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Parfumos Blog
vor 8 Jahren - 17.08.2016
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Interview mit Didier Gaglewski aus Grasse

"Es ist schwierig, ein einfaches Parfum zu machen, nicht zu viel sagen zu wollen."

Wer Grasse schon einmal einen Besuch abgestattet hat, weiß, dass die 50.000-Einwohner-Stadt im Hinterland der Côte d´Azur vom ersten Eindruck her eher kommerziell als pittoresk wirkt. Schon am Ortseingang wird man von den riesigen Werbetafeln der dort ansässigen, großen Parfumhersteller erschlagen ... und möchte seine romantisch-verklärte Vorstellung von der Welthauptstadt des Parfums - zweifelsfrei der Süskind-Verfilmung geschuldet - am liebsten sofort wieder begraben.

Begibt man sich jedoch offenen Auges in das historische Herz von Grasse, lässt sich beim Flanieren durch die schmalen Gässchen das ein oder andere Kleinod der Parfumkunst entdecken! "Immer der Nase nach" zog es uns an jenem Tag in die Rue de l'Oratoire, wo wir auf das kleine Atelier des Parfümeurs Didier Gaglewski stießen. Angetan von Gaglewskis offener und warmherziger Art sowie der Vielfalt seines Sortiments baten wir ihn um ein Treffen für den darauf folgenden Tag.

Danke für das Interview und die Übersetzung aus dem Französischen an Marie de Winter und Ferdinand Sturm von der "Redaktion WinterSturm".


Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit Geruch zu beschäftigen?

Diese Leidenschaft habe ich bereits seit meiner Kindheit. Ich habe schon als Kind viele Informationen über die Düfte des Gartens gesammelt. Und ich war mein ganzes Leben lang interessiert an Kreativität. Ich fand heraus, dass die Parfümerie ein Bereich ist, in dem es viele Möglichkeiten des Schaffens gibt. Ich denke, wir können mit jedem Parfum etwas Neues erzählen. In der Malerei zum Beispiel ist vieles bereits ausgeschöpft. Aber ich denke, mit Parfum kann man neue Türen öffnen. Es ist Material für die Kreativität. Und das ist es, was mich in dieses Universum hineingezogen hat: Es lässt mich etwas Neues ausdrücken.

Haben Sie denn schon als kleiner Junge entdeckt, dass Gerüche etwas Besonderes für Sie waren?

Ich glaube, in der Kindheit ist das ganz natürlich, da hat man keine besonderen Eindrücke, man liebt viele Gerüche und erfasst sie. Dass Gerüche etwas Besonderes für mich sind, habe ich erst später gemerkt - ausgerechnet durch ein Praktikum in der Weinkunde, das ich bei einem sehr bekannten Önologen in Paris machte. Es war dieser Mann, der mir sagte: „Du hast wirklich Potential, und du solltest dieses Potential zum Ausdruck bringen. Du bist eine Nase.“ - auf französisch sagt man Nase. Das ist wirklich eine Anerkennung. Und er war es, der mich dazu brachte, den Weg in diesem Bereich weiterzugehen.

Wie alt waren Sie damals?

31.

Hatten Sie Vorbilder im Bereich der Parfümerie?

Das ist eine gute Frage, finde ich, weil es ein „Erbe“ in der Geschichte der Parfümerie gibt. Ich habe den Eindruck, in einer Tradition zu stehen. Damals hatte ich kein Idol, aber es gibt Menschen, die mich beschäftigt haben, zum Beispiel Edmond Roudnitska, weil er viel geschrieben hat. Es gibt ein französisches Sprichwort: Wenn Du auf die andere Seite des Flusses willst, hilft Dir derjenige, der schon auf der anderen Seite steht.

Wie eine Art Mentor?

Ja, das ist es. Ich habe viele seiner Bücher studiert. Das ist wirklich interessant. Um in diesem Metier Fuß zu fassen, musst du viel über Parfum wissen, um das „Innere“ zu verstehen. Und du brauchst einen Abstand, weil, wenn du sehr nahe dran bleibst an den Parfums, die schon gemacht worden sind, dann wirst du nichts Neues schaffen. Und das ist das, was ich versuche.

Wir beobachten ja fast jeden Tag das Erscheinen neuer Parfums. Wie schaffen Sie es, Parfums zu kreieren, die sich von denen unterscheiden, die bereits existieren?

Wir haben heutzutage eine sehr interessante Epoche. Bisher haben wir die Parfums in Familien eingeteilt: Es gibt die Parfum-Familie der Chypren, wir haben die Familie der Orientalen, usw. Das war es einfach. Heutzutage haben wir wirklich viel mehr Kreativität und viel mehr unglaubliche Sachen. Die Kreativen öffnen eine Tür, machen neue Sachen, manchmal entsprechen sie nicht dem Zeitgeist und so wird der Duft kein Erfolg. Aber heutzutage gibt es viele Kunden, die neue Sachen suchen. Etwas Neues zu schaffen ist nicht schwer, aber es ist schwer, etwas zu schaffen, das den Bedürfnissen der jeweiligen Person entspricht. Wenn Du etwas zu Revolutionäres schaffst, dann werden die Menschen es nicht verstehen. Das heißt, Menschen, die in Kategorien denken, werden es nicht verstehen. Aber heute gibt es viele Menschen, die mich verstehen. Es gibt viele Leute - wie euch zum Beispiel - die etwas in Bewegung bringen. Von daher ist es eine wirklich gute Zeit für Parfum.

Wir haben auch festgestellt, dass die Namen vieler Parfums sich heutzutage auf ihre Inhaltsstoffe beziehen. Was denken Sie, ist das eine moderne Entwicklung?

Ich glaube, der Name ist wichtiger geworden. Selbst wenn er etwas aussagt, was sehr weit entfernt ist vom Geruch. Zum Beispiel „Das ist das fünfte Parfum“, also Chanel No. 5, das war modern, das war interessant. Lange Zeit drückte man wenig aus mit Parfums, die sehr nah an ihren Ausgangsstoffen waren. Man hat viele Kompositionen gemacht, die sehr gehaltvoll waren, die zu viel sagen. Heute gibt es ein Bedürfnis nach einfacheren Dingen. Es ist schwierig, ein einfaches Parfum zu machen, nicht zu viel sagen zu wollen. Das ist schwer. Heutzutage bezieht man sich im Namen vielleicht eher zurück auf die Ausgangsstoffe, man erweist dem Ursprung - zum Beispiel der Pflanzen - ihren Respekt. Ob das ein guter Grund ist oder nicht: Letztlich entscheiden die Menschen darüber, ob es funktioniert oder nicht.

Wo finden Sie die Inspirationen für Ihre eigenen Parfums?

Diese Frage ist schwierig zu beantworten, weil die Inspirationen sehr variabel sind. Am Besten gebe ich ein Beispiel. Ich habe hier beispielsweise ein Parfum namens „Cambouis“ (Schmieröl). In diesem Fall ist es wirklich der Name, an dem sich die Kreation orientiert. Es ist sozusagen ein Universum des Mechanikers und des Motorrads.



Sie fahren also mit Ihrem Auto in eine Werkstatt und schnuppern und denken dann, das könnte ein Parfum werden?

Ja. Hier war es so. Ich bin in eine Werkstatt gefahren, habe mich vorgestellt, erzählt, dass ich an einem Duft arbeite. Der Mechaniker hat mich aufgenommen, hat mir ein kleines Fläschchen des Öls abgefüllt, das er benutzt und mit dem konnte ich arbeiten. Dann habe ich mich zurückgezogen und es analysiert. Das war sehr interessant für mich. Das ist ein Beispiel für ein Parfum. Aber es gibt auch Parfums wie z.B. „Journaliste“, die aus einem Spiel mit zwei Grundstoffen entstanden sind, Zedernholz und Gewürzen wie Zimt. Dann arbeite ich wirklich wie ein Kind, das spielt.

Ein Spiel im Laboratorium?

Nein ein mentales Spiel. Es ist wirklich zunächst ein gedankliches Spiel.

Ich selber, ich mache Theater. Manchmal schlafe ich - und mitten in der Nacht wache ich auf und habe eine Idee für eine Szene. Ist das ähnlich bei Ihnen?

(lacht) Ja, ich muss mich nur kurz hinlegen. Es ist das Vertrauen in die Muße. Ein Beispiel: Ich will an einem Damenparfum arbeiten. Ich habe „Cambouis“ für den „starken Mann“ - und für seine Freundin will ich etwas entwerfen, aber es wird nicht so, wie ich es will. Auf dem Weg treffe ich aber auf einen Akkord, der wirklich sehr interessant ist. Dann wechsle ich im Verlauf komplett meine Idee und gehe ganz woanders hin, als ich vorhatte und bin sehr glücklich, diesen durch Zufall getroffen zu haben. So ist es oft, wenn ich etwas will. Bei meinem letzten Duft „De Memoire de Rose“ wollte ich einen Soliflor machen, also einen Duft, der nur einer Blume gewidmet ist, der Rose. Er sollte einfach sein, nahe an der Blume sein, und ich arbeitete mich rundum und mit viel Feingefühl an die Blume heran - und nach viel Arbeit wurde es gut.

Würden Sie als Konsequenz sagen, dass die Zeit, in der Sie ein Parfum komponieren, unterschiedlich lang ist, abhängig von der Inspiration?

Ja. Ich bin auch sehr neugierig. Wenn ich reise, beobachte ich viel. Ich weiß, dass ich mich durch andere Schöpfungen inspirieren kann als nur durch Düfte. Auch die Malerei und die Literatur geben mir Ideen für die Kreation eines Parfums. Deswegen kann die Zeit zur Entwicklung eines Parfums sehr unterschiedlich lang sein.

Ist das der Grund, warum Sie auch viel fotografieren? Um Ihren Blick zu schärfen? Ist die Fotografie für Sie sozusagen eine „Schule des Sehens“, um Inspirationen zu entdecken?

Es geht mir um Ästhetik. Ich glaube, es gibt in ästhetischer Hinsicht Verbindungen zwischen der Komposition eines Fotos, eines Parfums oder eines literarischen Werkes. Die Schönheit ist die Brücke, das Bindeglied. Und das ist wirklich interessant. Ich fotografiere viel, wenn ich reise, nicht digital, sondern schwarz-weiß mit meiner Leica und entwickle die Bilder auf altmodische Weise selbst. Dadurch muss ich gut beobachten und eine gute Auswahl und Entscheidung treffen - und das ist auch nahe an unserem Metier.

Fertigen Sie auch die Bilder für Ihr Parfum-Marketing selbst?

Nein. Gut, ich mache auch Bilder für meine Website, aber Bilder meiner Parfums, das ist eigenartig, aber das kann ich nicht. Und vielleicht habe ich Recht (lacht). Dabei, ja, wäre es nachvollziehbar, beides zu verbinden, Parfum und Fotografie, schöne Schwarz-Weiß-Bilder zu machen für die Website, das könnte wirklich sehr schön sein. Ja. Grundsätzlich fotografiere ich allerdings lieber in den Großstädten, ich mag die Menschen, die Lebhaftigkeit der Städte, es passiert immer etwas. Aber ich bin auch interessiert an ruhigeren Motiven, zum Beispiel an Stillleben.

Ihr Laden ist sehr oft geöffnet. Zu welcher Zeit kreieren Sie Ihre Parfums?

Abends. Zwischen vier und fünf Uhr schließe ich den Laden und dann arbeite ich. Manchmal ist es schwer, hier zu sein. Aber im Moment mag ich es sehr gerne, hier mit Menschen zusammenzutreffen. Ich mag es, den Menschen meine Parfums zu erklären und Menschen zu treffen, die etwas entdecken wollen. Die Menschen, die mein Geschäft besuchen, kommen aus Amerika, Deutschland, Australien, von überall her. Es ist wirklich sehr interessant, etwas Zeit mit ihnen zu verbringen. Ich mag es sehr, meine Faszination für Parfum mit ihnen zu teilen.

Kann das so weit gehen, dass Sie durch die Gespräche mit Kunden zu neuen Kreationen inspiriert werden?

Nein. Ich finde es einfach sehr angenehm, einen „warmen Moment“ mit den Menschen in einer gemeinsamen Leidenschaft zu teilen. Aber dass ich durch diese Gespräche inspiriert werde oder mir Kunden eine Idee schenken, nein, im Allgemeinen nicht.

Ich kam auf die Frage, weil in großen Unternehmen die Parfum- und die Marketingabteilung natürlich getrennt sind und hier bei Ihnen…

(lacht) Ja, ich bin alles zusammen...


… und das ist eine besondere Herausforderung?

Ja. Ich bin sehr schlecht in Marketing. Aber die Leute dazu zu bringen, miteinander zu sprechen und es weiterzuerzählen, das ist meine Werbung. Dadurch habe ich einige gute Artikel bekommen, z.B. im Michelin-Reiseführer und im Polyglott. Das ist meine Werbung. Ich verfolge keine Marketing-Strategie. Ich bin in der Lage, zu tun, was ich mag. Und das ist schon sehr viel, finde ich.

Ist es für Sie denn möglich, ein Parfum zu kreieren, das Sie selbst nicht mögen, das Sie aber kreieren, um Erfolg bei den Kunden zu haben?

Nein. Aber das ist mit Recht eine gute Frage. Aber ich bin frei, ich habe keinen Chef, außer meiner Frau (lacht). Ich habe keine Sorgen wegen meiner Unabhängigkeit. Diese Freiheit in meinem Beruf ist für mich sehr interessant. Wenn ich ein Parfum mache, weiß ich nicht, ob es dir gefällt. Es gefällt mir, aber ich weiß nicht, ob es dir gefällt. Und wenn ich das an einem Menschen teste und frage: Magst du es? Und er sagt Ja. Gut. Manchmal mag er es nicht. Gut. Ich mag es. Meine Parfums sind wie Kinder. Und sie sind alle verschieden.

Tragen Sie Ihre eigenen Parfums auch selbst?

Das ist sehr selten, muss ich sagen. Manchmal ja, aber ich kann zum Beispiel nicht essen und ein Parfum tragen, das ist für mich sehr schwer. Deshalb bleibe ich meist „neutral“. Ich liebe Düfte - aber sie zu tragen..., naja, ich weiß, das ist jetzt keine gute Werbung für mich (lacht).

Aber konsequent. Als wir Sie gestern zum ersten Mal besuchten, haben Sie gesagt, dass Ihre Produktion sehr „natürlich“ ist. Heißt das, dass Sie nur Duftstoffe aus ökologischer und nachhaltiger Produktion nutzen?

Nun, ich versuche das Maximum. Aber es ist sehr schwer, nur biologische Essenzen und Absolues zu benutzen. Für die Komposition brauchen wir noch andere Dinge. Die Geschichte der modernen Parfümerie ist die der Mischung verschiedener Inhaltsstoffe, biologisch nachhaltig erzeugter und chemischer. Ich nutze viele biologische Stoffe, die mir einen großen Duftreichtum bieten, aber ich muss auch andere Dinge nutzen. Die Antwort ist deshalb nicht schwarz oder weiß. Ich nutze zum Beispiel biologischen Alkohol und viele natürliche Grundstoffe, die nachhaltig für die Umwelt sind, aber ich muss sie erweitern mit künstlichen Stoffen. Das ist notwendig für jede Kreation.

Kommen die Pflanzen, die Sie nutzen, aus Ihren eigenen Gärten?

Nein. Hier in der Region haben wir Lavendel, Jasmin, Tuberosen, Mimosen, Orangenblüten, Rosen, aber zum Beispiel kein Zedernholz, kein Sandelholz, kein Ylang-Ylang, das von den Komoren-Inseln kommt. Aber in Grasse finden wir Parfümeure was wir wünschen. Wir importieren viel und wir haben, was wir wünschen. Das ist ein Traum für einen Parfümeur.

In einem anderen Artikel haben wir allerdings gelesen, dass Sie einen eigenen Garten haben, drei Hektar groß…

(lacht) Oh, das wusste ich nicht. Nein, das ist eine Freundin, die einen großen Garten hat. Mit ihr habe ich viele interessante Projekte zusammen gemacht. Zum Beispiel haben wir mit der „Enfleurage à froid“* gearbeitet. Diese Technik existiert kaum noch und ist sehr teuer. Sie erlaubt es, den biologischen Charakter der Blumen zu konservieren. Mit der aktuellen Technik, wenn man Blumen mit Mineralöl mischt, das ist nicht mehr biologisch. So haben wir auch mit der alten Technik gearbeitet, um die natürliche Seite zu erhalten.

Das klingt spannend. Wann können wir mit einem neuen Parfum von Ihnen rechnen?

Schon bald. Im September 2016 erscheint "Bal à l'Ambassade" (Ball in der Botschaft), ein Soliflor, der der Tuberose gewidmet ist.

Dann wünschen wir Ihnen viel Erfolg mit dem neuen Duft und für Ihre weitere Arbeit. Und herzlichen Dank für das Interview!

* Mehrmonatiges wiederholtes Aufstreuen von Blütenblättern auf mit fett bestrichene Glasplatten. Ähnlich wie Butter im Kühlschrank nimmt das Fett die Geruchsstoffe auf, die dann durch Alkohol ausgewaschen werden. Zurück bleibt das reine Blütenöl, das Absolue d`enfleurage (Anm. der Übersetzer).

Weitere Informationen: www.gaglewski.com

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