Zeit für Nostalgie?

Die aktuelle Situation katapultiert uns allesamt in die Vergangenheit. Die Menschen sehnen sich nach ein bisschen Retro, den Kick der Zeitmaschine. Musiker bedienen sich verstärkt an den Klängen der Achtziger Jahre. Ob David Guetta oder Miley Cyrus. Und auch die Looks, über deren Ästhetik man sich selbstverständlich streiten kann, kommen zurück. Nicht nur bei Miley. Eingeläutet hat alles The Weeknd mit seinem Hit Blinding Lights, der mich stark an die A-HA-Hymne schlechthin, nämlich Take on Me, erinnert.

Mich wusste die Vergangenheit stets zu verzaubern. Vor allem musikalisch. Schon als junges Mädchen ging ich nicht gerne mit der Zeit, sondern verliebte mich in die Dark-Wave und Synthpop-Klänge der Achtziger Jahre. Mein Musikgeschmack entsprach dem eines Menschen, der gut zehn Jahre vor mir das Licht der Welt erblickte. Doch gerade damals, zu Beginn der 2000er, schwappte dann auch eine „schwarze“ Welle hoch und sorgte plötzlich für eine ungeahnte Popularität dieser Musikrichtung. Schwamm also auch ich mit dem Strom, auch wenn ich nicht auf Evanescence und Within Temptation, sondern nach wie vor auf The Mission, Gary Numan und The Cure stand? Schwer zu sagen.

Zurzeit flüchte ich mich immer wieder gedanklich ein bisschen in die Vergangenheit, damit mich das aktuelle Geschehen nicht allzu melancholisch stimmt. Ich denke an die 2000er, genauso wie an die vielen Jahre zuvor, und dabei ganz besonders an die Reisen, die ich machen durfte. Da das Reisen uns in diesem Jahr so sehr erschwert wurde, muss man sich nicht wundern, dass die Menschen verstärkt Fernweh bekommen. Dann reisen wir eben durch die Bilderwelt, die in unseren Köpfen wohnt. Wenn es schon nicht anders geht.

Das gleiche Phänomen greift aber auch olfaktorisch um sich. Lange habe ich meinen Jugendduft "Cašmir (Eau de Parfum)" von Chopard nicht mehr besessen und getragen. Bestimmt zwanzig Jahre lang besaß ich keinen einzigen Flakon. Und was passiert 2020? Frau Polly holt sich nicht nur ein Vintage-EdP, sondern es gelingt ihr, sogar an ein Extrait ranzukommen. Dieser Duft hilft mir dabei, in die Vergangenheit zu reisen. Das Kopfkino spielt mir so viele Situationen ab, an die ich so gerne zurückdenke.

Und ich bin nicht alleine mit meiner Sehnsucht nach der Vergangenheit. Heute Vormittag radle ich so durch den Nachbarort und meine Nase nimmt bei den jungen Gymnasiastinnen, die sich da auf dem Schulweg befinden, plötzlich Witterung auf. Eine ganz bekannte Note erschnuppere ich da. Es ist, man glaubt es kaum, "Trésor (1990) (Eau de Parfum)" von Lancôme. Kein Black Opium, kein LVeB, nein: Trésor, den meine damalige beste Freundin auch jahrelang getragen hat. Die Mädels sind zwischen 15 und 18. Was passiert hier, dachte ich mir. Ein paar Meter weiter passiere ich die nächste Schülerin und rieche erneut diesen wunderbaren Klassiker.

Das könnte meine Theorie bestätigen. Auch diese jungen Frauen sehnen sich nach der Vergangenheit. Aber vielleicht haben sie sich einfach nur an den aktuellen Zuckerwässerchen sattgerochen? Oder auch sie sind ein klitzekleines bisschen so wie auch ich. Auch das ist selbstverständlich schwer zu sagen.

Eure Polly