Liebeserklärung
Das hier wird sicher nichts, was nicht an anderer Stelle, zu anderer Zeit schon so ähnlich "zu Tatstatur" gebracht worden wäre. Auch zögere ich etwas, weil man ja Persönliches nicht "mal eben so" unter Fremden verteilt. Und ich habe Bedenken, es könnte nicht wirklich interessant sein für andere. Aber ich habe hier schon einige ziemlich nette Menschen getroffen und ich schreibe gerne, da mach ich einfach mal.
Wenn ich darüber nachdenke, was Düfte für mich sind, außer wohlriechende Essenzen, fallen mir viele Bezeichnungen ein: Beschützer, Spaßbringer, Tröster, Ablenker, Ermutiger, Begleiter, Erinnerer.
All das, was auch meine Eltern für mich waren und sind oder generell Familie oder gute Freunde.
Meine Duftleidenschaft ist ziemlich sicher fast sowas wie genetisch bedingt. Chanel, Knize, Lagerfeld und Guerlain haben mich quasi mit groß gezogen.. Abgesehen von Insterburg, Emil und Hans Dieter Hüsch. (An die Jüngeren hier: die letzten 3 waren keine Parfumhersteller, hi hi..)
Gras und Opium (..die Duftöle, Mann!!), Patchouli, Pfirsich und Vanille halfen mir durch die Pubertät und weiter. Da gibt es hier ja noch den ein oder anderen Parfumoisten, bei dem das so war, wie ich hie und da gelesen habe. Ich schätze diese Düfte heute noch. Ok, Pfirsich ist mittlerweile doch bißchen kritisch.
Für meine Eltern war das "damals" auch eine herausfordernde Zeit. Mein Vater ist immer geschmackvoll und adrett gekleidet, auch Zuhause beim Lesen und "Abhängen". Da sei er ja schließlich in Gesellschaft meiner Mutter. Jeans sind ihm ein Graus, Einheitskleidung findet er. Meine Mutter hat zumindest ein paar "Zuhause- Rumschlumpfröcke". Aber selbst in denen wirkt sie dezent elegant. Und dann war da diese einzige Tochter. Mit gefärbten Haaren (tomatenrot mit einer schwarzen Blocksträhne), die Unterarme voller Bänder und Armreifen, in Springerstiefeln, quietschbunten Satinpyjamahosen oder Domestosjeans und gebatikten Oberteilen (mühevoll und stundenlang im Eimer gefärbt, NIEMALS hätte ich das in der Waschmaschine machen dürfen..). Die Oberteile dann am besten noch auf links gedreht und die Bündchen abgetrennt (und nicht vernäht natürlich). Und dazu noch diese durchaus strengen Duftöle. Das alles muss für meinen Vater das pure Grauen gewesen sein. (Von wem hat sie das bloß?) Meine Mutter war da so manches Mal das ausgleichende Element. Als Lehrerin oft umgeben von ähnlich geschmückten Jugendlichen, konnte sie das alles besser verkraften.
Heute lachen wir über diese Zeiten, mit ganz viel Liebe in der gemeinsamen Erinnerung.
Düfte sind Meister darin, uns zu erinnern, oder? Die Erinnerung aus dem Flakon hat etwas von "an der Wunderlampe reiben" oder "durch alte Zeiten wandern". (Jaa, manchmal soll's auch einfach nur gut riechen und fertig. Ohne Schnickschnack und wilde Lebenstheorien, is' ja guut..) Die Macht des limbischen Systems ist doch einfach beeindruckend. Auch unzählige alltägliche Düfte erinnern uns natürlich.
Ich besitze eine Holzdose von meiner Oma und ein Etui von ihr mit einem Stofftaschentuch. In beiden Gegenständen lebt nach ganz schön langer Zeit noch ein Hauch ihres Duftes und ich hoffe, er verflüchtigt sich nie. Er transportiert mich in die Vergangenheit.
Dann habe ich ein Metallpuderdöschen mit einem Minirest Babypuder (mit dem wurde ich tatsächlich vor Ewigkeiten mal gepudert), das ich ebenfalls hüte wie einen Schatz. Der noch vorhandene Duft scheint mich an unbeschwerte Geborgenheit zu erinnern. Tatsächlich bewusst erinnern kann ich mich wohl eher nicht.
Und, wer weiß, ob nicht meine Leidenschaft für Weihrauchduft von der tiefen Sehnsucht nach einem festen Glauben herrührt? Ich war schließlich mal katholisch.
Harz- und Amberdüfte haben für mich etwas Archaisches und erinnern vielleicht an mögliche frühere Leben. Am besten in der Höhle! Im Fell vor'm Feuer sitzend, eine Sojawurst auf dem Stock.. *hüstel*
Mein Vater fragt mich, wenn ich Weihrauch trage: "Na, duftest du heute wieder sakral?" Meine Mutter und er besitzen beide eine stattliche Duftsammlung. Und sie freuen sich, wenn ich manchmal auf dem Flohmarkt mit Klassikern gefüllte Miniflakons für sie ergattere. Das sind ihre Düfte "to go". Den Duft einer geliebten Person im Flakon bewahren.. Wäre ein schöner kleiner Zusatz zur Erinnerung im Herzen.
Die Flüchtigkeit der Düfte aus dem Flakon nehme ich relativ gelassen hin. Manchmal ist es etwas frustrierend, wenn die Nase am Handgelenk viel zu früh nichts mehr findet, aber nachsprühen kann man ja eigentlich immer.
Die Traurigkeit über die Füchtigkeit des Lebens ist natürlich eine ganz andere, fällt mir aber trotzdem in dem Zusammenhang öfter ein. Ich habe ganz großartige Eltern, verbringe sehr gerne Zeit mit ihnen und hätte es sehr bedauert, sie nicht kennengelernt zu haben, wenn ich das mal so widersprüchlich stehen lassen darf. :) Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einmal nicht mehr da sein werden. Mir ist klar, wir müssen da alle durch und so ist das Leben, aber ich kann mir ebenfalls nur schwer vorstellen, wie man diesen Schmerz übersteht. Und Angst hab ich davor.
Ich weiß, dass es ein großes Glück ist, dass sie noch relativ fit und agil sind. Durch eine gute Freundin kann ich erahnen, wie mühevoll und kräftezehrend es sein muss, wenn Demenz, Pflegebedürftigkeit und Krankheit viel Raum einnehmen.
Ich habe bei meinen Eltern jedenfalls mal den Antrag gestellt, dass sie sich bitte bemühen sollen, mindestens 100 zu werden.. Dann hätten wir noch 20 Jahre zusammen.
Jetzt freue ich mich natürlich, dass beide noch da sind und es so ist wie es ist.
Ich bin im Moment überdimensional sentimental, denn für mich ist die Zeit gerade voller größerer Veränderungen. Trennung, Umzug, ein ziemlichlich altes Hundchen, für mich das volle Programm. Eine Zeit des Loslassens, der melancholischen und nostalgischen Momente, der zuweilen ratlosen Planlosigkeit, aber auch (wenigstens schon ab und zu, tätää!) der Lust am Aufbruch. So ein klitzekleiner Phönix kommt mir da in den Sinn, der gerade anfängt, seine Federchen zu sortieren und in die Asche niest...
Und in solchen Zeiten wird einem dann meist doppelt klar, dass man das Leben nicht, aber auch gar kein kleines bißchen, "nachsprühen" kann. Ich denke, ihr wisst, was ich meine.
In diesem Sinne werde ich jetzt erstmal üppig "Mortal Skin" auflegen. Genug des "private blogging". :) Carpe diem, Ihr Lieben!
Du mußt das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und laß dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken läßt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
Rilke