Sarungal
Sarungals Blog
vor 9 Jahren - 27.05.2015
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Duft-Exzess oder Die Geschichte vom Nasenständer

Mittwochmittag – der Vormittagstermin ist erledigt; der nächste steht um 15:45h an.

Zeit genug, um zwischendrin nach Hause zu fahren. Vielleicht war der Paketbote schon da, und meine Nachbarin überreicht mir gleich den ersten Blindkauf meines Lebens?

Natürlich war kein Paketbote da – aber immerhin treffe ich die Nachbarin im Hausflur. Auch nett.

Zum nächsten Termin bin ich dann eine runde halbe Stunde zu früh. Trotzdem umweglos aus der U-Bahn dorthin - oder vielleicht doch noch eine Latte am Hauptbahnhof? Eben – Latte am Hauptbahnhof ist bestenfalls Bahnhofstrich; der Gedanke an ein kaffeehaltiges Heißgetränk hat sich damit erledigt.

Fußläufige Alternativen? Von hinten droht ein C&A – allein: ich brauche keine Socken, und was Anderes finde ich dort sowieso nicht. Direkt vor mir lockt Karstadt, aber der nutzt heute anscheinend den falschen Köder – durchgefallen. Bleibt noch die Drogerie mit dem eingängigen deutschen Namen, der gerne mit Milchprodukten assoziiert wird. Die passt; ich brauch’ noch Klebstoff und eine Kondolenzkarte. Dass es dort auch eine Parfümerieabteilung gibt, die es durchaus mit dem bekannten deutschen Klassiker aufnehmen kann – nicht zuletzt der moderateren Preise wegen – spielt bei dieser Entscheidung natürlich keine Rolle. Ganz sicher nicht. Ehrlich.

Bedauerlicherweise laufen mir Klebstoff wie Kondolenzkarte binnen einer Minute zu – so lässt sich die Zeit kaum totschlagen. Also schleppe ich mich schweren Schritts die Treppe hinauf ins Erdgeschoss, hinein in den olfaktorischen Overkill, der als unvermeidliche Begleiterscheinung auch einem Blinden verrät, wo er gelandet ist.

Neben den Preisen hat der Laden einen weiteren Vorteil gegenüber der berühmten Kette, die tatsächlich weder Kirk noch Michael gehört: die Zahl der Indianerinnen ist hier weitaus geringer.

Indianerinnen? Ja, Indianerinnen – oder will irgendjemand ernsthaft die Kriegsbemalung der typischen Dxxxxxx-Verkäuferin als visagistische Meisterleistung bezeichnen? Schließlich steht dort offensichtlich keinesfalls irgendeine Form der Optimierung im Vordergrund: die Damen schauen im Allgemeinen eher aus wie wandelnde Werbeträger, die en passant die beworbene Ware auch noch verunglimpfen. Nichts gegen geschickt betonte Augen; selbst den dramatischen Touch auf den Lidern goutiere ich gerne. Aber bitteschön: wieso muss dabei gleich das gesamte Gesicht unter einer gespachtelten Schicht verborgen werden? Welchem Zweck dienen die ab und an wie mit Ölfarbe aufgebrachten Rouge-Balken auf und unter den Wangenknochen? Die schmeicheln ja nicht mal im Ansatz, sondern verhärten den Ausdruck und machen alt. Alt ist an sich nicht schlimm – aber ich verwette meine beiden neu erworbenen Düfte darauf, dass „alt“ hier nicht die Absicht ist… Dass die Lippenstifte wie eintätowiert und klarlackiert wirken – beinahe geschenkt. Ein wenig mehr kritische Selbstwahrnehmung bei der Auswahl wünscht sich der geneigte Besucher aber doch gelegentlich – nicht zuletzt angesichts des Kunstlichts, das die Räumlichkeiten erhellt. (Manchmal hat’s aber mit dem Licht nichts zu tun, liebe Natascha O., auch wenn Pink auf den Lippen ganz besonders lichtabhängig ist – und vielen Ladies ohnehin überhaupt nicht steht….)

Aber ich schweife ab, zumal ich ja gar nicht in einer Filiale jener Kette stehe, die – ich wiederhole mich – weder Kirk noch Michael gehört. Stattdessen umgibt mich gehobener Discounterchick; ganz ohne Paletten, aber mit durchaus werbewirksam präsentierten Warenständern, aus denen mich manches Qualitätsprodukt traurig anblinzelt: Hey, ich bin nur preiswert – billig steht vier Gänge weiter.

Ich verhärte mein Herz und schreite entschlossen zu den üblichen Verdächtigen – frei von jeder Kaufabsicht, aber durchaus neugierig.

Es folgt die übliche Routine: Flakon zur Hand, Papier in Schussrichtung, Sprühstoß, schnuppern etc… Kein Aha-Erlebnis dabei. Manches riecht gut, Einiges erfrischend, Anderes – ach, reden wir nicht davon. Ein wenig Interesse wecken Bulgaris Aqva Amara und Bottega Veneta pour Homme, aber der Haben-will-Reflex bleibt aus. Gut so…

Natürlich habe ich inzwischen auch schon eine beinahe schamlos dezent geschminkte freundliche Verkäuferin an meiner Seite, und das Simpeln (in meinem Fall streiche ich das üblicherweise vorangestellt „Fach“) füllt mir sehr rasch die Tasche mit Proben – um die ich übrigens nicht mal ansatzweise gebeten hatte. Nett ist’s dennoch, zumal ich keine Kaufabsicht vorschütze.

Da passiert es: mein Blick fällt in die unterste Regalreihe: dunkelgrüner Karton, schlicht, aber edel. Ich greife nach dem gleichermaßen schlichten schlanken Flakon und sprühe auf den letzten der vorab gebunkerten Teststreifen einen nicht besonders bescheiden bemessenen Stoß.

RUMMS! Nachschnüffeln. Wie geil ist das denn? Ich versenke die Nase beinahe ins Papier– meine Umwelt hält mich sicher bereits für einen besonders perversen Popler. Der Eindruck wird nicht besser – für meinen inneren Finanzminister. Klar – ich mag Vetiver – irgendwie … so … da drin halt, zusammen mit all’ dem anderen Kram, der fein duftet. Aber was ich da wahrnehme, flasht mich: ich stolpere zurück in meine Kindheit, begegne anschließend Sean Connerys James Bond und lande zuletzt bei einem südeuropäischen Barbier, der mir auf wunderbar altmodische Art und Weise den Bart stutzt. So mag ich das: Assoziationsflut plus – Verzeihung – Nasenerektion.

Halt – was steht eigentlich auf dem Etikett? Aha – Vetiver Extreme von Guerlain. Schade – nicht heruntergesetzt, ganz im Gegensatz zu seinem älteren Bruder. Check … auch nicht schlecht, aber ich ahne Tabak oder irgend etwas Ähnliches, das meiner Nase – um im Bild zu bleiben – kurz die Standfestigkeit raubt. Ich bin wohl doch nicht so ganz der klassische Typ – und entscheide mich nach einem Sprühstoß auf den Handrücken spontan und ohne die gebotene Geduld (Duftentwicklung? Hamwernich!) für den Kauf.

Am späten Nachmittag ist auch das Paket endlich bei mir eingetroffen: der zweite Duft harrt seiner ersten (!) Prüfung. Nochmal: das war ein Blindkauf, der sich ausschließlich auf eure Berichte hier stützte. Ich finde mich ja schon mutig…

Die Verpackung ist eindrucksvoll, der Flakon so, wie ich es mag: schnörkellos, schwer, wertig.

Wenn du nur halb so gut riechst wie du ausschaust…

Ich entferne den dekorativen hölzernen Deckel, drücke beinahe ehrfürchtig (oder doch furchtsam?) auf den silberfarbigen Sprühkopf…

Nebel benetzt meinen Handrücken - jetzt weiß ich auch, wieso der Mensch zwei Hände hat; eine der meinen ist ja bereits besetzt von Vetiver Extreme (und der ganze restliche Mann übrigens seit 7h morgens im Wäschemodus von Prada. Jede sibirische Wanderhure duftet im Vergleich zu mir wahrscheinlich weitaus weniger verwirrend!)

Vetiver Extreme war ein echtes Aha-Erlebnis – aber das jetzt? Mir fehlen die Worte (mir!). Da ist sie! Unzweifelhaft! Die zwischen euren Kommentaren geschickt versteckte Andeutung einer Ähnlichkeit mit Kenzo Air!

Die Kopfnote wirkt fast wie ein Remake, haut mich vom Stuhl – und sie tut das so dezidiert wie kein anderer Duft, den ich seit Kenzo Air gerochen habe. Natürlich geht der Duftverlauf danach einen etwas anderen Weg, aber die Süßholznote (die es der Ingredienzienliste zufolge gar nicht geben dürfte), diese Ahnung von Anis und Lakritz beschert meiner Nase endlich den Orgasmus, den Vetiver Extreme mit seifiger Sinnlichkeit vorbereitet hatte (Um das anrüchige Leitmotiv noch ein wenig weiter zu strapazieren: nein – die Nase läuft nicht!)

Eigentlich kann ich jetzt vorläufig einen Strich ziehen unter meiner sehr überschaubaren Sammlung: mehr braucht Sarungal nicht.

Gentlemanlike im dunklen Anzug (wenn auch ohne Hemd, aber mit Krawatte – siehe Kommentar) klappt’s perfekt mit Terre d’Hermes; die prollig-schweißig-künstliche Variante liefert, eher triebhaft, Geza Schöns Ecsentric 01. Falls die Nummer nicht zieht, springt Infusion d’Homme in die Bresche: so blütenweiß und unschuldig kann kein Mann nur das Eine wollen, oder? Halbwegs klassisch (und dieses Mal mit Hemd) gelingt der Auftritt in Begleitung von Vetiver Extreme – gleichgültig ob geschüttelt oder gerührt.

Und Encre Noire? Hey – das bin ich, das ist meine Signatur - auch wenn ich bis vor kurzem noch gar nicht ahnte, wie sehr mein Auge auf diese Faust gewartet hat. Natürlich schwebt Kenzo Air väterlich über dieser Empfindung – aber der ist tot. Ihr wollt doch keinem Witwer eine glückliche neue Eheschließung verweigern, oder? Zumal viele von euch sehr erfolgreich gekuppelt haben: auf Laliques finsteres Meisterwerk kam kein einziger professioneller Duftberater, als ich auf der Suche nach einem legitimen Nachfolger für Kenzo durch die Parfümerien nicht nur einer deutschen Stadt schlich. Parfumo.de war es – besser: ihr wart es, die mich auf Encre Noir aufmerksam gemacht haben.

Danke!

PS: Ja, ich gestehe – morgen kommt noch ein Duft hier an, eben jenes Hascish Homme, das meine erste Begegnung mit dem Parfümieren verkörpert. Das allerdings war sehr preiswert – und zuallererst eine nostalgie-geleitete Entscheidung. Es wäre mir aber nicht unangenehm, diesen Duft noch immer (oder wieder) zu schätzen ….

PPS: Kommentare zu den beiden Protagonisten folgen gewiss, aber dazu muss sich meine Nase erst einmal beruhigen – bzw. ihren (nochmal Verzeihung) heutigen Dauerständer verarbeiten.

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