Peanut
Der Saubär-Blog
vor 4 Jahren - 26.09.2020
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Home-Office im Erdgeschoss: Ein Appell an Duftpost-Empfänger

***Ihr Lieben, das ist ein Neuversuch: Den ursprünglichen Blogartikel samt eurer ganzen Antworten und Auszeichnungen habe ich mit einer unbedachten Bewegung gelöscht: Es tut mir leid! Der Usprungspost ist auf Anhieb nicht rekonstruierbar, also poste ich einfach nochmal. Habt Dank für eure zahlreichen Kommentare, Anregungen und eigene Erfahrungen-- ich war dabei, euch allen zu antworten und habe prompt Mist gebaut! Im Folgenden also nochmal der Text:***

Ich wohne im Erdgeschoss. Nicht weiter aufregend, oder? Könnte man meinen. Seitdem ich aber von Zuhause aus arbeite (das war schon so bevor Home-Office zum Trend wurde), überlege ich wegzuziehen, mir eine andere Wohnung zu suchen. Eine höher gelegene Wohnung, möglichst im Dachgeschoss. Penthouse vielleicht, sofern ich es mir leisten kann. Hauptsache nicht Erdgeschoss. Warum?

Menschen kaufen online, nicht erst seit Corona. Sie kaufen oft und viel, bei Ebay, bei Amazon, bei Online-Shops, bei Online-Tauschbörsen -- zum Beispiel im Tauschthread von Parfumo oder im Souk. Sie klicken hier, sie klicken da und freuen sich auf ihren Duft oder ihre Hausschlappen aus Känguruleder -- was auch immer. Und lassen sich alles bequem nach Hause liefern. Nach Hause: Nicht in die Firma, nicht zum Paketshop, nicht in die Packstation. Dass sie berufstätig sind oder anderweitig notorisch außer Haus, das scheint für sie nicht im Widerspruch zu ihrem Einkaufsverhalten zu stehen.

Warum denn auch: Soll sich der unterbezahlte Paketbote doch die Gedanken machen, wie er das Paket an den Mann oder die Frau bringt. "Ich bin tagsüber nicht da -- ich will aber meine Pakete nach Hause geliefert bekommen" -- das funktioniert nur auf Kosten der Machbarkeit für die Prügelknaben in Gelb-Rot (oder Blau oder Braun) und auch auf Kosten derjenigen, die das zweifelhafte Glück haben, tagsüber zu Hause zu sein. Habt ihr noch nie von Rentnern gehört, die sich Tunnel durch Berge von Paketen graben mussten, um sich in ihrer eigenen Wohnung bewegen zu können? Ich habe sowas Kurioses mal gelesen -- mittlerweile glaube ich solche Geschichten ohne weiteres aus eigener Erfahrung.

Ich will euch mal erzählen, wie mein Flur nach der Umstellung auf Home-Office ausgesehen hat: Er war zugestellt mit Kartons der ganzen Nachbarschaft, das Schuhregal musste ich abbauen, kein Scherz -- es war unzugänglich geworden. Ich hatte ein richtiges Lagerproblem: Die Pakete wildfremder Leute stapelten sich bis unter die Decke. Darunter natürlich ganz viel Duftpost, mehr als man annehmen würde. Douglas, Flaconi, Notino, die üblichen Verdächtigen. Also: Yes, I look at you, Parfumos.

Ich habe ein paar Wochen gebraucht, um es zu kapieren: Ich bin, ohne mich je darum beworben zu haben, zum verlängerten Arm von DHL, Hermes, DPD und GLS geworden. Ja, mehr noch: Ich wurde zur unbezahlten Mitarbeiterin der Paketdienste und zur Concierge für die ganze Straße. Nicht nur, dass vormittags das Klingeln und Paketempfangen bei meiner eigenen Arbeit störte (Finanzbuchhaltung, Erbsenzählerei -- ihr habt ein Bild?). Nachmittags bis spätabends schob ich dann Bereitschaftsdienst für die Paket-Kundschaft, die nach Feierabend ihre Pakete abholte. Manche täglich, notorische Besteller. Einige klingelten nach 22 Uhr, Mitternacht kam auch mal vor. Privatsphäre: Die war dann auch mal eben weg. Im Snoopy-Hausanzug durch die Wohnung zu schlurfen ist nicht drin, wenn der Nachbar jederzeit zweimal an der Tür klingeln kann. Dabei war es sogar ein Grund zum Jubeln, wenn die Leute ihre Pakete höchstpersönlich abholten: Einige ignorierten den Benachrichtigungszettel und ließen sich ihre Weinlieferung oder ihre Marmorfliesen in den dritten Stock nachtragen.

Nein, eine Schachtel Merci habe ich für meine Dienste nie bekommen: Das scheint nur in der Werbung vorzukommen. Bestenfalls ein beiläufiges "Danke". Was ist schon dabei, ein Paket für den Nachbarn zu empfangen? Eine Selbstverständlichkeit! Da stimme ich zu: Sofern sporadisch oder bei Gegenseitigkeit. Quid pro quo: "Ich füttere deinen Leguan, du nimmst meine Pakete entgegen". Davon rede ich hier aber nicht: Ich rede von der Gedankenlosigkeit, die darin steckt, tagsüber nie zu Hause zu sein, aber alles nach Hause zu ordern. Regelmäßig, on a daily basis und ohne vorherige Abmachungen mit lieben Nachbarn, die dazu auch bereit sind, auf Empfang zu gehen. Es ist in der Masse und bei dem Paketaufkommen nicht mehr selbstverständlich, dass es irgendwelche Dritte (irgendwie, irgendwo) schon auffangen. Wer nach Hause bestellt, muss dafür sorgen, dass seine Pakete auch zustellbar sind: Und nein, Nachbarn sind nicht einfach Verfügungsmasse.

Meine Nachbarn sind auch nicht Verfügungsmasse für mich: Auch wenn ich einige von ihnen näher kenne, würde ich nicht im Traum darauf kommen, dass sie für mich regelmäßig das Paketdepot machen. Sie haben schließlich auch noch ein Leben (auch die studentischen Nerds und die einsamen Hausfrauen unter ihnen). Deshalb lasse ich mir schon immer alles an die Packstation liefern oder an einen Paketshop: Grundsätzlich und obwohl ich im Home-Office bin. Verrückt, oder?

Nun ja. Das Depot in meinem Flur hat sich mittlerweile aufgelöst. Denn: Ich habe nach einigen Wochen Paketkoller aufgehört, auf die Klingel zu reagieren. Ich mache aus Prinzip nicht mehr auf. Wer mich besucht, muss grundsätzlich anrufen, denn die Gegensprechanlage hat bei mir ihre Funktion komplett verloren. Manch verzweifelter Paketbote versucht es manchmal mit einem Klopfen ans Fenster. Das tut mir dann leid, wenn ich so ein hektisches Gesicht sehe, das an meiner Fensterscheibe klebt: Ich komme mir herzlos vor. Ich kapituliere aber vor der Paketflut, sorry.

Deshalb liebe (Duft)Post-Empfänger: Der Ball liegt in eurem bzw. unserem Spielfeld. Es sind nicht die bösen Paketdienste, die qualitativ vor die Hunde gehen. Der Nachbarschaftsdienst ist auch nicht aus der Mode gekommen, wie gerne mal beklagt wird. Es ist in der Quantität einfach ein Problem, dass bestellt wird, ohne zu Ende zu denken. Die Diskrepanz zwischen Paketaufkommen und (umwegloser) Zustellbarkeit ist der Sand im Getriebe, ganz einfach.

Wir alle bestellen immer massiver, das Kaufen und Verkaufen verschiebt sich auch und besonders seit Corona ins Internet: Dem muss man insofern mitdenkend begegnen, dass man Angebote wie Filialenlieferung, Packstation oder andere auch nutzt. Paketboten reißen sich den Poppes auf, die wachsende Paketlawine während ihrer Touren loszuwerden (der Tag hat immer noch bloß vierundzwanzig Stunden): Und da verwundert es noch, dass unsere kostbaren Parfums oder sprachgesteuerten Kaffeemaschinen hinterm Buchsbaum geparkt werden oder im Treppenhaus? Nachbarn anzubetteln kostet viel Zeit, Benachrichtigungszettel korrekt auszufüllen kostet viel Zeit, mehr Zeit, als zur Verfügung steht. Wer das nicht glaubt, sollte mal spaßeshalber eine Tour mitfahren. Bestimmt lässt sich irgendwo ein Erlebnispaket buchen -- bei Jochen Schweizer eventuell.

Und: Habt ein Herz für Leute, die tagsüber zu Hause sind und womöglich auch noch relativ erdnah hausen. Nein, sie sind sich nicht zu fein, euch mal einen Gefallen zu tun. Aber sie sind bei den Dimensionen, von denen wir hier reden, auch kein unbezahlter Prellbock für eine Infrastruktur, die auf dem Zahnfleisch geht. Seid so nett: Schafft euch eine Packstation-Karte an, die beißt nicht. Oder: Lasst euch eure experimentellen Konzept-Stinker auch mal in die Firma liefern, das macht Fun -- die Kollegen kriegen bis zum ersten Pausen-Latte ein bisschen Unterhaltung und der Chef wird sich freuen zu sehen, wie ihr eurer Gehalt verprasst.

Ein einzelnes Paket ist nämlich für keinen Nachbarn der Welt ein Problem: Ein täglicher Paket-Terror mit unbegehbaren Räumen und stummgeschalteten Klingeln aber schon ein bisschen.

Danke.

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