Peanut

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1 - 5 von 218
Peanut vor 4 Jahren 71 24
Drei viertel voll
Ich hatte in den Herbstferien Prospekte verteilt, um ihn dir zu Weihnachten zu kaufen. Ich hatte keine Vorstellung von dem Duft. Ich hatte keine Ahnung von Duftnoten, Hölzern, Eichenmoos, aber du musstest ihn einfach bekommen: Ein Fotograf sollte „Photo“ besitzen und tragen, fand ich.

Ich hatte keine Ahnung, ob er zu dir passen würde, denn der Duft erschien mir nebensächlich. Der Name war es, der für mich zählte. Meine Ignoranz gepaart mit guten Absichten wurde belohnt: Denn „Photo“ passte genau, duftete er in etwa wie das Wässerchen aus dem Schüttflakon, das in deiner Dunkelkammer immer waberte, wenn ich dich besuchte, um nicht mit dem Bus von der Schule nach Hause zu fahren. Holzig-süßlich und herb-seifig, irgendwie generisch, dennoch alles andere als beliebig.

Der Duft fiel irgendwann ein wenig aus der Zeit. Er wurde unsichtbarer in der Fülle der immer spritzigeren, sportlicheren Neuerscheinungen, du trugst ihn aber unbeirrt. Nicht ausschließlich, aber kontinuierlich. Ich schenkte ihn dir immer mal wieder, denn er gehörte zu dir wie dein Knipsfinger, dein Bart und deine zu locker sitzenden Pullover.

„Im Badezimmer sind noch persönliche Dinge“ sagte die Hospizschwester, als wir deine Sachen zusammenpackten. Sie machte das Fenster auf und ließ kalte Luft ins Zimmer strömen. Draußen eilten Menschen hin und her, um die allerletzten Weihnachtseinkäufe zu machen, die alljährlichen, unvermeidlichen Verzweiflungsgeschenke zu besorgen, naturgemäß kurz vor Ladenschluss. Ich ging ins Bad und sah mich um: Deine Schuhe neben der Sauerstoffflasche, deine Lavendelseife, Zahnbürste. Am Waschbecken der Flakon „Photo“. Ich hatte keine Ahnung, dass du ihn bis zuletzt bei dir hattest. Es war gewiss nicht derselbe Flakon, wie der an Heiligabend vor fünfundzwanzig Jahren. Aber dergleiche.

Ich steckte ihn ein und nahm ihn mit nach Hause. Dich konnte ich nicht mehr mit nach Hause nehmen. Völlig unlogisch für mich, es war doch Heiligabend. So viel zu tun jetzt – und doch nichts mehr. Was macht man, wenn der Lieblingsmensch geht? Wo soll man suchen, wo finden? Kann Weihnachten überhaupt sterben und wie lange dauert eigentlich „nie wieder“? Ein leerer Kopf, ein volles Herz, ein drei viertel voller Flakon „Photo“ in der Manteltasche.

Ich habe noch immer keine Ahnung. Dein Flakon „Photo“ ist noch immer exakt drei viertel voll. Ich schnuppere immer nur vorsichtig am Sprühkopf, zu mehr fehlt mir der Mumm. Das letzte Mal hast du nämlich gesprüht – und das soll auch so bleiben. Kein anderer als dein Knipsfinger soll den Sprüher jemals betätigen. Eingestellt haben sie „Photo“ auch noch – wie zynisch. Ist vielleicht aber auch besser so, denn damit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ihn dieses Jahr irgendjemand irgenjemandem zu Weihnachten schenkt. So aus purem Zufall, als Verzweiflungsgeschenk kurz vor Ladenschluss.
24 Antworten
Peanut vor 4 Jahren 22 9
10
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Es ist das Fällige, das uns zufällt
Sagte zumindest Max Frisch. Ich bin da ganz seiner Meinung, es trifft auf so Vieles zu: Uns fällt oft das in den Schoß, wofür wir Antennen haben, wofür wir empfänglich sind und wonach wir eher unbewusst denn bewusst suchen.

So fiel mir "Terre d'Iris" scheinbar zufällig in den Schoß, als ich mit der lieben Hermia Parfums tauschte. Ich versprach mir von dem Tauschduft eine sauberpudrige, kühle Iris, denn sauber mag ich Düfte immer noch am liebsten. Was bekam ich? Zunächst einmal eine kerlige, strenge Kopfnote, die so weit weg von meinen Hoffnungen zu liegen schien, dass ich dachte "Eine Nummer zu groß für dich: Bleib du mal lieber bei deinen Babypopodüften und bei all dem, was in makeupfarbenen Flakons verkauft wird".

Doch dann ermahnte ich meine eilige Fast-Food-Nase zur Geduld und sprühte mich mit "Terre d'Iris" brav jeden Morgen ein, bis der Groschen ganz laut fiel: Zurück auf Anfang! Eine alte Duftliebe, schmerzlich vermisst, weil nur zu astronomischen Ebaypreisen aus fragwürdigen Beständen zu bekommen, ist mir da ins Haus geflattert: "Secrets d'Essences - Iris Noir". Die Geduld des Wartens auf den richtigen Ersatz, die Geduld mit der maskulinen Kopfnote, die Geduld des Tag-für-Tag-Testens hat sich ausgezahlt. Oder anders gesagt: Der war einfach fällig.

Wer meine schwarze Referenz-Iris nicht kennt, dem sei gesagt: Die Kopfnote wird euch wach und munter machen, denn die Agrumen sind herb. Grün und krautig, kalt und botanisch, bitter und böse. Was aber nach und nach unter diesen Agrumen hervorschielt, ist die dunkle, geeiste Nacht-Iris, wie sie sie seinerzeit der grüne Franzose in Flakons abfüllen ließ. Die eine oder andere Note wird sich unterscheiden, aber der Gesamteindruck des Duftes ist so ähnlich, dass ich von Duftzwillingen sprechen würde. Nicht unbedingt eineiig. Dennoch von verblüffender Ähnlichkeit.

Für mich grandios. Sicherlich aber nicht für jede Nase ein Gewinn. Der Duft ist, ob nun im Vergleich mit meiner alten Liebe oder nicht, sperrig, unrund und seltsam. Vielleicht ist er was für Supergeduldige, vielleicht eher was für Banausen, die Meisterwerke wie "Hiris" nicht kennen -- wie ich. Dennoch: Wenn er überhaupt gefällt, dann aber richtig.
9 Antworten
Peanut vor 9 Jahren 42 21
10
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
10
Duft
Draußenkind oder Stubenhocker?
Eau Trouble (oder: Eau Troublé) ist alles, aber kein harmloses Wässerchen. Es ist, wie der Name schon sagt, reichlich trübes Wasser im pechschwarzen Flakon. Trüb heißt aber nicht, dass man hier ein Eau de Tümpel, Eau de Pümpel oder gar Abflusswasser kredenzt bekommt. Nichts dergleichen. "Eau Troublé" ist überaus und unmissverständlich wohlriechend, egal mit welchen Erwartungen man an den Duft herantritt oder wie man olfaktisch orientiert ist.

Wie man den Duft interpretiert hängt allerdings davon ab (das behaupte ich einfach mal), ob man als Draußenkind oder Stubenhocker aufgewachsen ist. Denn: Als Draußenkind (und zwar nur als Draußenkind) verfügt man über folgende Dufterfahrung respektive Assoziationsfläche in seinem inneren Duftarchiv :

Es ist Frühling oder Sommer, man hat den ganzen Tag draußen verbracht. Nach dem fünften bis zwanzigsten Mal "Abendessen ist fertig, bitte reinkommen!" schlurft man widerwillig und dreckig wie ein Kohlekumpel nach Hause. Man hat eine Fuhre Sand in den Haaren und eine von der Abendkühle leicht rot-kalte (wahlweise: verrotzte) Nase, die Latzjeans ist ganz steif vor Dreck. Ein Vollbad wäre angebracht, aber da das Abendessen auf dem Tisch steht, müssen zumindest Hände und Gesicht einer Tiefenreinigung unterzogen werden. Eine Katzenwäsche im Waschbecken ist da der Kinderwaschgang der Wahl (oder der Qual).

Kaum hat Kind fertiggeschmollt und Muttern das warme Wasser eingelassen, stellt Kind fest, dass der Spieleifer noch nicht abgeflaut ist. Sich zu waschen macht zwar so gar keinen Spaß, aber die nasse Seife genüsslich aus den Händen fluschen zu lassen, mit der Nagelbürste Motorboot zu spielen oder zu testen, wie viel Wasser ein nicht hochgekrempelter Ärmel aufsaugen kann-- das macht Laune! So lässt sich locker eine Viertelstunde vertrödeln, bis die Finger schrumpelig sind, das Seifenstück matschig und das erkaltende Seifenwasser ganz trüb ist.

Freeze frame: Das ist der Duft von "Eau Troublé"!

Genau diese Dufterfahrung aus der Kindheit ist es, die sich einer einschlägig geprägten Nase beim Genuss von "Eau Troublé" wieder in voller Pracht offenbart: Die Erinnerung an im Waschbecken erkaltendes, sehr trübes Seifenwasser. Inklusive der spezifschen bitzelnden Würze eines ordinären Seifenstücks gepaart mit dem leicht dumpfen Geruch erdigen Patschehändchendrecks. Mit von der Partie ist der Hauch der noch in der Nase und in den Klamotten hängenden frischen Luft und des Abenteuers-- aber das mag überschwängliche Überinterpretation sein. Das Seifenwasserkonzept an sich aber ist (so finde ich) recht deutlich zu erkennen und vermutlich auch gewollt.

Eine Stubenhockernase jedoch, die nie das Glück hatte, dreckig genug nach Hause zu kommen, um die Hände im Seifenwasser mariniert zu kriegen, wird höchstwahrscheinlich eher das riechen, was die Duftpyramide suggeriert: Eine rauchig-herbe Blumenkomposition (etwas Orangenblüte, etwas Puderiris, eine Idee Rose vielleicht) auf feinholzigem Bett aus Zeder, gesprenkelt mit bewusst ungefälliger Zitrusschale. Das Ganze durchgehend erdig (Vetiver?) und kühl-würzig gehalten, von diskret dürsterem Charme.

Dieses Forum wird aber offenbar von nicht wenigen Draußenkindern bevölkert, denn das Seifenmassaker-Kopfkino rattert (glaubt man den untenstehenden Kommentaren und meiner bescheidenen Meinungsforschung) nicht nur bei mir los, wenn das "Eau Troublé" den Weg in die Nasenlöcher findet. Was nicht bedeuten muss, dass dies die einzige und gewollte Wirkungsabsicht des Duftes sein muss. Für ehemalige Dreckspatzen jedoch eine naheliegende.

Anders gesagt: "Eau Troublé" vereinigt (und outet!) die Draußenkinder aller Länder.
21 Antworten
Peanut vor 10 Jahren 23 11
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
4
Duft
Nur in Kombination mit einem Doppel-Whopper
Ich fürchte, dieser Kommentar wird unangemessen kulinarisch werden. Dabei ist "J'aime" noch nicht einmal ein Gourmand (zumindest nicht im klassischen Sinne). Wer noch nicht zu Abend gegessen hat, der sollte die Lektüre dieses Kommentars erst einmal aufschieben: Allein durchs Lesen isst (und trinkt) man sich satt-- allerdings mit minderwertigen, leeren Kalorien ohne jeden Nährwert.

Jetzt schieße ich aber los, denn der Frust über meinen neuesten Blindkauf ist so übermächtig, dass ich sonst platze, wenn ich nicht sofort losbashe. Nun: Dieser unplanmäßig in meine Sammlung gekommene Duft ist wie ein Wagyu-Filet in Ketchup ertränkt. Oder wie eine Tasse Kopi Luwag ("Katzenkaffee") gepanscht mit Kondensmilch aus der Konserve. Oder wie ein Schluck Château Margaux 2009-- verarbeitet zu Bowle.

Will sagen: Alles, was "J'aime" hätte schön, wertig und riechenswert machen können, ist zu einem klebrig süßen Sirup verkocht worden. Die feine, dunkel-fruchtige La-Perla-Grundnote, die auch in "J'aime la nuit" zu finden ist, die deutliche Lilie, die appetitliche Himbeere: Man nimmt sie schon noch wahr und streckt gierig die Riechrezeptoren nach ihnen aus. Doch leider schwimmen sie in ordinärem, leicht karamellisiertem Kristallzucker: Dagegen kommt keine noch so bemühte Nase an.

Werte Frau Caron, haben Sie dieses Parfum etwa auf leeren Magen kreiert? Hätten Sie mal was gesagt, ich hätte Ihnen ein Krabbenbrötchen per UPS geschickt. Vielleicht hätten Sie den Zuckerstreuer gar nicht erst ins Spiel gebracht.

Nun sitze ich auf 50 ml Zuckerwasser und ärgere mich, mir nicht selbst in den Hintern treten zu können (funktioniert nicht!). Blindkäufe passieren mir eigentlich nicht mehr: Wie konnte mir also dieser Duft passieren? Wahrscheinlich ging ich von "J'aime la nuit" aus und wähnte mich sicher. Epic fail! Die Nacht-Variante ist in jeder Hinsicht ein ganz anderer Schnack und sehr viel beachtens- und tragenswerter als das U18-Mädchen-Gedeck, das ich nun mein eigen nennen darf.

Ich gebe zu, hin und wieder packt mich die Lust, mir den süßen Nasenverbieger aufzusprühen. Ich sage Euch auch wann: Wenn ich nämlich vorhabe, mir einen Doppel-Whopper mit Käse ins Gesicht zu stopfen. Der schlägt mit über 800 kcal zu Buche, da muss man sich für den Rest des Tages mächtig zurückhalten. Aber: 2-3 Sprühstöße "J'aime" nach (!) dem sündhaft schweren Genuss und man kriegt bis zur nächsten Dusche noch nicht einmal eine abgebrochene Reiswaffel runter.

Ich glaube, ich behalte "J'aime".
11 Antworten
Peanut vor 10 Jahren 41 20
10
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
10
Duft
Des Duftjunkies (wirklich!) allererster Schuss
Gibt es den ultimativen, vollkommenen, unvergleichlichen Duft der Geborgenheit? Darüber lässt sich mit Sicherheit diskutieren. Wir alle wissen, dass jeder Jeck olfaktorisch anders konditioniert ist, jeder eine andere Duftbiografie hat und dass bei jedem die Schublade „Geborgenheit“ anders belegt ist.

Trotzdem gibt es in der Geborgenheits-Hitparade einschlägige Favoriten, die mehr oder weniger zeit- und kulturübergreifend gelten: Der Duft von warmer Haut, Mamas Vanillepudding oder Omas Backkünsten. Übersetzt in Duftnoten sind dies vor allem Amber, Vanille, Tonka, Benzoe, Heliotrop.

Das wäre schon einmal eine Tendenz, aber nur eine grobe. Denn: Wessen Oma ganz scheußlich backte, der wird vielleicht ein Leben lang keksige Düfte verabscheuen. Wer als Kind die Angewohnheit hatte, sich den Vanillepudding „nochmal durch den Kopf gehen zu lassen“ (weil ihm das Puddinghäutchen nicht bekam), der ist vielleicht fürs Leben gezeichnet und vanille-traumatisiert. Kurz: Trotz eindeutiger Tendenzen zu anheimelnd-mildsüßen Düften wird es beim Thema „Geborgenheit via Duft“ kleine und feine Unterschiede geben.

Dennoch behaupte ich: Es gibt den einen für (fast) alle Nasen geltenden Superduft der Geborgenheit, der selbst die abgeklärtesten Menschen dazu bringt, sich in Fötushaltung in eine warme Ecke zu verkriechen und dämlich-entrückt zu grinsen. Es ist der Duft warmen Babybreis! Ich meine natürlich nicht die grellbunten Hipp-Schichtpürees à la „Forelle mit Erbsen auf Spaghetti“. Ich meine frisch gekochten Baby-Milchbrei. Für die ganz, ganz Kleinen noch für die Flasche (Folgemilch mit Grieß), für die etwas größeren Kleinen etwas weniger flüssig für das erste zahnlose Muffeln mit dem Plastiklöffelchen.

Gustatorisch ist dieser erste, so prägende Genuss später im Leben höchstens in Form von Panna Cotta, Grießbreidessert oder Haferschleim wiederholbar bzw. imitierbar. In olfaktorischer Hinsicht kann man sich gut und gerne von Lostmarc´h verwöhnen lassen. „Lann-Ael“ ist ein einwandfreier, authentischer Flashback in die Heile-Welt-Kleckerlätzchen-Lebensphase: Es duftet milchig, süß, vanillig, dampfig, warm, einlullend, getreidig.

Ein unschuldiges Glücksgefühl zum Aufsprühen, das trotz aller „Essbarkeit“ wunderbar tragbar ist und gestresste Mitmenschen fast zwangsläufig lockt, entzückt, verwöhnt und versöhnt. Die eindeutige Apfelnote kann an diesem perfekten Babybreiglück nicht viel ändern, denn zum einen ist sie nur im Auftakt wahrnehmbar und zieht sich rasch zurück. Zum anderen ist die Apfelnote milchbrei-konform und driftet allerhöchstens (und nur wenn man will) in Richtung „Oma backt Apfelstrudel“ ab. Dies allerdings ist auch nicht das schlechteste Duftszenario.

Fazit: Ein Anti-Stressduft, der seinesgleichen sucht. Oxytocin im Flakon sozusagen. Der unerwünschte Nebeneffekt: „Lann-Ael“ ist eine ausgesprochene Männer-Klebefalle. Ich verkneife mir an dieser Stelle die männerfeindlichen Witze *gg*. Nur so viel: Wem ein Mann an jedem Rockzipfel nicht zu schwer zu schleppen ist, der sollte sich „Lann-Ael“ kaufen.
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