Reckoner

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1 - 5 von 19
Reckoner vor 12 Jahren 10 6
5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
4
Duft
Griechischer Held auf der Pflegestation oder Die Irrungen des Lorenzo Villoresi
Theseus
by Lorenzo Villoresi

Theseus. Draufgänger, Idol, Gigant seiner Zeit!

Zu Recht.

Unser Mann fand nicht nur mit Hilfe des berühmten Ariadne-Fadens aus dem gruseligen Labyrinth des Minotauros, bevor er selbigen tötete, sondern schwängerte auch diverse Göttinnen, Halbgöttinen und auch gewöhnliche Damen des Landes.

Nebenbei soll Theseus so einiges an Personal der griechischen Mythologie um die Ecke gebracht haben und musste sich daher vom vielen Blutvergießen hin und wieder reinigen lassen. Es muss irgendeine merkwürdige Mischung aus Bübchen, Bebe und Penaten gewesen sein, was genau, lässt sich heute nicht mehr ausmachen.

Nein, von glänzender Rüstung und schlagendem Herzen ist hier keine Spur.

Was zur Hölle hat Meister Villoresi sich dabei nur gedacht?

Vor meinem geistigen Auge entsteht im Kontext eines solchen Namens vielmehr das Bild eines mitleidigen und schutzbedürftigen Würmchens, bar jeder sexuellen Energie. Unschuldig, unerfahren. Ein kleiner Junge, wenn überhaupt. Bei der Vorstellung eines erwachsenen Mannes in Verbindung mit diesem Duft lande ich unweigerlich auf der Pflegestation.

Am ehesten mag ich mir Theseus noch an einer Frau vorstellen, unschuldig und verletzlich, eben dieser Typ Frau (wir kennen doch alle eine dieser Art), die sich mit Vorliebe mit den Pflegeprodukten aus der Babyabteilung eindeckt.

Ach ja.
Als Theseus 50 Jahre alt war, entführte er die damals 12-jährige Helena.
Vielleicht wollte Villoresi uns mit dieser Kreation einen Weg aufzeigen, wie man ein Mädchen im, na sagen wir, nicht heiratsfähigem Alter verführen könnte.

Nein, für mich ist Theseus zumindest ein konzeptioneller Flop.

Arme griechische Mythologie.
Das hat sie nicht verdient.

Nun gut, irgendein König hatte irgendwann einen triftigen Grund, Theseus von einem Felsen in den Tod zu stürzen.

Ich ziehe ihm gleich.
Ab in den Soukh mit Dir, Theseus.
6 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 17 11
5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
4
Duft
Anamorphosen - oder „Vom Kampf ums Hier und Jetzt“
Mouchoir de Monsieur
by Jacques Guerlain

Immer wieder komme ich an den Punkt, an dem ich den Kampf kämpfe zwischen der Anerkennung eines gut gemachten Duftes, der Güte und Qualität im Kontext seiner Zeit und dem persönlichen Empfinden, dem Heute oder ganz einfach meinem eigenen Geschmack.

Mouchoir de Monsieur ist ein treffliches Beispiel für einen solchen Kampf.

Ich gebe unseren beiden Star-Rezensenten in fast allen Punkten Ihrer Kommentare Recht. Wie wunderbar sie diesen Duft wieder einmal skizziert haben. Ich kann so vieles nachvollziehen.
Und doch.

Unterm Strich, im Hier und Jetzt, ist und bleibt Mouchoir de Monsieur für mich allenfalls ein museales Erlebnis.

Ich kann und will mir, bei aller Phantasie, keinen realen Menschen vorstellen, der diesen Duft freiwillig tragen mag. Und dann schaue ich nach rechts und sehe diese lange Liste all derer, die allein hier diesen Guerlain ihr Eigen nennen. Und wieder kämpfe ich mit mir und der Welt.
Was stimmt da nicht mit mir? Was nicht mit meiner Nase?

Ehrlich?

Puder hin, Puder her. Männer zu Beginn des letzen Jahrhunderts hin oder her. Ich bevorzuge Tempos.

Heute, 2012, assoziiere ich mit viel Mühe vielleicht noch meine Großmutter mit offenem Mund auf dem Zahnarztstuhl sitzen, die letzten drei Kronen gerader runtergenommen, in ein urinöses Blumenmeer getaucht, zugepudert von Kopf bis Fuss.

Ein Zerrbild.
11 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 37 13
2.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
6
Duft
Wehmütige Erinnerungen an Vergangenes - eine futuristische Elegie
Greyland
by Pierre Montale

Wir schreiben das Jahr 3101.

Der blaue Planet liegt in Schutt und Asche.
Die Welt ist grau.

Unter den Trümmern und dem Staub findet man immer wieder Reste von Dingen, Zeichen, die uns von einer einst prachtvollen und schimmernden Zeit erzählen.
Wir ahnen, dass hier einmal eine kulturelle Vielfalt geherrscht haben muss, die ausserhalb unserer Vorstellungskraft liegt.

Ein Flakon.

Eine dicke Staubschicht bedeckt ihn. Vorsichtig befreien wir ihn davon.
Darin der Rest eines Duftes. - Wir schnuppern vorsichtig daran.

Was ist das?

Auch dieser Duft erzählt von einer wahrhaft prächtigen Zeit. Eine kostbare Würze muss ihn einst getragen haben, üppig die schönsten Rosen. Edle Hölzer. Dieser Duft scheint einmal eine perfekt komponierte Schönheit gewesen zu sein. Fesselnd und Faszinierend.

Aber die Zeit hat ihm alle Ecken und Spitzen genommen, ihn Puderzucker gleich mit einer matten Staubschicht überzogen.
Wie auch der Rest dieser trostlosen Welt scheint dieser Duft seinen Charakter über die Jahre verloren. Welch ein Jammer.

Mit Mühe entziffern wir etwas unter der von Gestein und Staub zerkratzten Oberfläche:
M ::: E ::: M ::: O ::: I ::: R ::: M ::: A ::: N

Unsere Zeit läuft ab, wir müssen zurück zur Basis.

Etwas wehmütig lassen wir dieses „Greyland“ zurück und träumen von einer Welt, einer Zeit, für die uns Worte fehlen, sie zu beschreiben.
13 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 24 6
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft
Eau Noire - Das Lächeln einer Sommernacht
La Collection Privée - Eau Noire
by Fancis Kurkdjian

Schwarzes Wasser.

Mit beissender Ironie scheint uns Francis Kurkdjian hier mit dieser großartigen Komposition zu begegnen.
Kein Eau schenkt er uns hier. Er schenkt uns vor allem ein Lächeln.

Wenn ich diesen Duft in der Nase, den schlichten 250 ml Flakon in der Hand haltend, das Wort „Eau“ lese, und zudem mit einer Haltbarkeit beglückt werde, die manch EdP in den Schatten stellt, muss ich einfach in mich lächeln. - Der Mann muss Humor haben.

Immerhin schwarz. Das passt. Hier hört der Humor also auf.

Den Lavendel, den ich hier ganz dicht und satt, aber, Gott sei‘s gedankt, ganz unenglisch wahrnehme (an Pour un Homme de Caron erinnert mich dies nicht), ist ein Lavendel des Abends oder der Nacht.
Hier entsteht kein blassblaues Violett vor dem inneren Auge. Eau Noire ist eine durch und durch dämmrige Interpretation von Lavendel.
Schwarz und weiß. Cremeweiß.

Vielleicht eine Sommernacht.
Am kleinen maroden Pool eines Chalets in der Provence.
Unter alten Bäumen. Grillen.
Die Luft ist jetzt kühl. Noch schwanger von den Düften des Tages.
Ein cremeweisser Smoking. Ein offenes Hemd.
Die getrunkene Tasse, leicht eingetrockneten Café Noires steht auf dem kleinen Tisch.
Das weiße Tuch weht ganz leicht, fast übers Gras.
Eine Zigarette, ein Glas Pastis, trüb im Eis von der Resthitze des Tages.

In Eau Noire habe ich für mich etwas wirklich großes gefunden, eine wohltuende Entdeckung, die sich so deutlich von allem abhebt, was in den großen und breiten Regalen steht.
Diesem Duft bin ich vom ersten Augenblick an verfallen.

Warum war mir schnell klar. Weil Eau Noire für mich das tragbare Sables ist.

Die verblüffende Ähnlichkeit mit Sables beschrieb Profumo auf den Punkt. Immortelle verbindet die beiden Düfte im alles überstrahlenden Herzen.
Profumo beschrieb Sables sehr passend als einen „hochmütigen Außenseiter“ und bescheinigte dem Haus Goutal eine gehörige Portion Chuzpe. Recht hat er.

Und dennoch, Goutals Sables ist für mich einer dieser phantastischen Düfte geblieben, dem ich zu Füssen liege, ihn aber so gut wie nie trage.

Ausreden gab es immer. Zu Laut, zu intensiv, das falsche Wetter. Und. Und. Und.
Letztlich fühlte ich mich auch immer noch ein wenig zu jung für diesen großartigen Duft, fieberte fast auf den Tag hin, wo sich dieser Eindruck ändern würde. Und ich endlich „reif“ für Sables sein würde.
Und das deutlich leichtfüssigere L‘Etre Aimè Homme von Devine kam ihm trotz der ebenfalls sehr schönen Immortelle Note auch nicht wirklich nahe.

Und nun dies.

Welche ein Geschenk für mich von Francis Kurkdjian.
Sables wird tragbar dank Eau Noire.
Es ist genau so barock wie Sables und doch moderner, ebenso wild und doch urban, genauso kraftvoll aber weniger laut, er ist ebenso komplex aber feinstofflicher. Wunderbar ist das.

Und er ist dunkler. Dämmriger.

Also hebe ich die Hand und bestelle mir noch einen Café Noire, nippe an meinem kühlen Pastis, lausche den Grillen, atme tief die von Würze und Blüten schwangere Abendluft ein und blicke hinüber zum Pool, auf dessen Wasseroberfläche sich schwarz die gesamte Provence zu spiegeln scheint.
Eau Noire.
6 Antworten
Reckoner vor 12 Jahren 14 3
2.5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
9
Duft
"A White Cube" oder "Ein Traum von Schmutz"
Airborne
by Hussein Chalayan

Meine letzte, für mich so enttäuschende Dufterfahrung mit Eau d‘Ikar von Sisley führte mich direkt zu Airborne aus dem Hause Comme des Garçons.

Wie das?

Eau d‘Ikar startete mit einer umwerfend, grandiosen Note, die auf Papier deutlich über die Kopfnote hinauszustrahlen schien und mir so großes in Aussicht stellte. Auf der Haut aber war der Zauber nach wenigen Minuten verflogen. Der Rest ist Schweigen.

Enttäuschung machte sich breit.
Diese aber so besondere Kopfnote wollte mir nicht mehr aus dem Sinn. Das Studium der Pyramide ließ vermuten, dass Mastix ganz maßgeblich dafür verantwortlich ist.

Also machte ich mich auf die Suche nach MASTIX. Fündig wurde ich mit Airborne von Hussein Chalayan.

Ja diese Pyramide klang für meine Nase vielversprechend und der erste Eindruck auf Papier euphorisierte mich erneut und machte Hoffnungen "ES" gefunden zu haben.

Rauf auf die Haut.

Und auch dort ein extrem interessantes, wenngleich schon deutlich leiseres Opening als auf Papier.

Mastix scheint ein nur schwer zu haltender Akkord zu sein, denn dieses „Besondere“ schwindet wie schon bei Eau d‘Ikar schnell und macht etwas anderem Platz, das ich doch sehr gut kenne:
Cologne, ja, Cologne von Mugler. Die Ähnlichkeit im Herzen ist verblüffend.

Ein Vergleich der Pyramiden erklärt einiges. Bergamottte, Neroli, hier Zitrone dort Petitgrain und wieder vereint Moschus. Wie auch der Mugler wird Airborne zunehmend seifig, hält die Frische und bleibt vor allem sehr sauber.

Chalayan wollte mit dieser Kompostion eine Reise wiedergeben. Die Reise von Zypern nach London. Mastix, das Harz der Pistazienbäume, das vor allem in Griechenland gewonnen wird, ist sicher auch in Zypern zu finden. Das macht also Sinn.

Aber was bitte steht in dieser Komposition für London? Seife?

Ich kann mich winden und drehen, ich komme einfach nicht hinter diese Geheimnis Chalayans. Zedern? Sicher nicht. Weihrauch? Kirche? Meditation? London? Nein.

Ich lese erneut die Pyramide: Wacholder, Gin. Das würde hinhauen.
Allerdings taucht der Wacholder hier in direkter Verbindung mit dem Mastix auf, der zusammen mit diesem für diese kurze schöne Kopfnote sorgt. Eine Reise aber? Weit gefehlt.
Diese Reise hier führt mich allenfalls direkt in einen frisch, sauberen White Cube. Kann dieser Chalayans London sein?

„White Cube“ ist ordentlich gemacht und wie ich finde auch insgesamt interessanter als der Cologne von Mugler. Er ist deutlich weniger linear, hat einerseits einen Verlauf, einen schönen Start und verhält sich in Bezug auf Haltbarkeit im Gegensatz zum Mugler tatsächlich wie ein Cologne.

Er hat sicher Potential einige Liebhaber zu finden und taugt par excellence, entsprechend einem White Cube, als Aura-Duft.

Aber was mache ich nun damit?

Hm.
Ich denke, da ich mich schon als kleine Junge gerne mal richtig schön dreckig gemacht habe, ist mir Airborne doch ein wenig zu sauber. Schon der arme Mugler fristet bei mir inzwischen ein Schattendasein.

Und ausserdem ist das Konzept des White Cube in den letzten Jahren mehr als umstritten. Viele Kuratoren und Museumsarchitekten glauben inzwischen, dass sich Kunst in weißen Räumen ohne jede Aufbereitung zu wenig erleben lässt.
3 Antworten
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