Ronin

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1 - 5 von 50
Ronin vor 2 Jahren 13
8
Flakon
8
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Iris, abweichlerisch?
„My mother, she was an anomaly, she was brilliant, she was loved but she paid a huge price.”

Ein Zitat Lisa Simones über ihre Mutter Nina. Nina Simone, große Jazzdiva, „Hohepriesterin des Soul“ genannt, galt in der Plattenindustrie als schwierig, war sprunghaft, eine Getriebene. Ihre Wutausbrüche waren legendär. Zum Teil lässt sich das erklären mit einer bipolaren Störung, die erst im Alter von 60 Jahren diagnostiziert wurde. Lisa Simone hatte das Gefühl, eine Mutter zu haben, die nicht fähig war, sie bedingungslos zu lieben. Dennoch sagt sie mit ihrem Zitat: das gehört zusammen. Das, was wir an Nina Simone lieben, bewundern, ihre Kunst, ist nicht zu trennen von dem, was ihre Tochter als „Anomalie“ bezeichnet.
Parfumnamen verdienen selten Aufmerksamkeit. Bei Etat Libre d'Orange hingegen kann es lohnend sein: oft führen sie in die Irre und die Parfums sind anders, als wir erwartet hätten. Dennoch, um eine Ecke gedacht, passen die Namen dann wieder hervorragend. Uns wird ein Spiegel vorgehalten, wie sehr Voreingenommenheit uns hier im Weg stehen kann.
Wenn nun Lisa Simone nach Worten sucht, um ihre Mutter zu beschreiben, und all die Facetten und widerstrebenden Gefühle unter dem Begriff „Anomalie“ zusammenfasst, dann ist das viel zu groß, viel zu bedeutend zur Beschreibung lediglich eines Parfums. Hier scheint „Anomalie“ nur zu bedeuten: abweichend vom Standard, abseits des Gewöhnlichen.
Also: ist "She Was an Anomaly" ein so noch nie gerochenes Parfum? Werden Konventionen eingerissen? Nein. Es ist ein unaufgeregter, raffiniert reduzierter Irisduft. Nicht die buttrige, cremige Seite der Iris wird betont, sondern die pudrige. Das deutet darauf hin, dass (wie fast immer) synthetische, keine natürliche Iris eingesetzt wurde: letztere bringt eine erhebliche Cremigkeit mit, während bei der synthetischen Nachstellung das Pudrige im Vordergrund steht. Hiervon ausgehend kann mit einer geeigneten Inszenierung die Iris sehr kühl, fast metallisch wirken – wie hier bei "She Was an Anomaly". Diese Art der Inszenierung ist in den letzten 20 Jahren zunehmend populär geworden: Yann Vasnier könnte der erste gewesen sein, der dieses Metallisch-Kühle der Iris in "L'Homme de Cœur" pointiert herausgekitzelt hat mit einer Kombination aus Angelika, Zypresse und Vetiver. Annick Ménardo erreichte in "Bois d’Argent" einen ähnlichen Effekt, in dem sie der Iris Räucherharze wie Weihrauch und Myrrhe an die Seite stellte. Diese beiden Düfte waren Trendsetter, gerade der Diorduft: während für "Dior Homme" Olivier Polge diese Iris in Schokoladenkouvertüre tunkte, zitieren Carthusias "1681" und Van Cleef & Arpels "Collection Extraordinaire - Bois d'Iris" den Duft Annick Ménardos deutlich.
In dieser Tradition bewegt sich auch "She Was an Anomaly". Die Betonung der kühlen Pudrigkeit erreicht Daniela Andrier hier nicht durch Räucherharze (obwohl eine Spur Weihrauch sogar enthalten sein könnte), sondern mit einem ebenfalls prägnant pudrigen Moschus. Die anderen Noten sind Beiwerk: die Manderine ist auf Papier noch zu erkennen, auf der Haut in kürzester Zeit nicht mehr. Die Sandelholznote schwingt vom Start bis zur späten Basis im Hintergrund mit und unterstützt die Textur, ohne sich jemals nach vorne zu drängen. Was bleibt ist Iris, noch reduzierter als in den anderen, das Kühl-Pudrige betonenden Parfums. Diese eigentümliche Irisinszenierung hat Apicius einmal eingängig als den Geruch stockfleckigen Papiers beschrieben.
Das Parfum zeigt kaum einen Verlauf und schafft es – handwerklich exzellent – dass sich die Proportionen über die respektable Haltbarkeit hinweg kaum verschieben. Interessant ist, dass der Duft dabei nicht langweilig wird: Parfums ohne ausgeprägte Bögen brauchen eigentlich Kontraste oder eine innere Spannung, um animierend zu bleiben und nicht irgendwann einfach zu nerven. Wie dieser Duft das erreicht, weiß ich nicht.
Zusammengefasst: keine Anomalie, sondern vielleicht sehr gut, aber auch sehr normal? Möglicherweise nicht nur. Bei der Entwicklung des Parfums wurde künstliche Intelligenz eingesetzt und der Rechner wurde mit der Givaudanformeldatenbank und den Vorlieben Daniela Andriers gefüttert. Das Programm empfahl nun eine ungewöhnliche Überdosis Iris mit Moschus, auf die die Parfumeurin laut eigener Aussage nie gekommen wäre. Für sie eine Anomalie. Sie ergänzte die Formel nur noch. Ob das Außergewöhnliche dieses Duftes auch für nichtprofessionelle Nasen eine „Anomalie“ darstellt, wage ich zu bezweifeln.
Was bleibt ist das Parfum: ein fokussierter Irisduft.
13 Antworten
Ronin vor 3 Jahren 15
9
Flakon
6
Sillage
6
Haltbarkeit
8.5
Duft
Saft statt Kraft
Schon mal gerochen? Jein …

Viele Parfumeurinnen und Parfumeure entwickeln ihre Ideen weiter. Einmal umgesetzt sind sie Ausgangspunkt und Inspirationsquelle für weitere Parfums. Dies gilt für Ideen, die es hergeben, bei einer anderen Akzentuierung reizvoll Neues zu bieten. Auch Jean-Claude Ellena arbeitet so. Der Ausgangspunkt des „Eau de Pamplemousse Rose“ ist unüberriechbar das drei Jahre vorher erschienene „Terre d'Hermès“ und dessen Grapefruitstart.
Grapefruit umzusetzen ist parfumistisch nicht einfach: Für den charakteristischen Duft der natürlichen Frucht maßgeblich sind winzige Mengen einer schwefelhaltigen Verbindung, die in Formulierungen instabil ist. Deswegen entwickeln Parfums mit natürlichem Grapefruitschalenöl oftmals schon nach kurzer Lagerung unschöne Fehlaromen in Richtung Schweiß und Muff (Bei "Citrus Paradisi" von Czech & Speake scheint dies so zu sein.). Um einen beherrschbaren, stabilen Grapefruiteindruck zu erzielen, muss er entsprechend "nachgebaut" werden. Jean-Claude Ellena löste diese Aufgabe bei "Terre d'Hermès", in dem er Orangenöl mit dem Rhabarberduftstoff Rhubofix kombinierte. Heraus kommt trotz der einfachen Formel ein sehr naturalistischer Grapefruitduft. Dieser Grapefruitzaubertrick fand - zumal "Terre d'Hermès" ein Verkaufsschlager wurde - viele Nachahmer und Grapefruit als Kopfnote wurde Trend.
Auch Ellena selbst dachte sich wohl, dass von hier der Weg zu einem zitrischfrischen Cologne ein leichter sei. Und so ist es dann auch gewesen: fast die gleichen Komponenten, in den Proportionen verschoben, bestimmen beide Düfte. Für "Eau de Pamplemousse Rose" wurde die Kopfnote betont, die Zeder-Vetiver-Basis heruntergedimmt. Zusätzlich wurde die Iso-E-Super-Konzentration massiv abgesenkt. Das bewirkt zweierlei: Zum einen stehen großraumgreifende Sillage und lange Haltbarkeit einem Cologne, das zum Erfrischen auch mal nachgelegt werden können sollte, nicht gut an; zum anderen nimmt Iso-E-Super Saftigkeit. "Terre d'Hermès" soll Trockenheit widerspiegeln: Staub, Sand, Feuerstein, ockerfarbener, warmer Boden. Deswegen wurde so viel Iso-E-Super zugesetzt, dass die Grapefruitkopfnote auf eigentümliche Weise verfremdet wurde: trocken, aber nicht wie eingeschrumpelte Früchte, sondern dabei herbfrisch bleibend. Für "Eau de Pamplemousse Rose" hingegen darf und soll die Frucht prall und saftig sein. Frisch aufgeschnittene Grapefruit und beim herzhaften Hineinbeißen tropft der Saft aus den Mundwinkeln. Erfrischend, fröhlich, bar jeder seriöser Strenge.
Das zurückhaltende florale Herz des "Terre d'Hermès" um die spitze, schlanke Rosengeranie wurde für "Eau de Pamplemousse Rose" - vermutlich durch Damascon- und Rosenoxid-Zusatz - zur weichen, vollen Rose. Dies unterstützt den saftigen Gesamteindruck. Aber auch bei diesem Duft ist das Herz gerade so stark herausgearbeitet, um das Wortspiel "Rose" = rosa oder Rose zu ermöglichen. Die vom Vorbild bekannte Zeder-Vetiver-Basis ist leidlich intakt, aber sehr, sehr zurückgenommen. Hermès hat sich mit seinen Colognes einen Ruf der Quadratur des Kreises erworben - Colognes anzubieten, die nase ständig zur Abkühlung nachsprühen kann, ohne nach Luft zu ringen, und gleichzeitig eine profunde Haltbarkeit aufweisen. Erreicht wird das, indem sie so komponiert werden, dass sie sich schnell hautnah zurückziehen, dort aber konstante Präsenz aufweisen. In diese Kategorie fällt "Eau de Pamplemousse Rose" nur bedingt: im Vergleich zu den Nachfolgern ist die Haltbarkeit deutlich reduziert. Das ist ja nichts Schlechtes und für Sommer im sonnigen Süden nicht unpraktisch. Wer freilich dennoch die Haltbarkeit erhöhen will, mag folgendes ausprobieren: den Flakon des "Terre d'Hermès"-EdT so über den Handrücken platzieren, dass nur ein halber Sprühstoß auf der Haut landet. Diesen noch reichlich verteilen und mit ca. 6 Sprühstößen "Eau de Pamplemousse Rose" layern. In diesem Verhältnis bleibt der saftige Charakter erhalten, die Haltbarkeit wird erhöht und die Sillage nicht übergriffig. Also quasi ein büro- und ÖPNV-kompatibles "Terre d'Hermès".

Ohne diesen Booster endet "Eau de Pamplemousse Rose" abrupt. So wie dieser Kommentar.
15 Antworten
Ronin vor 6 Jahren 8
9
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Tubéreugembre Cologne (Meine Highlights 2017 3/3)
Mit "Twilly" schließe ich meine Kommentartrilogie ab zu den Düften, die mich 2017 am meisten beeindruckt haben. Ähnlichkeiten der drei? Nur oberflächlich. "Twilly" mag rosa und eher für junge Damen gedacht sein – das war es aber auch schon mit der Gemeinsamkeit mit "Mon Guerlain": kein süßer Gourmand, sondern "Twilly" ist von colognehafter Frische. Wie bei "Wode - Scent" ist im Zentrum des Parfums eine Tuberose – aber vollkommen anders inszeniert.

Tuberose kann Angst einflößen: süß, schwer, herrisch. Der Begriff "narkotisch" wurde vermutlich extra erfunden, um Tuberose zu beschreiben. Diese in einem Parfum prominent einzusetzen, ohne dass sie alles andere plattwalzt, ist schwierig. "Twilly" hingegen ist spritzig, hell, luftig. Wie geht das, ohne Tuberose herunter zu dimmen? Eine Möglichkeit ist es, eine Kopfnote zu wählen, die einen für Tuberose ungewöhnlichen Akzent setzt und ihn bis in die Basis weiter trägt. Und genau diesen Ansatz wählte Christine Nagel:

Der Start erinnert fast an ein klassisches Cologne - etwas Petitgrain und ich meine, Orangenblüte zu erkennen. Bevor aber irgendein 4711-Feeling aufkommt, geht das Petitgrain in einer satten zitrisch-würzigen Ingwernote auf. Diese gibt es dem Duft über einen Großteil des Verlaufs eine animierende, fröhliche Frische. Vermutlich hilft etwas Ambroxan, dass diese Frische bis in die Basis hineinreicht.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich üppig-süße Orangenblüte rieche oder ob dies bereits die Tuberose ist – beides Weißblüher mit großer olfaktorischer Schnittmenge. Jedenfalls wird diese Blütennote schon nach kurzer Zeit cremig, geradezu sämig-buttrig - etwas, was die Tuberose auszeichnet und von anderen Weißblühern unterscheidet.
Diese Textur wird elegant aufgegriffen von einem cremigen Moschus, der die Basis prägt, trotzdem schon früh im Verlauf zu erkennen ist. Dieser Moschusakkord kommt weniger aus der sauber-aseptischen, pudrigen Weichspüler-, sondern eher der cremigen warme-Haut-Ecke.
Die holzigen Aspekte der Tuberose schließlich passen perfekt zu einer milchigen Sandelholznote in der Basis.
Tuberose kann ja ein ganz schöner (indolischer) Stinker sein - "Twilly" ist es aber nicht. Immerhin erinnert die Moschus-Sandelholz-Basis mit ihrer Körperlichkeit sanft daran, wozu Tuberose im Stande sein kann.

In Summe gibt es also zwei Linien in "Twilly": erstens eine süße, helle Tuberose, deren cremig-buttrigen Facetten mit Moschus und deren holzigen mit Sandelholz betont werden; zweitens zitrisch-würziger Ingwer, der als Kontrast zur Tuberose Spannung und Frische in den Duft bringt. Insgesamt entwickelt sich der Duft wenig, sondern behält sein Frisch-Blütig-Wechselspiel. Die Zusammenfassung klingt nach einem typischen Hermèsduft, der auch von Christine Nagels Vorgänger Jean-Claude Ellena hätte stammen können. Hätte er so aber nicht. "Twilly" ist zu sinnlich dafür. Ja, "sinnlich" ist ein problematische Wort zur Parfumcharakterisierung: viel zu oft werberisch verwendet, um irgendwelche banalen Wässerchen der verzweifelt partnersuchenden Kundschaft anzudrehen. Hier passt es aber zur Beschreibung mit dem ganzen Bedeutungsspektrum von "attraktiv" bis zu "mit allen Sinnen genießen". Vielleicht so: wer ein Ellena-Parfum riecht, stellt sich vermutlich vor, wie er sich zum Start des Parfumkreierens eine Skizze mit Bögen, Linien und Winkeln gemacht hat. So wirken oft seine Düfte. Christine Nagel hat wahrscheinlich das gleiche gemacht, eine Skizze mit Bögen, Linien und Winkeln, bevor sie mit dem Mischen der Ingredienzien begann. Aber ihre Düfte wirken nicht so.

Was ich mit sinnlich meine, zieht sich bisher durch alle Hermèsdüfte Nagels. Obwohl handwerklich an Ellena anschließend ist dies ein neuer Akzent. Das tut Hermès gut, das zwar seit 15 Jahre das innovativste der großen Häuser sein dürfte. Dennoch bestand in den letzten Ellenajahren langsam die Gefahr, sich um sich selbst zu drehen.

Schön, dass Hermès den richtigen Zeitpunkt gefunden hat, die Nachfolge zu regeln. Und das denke ich, als ausgewiesener Ellena-Fan.
8 Antworten
Ronin vor 6 Jahren 9
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Keltische Krieger im Kunstunterricht (Meine Highlights 2017 2/3)
Im Rückblick, welche Düfte mich 2017 am meisten beeindruckt haben, ist unter den dreien die geringste Überraschung wohl "Wode": laut bisherigen Kommentaren ein animalisches Biest von Geza Schön. Mit dessem typischen Stil kann ich sehr viel anfangen. Die Transparenz. Der sichere, elegante Pinselstrich, ohne dick aufzutragen. Dabei – im Unterschied zu den oft etwas arg apollinischen Parfums Jean-Claude Ellenas – cool und lässig. Was ich bisher noch nicht von Geza kannte ist ein dichtes, animalisches Machwerk. Nun habe ich eh eine Schwäche für animalische Parfums. Es mag Abstumpfung sein, aber Parfums, vor denen viele mit Hinweis auf Sekret, Exkret oder Exkrement schreiend davon laufen, finde ich meist nicht schlimm. Sondern interessant.

Und wie animalisch ist nun "Wode"? Zu animalisch? Und: funktioniert das, Geza Schöns transparenter Stil und viel Animalik? Also näherte ich mich den Duft von der Basis – und so ist auch der Kommentar strukturiert, von Basis über Herz zu Kopf. Obwohl – "Wode" zeigt keinen deutlichen Verlauf und alles ist immer zu riechen. Nur die Proportionen verschieben sich leicht.

Also: zu animalisch? Mitnichten. Harzig und dicht, viel Styrax und Labdanum. Animalisch? Für mich nur ein wenig. Ich würde sagen: menschlich. Dabei sehr tief, ohne wirklich in Gefahr zu sein, abzugleiten. Diesen Effekt der Tiefe, die gleichzeitig gehoben wird (ich kann es nicht besser beschreiben), habe ich häufiger bei Parfums mit viel Castoreum. Ich empfinde dieses kaum animalisch und das erklärt vermutlich die unterschiedliche Wahrnehmung des Ausmaßes tierischer Gerüche.
Wichtiges Element von "Wode" ist die Tuberose, und zwar kein überbordend süßes, sonst eher nettes Gabrielasabatinigabriellechanelletuberöschen, sondern eine TUBEROSE. Tuberose ist für mich der kaum zu bändigende, fast grotesk überzeichnete Weißblüher: süßkaugummiartiger als Orangenblüte, indolischanimalischer als Jasmin, dabei das Sämig-Dicke der Weißblüher geradezu wie rohes Fleisch wirkend. Dazu noch grün, holzig und an Autoreifengummi erinnernd. Man kann Tuberose herunterdimmen, einfach das Spielfeld überlassen ("Fracas") oder Kontraste setzen ("XPEC Original"). Oder man greift alle Aspekte der Tuberose auf, um damit etwas ganz anderes darzustellen.
Und so kommen wir zum eigentlichen zentralen Geruchseindruck von "Wode": Farbe. Zunächst dachte ich Ölfarbe. Dispersionsfarbe? Nein, auch nicht ganz. Sondern Deckweiß: die Tuben, die Teil der Tuschkästen meiner Schulzeit waren. Obwohl Kunstunterricht wahrlich nicht mein Lieblingsfach war, mag ich den Geruch sehr gern: angenehm synthetisch. Süß und frisch gleichzeitig. Schaue ich in die Pyramide, vermute ich, dass die gummiartigen Aspekte der Tuberose (also Autoreifen und Kaugummi) mit medizinischer Angelika und noch einigem anderen diesen Eindruck hervorruft. Die anderen Aspekte der Tuberose überlagern sich dann mit der harzig-holzig-animalischen Basis, ohne dass die ausgeprägte Blumigkeit und Süße überhaupt zu bemerken ist. "Wode" ist ein Parfum mit viel Tuberose. Aber kein Tuberosenduft, eben weil sie hier nur Mittel zum Zweck ist.
In Summe rieche ich Farbe plus harzige Basis. Und zwar ändert sich der Eindruck kaum über Stunden. Ist dieser Farbeindruck gewollt oder rieche ich das nur?
Ich denke ersteres. Julius Caesar höchstpersönlich bestätigt meinen Eindruck in seinen Ausführungen zu den Britanniern in "De Bello Gallico": "(…) omnes vero se Britanni vitro inficiunt, quod caeruleum efficit colorem, (…)" ("(…) Alle Britannier hingegen färben sich mit Waid blaugrün, wodurch sie in den Schlachten um so furchtbar aussehen; (…)"). Vitrum, zu deutsch Färberwaid, keltisch Woad, anglisiert Wode, war von Antike bis ins Mittelalter weit verbreitet. Daraus wurde mittels Fermentation unter Zusatz von Urin (animalisch, Castoreum, s.o.!) ein blauvioletter Farbstoff gewonnen. Ganz sicher war dies der blaue Farbstoff für Leinen, eignete sich aber auch als Holzschutzmittel für Innenräume. Die Verwendung zur Körperbemalung ist nicht gesichert, da es kaum Quellen außer Caesar gibt. Dies hielt aber weder Antoine Fuqua in "King Arthur" noch Mel Gibson in "Braveheart" davon ab, Kelten – egal, ob Britannier im 5. oder Schotten im 13. Jahrhundert – blaubemalt in die Schlacht zu schicken. Glauben wir nun Caesar, dann wäre das britannische Heer unter Führung Boudiccas bzw. Boadiceas, das 60 und 61 n. Chr. einen Aufstand gegen die römische Besatzung wagte, ebenfalls blaubemalt in die Schlacht gezogen. Und hätte wahrscheinlich nicht immer wie frisch geduscht gerochen.
Als "Wode" 2008 herausgebracht wurde, war Farbe und Färben das zentrale Thema der Präsentation: ein Flakon in Form einer Spraydose, die Variante "Wode – Paint" mit einem blauen Farbstoff versetzt, der sich erst nach einiger Zeit auf der Haut entfärbte. Und Geza Schön wäre nicht Geza Schön, wenn er dies nicht olfaktorisch übersetzt hätte in einen Geruch, der nicht Färberwaid entsprechen muss, sondern universell mit dem Eindruck "Farbe" assoziiert wird. Das ist ihm sehr gut gelungen, finde ich.

Kann man so ein Parfum überhaupt tragen? Ja, unbedingt. Es ist sehr ungewöhnlich, aber strengt nicht an und Geza Schön scheint ein Händchen dafür zu haben, dass auch Konzeptdüfte als normales Parfum verwendet werden können („Paper Passion“ z.B.).

Nur Mut. Und Unvoreingenommenheit.
9 Antworten
Ronin vor 6 Jahren 23
7
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Haltbarkeit
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Duft
"Tragen würde ich das Zeug auch nicht. Aber der Akkord ist genial!" (O-Ton Mark Buxton, könnte auch auf "Mon Guerlain" gemünzt sein) (Meine Highlights 2017 1/3)
Unter den drei Düften, die mich 2017 am meisten beeindruckt haben, ist auch "Mon Guerlain". Überraschenderweise. Ich mag keine Gourmands. Desweiteren sagt mir meine Erfahrung: Vorsicht bei rosa eingefärbten Parfums und - egal ob rosa eingefärbt oder nicht - bei solchen von Thierry Wasser, an guten Tagen akribischer Restaurator von Parfummeilensteinen, an schlechten der Richard Clayderman unter den Parfumeuren. Aber "Mon Guerlain" - obwohl ein rosa Gourmand von Thierry Wasser - ist richtig gut gemacht und gefällt sogar mir. Also, nicht an mir, aber an der schönsten Nase von allen.

Sehr gelungen finde ich, wie klar die Idee hinter dem Duft erkennbar ist, die sauber, ohne Kompromisse und Fehler, umgesetzt wurde. Hier wurde ein Gourmandduft kreiert, der eben nicht einfach nur eine generische Mischung bereits erfolgreich am Markt lancierter Düfte ist. Sondern es sollte erkennbar ein Guerlain sein: die typische Guerlain-Vanille, leicht rauchig und weich. Ein schöner Lavendel im Auftakt. Möglicherweise hat sich Thierry Wasser die "Jicky"-Formel angeschaut und - sehr modern - alles gestrichen, was nicht benötigt wurde. Übrig blieb der Dreiklang Lavendel, Jasmin und Vanille. Der Rest ist Beiwerk: eine Spur Bergamotte kitzelt die Frische des Lavendels hervor. Coumarin rundet die Vanille ab.
Spannend finde ich die Jasminnote: die hat nun so gar nichts mit der fleischigen, indolischen in "Jicky" gemein, sondern erinnert frappierend an den hyperrealistischen Jasmin in "Le Jardin de Monsieur Li". Mit hyperrealistisch (wir können gerne diskutieren, ob 'impressionistisch' auch passend sein könnte) meine ich, dass hier nicht nur der Duft des Jasmins, sondern die Atmosphäre eingefangen wird: blühende Jasminbüsche in strahlendem Sonnenschein. Das Strahlende, Leuchtende wurde von Jean-Claude Ellena bei "Le Jardin de Monsieur Li" unter anderem durch eine hohe Hedion-Zugabe erreicht. Gleichzeitig wurde das Üppige und Animalische zurück genommen. Bei "Mon Guerlain" ist in der Pyramide Paradisone angegeben, eine besonders hohe und potente Hedion-Qualität. Und so wird auch hier der Jasminakkord aufgelockert und zum Strahlen gebracht. Das ist meines Erachtens sehr wichtig für dieses Parfum, ansonsten wäre es bereits zu breit und dumpf für das, was jetzt noch passiert: der gesamte Duft wird mit einer dicken Schicht Ethylmaltol-Puderzucker bestreut. Ist ja schließlich ein Gourmand. Ohne das Strahlende des Jasmins wäre nach der Puderzuckeraktion "Mon Guerlain" viel zu klebrig und dicht. Ohne Luft. So ist der Duft allerdings bei aller Süße trotzdem in sich stimmig, ausgewogen und macht nicht müde beim Riechen.

Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, ob es sich Thierry Wasser mit diesem Zuckerzusatz nicht etwas einfach gemacht hat, um eine beliebige Beliebtheit zu erreichen. Nicht umsonst wird Jean-Claude Ellena zitiert mit “It’s easy to add sugar!”. Hier könnte Monsieur Wasser aber zurecht einwenden, dass die Kritik an Ethylmaltol darauf beruhe, dass damit vermeintlich nur Düfte erschafft werden könnten, denen die Spannung fehle, auch bei häufigem Tragen interessant zu bleiben. Das gilt für "Mon Guerlain" trotz dessen großzügiger Verwendung nicht: dank dem Kontrast der klar abgegrenzten Noten und der Balance aus Strahlkraft und (heftiger) Süße bleibt dieses Parfum spannend, wie die schönste Nase von allen - wahrlich kein Gourmandfan - auch nach Monaten des Testens bezeugen kann. Desweiteren richtet es sich nun einmal primär an die Generation Cupcake, für die "Angel" schon immer da war, irgendwie normal und keineswegs eine kariöse Attacke der Nasenschleimhaut.

Ein Aspekt gefällt mir an "Mon Guerlain" besonders, der doppelte Spagat zwischen Mode, Moderne und Tradition: ein Duft,
der den aktuellen Quietschsüßgourmandtrend mustergültig bedient,
der - mit seiner Reduktion auf das Wesentliche und Herausarbeiten von Kontrasten - eine sehr moderne Formensprache wählt und
auch einen Bezug zu den klassischen Guerlains herstellt.

Das tut der ganzen Marke gut, denn entweder waren Wassers Guerlaindüfte bisher modisch oder passten zu den Klassikern des Hauses, nie beides. Modern waren sie eigentlich nie. Weiter so, Monsieur Wasser!
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