Die rauchenden Schlote des Chemiewerks oder warum ich mir eine andere Duftmode wünsche

Ist das noch Parfum? So ähnlich schrieb der von mir sehr geschätzte Yatagan kürzlich über Megamare . Megamare hatte ich zwar persönlich nie unter dem Näschen, will ich auch gar nicht, aber es gibt doch zwischenzeitlich viel zu viele ähnliche Düfte und Klone. Diese Duftrichtung scheint immer beliebter zu werden. Sie wabert mir im ÖPNV mit einer Wucht entgegen, dass mir beinahe schwindlig wird und ich überhaupt nicht mehr weiß, was ich hier eigentlich tue und wo ich hin will. Sie tummelt sich auf Businessveranstaltungen genauso wie in Clubs und auf Konzerten des Independent-Bereichs. Auch auf schwäbischen Stadtfesten und Hocketses habe ich sie bereits angetroffen. Mehrfach.

Das ist eine Duftrichtung, die mich an die Schlote eines Chemiewerks bei der Produktion von Flüssigplastik oder Ähnlichem denken lässt. Für den lieben Kollegen Yatagan schlicht langweilig. Für mich leider gar nicht schön. Und was noch unangenehmer für mich ist: Es gibt sie nur mit extremer Sillage, sodass ein Entkommen leider kaum möglich ist. Leider hat jedes Haus inzwischen mindestens einen solchen Duft in petto. Egal ob Designer-, Drogerie-, Nischen- oder Indieduft. Es gibt solche Parfums in nahezu jeder Preisklasse und in den unterschiedlichsten Flakons.

Duftete es vor der Corona-Pandemie noch sehr oft nach Sauvage Eau de Toilette und Aventus (auch die gibt es noch, aber sie sind seltener geworden), so ist derzeit vor allem diese chemisch stechende Duftrichtung auf dem Vormarsch. Ich schließe nicht aus, dass sie inzwischen sogar auf klassischen Konzerten vorzufinden ist. Denn sie ist so angesagt, dass sie kein Alter kennt. Vorwiegend getragen von Herren. Doch auch Damen, ziehen sie nicht eine meterlange Schleppe La Vie est Belle L'Eau de Parfum o.Ä. hinter sich her, haben diese Richtung lieben gelernt.

Duften? Tja, das ist so ein bisschen mein Problem, denn für mich duftet hier leider gar nichts mehr. Als Kind der Neunziger bin ich auch mit so einigen Duftbomben vertraut, die gewiss nicht jedem gefallen haben. Ich denke etwa an Giorgio Eau de Toilette oder Aromatics Elixir Perfume , die meine Mutter mit Vergnügen überdosiert getragen hat, an Sun Eau de Toilette oder Joop! Homme Eau de Toilette , die ganze Reithallen zu füllen vermochten oder an Le Mâle Eau de Toilette , der damals Kult war und in jedem Club, egal, welche Musik gespielt wurde, von Techno, Metal bis hin zu Schlager, zu schnuppern war. Rush knallte einem damals entgegen, andere nebelten sich üppig mit Poison Esprit de Parfum ein oder dufteten 7 Meter gegen den Wind nach Gabriela Sabatini Eau de Toilette . Teint de Neige Eau de Parfum puderte so manche Räume zu. Alles keine Leichtgewichte. Aber eines war anders: Auch wenn mir nicht jeder davon gefallen hat: Dass das Parfum ist, das hätte ich niemals hinterfragt. Sie hatten, wie auch schon Yatagan betont hatte, bei all ihrer olfaktorischen Wucht nämlich Kopf- Herz- und Basisnoten.

Das, was ich heute immer öfter zu schnuppern bekomme, passt leider nicht mehr zu meinem Verständnis von Parfum. Duftrichtung monoton, rauchig, Plasik. Fertig. Daher würde ich mir sehr wünschen, dass bald wieder eine andere Duftmode kommt. Denn wegriechen, das funktioniert bei diesen Sillagen, vor allem in kleineren Räumen, leider nicht. Und dezent dosieren ist auch kaum möglich. Habe solche Düfte weiß Gott oft genug selbst getestet. Hier genügen homöopathische Dosen um bildlich gesprochen olfaktorische Dampfwalzen zu erzeugen. Und diese sind leider nahezu überall zugegen und donnern einem auf Anschlag entgegen: In der U-Bahn, auf Konferenzen, in Meetings, ja, sogar im Wartezimmer beim Arzt.

Bei all den Fans dieser Duftrichtung möchte ich mich entschuldigen. Für viele muss das sehr schön duften, denn ansonsten wäre diese Art Duft nicht so beliebt. Vielleicht fehlen mir aber auch einfach die Rezeptoren dafür? Ich weiß es nicht.

Eure Polly