinen Favoriten – aber manch andere wirken etwas frischer oder spritziger, seidiger statt dichtsamtig wie Que sais-je?

Nachdem der sportliche Modepionier Jean Patou 1936 früh verstorben war, wurden die Düfte unter dem 1925 etablierten Haus seines Namens weiter von Henri Alméras kreiert. Während für das von Patous Schwester und Schwager weitergeführte Modehaus junge Kreateure wie Karl Lagerfeld, Jean-Paul Gaultier und Christian Lacroix Entwürfe beisteuerten, bis sie anderswo und unter eigenem Namen sehr viel berühmter wurden.

Es war ein großer Glücksfall für die Marke Patou, dass als Alméras Nachfolger Jean Kerléo berufen wurde, der als wohl bedeutendster Klassizist der Parfumerie des 20. Jahrhunderts gelten kann.
Als Restaurator und Rekonstrukteur des klassischen Erbes von Patou bracht Kerléo 1985 eine Kassette mit Neuauflagen von 12 wichtigen Patou-Düften der Jahre 1925-1964 heraus. Gelegentlich finden sich diese Schatzkisten noch in der Bucht (selten billig aber für Aficionados doch preiswert...).
In Fortsetzung dieser bewahrenden Tätigkeit wurde Kerléo zum Gründungsdirektor der Osmothèque in Versailles, die Duftformeln auch anderer großer Parfumkreateure archiviert und die (oftmals eingestellten) Parfums seither nicht-kommerziell für Ausbildungszwecke und für Geschichtsfreunde rekonstruiert.

Eigentlich finde ich die jüngsten – leider nun ja auch durch LVMH in den Orkus eingesteller Düfte geschickten – Reformulierungen alter Patou Düfte durch Thomas Fontaine in deren 2014 aufgelegten Heritage Collection meist ziemlich gut. Sie vermitteln ein Gefühl der historischen Dichte und Feinwebkunst sowie der oft balsamisch tiefen Basen der klassischen Patou Düfte.

Doch im Falle von Que sais-je gefällt mir der fruchtige Auftakt im gut 30 Jahre alten Mini meiner Patou Collection der Parfums d’Epoque von 1985 doch noch besser als die irgendwie weniger strukturiert erscheinende Version von 2014. Bei Kerléo strahlten die zart bitteren Aprikosen-Pfirsiche sowie die Nelke in der Herznote präziser aus dem tiefdunklen, unsüssen Honigbasis-Brodeln heraus. Vielleicht hat er auch mehr strahlkräftige Aldehyde verbaut.

Jedenfalls bietet dieser leider nur noch sehr schwer erhältliche, dunkel samtige Frucht-Honig-Chypre von Patou eine wunderbare Zeitreise in die Belle-Epoque der klassisch modernen Parfumerie.
Eine Versuchung.
Je ne sais quoi.
Eine Sentimental Journey.
Was weiß ich...?
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