MossGreen
MossGreens Blog
vor 2 Jahren - 11.02.2022
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Düfte - Retter der Contenance

"Bleibe stets freundlich, denn wer anderen vor die Füße kotzt, wird meistens selber dreckig." Weise Worte einer weisen Frau (danke, Oma!) an die ich mich im Alltag oft erinnern muss. Nach dieser Devise versuche ich so gut es mir möglich ist, zu leben. Es fällt mir nicht immer leicht, und ich habe das Gefühl, dass die allgemeine Frustration von Jahr zu Jahr stetig zunimmt, was es nicht gerade einfacher macht. Ich habe mir aber einige Tricks angeeignet, die mir helfen oder die dafür sorgen, dass ich nicht das Gefühl bekomme, bei all der Höflichkeit, selbst unterzugehen.

Düfte zum Beispiel. Sie geben mir oft die Möglichkeit, in schwierigen Situationen kurz innezuhalten und mich neu zu justieren.

Folgende wahre Geschichte soll hier nun als Veranschaulichungshilfe dienen.

Mieser Tag. Zu viele Gedanken in meinem Kopf, die keine Ordnung finden. Das Kleinkind hat die zweite Badewanne hinter sich, nachdem es qietschfidel in einer Riesenpfütze aus Erbrochenem auf dem Sofa Matschkuchen backen wollte. Sofa ist hin. Mann ganz grün im Gesicht (er kann keine Kotze sehen), ruft nur aus dem Bad: "Ich habe es auch!" Ich antworte: "Was hast du?" Er: "Magen Darm!" Ich: "Niemand hat Magen-Darm! Der Kleine hat nur zu viel Joghurt gegessen, das passiert doch dann immer..." Er: "Ich muss mich hinlegen!" Ich: "..." ... "Du brauchst nur frische Luft!" Er: "Ich glaube, ich muss kotzen" Ich: "Tief durchatmen, das geht gleich vorbei. Ich mache dir einen Tee, du legst dich aufs Sofa,..... also du setzt dich jetzt auf den Sessel und machst mal die Augen zu, ich bringe dir einen Tee"

Mann ist mit Tee versorgt und verarbeitet seinen Schock, Kind macht einen Mittagsschlaf und mir dröhnt der Schädel. "Ich geh mal mit dem Duft äh, mit dem Hund raus" werfe ich ins Wohnzimmer, während ich voller Vorfreude meinen Duft des Tages aus dem Schlafzimmerschrank aussuche. Zurück kommt nur ein Stöhnen. Ein Blick auf den Sessel ergibt, dass der Mann zwar noch blass aber nicht mehr grün aussieht, den kann man also getrost alleine lassen.

Jacke an, Mütze, Schal, Hundeleine, Hund. Los geht´s. Hund springt voller Vorfreude im Vorgarten zweimal über die Hecke und wieder zurück. Wenigstens einer hat Spaß. Raus aufs Feld Richtung Wald. Griesgrämig hänge ich meinen Gedanken nach, ordne meinen Kopf, atme meine frische Duftschwade ein und die Welt wird Stück für Stück ein bisschen wärmer. Natürlich nur im übertragenen Sinne. Hab die Handschuhe vergessen. Eiskalt. Jedes mal das Selbe. Den Blick stoisch auf die Schuhspitzen geheftet, Hund tobt weltvergessen über die Wiese, bis er sich vergnügt auf den Rücken kugelt und an einem gefrorenen Tannenzapfen kaut. Das nennt er Lebensqualität. Ich muss lächeln. Aus der Ferne dringt ein seltsames Störgeräusch in mein Bewusstsein. Ich verlasse widerwillig mein noch immer unsortiertes Innenleben und sondiere die Gegend. In gut 100 Metern Entfernung steht eine opulente Dame in einen hellrosanen Wintermantel eingepackt. Ich muss an ein Marshmallow denken und bekomme Hunger. Sie führt einen kleinen, wild herumspringenden Kläffer mir unbekannter Rasse mit sich und ruft irgendwas mit "...an die Leine...sofort!!" Vorsorglich krame ich meine Bluetooth-Kopfhörer aus der Tasche, stecke sie mir ins Ohr und drehe die Musik auf. Dann winke ich ihr strahlend zu und rufe "Gerne!" Ich wurschtle mir die Leine vom Hals, die sich immer in meiner Kapuze verheddert und schnalze mit der Zunge. Hund, der auf dem Rücken liegt und versonnen grummelt, alle Viere von sich gestreckt mit aus dem Maul hängender Zunge - in diesem Moment erinnert er mich irgendwie an ein Schaf - hält verdutzt inne und blickt mich fragend an. Ich zeige auf die Leine. Er blickt sich um, auf der Suche nach dem Grund für diese Störung. Ich zucke nur mit den Schultern und zeige erneut auf die Leine. Er richtet sich auf und trottet zu mir, nicht ohne das was von seinem Zapfen noch übrig geblieben ist, zwischen die Zähne zu klemmen.

Ich klinke ihn an und wir gehen unserer Wege. Die Dame und ihr Hündchen kommen immer näher und ich sehe, wie sie die Lippen bewegt. Anscheinend spricht sie mit mir, doch zu mir dringen nur dumpfe Piepsgeräusche und das Kläffen ihres kleinen Tieres. (Ah, Terrier! - Macht sich mein Kopf eine Notiz). Als wir auf einer Höhe sind, bleibt sie stehen und schaut mich erwartungsvoll an. Augenscheinlich erwartet sie irgendetwas von mir. In völliger Unkenntnis über den Inhalt ihres wohl entrüsteten Monologes, sage ich das, was mir bei ihrem Anblick als erstes in den Sinn kommt und hoffe auf einen Treffer: "Ja ja, das mit dem Ischias hat es wirklich in sich. Meine Großmutter klagt auch immer darüber. Wirklich keine schöne Sache. Einen schönen Tag noch und gute Besserung!" Ich nicke ihr zu und gehe meines Weges. Ich muss die Musik lauter drehen, denn anscheinend war meine Äußerung nicht das, was sie zu hören gehofft hatte. Hund blickt seinem Artgenossen kritisch hinterher. Er hat seinen Zapfen fallen lassen. Ich vergrabe meine Nase in meinem Schal und nehme einen tiefen Zug Chance Eau Tendre aus meiner Halsbeuge. Danke, dass du mich begleitest. Danke, dass du mir hilfst, Contenance zu bewahren. Oma wäre stolz auf mich.

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