ThomC

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1 - 5 von 28
ThomC vor 12 Monaten 8 5
5
Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Der Herdentrieb hat recht
Ich habe einen Fehler gemacht! Noch vor einiger Zeit habe ich Parfüms fast nahezu auf Papierstreifen bewertet, und im Vorgehen auch gerne nachgerochen - eben auf Papierstreifen. Mir fiel irgendwann Azzaros Wanted als kleines Pröbchen in Hände, weil ich seinen Flanker, den Wanted by Night, damals sehr gut fand und heute noch finde. Warum also nicht die Ur-Version, wenn der Flanker schon fein ist?

Und in der Tat: die Ur-Version machte zunächst keinen schlechten Eindruck, ja, ich musste mich etwas einschnüffeln, aber es passte. Für den Sommer, mit offenem Flatterhemd sicher ganz passend, so dachte ich. Fruchtig, Ingwer, Zitrus, Synthetik. So ungefähr.

Verstörend fand ich allerdings die ungemein schlechte Durchschnittsbewertungen der Parfumos hier. Anderersseits kennen wir alle den Herdentrieb, der gerne mal mit diesen miesen Bewertungen korreliert und ganze Bewertungen ins Bodenlose herunterreißt und dem Duft nicht mehr gerecht wird. Dies wird vermutlich auch bei Azzaros Wanted so sein, so dachte ich. Ein ganzer Flakon wurde also gekauft von einem Parfumo, günstig, aber immerhin voll.

Mein Fehler war, dass ich - ganz Sammlerherz - den Flakon danach in die Ecke stellte und das Parfum nie im Alltag getragen habe. Gelegentliches Nachschnüffeln auf Papier lies mich im Glauben, hier doch einen lustigen quietischig-assoziativen Duft stehen zu haben, der nur auf seinen richtigen Einsatz wartet und die schlechten Bewertungen hier obsolet machen würde.

Nach eineinhalb Jahren war es soweit: Mai 2023, draußen 17 Grad, Sonnenschein, Frühlingsgefühle. Aufstehen, ab zur Arbeit und Wanted draufsprühen.

Innerhalb von 2 Stunden wurde mir bewusst, dass ich hier mit dem Wanted einen einen ziemlichen Fehlkauf hingelegt hatte. Alles Schönreden half nix: hier lag eine waschechte "kognitive Dissonanz" vor, die sich nicht mehr beseitigen ließ. Auf der Haut fing er immer stärker an zu Nerven, wohlmeindendes Schnüffeln am Handgelenk half nichts, ich wäre am liebsten unter die Dusche gesprungen und irgendeinen oldschool Brusthaarduft drübergetüncht. So musste ich bis zum Feierabend leiden und Stunden auf meine erlösende Dusche warten. Dabei bin ich ein Typ, der mit vielen Düften etwas anfangen kann und nicht empfindlich ist, aber hier kam die Erkenntnis hoch, dass der Wanted tatsächlich ein unglaublich schlecht komponiertes Parfüm ist, der richtig fies auf Haut wird. Untragbar für mich, bei aller anfänglichen Sympathie. Sämtliche Düfte aus der Pyramide kann ich kaum nachvollziehen, und selbst wenn nur mit einem störenden bleiernden Schwall auf schlecht gemachter Synthetik. Der Ingwer ist kein Ingwer, die Zitrone ist keine Zitrone und die Tonkabohne keine Tonka.

Ich habe nun mein Lehrgeld bezahlt: Kaufe nie ein Parfüm, wenn Du es keine drei Tage am Stück im Alltag tragen kannst, ohne zu nerven. Papierstreifen? Vergiss sie!
5 Antworten
ThomC vor 1 Jahr 4 3
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
8.5
Duft
Der Diskobomber
Gern vergesse ich diesen Duft in der Ecke des Badezimmers und verstaubt unbeachtet. Sein Flakon ist ja auch keine Schönheit; ist nichts, was man bei Damenbesuch unbedingt als Blickfang da stehen haben möchte. Eher verstecke ich ihn. Aber warum eigentlich?

Im Rückblick kann ich das nicht sagen, auch nicht, warum ich ausgerechnet DEN gekauft habe. Glaube, es lag daran, dass ich mir damals Düfte von Parfümeuren zugelegt hatte, um deren stilistische Handschrift herauszufinden. In Falle des TL Pour Lui war das dann Maurice Roucel, das rauchende Urgestein unter den Parfümeuren Frankreichs. Cooler Typ, breite Visage, erinnert mich an Manfred Lehmann, dem Synchronsprecher von Bruce Willis. Und ich meine aufgeschnappt zu haben, dass Roucel mit zunehmender Berufserfahrung immer weniger einzelne Duftstoffe in seine Kreationen packte; sie also eher simpler, aber nicht unbedingt schlichter machte. Vielleicht ist das die Alterscoolness? Ein Minimalist wenn man so will und somit mein Bruder im Geiste.

Der TL Pour Lui ist jedenfalls so eine Kreation, die mich immer wieder in den Bann zieht. Die durchschnittlichen Bewertungen hier will ich jedenfalls nicht mitragen. Ja, das Zeug ist zuckrig, aber nicht mit Überdruss und unangenehm, denn sonst hätten meine sensiblen Zuckerantennen längst angeschlagen. Es ist diese merkwürdige, trocken-staubige Melange aus Lavendel, dem alten Rochas Man (auch von Roucel kreiert) und angenehm rauchiger Synthetik, die ihn zu einer Einheit zusammenschmelzen lässt und das an der Grenze zur Großartigkeit. Zumindest handwerklich astrein gemacht.

Okay, er ist ein Bomber für Clubbesuche, nicht unbedingt ein feinsensibler Bürogeselle. Er will stören, er will auffallen, er will abgrenzen. Dazu kommt die Ted Lapidus-typische Eigenständigkeit, mal wieder. In einem früheren Statement habe ich ihn mit dem ollen Le Mâle verglichen, aber das kommt mir zu kurz und nehme es wieder zurück; zumal ich mittlerweile den TL Pour Lui vorziehe, weil ich ihn ausbalancierte sehe und seine DNA nicht so abgedroschen ist wie die des großen Klassikers von Gaultier. Dürfte ich mir zwanzig Düfte für die einsame Insel aussuchen - der TL Pour Lui wäre sicher dabei; der Le Mâle müsste Zuhause bleiben. Noch Fragen?

Ich mag ihn einfach, dieses leicht überzeichnete Charakterschwein. Passt ja auch zum Stile des Maurice Roucel, der mit Kreationen wie "Musc Ravageur", Nauticas "Voyage" und Bogarts "Pour Homme" immer wieder ziemlich dicke auffällige Dinger kreiert hat.
3 Antworten
ThomC vor 1 Jahr 4 1
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
8.5
Duft
Es darf nicht sein, was nicht sein darf...
Es sind verrückte Zeiten: Junge Menschen kleben auf Straßen, Normalomänner sind plötzlich alt, weiß und somit Schimpfwort. Die Weltordnung wird gerade spürbar neu geordnet und ich schreibe eine Rezi von einem Flanker eines eh schon völlig unbekannten Cheapies aus der Türkei. Komisch.

Aber warum schreibe ich das? Weil es gefühlt der Duft aus 2022 ist, den ich am häufigsten auf der Haut hatte. Mit Verzückung. Mit Fragezeichen. Mit Erklärungsversuchen. Mit "das darf doch nicht sein". Warum gerade DER? Der, der mit schlappen 6,5 Punkten hier sich aus dem Boxring schleichen kann? Ein totaler Cheapie für gerade mal zehn Euro? Hm.

Sagen wir so: Der originale Jagler von Hunca ist schon eine Bombe. Eine enorm moschuslastige, aber eine Gelungene - das Geld und die Reise zum damaligen Zeitgeist völlig wert. Und dann dieser unknown Flanker in "Black".

Wie wirkt er? Entschärft. Moderner. Tragbarer. Ohne Keule, ohne den 80ies-Knüppel des Moschusochsen, der das Original zweifelsohne auszeichnet. Beim Black dachte ich zuerst: Eine schlappe Nummer. Vermurkst. Aber das war er dann doch nicht. Die (Lern)Kurve bekam er mit dem Vergleich Richtung ---> "Prada Luna Rossa Black" für Arme. Ja, das trifft es schon eher, obwohl er synthetischer rüberkommt, wobei ich das Attribut "synthetisch" seit einiger Zeit nicht mehr als negativ auffasse. Egal.

Der Jagler Black ist jedenfalls ein waschechter edler Universalist, ohne dabei auf frische, angesagte mainstreamige Duschgel-Attitüden bemühen zu müssen. Ein Duft, der mir immer Spaß macht, nie aufdringlich oder gar billig wirkt - und trotz der durchschimmerndern DNA seines Vaters überall und immer passt. Für knappe zehn Euro erstaunlich, was die Türken da an Vorbildfunktion bieten.
1 Antwort
ThomC vor 2 Jahren 12 2
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Niederländisches in Perfektion
Wer durch Deutschlands tristen Innenstädte wandert, kann vor Rituals nicht entkommen. Mit gewaltiger Markt- und Marktingmacht sind diese auffälligen Hochglanzläden aus den Niederlanden mittlerweile gefühlt überall dort, wo man sie von der Stimmung her gerade gar nicht haben will. Vorbildlich perfekt durchchoreographiert: perfekte Ausleuchtung, viel perfektes Holz, perfekter Ladenduft, perfekte Innenarchitektur, perfekte Farbabstimmungen, perfekte Marketingkonzepte. Wenn man mich fragt, ist mir das zu erdrückend perfekt. Ich muss das wissen, denn ich habe letztes Jahr mal spaßeshalber dort zig Testkäufe für eine Agentur durchgeführt in Filialen in und um Düsseldorf, kenne gefühlt deren ganze Masche zur Genüge. Aber das Konzept des glänzenden Pseudo-Ethno-Kitsch (Asiatouch, Bambus, Steine, Plätscherwasserwaschbecken) geht auf, wenn es stellenweise auch recht konstruiert und albern rüberkommt (besonders bei der Zielgruppe Mann), sodass selbst die Verkäuferin vor Ort über die leichte Absurdität des Zielgruppenmarketings schmunzeln musste. Nun ja.

Okay, ich nörgel ja gern mehr als nötig - aber zugegeben ist mir Rituals dann doch nicht unsympathisch, den was wäre das genaue Gegenteil? Eine 08/15 Parfümerie XYZ, deren höchste Gefühle die üblichen Designeranbieter sind? Ne, dann lieber als Abwechslumng Rituals, deren Düfte oft ordentlich sind, wenn auch zumeist keine Überflieger. Die Flakons sehen immerhin prächtig aus mit ihren Holzkappen, und die wieder mal farblich perfekte Abstimmung hinterlässt jedenfalls keinen verfloppten Eindruck.

Ein zufällig entdeckter Überflieger ist jedenfalls das "Serendipity for Men", das momentan für gerade mal 9 Euro in kleiner Reisegröße verkloppt wird. Noch im Ladenlokal (diesmal zeittotschlagend privat ohne hinterlistige Testkaufambitionen) gingen die Augen auf: hier tut sich gerade was, hier und jetzt im perfekt gestylten Ladenlokal, der Fisch beißt an den Angelhaken. Viel Würzenoten der interessanten Art, umgemein dicht. Dazu Weihrauch im tragenden Fundament, wenn auch chypeartig dann eher sehr modern interpretiert. Obwohl er eher einen schweren, ja fast schon arabischen Eindruck hinterlässt, würde ich ihn problemlos abends in der schwülen Hitze tragen. Offenes Flatterhemd, an den Sanddünen des Paradiesstrands am Düsseldorfer Rheinknie. Grillen, Aperolsprizz, Schweißnoten. Ein bisschen hinterlässt er auch synthetisch-holzige Eindrücke, vermutlich Ambroxan, das aber äußerst dezent. Seine Haltbarkeit ist überdurchschnittlich, der Verlauf eher nonlinear: es tut sich was auf der Haut! Ja, er wirkt weder billig, noch verspielt, eher für die seriöse Fraktion 40 Plus. Als blindes Geschenk taugt er allemale.

Der "Serendipity for Men" ist das klassische Beispiel dafür, dass auch bei durchschnittlichen Anbietern immer wieder hübsche Dinger ins Fischernetz gehen. Vermutlich ist genau das der spannendste Aspekt eines jeden Cheapiejägers. Danke, Rituals.



2 Antworten
ThomC vor 2 Jahren 10 5
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Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Liebe im Unterbewusstsein
Plötzlich war da ein Gefühl von leichter Panik, als ich lesen musste, dass irgendein Inhaltsstoff von Bogarts Oud Edition neuerdings auf der schwarzen Liste der EU stehen soll (war's Lilial?) Was ja praktisch bedeutet, dass das hochkomplexe Rezept eines Parfüms wie ein Kartenhaus zusammenbricht, wenn ein Einzelstoff herausgenommen wird. Dieser kann ja nicht eins zu eins ersetzt werden, sondern muss in der Gesamtrezeptur sorgfältig neu komponiert und aufgebaut werden.

Bei einem eher günstigen wie unbekannten Parfüm wie das Oud Edition von Bogart habe ich Zweifel, ob der Hersteller eine aufwändige Reformulierung für gewinnbringend erachtet oder das Parfüm gleich einen kalten Markttod sterben lässt, weil Kosten-Nutzen für eine Wiederbelebung sich nicht rechnet.

Ich denke: Wenn es klanglos verschwände, wäre das meine persönliche mittelschwere Katastrophe, denn gerade jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich dieses Parfüm seit Jahren unterschwellig schätze, obwohl ich es nur selten, und wenn überhaupt nur im Winter trage. Jedenfalls kenne ich nichts Vergleichbares, es hat eine ungemein eigenwillige Handschrift. In dieser Preisklasse gleicht es einem Geniestreich erster Klasse, wie ich es nur selten auf der Haut habe. Eigentlich passt alles zusammen: die schrullige Spätsiebziger-Font, das spätsiebziger Braun, der breitbeinige Name, der altbackene (aber schöne) Flakon, die gesamten bloß nix ändern Attitüde, die aus jedem Winkel dieses Parfüms schreit. Selbst der Atomizer spritzt seinen Duftstoff weitwinklig ab wie eine in die Enge getriebene Giftschlange, was eher als Warnung zu verstehen ist.

Nö, dieses Zeug biedert sich dem Durchschnittskonsumenten wahrlich nicht an. Hauptsache keinem schnellebigen Zeitgeist hinterherhecheln, scheinen die bei bei Bogart zu denken; und da haben sie letztlich recht mit ihrem Schrullerkurs, denn so generiert man noch echte Kauferlebnisse, wie es sie mit hochkomplexen Marketinggedöns heute kaum noch gibt, mit all ihren rundgeschliffenen Kanten der perfekten Langeweile.

Die Oud Edition erinnert mich an nichts, was ich an Parfüms bisher gerochen habe. Von daher geht ein weiterer Eigenständigkeitspunkt direkt an Bogart. Auf der Haut ist es eher gradlinig, das oft beschriebene Synthetische bemerke ich gar nicht als solches, es entwickelt sich nach hinten maskuliner, dazu dezentes Räucherwerk, dazu Zimt - und Weihnachtsnoten ohne zu dominieren. Eine Perfekte Symbiose aus allerlei herben Düften, die sich harmonisch einbinden. Auch die Grund-DNA der One Man Show schimmert durch, aber man muss diese nicht kennen, um die Oud Edition zu schätzen.

Um die Geschichte wieder zu Anfang zu bringen: Restbestände der Oud Edition werden momentan völlig überteuert im Netz verscherbelt. Was mich dazu veranlasst hat, einen letzten Backup Flakon bei der kleinen Kette HC Parfüms zu kaufen. HC gehört seit einigen Jahren zu Bogart selbst und verkauft deren Marken wie auch die übliche Designerware. Die Oud Edition gibt es dort noch zu zivilisierten Preisen. Mein Glück, für die nächsten Jahre Oud Edition.

Nachtrag vom Dezember '22:

A) Ich trage einen Duft gerne durchgehend von Montag bis Freitag, quasi als Wochenduft. Der Oud Edition ist einer der ganz wenigen Düfte, die mich nicht schon nach zwei Tagen langweilen. Jeden Morgen freue ich mich drauf, ihn aufzusprühen. Hat bei mir keinerlei Abnutzungserscheinungen. Merkwürdig!

B) wenn ich so nachdenke, ist seine stilistische Zusammensetzung doch ziemlich einzigartig. Man nehme 70er-Seifen-DNA mit 80er PowerhouseDNA des Ur-One Man Shows und kombiniere diesen Vintagestil mit modernem Oud.
5 Antworten
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