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Terras Blog
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 2 Jahren - 28.03.2022
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Zerstört Gier die Parfumkultur?

eine Frage, die ich mir immer häufiger stelle und die sich durch zwei kürzlich geschehene Ereignisse so manifestierte, dass ich einfach mal meine Gedanken dazu niederschreiben möchte. Eines dieser Erlebnisse war, dass ich heute ein Paket von Zara mit zwei 10ml Reiseabfüllungen erhielt. Je eine von "Zara Emotions N°06 - Fleur d'Oranger | Zara" und "Zara Emotions N°04 - Amalfi Sunray | Zara". Die beiden Düfte wurden einfach ohne Polsterung in einen großen Karton geschmissen, wodurch die Abfüllung vom Fleur d'Oranger ausgelaufen ist. Um Zara soll es hier aber nicht gehen, zumal ich bisher sehr zufrieden mit denen war.

Bevor ich die Retoure endgültig abgewickelt habe, testete ich noch etwas von dem Rest "Zara Emotions N°06 - Fleur d'Oranger | Zara" um zu entscheiden, ob ich eine Erstattung oder Ersatzlieferung haben möchte und war leider sehr enttäuscht. Viel Neroli, etwas cremige Orangenblüte. Das könnte eigentlich ein angenehmer, unkomplizierter Sommerduft sein. Doch die Duftstoffkonzentration als EdP hat dies unmöglich gemacht. Neroli und Orangenblüte werden dadurch unheimlich schwülstig, fett und erschlagend. Als Eau de Cologne hätte das hingegen richtig Spaß machen können.

Wenn ich dann in`s Parfumoforum schaue, geht es in fast jedem zweiten Thread darum Düfte zu finden, die einfach nur laut sind. Nicht selten ist es sogar zweitrangig, wie sie denn riechen. Hauptsache viel!

Lange Zeit dachte ich, die User die danach suchen seien im Schnitt 15 Jahre alt und es wäre einfach pubertäres Gehabe, unbedingt auffallen zu wollen. Doch das kann es auch nicht sein, wie sich häufiger herausstellt, wenn der/die Fragestellende das Alter preisgibt.

Neben den ganzen Umfragen nach Beastmodedüften, Performancemonstern und weiß ich was allem, lese ich auch häufig Sätze wie: "ich will auch etwas für mein Geld bekommen" oder "wenn ich schon so viel bezahle, soll es auch den ganzen Tag halten" und frage mich immer, was das für eine Herangehensweise an etwas ist, wo es eigentlich um Genuss und Ästhetik gehen sollte? In einem Sternerestaurant kann ich mich schließlich auch nicht so vollfressen wie im All You Can Eat Buffet für 12€. Oder ist es genau diese Mentalität wie eben in jenen Restaurants, einfach möglichst viel für möglichst wenig Geld bekommen zu wollen, selbst wenn einem dafür das qualitativ letzte Hundefutter vorgesetzt wird? Macht man sich einfach keine Gedanken darüber, wie solche Preise entstehen können bzw. was für eine (Fleisch-)Qualität dafür auf dem Teller landen kann, ohne das Restaurant in den Ruin zu treiben?

Während ich hier sitze, drängt sich der Zara selbst nach einer Dusche unaufhörlich in meine Nase und ich kann mir kaum vorstellen, dass dies bei einem Sommerduft für den Träger oder die Menschen um ihn herum noch angenehm sein kann.

Besonders ausgeprägte Performance lässt sich einfach und billig mit Aromachemicals realisieren, Parfümeurskunst hingegen nicht. Und zahle ich nicht genau für jene Handwerkskunst und dafür möglichst gut, aber nicht einfach nur um möglichst stark zu riechen?

Das zweite Ereignis, welches dazu beigetragen hat diesen Blog zu schreiben, erlebte ich am Samstag. Ich hatte eine Verabredung und zuvor sagte er mir, er hätte oft Probleme mit Parfum bei anderen (Männern). Ich machte mir anschließend viele Gedanken, was ich denn in so einem Fall tragen könnte und entschloss mich am Ende dazu, APOM in gewohnter Dosierung zu nutzen, weil ich ihn an solchen Tagen und bei so einem Wetter einfach ideal finde und mein Date schließlich auch zukünftig damit klarkommen müsste, dass ich parfümiert bin, falls man sich häufiger sieht. Es kam aber alles anders als erwartet. Denn er trug selbst ein Parfum, nämlich Allure Homme (Eau de Toilette)Allure Homme Eau de Toilette und dies in perfekter Dosierung. Wenn wir nebeneinander liefen oder uns gegenüber saßen, bekam ich ab und zu einen leichten Hauch davon in die Nase, ohne das es jemals penetrant wurde und offenbar hat er meine Parfümierung genauso empfunden. Unter anderem entstand ein Gespräch über das Thema dadurch, dass ich irgendwann die Nase rümpfte und keine Quelle für den Geruch ausmachen konnte, bis ich mich umgedreht habe und etwa 50 - 100 Meter hinter!!! mir einen ziemlich glattgelutschten Jugendlichen sah, der selbst ohne jeglichen Rückenwind bis weit vor sich "roch". Dabei stellte sich heraus, dass meinem Gesprächspartner genau diese schiere Masse und Penetranz die viele wünschen, Probleme bereitet. Er sagte Parfum habe für ihn auch etwas mit Anziehung zu tun und er fände es eben unangenehm, wenn er das Gefühl hat nach Luft schnappen zu müssen, während er jemandem nahekommt. Das ist exakt meine Meinung, interessant war für mich aber, dass dies auch Menschen so sehen, die mit Parfum gar nicht viel am Hut haben. Selbst bei so jemandem heißt es somit: "Klasse statt Masse".

Doch zerstört der gegenteilige Wunsch nach Masse statt Klasse von vielen vielleicht einfach jegliche Parfümkultur, Kunst und Ästhetik? Teilweise habe ich schon den Eindruck, schließlich reagieren auch die Hersteller. Zitrusdüfte die so schön knackig hätten sein können, werden mit billigem Moschus überschüttet, bis sie jeglichen, erfrischenden Charakter verloren haben, aber Ewigkeiten vor sich hinriechen. Ein potentiell so schönes Cologne wie der "Zara Emotions N°06 - Fleur d'Oranger | Zara" wird so hoch konzentriert, dass es einfach penetrant, erschlagend und unangenehm wird. Beinahe jede Neuerscheinung im Mainstream ist im Falle der Männerdüfte voll mit stechenden, synthetischen Holznoten, die zuverlässig jeden Duft in penetranten Geruch verwandeln. Doch die Masse steht scheinbar darauf, was sich auch an zumindest einigen Düften von Aaron Terence Hughes eindrucksvoll zeigt. Sie werden gefeiert ohne Ende, doch Slut (2019)Slut (2019) wie auch HommeHomme riechen für mich beinahe ausschließlich nach genau diesem Kunstholzakkord, wie man ihn auch im Mainstream zusehends verwendet, weil er für extreme Performance sorgen kann.

Mit dieser Kultur der Masse statt Klasse geht scheinbar auch eine immer stärker werdende Abstumpfung einher, denn auch die Beiträge hier häufen sich, in denen sich Leute darüber beschweren, Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum)Baccarat Rouge 540 Eau de Parfum, Ombre NomadeOmbre Nomade oder sonstige, olfaktorische Atombomben würden ja nur 5 Minuten wahrnehmbar oder allzu dezent sein.

Wird es zukünftig noch Düfte wie einen Oud (Eau de Parfum)Oud Eau de Parfum geben, in dem orientalische Noten eben genau so verwendet werden, dass sie nicht wie häufig unter Massen von Vanille, Amber etc. begraben werden und bis nach Dubai riechen, sondern stilvoll in bester, französischer Parfümeurskunst verblendet sind und einen Duft ergeben, der (für eine intakte Nase) zwar gut hält, aber nie aufdringlich wird? Der auf Stil und Eleganz, nicht auf den Vorschlaghammer setzt? Wird es noch etwas wie einen Sel de VétiverSel de Vétiver geben, der mit so viel Feingefühl und Handwerkskunst kreiert wurde, das dieser salzige, grasig-grüne Vetiver zuverlässig jeden unerträglich heißen Sommertag rettet und sich mit einer zarten Iris in der Basis so unsagbar sinnlich auf die Haut legt, was gar nicht möglich wäre, würde er die ganze Stadt beschallen? Was ist mit richtigen Colognes wie zum Beispiel Eau de Cologne ImpérialeEau de Cologne Impériale, die einem im Sommer einfach ein Lächeln auf`s Gesicht zaubern können, aber weder besonders günstig sind noch auch nur ansatzweise lang halten?

Möglicherweise ist es ja kein Zufall, dass sich Sillage nur um ein L von Silage unterscheidet....

Aktualisiert am 28.03.2022 - 13:45 Uhr
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