Trollo

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1 - 5 von 9
Trollo vor 4 Monaten 9 8
10
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
10
Duft
Die kleine Schwester des afrikanischen Kristalls - EdT vs. EdP
Madegassischer Ingwer beginnt beim Eau de Toilette wie bei Eau de Parfum fulminant und bleibt bis zum tiefen Drydown deutlich wahrnehmbar. Anfänglich begleitet durch zitrische Elemente, wird dann die Herznote mit unglaublicher Blütenfülle sehr präsent. Wo Jasmin bei diesem Duft als Randfigur auftritt, kann die Mimose deutlich Süße dazugeben und das Neroli frischt das Ensemble auf. Dabei dringt bereits die Basis durch, und während die Herznote nachlässt, wird die Basis immer deutlicher. Die Bourbon-Vanille ist natürlichen Ursprungs und sehr hochwertig, nicht süß, sondern edel, aber sehr präsent. Dies mag der Effekt der „grünen“ Vanille sein, die ich in dieser Form niemals bei einem anderen Duft wahrgenommen habe. Eine balsamische Süße wird durch die rauchige Myrrhe aufgebaut. Zeder und Weihrauch ergänzen zur nicht zu süßen und harzig-würzigen Holzigkeit der Vanillebasis. Dieser wunderbare und exquisite Drydown begleitet den Tag über.

Der Flakon besteht wie der der großen Schwester, des EdP, aus schwerem Kristall und wurde ebenfalls in Handarbeit hergestellt. Er fühlt sich trotz seines Gewichts und der Größe sehr gravitätisch und angenehm an. Auch die Form des Eau de Toilette-Flakons soll an die Sanddünen afrikanischer Wüsten erinnern. Der runde Verschluss besteht aus handgeschnitztem und -poliertem Padoukholz.

Wie auch das EdP, wurde das EdT von dem französischen Designer mit nordafrikanischen Wurzeln, David Thibaud-Bourahla, zusammen mit Clémentine Humeau geschaffen. Es werden ausschließlich nachhaltig verarbeitete, natürliche Ingredenzien genutzt, soweit möglich aus Afrika selbst. Diese Qualität der Zutaten spürt und riecht man auch. Dennoch ist er von französischer Raffinesse und die Zutaten sind nicht nur hochwertig, sondern auch sehr gut miteinander verwoben.

Die Noten an sich unterscheiden sich in Eau de Toilette und dem bereits zuvor von mir beschriebenen Eau de Parfum kaum voneinander. Das Eau de Toilette entspricht in Qualität und Verlauf vollständig dem Eau de Parfum. Der Unterschied im Duft selbst liegt durch die Konzentration vor allem in der Silage und in der Abfolge der Noten: Das EdP ist hochkonzentriert und eher ein Extrait denn ein Eau de Parfum. Selbst ein einzelner Sprühstoß ist für mich schon zu viel und für den Alltag das Eau de Parfum somit kaum tragbar. Das Eau de Toilette kann besser dosiert werden. Die Abfolge der Kopf- zur Herz- und Basisnote erfolgt beim Eau de Toilette etwas zügiger und die traumhafte Basisnote hält dennoch den ganzen Tag über, jedoch nicht bis fast zum nächsten Tag wie beim Eau de Parfum.

Der Flakon des Eau de Toilette unterscheidet sich durch das Material des Deckels: Wo das Eau de Parfum kühlen und schweren Marmor mit Goldplatte als Kappe zu bieten hat, findet man beim Eau de Toilette eine schlichte Holzkappe. Einen Holzrahmen zum Einstellen/Ausstellen wie beim Eau de Parfum bringt das Eau de Toilette nicht mit. Es hat natürlich schon das gewisse „Etwas“, eine schwere und kühle Marmorkugel in der Hand zu halten. Jedoch ist es zugleich recht aufwendig, den zusätzlichen Holzrahmen des Eau de Parfum für seine vollständige, sehr ästhetische Präsentation zu nutzen, denn der Flakon muss im richtigen Winkel in den fast schon zu gut passenden Rahmen eingesetzt werden.

Wer den Duft also nicht nur ausstellt, sondern auch regelmäßig benutzt, auf Marmor als Kappe verzichten kann und eine sehr gute, aber nicht raumfüllende Silage zu schätzen weiß, vielleicht sogar mehr die würzige Vanillebasis als die Kopf- und Herzbote schätzt, die sich schneller aufbaut, der ist sicherlich mit dem im Vergleich zum Eau de Parfum erheblich günstigeren Eau de Toilette sehr gut beraten.
8 Antworten
Trollo vor 9 Monaten 12 6
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Die Femme Fatale Guerlains oder wie ein Duft eine literarische Figur thematisieren kann
Die Narcisse Noir Daltroffs gilt für viele als Inbegriff eines Duftes für die Femme Fatale. In der Originalversion kann die schwarze Narzisse mit einer gehörigen Portion Indolik durch Narzisse (unterstützt durch Jasmin und vor allem Orangenblüte) und viel Animalik durch Zibet und Moschus aufwarten. Jasmiralda vermag diese Animalik wie auch die Indolik der Narcisse Noir zu Beginn noch steigern.

Im Auftakt ist Jasmin präsent, SEHR präsent, ebenso wie die sie unterstützende Orangenblüte. Es entsteht fast ein fleischlicher Eindruck weißer Blüten, insbesondere durch die ebenfalls direkt lostobende Animalik speziell des Moschus. Hirschhornmuschus wird hier in der Duftpyramide genannt und das könnte sein; eine alte Vintage-Probe des nur wenige Jahre älteren Après l’ondée der ersten Formulierung hatte leichte Ähnlichkeiten. (Eine minimale Ähnlichkeit könnte übrigens auch durch die genannte Bouvardia hergestellt worden sein, die ich nicht einzeln ausmachen könnte, aber in beiden Duftpyramiden genannt wird.)
Daneben gibt Ambra dem Duft Tiefe und Zibet verstärkt die Animalik nur noch. Zugleich ist aber bereits ein sanftes Harz (Benzoe) zu spüren. Die Vanille gibt sicherlich einen Gutteil der Süße dieses Duftes und bleibt linear vorhanden, auch bei einem recht überraschenden plötzlichen Richtungswechsel Jasmiralda: Plötzlich ist das Veilchen da, es ist einfach da, sehr vernehmlich, ebenso wie die Rose. Vermutlich waren sie die ganze Zeit da, sind aber von Indolik und Animalik zur Seite gedrängt worden, verdeckt worden. Jasmin ist ein steter Begleiter, aber eben nur das, ebenso wie die nur latente Animalik. Etwas holziger Vetiver trägt sicherlich zur Beruhigung bei. Tonka steigt allmählich auf, wohingegen das Benzoe weiter abflacht und Vetiver und Tonka Platz macht. Tonka verbindet sich mit dem holzigen Akkord, während das genannte Moos eher nur den dezenten Hintergrund bietet und den Duft erdet.

Jasmiralda ist nicht nur einfach (wie) eine Femme Fatale mit Guerlain'scher Ausprägung. „Jasmiralda“ soll sich aus „Jasmin“ und „Esmeralda“ zusammensetzen und spielt damit auf die weibliche Romanfigur aus dem Glöckner von Notre Dame Victor Hugos an. Wie die Romanfigur auch, hat Jasmiralda zahlreiche Facetten und Eigenschaften, die man beim ersten Eindruck und Blick niemals auch nur vermutet hätte: Sie verwandelt sich auch nicht in die "Unschuld vom Lande", sie bleibt sinnlich, aber niemand hätte hinter der rassigen Schönheit zu Beginn diese edle, verhaltene und eigentlich alltagstaugliche Sinnlichkeit auch nur erahnen können - beide benötigen dazu die Chance, sich "im normalen Leben" zu entfalten. Esmeralda hat sie im Roman Hugos nicht bekommen - und Jasmiralda letztlich auch nicht; schon vor Jahrzehnten wurde sie vom Markt genommen.
6 Antworten
Trollo vor 1 Jahr 15 8
10
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Samtige Rosen vor dunklem Grund im vergoldeten Kristallkleid - Carons Rosen-Chypre
Or et Noir wurde nach dem Tode Daltroffs von seinem Mitarbeiter Michel Morsetti 1949 entwickelt, möglicherweise auf der Grundlage von Aufzeichnungen Daltroffs. Er reiht sich in die lange Reihe großer Düfte Carons nahtlos ein, um dennoch (s)einen eigenen Platz in dieser Reihe auszufüllen.
Or et Noir in der Version mit dem Baccarat-Flakon, vergoldet oder teilvergoldet, stand bei sehr sehr lange auf der Wunschliste. Jahrelang habe ich ihn im Internet gesucht. Dann ein „Treffer“, ich konnte es kaum glauben: Ein Antiquariat in einer französischen Kleinstadt hatte einen Nachlass aufgekauft und darunter befand sich Or et Noir… Aber zur Abholung nach Frankreich? Eher nicht… Mit einiger Überredung konnte ich den Flakon dann auch per Post bekommen. Ein paar Tage später stand das Paket dann vor mir. Ehrfürchtig öffnete ich es, schälte den Caron-Karton aus seiner schützenden Umverpackung: Ein ovaler Karton mit braun-goldenen Punkten auf schwarzem Grund, vorn versehen mit dem achsengespiegelten „C“ als Caron-Logo und auf dem Deckel ein aufgeklebtes altgoldenes Motiv mit Rosen in erhabenem Druck und der Beschriftung „Or et Noir de Caron“ als Umschrift. Innen ein Polster, das den Flakon sanft umschloss und zunächst nur einen vergoldeten länglichen, fein ziselierten Deckel und ebenfalls die Beschriftung „Or et Noir“ und „Caron“ auf dem Polster erkennen ließ.
Dann stand er da, der legendäre Flakon, für den Höchstpreise gezahlt werden, ein Handschmeichler aus edlem und schweren Kristall mit einem Glasstöpsel, dessen sichtbarer Teil vergoldet und seitlich jeweils als Rose gestaltet ist. Um seinen Hals und den Stöpsel war ein dunkler Draht geschlungen und es war unschwer zu erkennen, dass am Rand des Stopfens Parfumöl ausgetreten und der Stöpsel damit vollkommen verklebt war.
Es war ein Leichtes, den Draht zu durchtrennen, aber das verklebte Parfumöl am Rand verhinderte, den Stöpsel direkt herauszuziehen. In wochenlanger Geduldsarbeit konnte Apothekenalkohol die von außen sichtbaren Ölbestandteile langsam aufweichen, so dass er sich entfernen ließ. Nun roch es absolut fantastisch, die bernsteinfarbene Flüssigkeit schimmerte verlockend und allein das stellte mich auf eine harte Geduldsprobe, denn der Stöpsel ließ sich einfach nicht öffnen. Sanftes Klopfen des mutmaßlich empfindlichen vergoldeten Stopfens rundum auf einen nachgiebigen Untergrund, Kühlen, Klopfen, Kühlen, Klopfen, Kühlen, Klopfen, …. zeigte nach einigen Wochen ganz plötzlich Wirkung – der Stopfen gab unerwartet nach und seinen wertvollen Inhalt frei.
Ich bin kein Vertreter von „früher ist alles besser“ und gehöre auch nicht zu denen, die alles „Alte“ für „erhaltenswert“ halten. Bei Düften sehe ich das aber teilweise anders; viele Düfte wurden im Laufe der Zeit verändert. Die Gründe dafür sind vielfältig: Jeder neue „Batch“ hat natürlich seine eigenen Rohstoffe, deren Qualität jeweils die Qualität des Duftes bestimmt. Einige Rohstoffe gibt es auch einfach irgendwann nicht mehr, andere sind nicht mehr erlaubt (Stichwort: IFRA), wieder andere werden durch günstige synthetische oder andere Rohstoffe ersetzt. Oder der Geschmack der Zeit ändert sich schlichtweg und eine Reformulierung scheint angebracht. Was auch immer die Gründe sein mögen. Ein Duft von vor über 70 Jahren duftet selten so wie ein heutiger Duft. Und man darf nicht vergessen, dass Düfte meistens auch reifen, insbesondere dann, wenn sie lange Licht und Luft ausgesetzt sind. Einigen Düften bekommt das gut, anderen nicht. Viele Düfte büßen an Intensität und Haltbarkeit ein, verlieren Kopf- und Herznoten und einige „kippen“ sogar und riechen dann sehr übel.
Bei den Düften Carons und Guerlains habe ich seltenst negative Überraschungen erlebt; die Qualität der Inhaltsstoffe überzeugt auch Jahrzehnte später noch. Or et Noir war offensichtlich sehr früh nach dem Einfüllen bereits durch die ausgetretenen Parfumöle verklebt worden; es gab so gut wie keine Evaporation und er war zudem lichtgeschützt aufbewahrt. Soweit es aus heutiger Perspektive zu beurteilen ist, sind seine Noten perfekt erhalten, weder Haltbarkeit noch Intensität haben im Laufe der vielen Jahrzehnte gelitten.
Der edle, geschliffene und auf dem Top vergoldete Glasstopfen gibt den Duft frei. Ein winziger Tropfen genügt. Die Augen schließend, werde ich in einen Rosengarten versetzt. Atemberaubend schöner Rosenduft umfängt und umarmt mich. Von ferne durftet süßlich-intensiver Flieder und mischt sich mit den königlichen Rosen. Der Verstand weiß, dass es die wunderbaren Damaszener-Rosen sind und wie diese aussehen. Das Gefühl aber suggeriert ein anderes Bild dieser Rose. Es sind vom inneren Bild her samtige, dunkelrote Rosen, nicht die kleinen, die man(n) seiner Frau vom Blumenhändler nebenan mitbringt, sondern die großen, verführerischen, dunkelsamtroten Blüten, die ins Schwarze changieren. Ein kühler, leicht minzartiger Duft mischt sich hinein – irgendwo in der Nähe muss ein Geranium blühen. Dann erhebt sich aus dem dunklen Grund eine feine Würze; Gartennelken erheben ihr kleines Haupt und lassen ihren Duft zu mir hinüberfließen. Moschus, Vanile, dezentes Eichenmoos, Sandel- und Zedernholz unterstützen als Basis dieses Bild der perfekten Rose im Vordergrund. Die Tiefe, die Intensität, ohne aufdringlich zu sein… Rosen-Perfektion hat einen Namen.
Or et Noir steht in der Tradition des Vintage N’aimez que moi und es sind immer wieder Ähnlichkeiten zu erkennen, besonders in der Flieder-Rosen-Kombination und gelegentlich auch zur Basis. Aber Or et Noir geht in seiner Rosenbetonung weit über N’aimez que moi hinaus: Or et Noir ist im Original nicht irgendein Rosenduft, es ist DER Rosenduft. Das Original enthält kostbarste Rosenöle, die die Zeit unbeschadet überstanden haben und eine Ahnung aufkommen lassen, wie üppig, edel, kostbar und wunderbar die Extraits Carons zu ihrer Entstehungszeit gewesen sein müssen.
Dagegen das Or et Noir, wohl eine Probe direkt von vor der Ausgabe Or et Noir (2017): Ich sprühe es auf und rieche einen Hauch vor allem von kühlem Geranium, vergleichbar der „Rose“ Carons, daneben auch Rosenöl, später auch Flieder und einen sanften Amber und etwas Eichenmoos als Basis. Wo ist die schmelzend dunkle Basis? Wo dieses unübertroffene Rosenöl, das mich beim Or et Noir von 1949 so begeistert hat? Ist dies wirklich der gleiche Duft? Ein Blick auf die Originalprobe Carons bestätigt das. Mit zwei (!) weiteren Sprühern aus der (frisch geöffneten) Herstellerprobe ist zumindest eine Grundlage da, um mehr von diesem Duft wahrzunehmen.
Ich hatte schon gehört, dass Or et Noir spätestens bis 2011 reformuliert worden sein soll; Or et Noir in der späteren Version ist im direkten Vergleich zum Original eine (ver)blass(t)e Ausgabe des originalen Duftes. Nett, dezent, eine solide Qualität, interessant für Parfumbegeisterte, die ordentliche Rosendüfte zu schätzen wissen.
Wie schade, dass es solche Perlen heute nicht mehr gibt! Wäre ich ein Rosenmensch, wäre das der perfekte, der einzige Duft, den ich bräuchte.
Leider, leider, bin ich das nicht. Am liebsten würde ich den Duft als eines der Schmuckstücke meiner Sammlung einfach in die Vitrine stellen.
Parfums wurden aber nun einmal nicht als Dekoration entwickelt, sondern um getragen zu werden und so Menschen glücklich zu machen. Dieser ganz besondere Duft in seinem atemberaubenden Flakon zieht daher nun zu einem anderen Liebhaber alter Carons, der jemanden hat, der ihn tragen und wertschätzen wird.
8 Antworten
Trollo vor 2 Jahren 21 12
10
Flakon
7
Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
(R)Emanzipation à la Caron – Gebt den Frauen Pfeffer!
Poivre zählt nach Tabac Blond (1919) und En Avion (1932) als Dritter zum Bunde der „Emanzipationsdüfte“ des Hauses Caron und ist Teil der europäischen Kulturgeschichte.

Seit Ende des Ersten Weltkrieges konnten sich Frauen sukzessive ihre Gleichberechtigung auf politischer Ebene erkämpfen, in der gesellschaftlichen Realität bestand diese Gleichberechtigung jedoch für weite Teile der Bevölkerung vieler Länder weitgehend auf dem Papier.
In Deutschland beispielsweise wurden Frauen im Dritten Reich einige ihrer hart erkämpften politischen Rechte wieder abgesprochen, bis sie durch den Männermangel während des Zweiten Weltkrieges in kriegswichtigen Berufen eingesetzt werden mussten, nach dem Krieg sogar als heute noch geachtete „Trümmerfrauen“ maßgeblich zum Wiederaufbau Deutschlands beitrugen. Nach dem Krieg kehrten die Männer der bis zum Schluss am Kriege beteiligten Staaten an ihre Arbeitsplätze zurück und Frauen konnten es sich leisten, wieder an „Heim und Herd“ zurückzukehren. Das Bild der Hausfrau im schlichten Kleid bestimmt noch bis heute das Frauenbild der 1950er-Jahre. Dieser allgemeine gesellschaftliche Umbruch während des Nachkriegsaufschwungs erfasste viele Länder der Welt und löste schließlich in den 1960er-Jahren eine zweite Welle der Frauenbewegung aus, die letztlich bis heute anhält. In diese Zeit ist auch die Entwicklung von Poivre einzuordnen.

1954 brachte Caron auf Initiative der rund 80jährigen Félicie Wanpouille einen Duft mit einer unglaublich markanten Pfeffer- und Gewürznelkennote auf den Markt: Poivre, zu Deutsch „Pfeffer“. Die Konzentration von Pfeffer und Gewürznelke war in dieser extremen Konzentration neu, Poivre war – und ist – einzigartig. Betrachtet man die Parfumo-Datenbank, so kann man ab Poivre und seinem Eau de Toilette-Pendant Coup de Fouet für den Verlauf der zweiten Emanzipationswelle eine beginnende Kontinuität dieser beiden Duftnoten annehmen; es wird „normal“, Pfeffer oder Gewürznelke in Düften zu nutzen. Für roten Pfeffer ist Poivre hingegen der früheste nachgewiesene Fall in der Datenbank Parfumos und nach wie vor wird er nicht allzu häufig genutzt.

Tatsächlich spielt der namensgebende Pfeffer zugleich mit der sogar noch etwas präsenteren Gewürznelke die dominierende Rolle in diesem Chypre, der trotz Reformulierung vor einigen Jahrzehnten seinen Charakter bis zu seinem durch die Ifra-Regulierungen vorgegebenen Ende vor wenigen Jahren behalten hat.

Poivre und ich, das hat eine Geschichte… Dem allgemeinen Trend folgend, wurde auch Poivre zeitweilig als Sprühflakon ausgegeben. Die immense Gewalt des Pfeffers konnte mich durch Sprühen nicht begeistern und jemand anders konnte sich daher nach einer Weile über den Flakon freuen. Dennoch kehrten meine Gedanken immer wieder zu ihm zurück, und so nutzte ich die Gelegenheit, als ich einen der länglichen kubischen Flakons Carons finden konnte – zum Tupfen, wie auch im Original so gedacht. Hier entfaltete sich ein erheblich vielfältigerer Duft jenseits des Pfeffers und mit komplexer würziger Schönheit, die in einer mindestens 40 Jahre älteren Vintage-Version, die schließlich auch noch ihren Weg zu mir fand, sogar noch (kraft-)voller zum Ausdruck kommt.

Poivre eröffnet in seiner zuletzt verfügbaren Formulierung mit einer gehörigen Dosis Pfeffer und Gewürznelke. Das Eichenmoss scheint recht schnell durch. Die etwas blasse Herznote umfasst Blumen, von denen ich vor allem die klassisch Caron'sche Rose zart erahnen kann. Während der Pfeffer bald in der Konzentration nachlässt, bleibt die Gewürznelke vorherrschend. Eugenol ist Bestandteil von Nelke und Gewürznelke; das Eugenol aus der Gewürznelke dominiert so stark, dass ich die in der Herznote angegebene Nelke nicht mit Sicherheit bestimmen kann. Sanftes Opoponax (und sehr zart eher erahnbare holzige Noten) legt sich über diesen würzigen Chypre und gibt ihm ein orientalisches Flair. „Pudrig“ nennt ihn Tinfred in ihrem Statement, „warmer Pfeffer-Nelken-Seiden-Schleier“ beschreibt Violett – oder als vergleichbar einem ‚Geruch in der Zahnarztpraxis‘ Lisalui633. In dieser Formulierung wirken die Gewürze und Bestandteile gelegentlich etwas unverbunden nebeneinander und die Gewürze stehen mehr mit der Basis als mit der Herznote in Verbindung, was ihn eher zu einem ‚würzorientalischen Chypre‘ macht.

In manchen Rezensionen wird von einer Reformulierung (2011) berichtet. Tatsächlich sind im Vergleich zum Vintage einige Unterschiede erkennbar, die nicht allein auf Reifung zurückzuführen sind, obgleich die Noten recht ähnlich sind.

Die Eröffnung mit Pfeffer und Nelke ist beim Vintage regelrecht „würzgewaltig“. Es ist aber eine dunkle Würze, die eine ungeahnte Kraft durch ihre Herznote und Basis gewinnt: Ylang-Ylang umfängt den Gewürzsturm sanft und lieblich, nimmt ihm aber keineswegs die Kraft, sondern die Gewürzspitzen und potenziert seine Würzgewalt. Es ist so bereits im Auftakt das gewisse „Etwas“ zu spüren, das man nur durch Hinzugeben sanfter Süße zu würzigen Speisen oder Düften zu erhalten vermag. Die Basis leuchtet bereits durch den Auftakt hindurch, bildet einen dunklen Kontrast, vor dem in der Folge intensive Blumennoten dem nelkenpfeffrigen Ambiente beitreten und mit ihm ringen. Neben Ylang-Ylang ist etwas Rosiges gut vernehmbar, daneben deutliche Weißblüher wie wahrscheinlich Tuberose, die gegenüber der omnipräsenten Gewürznelke nicht klein beigeben. Anders als bei der zuletzt verfügbaren Formulierung kann ich die einzelnen Noten der Basis bis auf das Eichenmoos nicht identifizieren – klassische "Caronade". Insgesamt wirkt der Vintage-Poivre dunkler, runder, ausgeglichener und durchkomponierter; an keiner Stelle wirken die Bestandteile nicht als Teil des Gesamtduftes – und pudrig ist der Vintage keineswegs. Die dunkle Basis hält auch dann noch vor, wenn die Basis der zuletzt erhältlichen Formulierung zum pudrigen Chypre-Orientalen verblasst. Victoria in Bois de Jasmin beschreibt wohl aus diesem Grunde Poivre der zuletzt verfügbaren Reformulierung als eher ‚pink‘ denn ‚purpur‘ und glaubt Poivres Schönheit verloren.

Dem würde ich so nicht zustimmen; der Vintage entspricht in seiner unglaublichen schmelzenden Blütenpracht als Gegengewicht zu Nelke und Pfeffer vor dem Hintergrund der legendären „Caronade“ (der Eichenmoos-Sandelholz-Basis) dem Stil seiner Entstehungszeit: Blumige Chypres waren in den 1950er-Jahren immer noch bekannt und beliebt, und ein solcher ist letztlich vom Grunde her auch Poivre, der mich im Drydown stark an Or et Noir in seiner originalen Formulierung erinnert und seine Herkunft so nicht verleugnen kann. Die zuletzt erhältliche Formulierung ist eindeutig immer noch „Poivre“, dem Zeitgeist angepasst; er ist damit auch für all diejenigen eine tragbare Alternative, die das „Altmodische“ in Carons Düften nicht so sehr schätzen oder tragen mögen wie Freunde des Hause Caron, für die gerade das „Altmodische“ einen hohen Wiedererkennungswert hat. Bei mir bleiben auf jeden Fall beide Formulierungen.

Poivre ist und bleibt auch in der letzten Formulierung ein verzaubernder Nelken-Pfefferduft, der sich hinter keinem der sog. „modernen Nischendüfte“ verstecken muss.

Und was seinen kulturhistorischen Wert angeht – solange wir noch Gesetze brauchen, die Frauen in Führungspositionen bringen sollen, solange alte Männer unter dem Jubel der Massen und auch vieler Frauen reaktionär und frauenfeindlich Politik machen können, solange Emanzipation noch nicht selbstverständlich ist – solange brauchen wir auch "Poivre".
12 Antworten
Trollo vor 2 Jahren 29 12
10
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Das Spiel mit Licht und Schatten
Am Ende des Jahres 2021 kündigte Annette Neuffer nach längerer Zeit einen neuen, jedoch stark limitierten Duft an. Derzeit sind viele der Rohstoffe immer knapper und schwerer zu bekommen und so gibt es derzeit von diesem Batch nur 5 Flakons. Die Flakons sind außergewöhnlich, massiv, eckig, aber dennoch Handschmeichler und gewohnt liebevoll gestaltet.
Beim Blick auf die Inhaltsstoffe kommen Erinnerungen an gute alte Bekannte auf – der alkoholische Auftakt erinnert in der Duftpyramide an Havana Plum, Boronia benutzte Annette in Chyprette und Havana Plum, die Basis ähnelt der von Ambar, aber mit Ergänzungen, die an Mellis, Stardust, Narcissus Orientalis und einige andere ihrer eher orientalischeren Düfte denken lässt. Tatsächlich: Wer Annettes „Handschrift“ kennt, wird sie auch in Fumoir des Anges wiedererkennen.

Zitrische Elemente in Verbindung mit alkoholischen Noten und ein wenig Angelika lassen den Duft würzig, frisch und alkoholisch starten, doch das blumige Herz offenbart sich sehr schnell: Noch in alkoholischer Grundstimmung erblüht die Boronia im Blütenmeer auch anderer Blumen zu voller Pracht, Honig und viel Karamell versüßen den Duft deutlich wahrnehmbar. Frangipani und Ylang-Ylang geben ihre Blütensüße dazu. Interessanterweise nehme ich zunächst Iris und Rose kaum wahr, aber möglicherweise liegt dies daran, dass Annettes Boronia so herrlich präsent bleibt. Nach mehrmaligem Tragen ist die Iriswurzel wie in Chocolat Iriśe nun doch sehr gut erkennbar. Eine sehr leichte würzige Rauchigkeit erscheint kurz durch den Weihrauch, doch bleibt in der Herznote die süße Blumigkeit dominant. Dann drängt Vanille aus der Basis nach oben und die Herznote weicht allmählich den Noten der Basis. Karamell ist zunächst noch äußerst präsent, auch der Honig, aber das Bienenwachs ergänzt beide Noten zu warmem Leuchten. Im Laufe der Zeit verblasst das Karamell, später auch der Honig, doch Annettes Signatur, der Bienenwachs, bleibt bis zum Schluss spürbar. Auch die Blüten hängen weiterhin in der Luft. Oud wird immer spürbarer, aber wie typisch für Annettes Düfte, nicht dunkel-animalisch, sondern eher wie altes, dunkles, leicht rauchiges Holz. Kakao dunkelt die Basis etwas ein, dazu nehme ich leicht Patchouli wahr, aber sehr zurückgenommen. Eine minimale Harzigkeit, vermutlich durch das Labdanum, und zwischendurch ein Hauch von hauchfeiner salziger Animalik – spüre ich da Ambergris? – kommen hinzu. Vanille nimmt in den folgenden Stunden an Intensität zu, ohne dass die Basis dabei süß oder gar klebrig werden würde. Der Duft verbleibt holzig-blumig-süß-würzig auf der Haut. Fumoir des Anges hat wie fast alle ihrer Düfte eine sehr gute Haltbarkeit, die Silage ist gut auf Distanz wahrnehmbar, aber nicht raumfüllend.

Parallel zu Ambar getragen, zeigt sich seine deutliche Verwandtschaft mit Fumoir des Anges, doch Ambar ist rauchiger, enthält kaum Süße und keine Blumen und ist erheblich dunkler und intensiver als Fumoir des Anges, bei dem der Tabak etwas zurückgenommen ist und dessen dunkle Basis zudem noch durch das Wachs gedimmt und durch Vanille aufgehellt wird. Fumoir des Anges ist weicher, wärmer, sanfter als Ambar, eher die „kleine süße Schwester“. Beide Düfte sind unisex, doch während Ambar eher auf der maskulinen Seite der Unisex-Düfte angesiedelt ist, findet man Fumoir des Anges eher auf der femininen Seite.

Fumoir des Anges – „Räucherei der Engel“ – ist ein Duft, der gekonnt Hell und Dunkel miteinander kombiniert. Er bedient sich laut Annette eines klassischens Elementes der Malerei, des Chiaroscuro: Dieses Stilelement der griechischen Antike wurde mit der „Wiedergeburt“ der Antike in der Renaissance bis in den Barock hinein gern verwendet, um mit der Darstellung von Licht und Schatten in Bildern zentralen Elementen Tiefe zu verleihen, wobei nicht nur räumliche Tiefe erzielt wurde, sondern auch die zentrale Aussage des Bildes gezielt durch Hell-Dunkel-Effekte betont und herausgearbeitet werden konnte.

Ambar wurde sehr passend von Can777 in seiner Rezension als 'schwarzer Diamant' bezeichnet, als 'tiefster Abyss in Annettes Kollektion', als 'sinnliche Schönheit aus Finsternis'. Ambar leuchtet in der "Räucherei der Engel" im Hintergrund. Die dunkle Räucherei, die tiefe, wundervoll warme Basis, die besonderes Kennzeichen Ambars ist, kontrastiert in besonderer Weise die zarte, aber süße Blumigkeit, das Engelhafte des Duftes. Vergleichbar zur Renaissance als Rückgriff auf die klassische Antike, gibt Annette Neuffer zu ihrem 15. Jubiläum seit der Kreation ihres ersten Duftes einen Duft heraus, der Elemente ihrer klassischen Düfte wieder aufgreift und in der gekonnten Kombination mit der ihr eigenen Fähigkeit zur Entwicklung einzigartigen Parfumeursstils ein ganz besonderes Kunstwerk entstehen lässt.
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