Ninotschka
Belangloses und andere Nebenschauplätze
vor 9 Jahren - 15.03.2015
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Reisen wie Karl May

Auf der Blumenwiese flattern die Schmetterlinge, Vögel zwitschern, kein Großstadtlärm weit und breit - Landpartie am Sonntagvormittag. Jersey heißt die idyllische Ortschaft, in der stets die Sonne scheint. Der Duft der Lavendelfelder weht herüber auf die Wiese, nebenan grasen Pferde. Diese fast schon kitschige Frühlingsidylle musste ich heute undebingt besuchen. Das stand schon beim Frühstück fest. Schließlich liegt sie direkt um die Ecke und außerdem muss ja jeder mal raus. Irgendwohin, wo man den Kopf frei bekommt vom Alltagsstress, der Hektik des Jobs und kleinen und großen Sorgen.

"Du musst mal in Urlaub fahren" raten die meisten ihren gestressten, übermüdeten und sonstwie genervten Mitmenschen. Doch lange Weltreisen sind ebenso kostspielig wie zeitintensiv. Viel einfacher und spontaner zu realisieren sind da Kurztrips von wenigen Stunden. Von denen man schnell, aber erholt wieder nach Hause kommt. Die trotz aller Kürze einen gewissen Zauber hinterlassen. So war ich im Winter oft zu Gast im Orient. Auf bunten Marktplätzen, in opulent ausgestatteten Palästen und beim Kamelritt in der Wüste. Als der Winter gar nicht enden wollte, bin ich kurzerhand nach "Mayotte" geflogen und habe mich an den exotischen Blütendüften, die der Sommerwind einem um die Nase weht, berauscht.

Kürzlich war ich in Paris an der Seine. Bin dort während der "L'Heure Bleue", wie man die blaue Stunde in Frankreich nennt, spazieren gegangen und habe den Zauber des Zwielichts genossen. Das Stammhaus von Chanel in der 31 Rue Cambon, ist ebenfalls eine Reise wert, wenn man schonmal in der Nähe ist. Mit der eleganten Einrichtung und all den schönen Antiquitäten. Interessanterweise fand ich den Chanelsitz anders als auf Fotos und in Filmen mitten in einem herbstlichen Wald. Wälder sind generell ein schönes Reiseziel. Ob die kühle Lichtung im Sommer oder der windige Herbstwald, durch den das Laub weht. So viele schöne Reiseziele liegen so nah. Warum die steinige und stürmische Küste, zu der ich oft Fernweh bekomme, den unpassenden Namen "Womanity" trägt, kann ich mir allerdings nicht erklären.

Dass Parfums die Ausstrahlung des Trägers unterstreichen und bei geschickter Wahl die Stimmung beeinflussen können, ist hinlänglich bekannt. In letzter Zeit entdecke ich zusätzlich immer mehr die Freude der kurzen Duftreisen. Waren es früher nur Trips in die Kindheit und zu Orten und Menschen, deren Assoziation ein altbekanntes Parfum spontan ausgelöst hat, reise ich inzwischen per Duftexpress um die ganze Welt. An geliebte Orte ebenso wie an bislang unbekannte. Wie Karl May, der die Schauplätze seiner Romane ebenfalls nur in seinem Kopf besucht hat. Klar spielt da das Marketing bzw. die Namenswahl der Parfumhersteller eine nicht unwichtige Rolle bei manch einer Assoziation. Aber bei einem gelungenen Kurzausflug muss das ja nicht schlecht sein. Manch ein Gedanke an einen Ort drängt sich auch von ganz alleine auf, obwohl das Marketing in eine völlig andere Richtung zielt.

Wie sieht es bei euch aus? Bin ich mit meiner Reisetaktik ganz alleine oder beamt ihr euch beim Aufsprühen auch an fremde Orte? Ups, nun muss ich ganz schnell zum Schrank - ein neues Ticket für das Picknick auf der Blumenwiese in Jersey lösen. So langsam hören die Vögel auf zu zwitschern und die Sonne verblasst.

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