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vor 2 Jahren - 11.08.2022
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Kapitalismus und Schnelllebigkeit in der Parfumwelt

Kapitalismus und Schnelllebigkeit in der Parfumwelt

Ich muss meinem Ärger über die Mentalität in der Gesellschaft und meiner Enttäuschung einfach mal Gehör verschaffen. Bestimmt jedem hier ist es schon mindestens einmal passiert: Man verliebt sich in einen Duft und vielleicht wird er sogar zum Signature erkoren und ein paar Wochen vielleicht auch ein Jahr später stellt man fest - eingestellt. Gibts nicht mehr. Wie vom Erdboden verschluckt, die letzten Überbleibsel finden sich dann hier auf Parfumo, wo Name und Noten archiviert worden sind. Selbst die Hersteller schweigen ihre Kreationen tot und löschen sie einfach aus. Pressemitteilungen oder Tweets? Oft Fehlanzeige, lediglich das Verschwinden der URLs gibt einem Hinweis über das Schicksal des geliebten Duftes.

Ich bin längst nicht so parfumverrückt oder -versiert wie viele hier, bin noch neu dabei und bin einfach nur unfassbar neugierig. Und trotzdem ist es mir innerhalb eines Jahres passiert, dass drei meiner Lieblingsdüfte eingestellt wurden, zwei als Ersatz für den jeweils andren dienen. Ich weiß, dass ich mich mit den Veränderungen auch aufgrund meines Autismusses schwertue und bei mir der Wunsch nach Beständigkeit, auch im Duftbereich, besonders groß ist. Aber ist es denn zu viel verlangt, dass es ein paar Düfte gibt, auf deren Fortbestehen man sich zumindest insoweit verlassen kann, als das Unternehmen nicht insolvent ist? Zum Teil fühle ich mich als Liebhaber und Kunde im Stich gelassen, weil einfach erklärungslos mit mir "schlussgemacht" wird, aber die Schuld liegt nicht nur bei den Unternehmen, sondern zum Gutteil auch bei uns allen.

Welchen Anteil wir an dem Debakel haben? Ich habe mich gefragt: Wie kann das sein, dass so tolle und teilweise sehr beliebte Parfums eingestellt werden? Dabei ist mir auf meiner Suche nach würdigen Ersatzdüften für meinen Liebling aufgefallen, wie unfassbar viele Parfums es auf dem Markt gibt. Besonders interessant fand ich, dass zu manchen Parfums Flanker kreiert werden und mir ist aufgefallen, dass diese auch meistens irgendwann eingestellt werden. Während das OG Parfum eine größere Überlebenschance hat. Zusätzlich habe ich nachgerechnet, wie lange ich in etwa etwas von meinen aktuell 12 Düften haben werde, vorausgesetzt, ich benutze wirklich jeden Tag einen Sprühstoß (was nicht immer der Fall ist): Mindestens 10 Jahre halten meine Düfte bei gleichmäßiger Nutzung. Sollte die Nutzung sich ungleichmäßig verteilen, halten einzelne Düfte sogar bis zu 15 oder sogar 20 Jahre, was eine sehr lange Zeit ist. Und zuletzt musste ich bei der schieren Menge an Parfum, das den Markt pro Jahr flutet, auch an unsere kapitalistische Gesellschaft denken, in der es hauptsächlich um Konsum geht. Fernseher und Laptops werden nicht dahingehend gebaut, dass sie 15 Jahre halten (was sie easy könnten), sondern es wird möglichst billig mit den größten Einsparungen designt und produziert. Womöglich wird sogar kalkuliert, wie gut z. B. ein Akku sein muss, damit er zumindest die 2-3 Jahre Garantie überlebt. Wieso sollte das bei Parfum grundsätzlich anders sein? Über die Qualität kann und will ich hier nicht urteilen, aber der Markt scheint zumindest was den Konsum angeht genauso zu funktionieren. Es geht darum, den Menschen Neues zu geben und davon möglichst viel.

Wie sollen so noch Düfte auf den Markt kommen, die die Zeit überdauern, wie z.B. BOSS Bottled oder CHANEL No5? Als Beispiel: 2021 brachte Gaultier den Flanker LaBelle le Parfum auf den Markt, eine Schwester von LaBelle. Selbst wenn viele Leute den Duft mögen und kaufen wird es sich wahrscheinlich kommerziell und finanziell für das Unternehmen nicht lohnen, ihn im Sortiment zu behalten. Denn wie ich eben zeigte braucht man pro zusätzlichem Parfum, das man besitzt, mehr Zeit in Jahren bis es leer wird. Das bedeutet für das Unternehmen, dass sie das mit einberechnen müssen: Von den auf die gesamte Kundenschaft gerechneten Käufern werden die meisten erst Jahre später einen neuen Flacon benötigen. Das heißt: Der durchschnittliche Umsatz pro Jahr für diesen Duft dürfte nicht all zu hoch sein. Ich würde als Unternehmen dann auch eher viele neue Abwandlungen auf den Markt bringen, die sich zum Launch hin gut verkaufen und diese nach 2-3 Jahren aus dem Sortiment nehmen. Warum lebt so etwas wie BOSS Bottled dann weiter? Bottled wird ein breiteres Publikum angesprochen haben, was eine größere Käuferzahl pro Jahr generiert, auch in dem Fall, dass jeder Kunde ein paar Jahre pro Flacon benötigt. Zusätzlich stammt das Parfum aus den 90ern, der Markt hat sich seitdem verändert. Social Media gab es nicht, das Internet wurde gerade erst entdeckt und nicht jeder Star hatte eine eigene Mode- oder Parfumlinie.

Und da kommen wir ins Spiel: Ich bin mir sicher, dass der Trend immer mehr in die Richtung gehen wird, dass Düfte auf dem Markt eine geringe Haltbarkeit haben, egal wie viel Sillage sie haben (also wie viel Aufmerksamkeit sie bekommen). Solange wir als Käufer und Marktteilnehmer diese Mentalität des Konsums haben und immer weiter nach Neuem suchen, statt den vielen schon existierenden Düften in gewisser Hinsicht treu zu bleiben, wird sich immer wieder und immer häufiger Enttäuschung über den eingestellten Lieblingsduft oder Ersatzduft für den Lieblingsduft breitmachen.

Selbstkritik sollte auch vor der duftenden Welt der Parfums nicht Halt machen, dieser Blogbeitrag soll ein kleiner Beitrag dazu sein. Und ein Stück weit auch eine kleine Hommage an meine drei Lieblingsdüfte, von denen zwei nicht mehr erhältlich sind und der dritte wahrscheinlich gerade am verschwindet.

Black Sensual von Johan B. - mein Signature (eingestellt)
KENZO Flower L'Elixir - Ersatz für Black Sensual (in keinem "seriösen" Onlineshop mehr verfügbar, daher Annahme: eingestellt)
Lancome Tresor a la Folie - eine Neuentdeckung und Ersatz. Gerüchten zufolge wird er bald eingestellt.
Aktualisiert am 11.08.2022 - 07:03 Uhr
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