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vor 9 Jahren - 16.06.2015
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Die glorreichen 70er...

Die glorreichen 70er...

Anlässlich der Markteinführung des neuesten Guerlain´schen Herrenduftes, „L’Homme Idéal“, wurde mir mal wieder schlagartig und überdeutlich bewusst, wie sehr sich Moden und Vorlieben doch ändern können. Besonders angesichts meiner letzten, wirklich als sensationell empfundenen Neuerwerbung: „Christopher Street“ von Charenton Macerations.

Hier der neue Herren-Duft des großen Traditionshauses Guerlain, Nachfolger von „Vetiver“, „Habit Rouge“, „Héritage“ und „L’Instant p.H..“. Dort der erste Duft des vergleichsweise winzigen Indie-Labels „Charenton Macerations“, kreiert immerhin von keinem geringeren als Ralf Schwieger, einem Thierry Wasser vergleichbarem Schwergewicht der Branche.

Der eine soll den Geschmack möglichst vieler, vornehmlich junger Männer (und Frauen) weltweit treffen, soll in Frankreich genauso funktionieren wie in Japan, Südafrika, Australien, Brasilien und den USA, soll ein richtiger Bestseller werden und die Schatullen des Hauses füllen.

Der andere wiederum bleibt von derartigen Erwartungen gänzlich verschont. Keine verordnete Massenkompatibilität und auch nicht die Hoffnungen auf eine globale Cash-Cow. Einzige Anforderung: eine duftende Visitenkarte für das kleine Unternehmen namens „Charenton Macerations“ zu sein.

Während „L’Home Idéal“ den offenbar nicht enden wollenden Trend der Gourmand-Düfte aufnimmt und in Sachen Bonbon-Süße an der Spiral noch ein weiteres, kaum für möglich gehaltenes Mal dreht, greift „Christopher Street“ diesen und den zweiten ebenfalls nicht enden wollenden Trend der Frische-Fougères völlig ignorierend, ganz, ganz weit zurück – in die 70er Jahre. In eine Zeit also, als der Markt noch überschaubar war, Düfte noch nicht anhand irgendwelcher Marktanalysen gestylt wurden sondernder Inspiration der Parfumeure entsprangen, als der Begriff „Herrenduft“ noch so etwas wie Neuland war, aber immerhin im Vergleich zu vorher schon eine gewisse Aufmerksamkeit erfuhr, bevor es dann zum Ende des Jahrzehnts zu einem regelrechten Big-Bang kam.

Was wurde in dieser Zeit experimentiert! Im Gegensatz zur Duftwelt der Damen war das Feld ja keinesfalls bestellt. Sicher, ein paar Düfte gab es, richtig gute sogar: „Eau Sauvage“,„Pour un Homme de Caron“ und das ein oder andere „Vetiver“, aber fast alle entsprangen sie zwei der für Herrendüfte überaus klassischen Richtungen: die der frischen, zitrischen Colognes oder der auf Lavendel-Tonkabohnen-Basis beruhenden Fougères.

Zwei weitere kleine Nebenlinien gab es zwar auch noch, die der Pinien-Düfte à la „Blenheim Bouquet“ oder „Pino Silvestre“ und die der Lederdüfte à la „Knize Ten“ und diversen „Cuir de Russie“ (oder „Russisch Juchten“), aber das war´s im Grunde.

Was dann aber kam, weitete die bis dato kaum überwundenen Grenzen enorm.

Mit „Habit Rouge“ und „Aramis“ begann es noch in den 60er Jahren, wurde mit „Equipage“ zum Beginn des neuen Jahrzehnts fortgesetzt und fand in „Yatagan“, „Paco Rabanne p.H.“, „Azarro p.H.“, „Grey Flannel“, „Halston Z-14“, „Van Cleef & Arpels p.H.“, „Devin“, „Aramis 900“ und vielen anderen seine Fortsetzung.

Ein völlig neues Genre wurde kreiert, dass der „aromatischen Fougères“, während ein anderes, das im Bereich der Damenparfümerie eher ein Schattendasein führte, zu neuer Blüte gelangte, die sogenannten „Leder-Chypres“.

Viele Düfte dieser Epoche, egal ob nun Fougère, Chypre oder Orientalisch, zeichnet häufig ein überaus großzügiger Umgang mit animalischen Beimischungen aus. Castoreum, auch Bibergeil genannt, Ambregris, Moschus oder Zibet, viele Düfte sind voll davon. Manche derart, dass heutigen Konsumenten die Sinne zu schwinden drohen („Yatagan“!). Aber damals waren sie der Gipfel der Erotik, galten als delikat in ihrer narkotisierenden Wirkung und wurden nur noch von den letzten Großmeistern ihrer Zunft in den Schatten gestellt – „Jules“ und „Kouros“.

Danach war Schluss mit schmutzig und es wurde süß („Lagerfeld“!) und schließlich frisch („Cool Water“!).

„Christopher Street“ ist nun so ein Duft, der tatsächlich an die Großtaten der 70er Jahre anknüpft, viel eher noch als ein Duft der eine ähnliche Intention verfolgte, nämlich „Rive Gauche p.H.“. Viel zu sauber geriet der, ohne die erotischen Vibes des Jahrzehnts der sexuellen Befreiung. In „Christopher Street“ aber klingen sie an, und wie!

Kein Wunder, bei einem Duft dieses Namens...

Ein weiterer Duft, der ähnlich erfolgreich wie „Christopher Street“ den olfaktorischen Geist der 70er Jahre beschwört, ohne dabei altbacken zu wirken, ist die Neu-Auflage des Uralt-Klassikers „Fougère-Royale“. Beiden gelingt der Spagat in die Moderne: olfaktorisch in den Jahren des Aufbruchs, der Innovation wurzelnd, in der Wahl der Mittel aber zeitgemäß.

Kehre ich dann wieder zurück zu den neuesten Werken der großen Häuser, zu „L’Homme Idéal“ oder „Dior Homme Parfum“, nebst den momentan so beliebten unzähligen Cologne-Versionen, so beschleicht mich das Gefühl, dass wir momentan in einer Art restaurativen Phase leben, allerdings einer, die keine Zeit des Aufbruchs beschwört, sondern eher eine der Konsolidierung und des Biedermeier – back to the 50’s sozusagen. Damals trugen die Herren maximal ein Cologne und wer mehr wollte, mopste sich heimlich Mutters „Arpège“ oder „Miss Dior“.

Mopsen muss man heute glücklicherweise nicht mehr, dafür stehen „L’Homme Idéal“ und „Dior Homme Parfum“ ganz offiziell parat, aber besser waren Mutters Düfte allemal.

Ich, für meinen Teil, stöbere lieber in der Kiste meiner Jugend-Düfte: „Devin“, „Aramis 900“, „Paco Rabanne pour Homme“, „Antaeus“ und wie sie alle heißen.

Wie modern, wie mutig wirken sie doch angesichts der verzagten Resultate die uns heute als zeitgemäß verkauft werden!

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