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TenderPoisons Blog
vor 4 Jahren - 18.03.2020
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Stille

Es ist still. Eine bedächtige Stille, so still wie auf einer Trauerfeier. Alle gehen langsam, keiner spricht laut, die Musik wurde abgeschaltet. Alle machen betretene Gesichter, flüstern. So eine Endzeitstimmung. Stille. Einzig die Vögel zwitschern. Kein Verkehrslärm, kein Kindergeschrei, keine lauten Familien, keine Mütter, die ihre Kinder zur Ordnung rufen, keine Tourguides, die nach ihrer Gruppe rufen. Einfach nur Stille. Und das, obwohl noch gut 1000 Gäste anwesend sind. Zuletzt habe ich so eine bedrückte Stimmung an Nine-Eleven wahrgenommen.

Jetzt aber befinde ich mich auf einer wunderschönen, weitläufigen Hotelanlage auf Gran Canaria und die spanische Regierung hat den Ausnahmezustand verhängt. Die Urlauber, überwiegend deutsche Renterpaare, verstehen die Welt nicht mehr. Sie wagen keinen lauten Protest, aber zeigen ihr Unverständnis, indem sie sich mit dem Handtuch rund um den Pool auf dem Rasen niederlassen, obwohl das Hotelmanagement auf Veranlassung der spanischen Regierung den Pool und alle Aussenanlagen gesperrt und die Sonnenliegen entfernt hat.

In regelmäßigen Abständen kommt der Sicherheitsdienst vorbei und bittet die Touristen, den Anordnungen Folge zu leisten und ins Zimmer zu gehen, mindestens aber 2 Meter Abstand zum Nachbarn zu halten. Die vornehmlich deutschen Touristen protestieren und diskutieren. Es sei doch kein anderer Gast im Umkreis von 4 Metern. Wieso sie nicht hier liegen könnten. Die Sicherheitskraft geht weiter. Mit Deutschen zu diskutieren ist kein Spaß. Schon gar nicht auf deutsch.

Das Hotelpersonal trägt seit dem 14. März Mundschutz und Handschuhe. Am 15. März wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Ausgehsperre. Die Polizei patroulliert auf den Straßen und schickt jeden, der sich aus seinem Hotel wagt, sofort zurück ins Hotel. Supermarkt und Apotheke sind erlaubt. Ansonsten: Drinnenbleiben. Die Spanier sind nicht zimperlich, und die Polizisten haben ein lautes Temperament. Hier wird nicht lang diskutiert, und vermutlich ist das auch gut so.

Jeden Tag wird es etwas krasser im Hotel. An Tag 1 rüstet das Personal auf, sie tragen Handschuhe. Im Restaurant stehen Desinfektionsspender am Eingang und im hinteren Bereich des Restaurants. Alle Animationen und Live-Musik wurde abgesagt. An Tag 2 werden einfache Mundschutze angelegt, und die Liegen und Sonnenschirme vom Pool entfernt, die Gartenanlage weiträumig mit weiß-roten Bändern abgesperrt. Nun sammelten sich alle Gäste auf der Terrasse, die auch weiterhin mit Getränkeservice bedient wird. Es gibt weiterhin keine Musik, auch nicht vom Band. Ich frage mich, wo die spanische Lebensfreude ist? Und wie wenig Psychologiewissen in diesem Haus vorhanden ist?

An Tag 3 werden beim Abendessen Mundschutze für die Gäste ausgegeben, mit der Bitte, diese beim Nachladen am Buffet zu tragen. Das Personal trägt jetzt die Profi-Mundschutze mit Ventil, die Zimmermädchen Überwürfe aus Plastik. Es wird nicht mehr der volle Reinigungsservice angeboten. Gäste nehmen sich große Mengen Alkohol von der Bar mit aufs Zimmer und sind im großen und ganzen friedlich. Und still. Lachen? Tut hier absolut keiner. Freundliche Worte? Fehlanzeige.

An Tag 4 wird zum Frühstück Musik vom Band gespielt. Sofort kommt bei mir das Gefühl von Normalität auf, und es ist wohltuend in all dem Irrsinn. Ich sehe ein Militärflugzeug dicht über der Hotelanlage fliegen. 10 Minuten später kommt es wieder vorbei.

Im Foyer wird das Mobiliar entfernt, nun kann hier niemand mehr sitzen, ebenso werden alle Stühle und Tische von der Terrasse entfernt. Es gibt keine Möglichkeit mehr zur Geselligkeit, maximal noch beim Abendessen, und da stehen alle Tische weit auseinander, und der Desinfektionsspender hängt direkt am Eingang.

In den Nachrichten wird gesagt, dass in Spanien alle Hotels schließen müssen, und nahezu eine halbe Million Menschen in der Gastronomie und Hotellerie arbeitslos werden. Das Hotelpersonal steht Tag für Tag für die Gäste bereit und gibt alles, um den Urlaub so schön wie möglich zu gestalten - wohlwissend, dass sie in 2 Wochen arbeitslos sein werden. Und die deutschen Rentner diskutieren mit den Hotelangestellten, wieso sie nicht vor die Tür dürfen und wieso nicht in den Pool. Die Gäste werden in Kürze zurück in ihre Heimat fliegen und dort weiter Rente beziehen und ein gutes Leben haben, wenn sie nicht grade Corona gekriegt haben, weil sie nicht verstanden haben, wieso Hände desinfizieren das Gebot der Stunde ist.

Es macht mich unglaublich traurig, mitzuerleben, wie mein Lieblingshotel auf dieser Insel sich für den Winterschlaf rüstet. Zu sehen, wie die Angestellten, die ich seit mehreren Jahren kenne, in diesen Tagen alles für die Gäste geben, und dann um ihre Existenz bangen müssen. Ich bin erschüttert, wie ignorant meine deutschen Landsleute sind, zumal es sich bei der Mehrheit der Gäste um Menschen mit erhöhtem Risiko handelt.

Und über allem liegt diese bleierne Stille, so als ob jemand gestorben wäre. Wo ist die Musik? Ist diese Trauer nicht übertrieben, immerhin hat es auf dieser Insel nur ein paar wenige Infizierte?

Und so sitze ich also in meiner Fast-Quarantäne, hoffe, dass mich die Condor Ende der Woche mit nach Hause nimmt, und freue mich darüber, dass es mir gut geht, dass es meinen Lieben zuhause gutgeht, und dass ich mich in vielerlei Hinsicht richtig verhalten habe. Ich habe in weiser Voraussicht meinen Laptop mitgenommen, falls ich hier strande. Ich habe 3 dicke Bücher dabei. Ich bin gleich in den ersten zwei Tagen nach meiner Ankunft ausgiebig über die Promenade gestreunt und habe alle Parfümerien heimgesucht, die es in dieser Ecke der Insel in Laufnähe gibt.


Ich hab mich oft innerlich zur Räson gerufen - muß das alles in den ersten Tagen sein? Nicht erst mal ankommen? Nein, es mußte. Ich habe geschaut, verglichen, geschnüffelt. Bin zurück ins Hotel, habe vier Düfte abgewaschen und bin wieder raus, neue Düfte sprühen. Ich habe die Verkäuferin eines kleinen Nischenstandes verblüfft, als ich sagte, dass der Tester gekippt ist. Und ja, als sie dran gerochen hat, hat sie mir recht gegeben. Ich habe schöne neue und alte Düfte von Perris Monte Carlo gerochen. Und dann, obwohl ich mir geschworen hatte, nur noch zu kaufen, wenn ich wirklich sicher bin, bei den unschlagbar günstigen Preisen auf dieser Insel zugeschlagen.

Ich habe mich dafür innerlich gerügt, am Abend des 14. März mit zwei neuerlegten Düften ins Hotel zu kommen. Auch wenn sie günstig waren, auch wenn ich die lange auf meiner Liste hatte und nicht erst hier kennengelernt habe.

Am nächsten Tag kam der Ausnahmezustand und die Ausgangssperre. Alle Läden schlossen, und auch alle tollen Parfümerien hier.

Jetzt genieße ich meine Zimmerquarantäne mit zwei Düften: "Spellbound", den ich schon lange auf der Liste hatte, und "La Pantère". Und ich gräme mich nicht mehr, dass ich so schnell gekauft habe, sondern bin einfach nur froh und dankbar, dass ich es rechtzeitig getan habe, und mich diese tollen Düfte nun durch die Einsamkeit begleiten.



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