Nezdoux

Nezdoux

Rezensionen
Nezdoux vor 6 Jahren 38 10
Isarflimmern
Als Schüler verbrachten wir unsere Freizeit an der Isar. Wochenends gerne auch über Nacht. Tagsüber hüpften wir nackig ins Wasser, schliefen, tiegerten zum Kiosk auf ein paar Weißbier oder hatten irgend ein wichtiges Thema am Start. Nachts brannte ein Feuer, Grillgut prasselte auf Stöcken oder dem Rost, es gab mehr Bier, Rauchwerk und meist hatte man jemanden, dessen Namen man kannte oder auch nicht, zum Kuscheln am Start. Das Feuer wärmte ja schließlich nur von vorn.

Irgendwann mussten wir auch wieder einmal nach Hause, luden unsere 7 Sachen aufs Radl und pedalten kopfschmerzgeplagt durch die glühend heiße Stadt. Das wohlgeordnete elterliche Heim bot einen widersprüchlichen Kontrast zum wilden Leben unter freiem Himmel. Eng, aber auch sauber mit einem flauschigen Federbett. Jetzt erst mal eine Dusche.

Das war der Moment, wo sich wie aus dem Nichts plötzlich der Odeur der vergangenen Tage deutlich manifestierte. Man hob sich olfaktorisch drastisch von seiner Umgebung ab: das fettige Löss des erkalteten Rauchs, speckig, wie ein ordentlich geräucherter Schinken, Asche im Haar, Kohle im Gesicht, durch und durch durchtränkt von den kräuterigen Rauchschwaden der zu frischen Weidenäste, die wir in den Isarauen für unser Feuer gesammelt hatten. Aber auch die Sonne im Gesicht, die Haare wild, die Erinnerung an das schützende Firmament voll glänzender Sterne über uns, die heißen Küsse in den Schwaden des Rauchs, die ernsthaften Gespräche über die tiefen Themen des Daseins zum philosophisch knisternden Feuer.

Genau so wie dieser Moment, kurz vor dem Aufdrehen der Dusche, riecht Terroni.

Aber will ich so riechen? Absichtlich? Ohne den tagelangen Räucherprozess am Fluss? Jetzt? Fast vier Jahrzehnte später? Zum Blazer im Job? Nein. Zum Outdooroutfit am Berg? Auch nicht. Zum Sonntagsspaziergang entlang der Isar? Niemals! Am Hals eines Mannes, der mit rauher Stimme von vergangenen Tagen erzählt, der Pläne macht für eine Kajaktour den Windungen irgendeines kanadischen Wildflusses entlang? Ja, warum eigentlich nicht?
10 Antworten
Nezdoux vor 8 Jahren 11 4
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Sakrament
Ein Sakrament ist ein Ritus, der als sichtbares Zeichen eine unsichtbare Wirklichkeit Gottes vergegenwärtigt und an ihr teilhaben lässt.

„Sakramente muss man spüren“ schreibt Pfarrer Rainer Maria Schießler in seinem Buch „Himmel, Herrgott, Sakrament.“ Nicht, wie in der Priesterausbildung gelehrt, für eine Taufe den Daumen vorsichtig in den Chrisambalsam eintunken und ein Kreuz auf die Stirn des Kindes zeichen, um selbiges sofort mittels eines zwischen Zeigefinger und Mittelfinger geklemmten Wattebausches zu entfernen, sondern mit einem ordentlichen Batzen herrlich duftenden Chrisamöls Kopf und Körper des neuen Erdenbürgers großzügig salben.

Offenbar wurde ich lehrmethodengerecht getauft, denn ich erinnere mich nicht an den Duft des Chrisams, jedoch stelle ich ihn mir so vor wie Terrasse a St. Germain von Jul et Mad. Salbung ist so auch das Hauptthema des Dufts, wie auch die Unberührtheit, Unschuld, Naivität und Heiligkeit eines neuen Lebens. Geborgenheit - getragen sein von den blumigen, cremigen Nuancen des Dufts auf seinem Patchoulibett. Von Heiligkeit sachte umweht, wie das leise Flügelschlagen der Englein, die mit Sicherheit besonders solche Taufen lieben und zahlreich aufsuchen, bei denen der Pfarrer mit dem Chrisam nicht spart.

Ein wenig hart tue mir, den Namen des Duftes mit seiner Textur in Verbindung zu bringen. Das Bild einer Terrasse auf der Seine Insel St. Germain in Paris entsteht, umfriedet von einer von üppigen bunten Blüten bewachsenen, ockerfarbenen Lehmmauer. Der Duft besingt eher die in zarter Herbstsonne warm strahlende Lehmmauer, als die dort vor sich hinträumenden Blumen. Unmerklich rieselt Sand aus den vor einigen hundert Jahren handgeformten Lehmziegeln und erinnert daran, dass die unsichtbare Wirklichkeit Gottes immer und überall um uns ist.
4 Antworten
Nezdoux vor 8 Jahren 21 2
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft
Destination Wäschekorb
Stockholm, Arlanda. Ich schnobere durch die Gegend, um etwas Zeit totzuschlagen. Eine Promotion der Clean Parfümserie zieht mich magisch an. Die habe ich ja noch nie gesehen. Oh, was für herrlich saubere Düfte!

Schnell wird der „Warm Cotton“ mein Favorit. Zu jener Zeit war mein Leben arg aus den Fugen geraten. Mein Seelengefährte hatte sich plötzlich und viel zu früh von diesem Planeten verabschiedet, was für mich mit einem Wechsel des Kontinents verbunden war. Ich sehnte mich nach Geborgenheit und Ordnung. Insbesondere war ich nicht bereit für Avancen männlicher Wesen.

Vor meinem inneren Auge entsteht das Bild einer Waschküche auf einer Farm im Mittleren Westen Amerikas. Eine dicke schwarze Mama mit gestärkter, weißer Schürze mangelt ernsthaft Bettlaken aus schwerer, solider Baumwolle, die sie dann fein säuberlich faltet und zu einem akkuraten Stapel schichtet. Sie summt einen Gospel. Sonnenlicht bricht sich im feinen Staub. Alles durchdringt der Duft nach Warm Cotton.

Einige Wochen später bin ich in Wien mit der Mutter einer Freundin unterwegs. Wir schlendern durch die Gassen der Altstadt und setzen uns in ein Kaffeehaus. „Mhm, hier riecht‘s so gut“ befindet die ältere Dame.

Kurz darauf begegne ich einem stadtbekannten Casanova aus meinem Bekanntenkreis. Er küsst mich zur Begrüßung auf die Wangen und zuckt entsetzt zurück: „Was ist das für ein Odeur, der Dich umgibt, meine Liebe, Schmirgelpapier gleich?“

Bingo! Mein Duft begeistert liebenswürdige, alte Damen und verschreckt brünstige Charmeure. Genau das, was ich brauche.

Einige Jahre später... mein Leben hat in neue Bahnen gefunden und ich bin wieder für das ein oder andere Abenteuer zu haben, nicht unbedingt amouröser Natur, aber auch das ist nicht auszuschließen. Immer seltener greife ich zu Warm Cotton.

Neulich beim Bügeln hatte ich eine Eingebung: ich besprühte das zu glättende Stück mit einigen Tropfen Warm Cotton. Und endlich findet der Duft den Weg zu seiner Bestimmung. In meinem Kleiderschrank duftet es seither sauber und rein nach warmer Baumwolle.
2 Antworten
Nezdoux vor 8 Jahren 19 2
9
Duft
Killing me softly
Es ist Herbst. Gleißendes Licht entflammt das Laub der Bäume in einem Leuchtfeuer. Meine Sommerdüfte erinnern an Mittelmeer und passen nicht zu der kühlen Luft und dem Duft nach Laub. Die liebenswürdige Dame in meiner Parfümerie um die Ecke arbeitet sich hingebungsvoll durch eine Auswahl von Düften: warm, pudrig, herbstelig soll es sein. Mit Goldea von Bulgari rechts und For Her L‘absolu von Narciso Rodriguez links am Handgelenk ziehe ich von dannen.

An For Her in seinen verschiedenen Ausprägungen schnuppere ich schon seit Jahren fasziniert herum und möchte immer rufen: Oh Augenblick verweile doch! Du bist so schön. Doch For her is not for me und will partout nicht bleiben. L‘absolu ist da zumindest etwas anhänglicher.

Im Forum lese ich über die Musc Collection und stelle fest, dass dies die Version für Fortgeschrittene von L‘absolu ist. Blind bestelle ich einen 30 ml Flakon.

Tage später ist das Päckchen da. Aufgemacht, aufgetragen: Hustensaft. Große Enttäuschung, das wird ein Fall für den Souk. Samstag morgen steht der Flakon noch immer da und wir versuchen es noch einmal miteinander. Mhmmm!

Dieser Duft ist ein lebendiges Wesen, eine Elfe, die mich ungestüm umtanzt. Sie ist in beige Seide gehüllt, mit etwas Goldflitter, am Saum blitzt tiefrote Spitze. Um die Stirn hat sie sich Blütenranken geschlungen. Sie liebt es, Auto zu fahren. Da packt sie ihr Blumenbouquet aus und wedelt übermütig damit herum. Tagsüber schläft sie an meinen Hals geschmiegt und stupst mich nur ab und zu einmal an, wenn sie sich lasziv räkelt. Abends wartet sie schon ungeduldig in meinem Mantel und ruft mir zu: Komm schnell, hinaus in die noch laue Abendluft. Lass uns noch ein paar Meter am Fluss entlang laufen und mit den Füßen das Laub aufwirbeln. Am gegenüberliegenden Ufer verfangen sich die die letzten Sonnenstrahlen in den rot glühenden Wipfeln der Bäume.

For her musc collection: ein Charakterduft, gleißend wie die Sonne im Herbst, köstlich wie Crème brulée, betörend wie tropische Blüten in der Dämmerung, ein Wesen mit eigenem Kopf und Launen wie ich.
2 Antworten