Ttfortwo

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1 - 5 von 89
Ttfortwo vor 8 Monaten 14 18
10
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Ein aparter und feiner Sommerduft
Sebastian hat mir ein Pröbli geschickt. Er hat ein Faible für subtile und transparente, lichte Düfte. Düfte, die das Kunststück fertig bringen, auf den ersten Riecher fast schlicht zu wirken, sich dann aber als doch sehr kunstvoll und gar nicht banal zu erweisen. Immer spannend also, aber auch immer eine Herausforderung an meine eher schlicht gestrickte Nase.

Der Duft hatte einen schlechten Start bei mir, weil ein Blick auf den Flakon eine rechtschaffene Wut in mir geweckt hat: „Inspired by your life“ steht da drauf. Was für ein anmaßender Claim! Was geht Euch mein Leben an? Mein Leben? Seit Monaten zerreisse ich mich zwischen einem immer schwieriger werdenden Arbeitsumfeld und dem verzweifelten Versuch, das völlig aus den Fugen geratene Leben meiner Eltern (Mama dement und Papa mit über 90 zum Wahnsinnigwerden altersstarrsinnig) irgendwie wenigstens auf dem aktuellen Status zu erhalten. Als ob das nicht genug wäre: Der Schwiegerpapa ist an einem aggressiven Krebs erkrankt und das Leben der Schwiegermama löst sich gerade in Verzweiflung auf. Mein Leben? Davon wollt Ihr Euch inspirieren lassen? Not your Ernst!

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Der erste Sprüher entfaltet eine sehr clean und sauber wirkende Kopfnote, glasklares Neroli gibt in der Tat einen mächtigen 4711-Boost, dazu noch kurz eine deutliche zitrische Note, die Minze kühlt kräftig runter, ist aber gerade noch dezent genug, um das aus dem Hintergrund heraus zu machen. Ich bin jetzt nicht der allergrößte Neroli- oder Minze-Fan, muß aber zugeben: Das ist ein richtig schöner Sommerling.

Das Vetiver ist fast von Anfang mit dabei und das erweist sich eine Zeitlang als herausfordernd für mich und zwar in der Phase, in der das Neroli in den Hintergrund tritt: Die Minze macht etwas mit dem Vetiver, das mir persönlich nicht so gefällt. Es ist ohne Frage eine spannende Kombi, eisgrün, grüncool, schillernd, oszillierend. Eine andere Nase würde es bestimmt als „gewagt und gewonnen“ empfinden – mich stört es dagegen ein bißchen.

Die Herznote dagegen ist wunderbar: Ein schwebender Nebel zarter Blüten, die an sich ja schon distanziert duftende Rosengeranie, ein Hauch luftig-pudrigen Veilchens im Hintergrund, ein zart würziger Twist. Ein Sebastian-Duft, ohne Frage. Leicht seifig, sehr schwebend, licht, transparent. Das Vetiver gibt einen winzigen Hauch grasiger Süße dazu. Schön!

Schon jetzt ist der Duft recht leise, ich muß mit der Nase nah ans Handgelenk gehen. Allerdings sendet meine Kleidung noch hin und wieder eine sacht duftende Meldung in die nahe Umgebung.

Ganz zum Schluß wird’s nochmal spannend: Der Duft hat sich bereits auf dem Basisnotendiwan ausgebreitet, das „Kashmirholz“ (haha! Kashmeran also, aber ich mag dessen synthetische Wärme und zarte Süße ja durchaus ganz gern) muggelt leise vor sich hin, da erfasse ich mit der Nase ganz nah auf der Haut plötzlich wieder ein Hauch der Schärfe und Klarheit des Neroli vom Anfang. So schließt sich der Kreis. Kashmeran ist ja ein ausgesprochener Langläufer, insofern ist die Haltbarkeit keine schlechte.

Danke, Sebastian, fürs Pröbli. Ein Duft, der ausgezeichnet in Deine Sammlung paßt und der an warmen Sommertagen ein friedlicher und gelassener Begleiter sein sollte.

Auch wenn ich geschrieben habe "Mindestens einen solchen Duft braucht jeder Mensch", so denke ich, das es dieser hier für mich noch nicht ist. Aber sehr, sehr nah dran.
18 Antworten
Ttfortwo vor 8 Monaten 39 36
2
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Was für ein Dickschiff!


Erster Coronasommer - und wir hatten einfach mal Glück: Das eher bescheidene Prager Altstadthotel, in dem wir – weil Coronapreise, da konnten wir uns das leisten – eine Suite gebucht hatten, schrieb uns ein paar Stunden vor unserer Abreise ein liebenswürdiges Mail: Man habe so wenig Buchungen, daß es sich nicht lohne, das Haus überhaupt zu öffnen. Man habe uns stattdessen in einem anderen Haus untergebracht und selbstverständlich zum gleichen Preis und selbstverständlich in einer vergleichbaren Kategorie und, ja, selbstverständlich, weil Ehrensache, habe man ein deutlich besseres Haus gewählt.

Der Ausdruck „deutlich besser“ war deutlich untertrieben: Wir landeten in einem der besten Häuser Prags, mächtige Gründerzeitfassade, vier Meter hohe Räume, opulentester klassischer Hotelluxus – und in einer Suite, größer als unsere Wohnung. Riesige Fenster, opulente Möblierung zwischen Gründerzeit und Art Deco – der Hammer!

Warum ich das erzähle: Weil die raumhohen Fenster mit einem unfaßbar voluminösen Seidenstoff dekoriert waren, so ein Stoff, der Wellen wirft und keine Falten. Die Grundfarbe ein warmes Safran, zwischen dunklem Gelb und warmen rötlichen Orange changierend und bestickt war er mit unendlichen Girlanden von Blüten und Blättern in indischen Farben: Leuchtendes Magenta, dichtes Rot, knalliges Pink, samtiges Violett, tiefstes Purpur, strahlendes Gelb und allen Schattierungen von Grün für das Blattwerk. Und wunderbarerweise löste sich all dieses Kunterbunt, all diese knallenden Farben zu einem warmen, dunkelgoldenen Leuchten auf.

Und so duftet für mich die Kopfnote von Mauboussins Signaturduft: Eigentlich ist sie laut, kunterbunt, ein Wirrwarr von Farben und Noten, es pflaumt und likört und pfirsicht. Opulent, dicht, knallig.

Aber sie wirkt völlig anders als sie eigentlich riechen müßte, sie wirkt nämlich samtigreif und dunkelbunt, kleine funkelnde Duftdetails und spannende Akzente verhindern dabei erfolgreich, daß die Kopfnote zu sehr in die Breite bräst. Ein bernsteinfarbenes Juwel, das behäbig wirken könnte, würden nicht bei jeder Bewegung flitzebunte Strahlen aufblitzen.

Dieses Kunststück, immer ein wenig feiner, delikater zu riechen als andere, ähnliche Düfte, dieses Kunststück vollbringt der Duft auch im weiteren Verlauf. Eigentlich verbreitert er sich zu einem dichten blumigen schwerblütigen Halborientalen („Halb“ deshalb, weil die typischen Gewürzakzente, Nelke, Zimt, nur sehr sparsam eingesetzt sind). Eine altgoldene Pracht! Warme trockene Vanille und Benzoe beginnen, meine Seele zu streicheln, eigentlich schon tausendmal gerochen, aber es gibt feine, zart blumige und luftige Akzente, leise singende Obertöne, delikat blütensüß und pudrig, und die geben dem Duft bis in seine Basis hinein eine ganz unerwartete Transparenz. Das Dickschiff kann schweben.

Natürlich ist der Duft eine Diva bleibt eine Diva bleibt eine Diva. Eine echte. Eine wirkliche, echte, eine geborene Diva muß nicht rumbrüllen, weil sich das Meer vor einer echten Diva von selbst teilt, einfach, weil sie eine ist. Und so ist auch der Duft: Er ist sehr präsent und sehr vernehmbar. Aber er brüllt nicht. Ein Faible für ältere Duftsignaturen braucht es wohl und vielleicht auch schon ein paar Jährchen auf dem persönlichen Buckel, um ihn angemessen und wie selbstverständlich tragen zu können.

Der Flakon allerdings, der ist gelinde gesagt eine Zumutung. Vermutlich könnte man mit dem scharfkantigen tonnenschweren Monster einen ungeliebten Schädel einschlagen, die winzige, nach oben zulaufende Kappe ist fast nicht zu greifen und noch schwerer abzunehmen und schön ist er sowieso nicht. Egal, wenn's so prächtig duftet!
36 Antworten
Ttfortwo vor 8 Monaten 18 35
4
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Fahrstuhl in die 80er
Bämm, da sind sie wieder. Die Jahre, in denen ich auch äußerlich jung war, München Anfang der 80er und ich Landei mittendrin, frisch an der Uni eingeschrieben, Wackersdorf-Demos und heißer-Pershing-Herbst. Freddy Mercury und das Mrs. Henderson und das Spatzl und durchgerauchte Nächte in der Unterfahrt. Im Café Extrablatt war ich allerdings - aus Protest übrigens! - nie.

Und dieser eine Duft, der alles begleitet hat: Das Teerosen-Parfumöl vom Body Shop.

So – genauso duftet dieses Eau de Toilette in den ersten ein, eineinhalb Stunden: Kühl, betaut, straight, nach Rose, nach Rose und nur nach Rose. Nach Heckenrose genaugenommen. Soliflor und damit auch ein bißchen eindimensional und unfaßbar authentisch. Rose in a bottle. Und ein wenig Blattgrün und Stengel.

Nach Pfingstrose (nach ein wenig Lieblichkeit also und einem Hauch sanften Leuchtens) riecht hier übrigens gar nichts. Schade – oder auch wieder nicht, der Duft bleibt sich treu, gnadenlos.

Nach knapp zwei Stunden hat sich der Eindruck ein wenig geändert: Auf der Haut geht es jetzt gesittet seifig zu, der Duft einer hochwertigen italienischen Rosenseife, immer noch kühl und grünstengelig, aus der Kleidung aber steigt eine aparte, zart pudrige und sanftere Version des Duftes auf, mit einem Hauch von Blütensüße, runder, weicher – für mich die schönste Zeit in der Entwicklung.

Ein Sprüher genügt, der Duft ist laut. In den ersten Minuten sehr laut, auch nach zwei, drei, vier Stunden sitze ich immer noch mitten im Rosenfeld, mühelos puffen bei jeder Bewegung kleine Rosenwölkchen auf. Ich bin eine Rosenprinzessin!

So etwas wie eine Basis rieche ich ebenfalls nicht. Zeder? Keine Ahnung, ja, doch, vielleicht. Aber auch nur, wenn man es sich deshalb einbildet, weil man die Pyramide gelesen hat.

Meister Turin hat diesen Duft in seiner Rezension als den ersten Nischendüfte bezeichnet und dies - mit etwas Augenzwinkern - damit begründet, daß „Perfumer‘s Workshop“ nichts als Düfte gemacht habe, davon aber sehr wenig, daß man nur recht schwer rankäme an das Zeuch und mit der Existenz einer hartgesottenen Gruppe unerschütterlicher und hingebungsvoller Fans. Immerhin hat er ihn aber auch mit vier Sternen bewertet, was in Parfumo übersetzt irgendwas um die acht Zähler gäbe.

Da sehe ich ihn auch. Ich finde ihn außergewöhnlich - so riecht man heute nicht mehr, so straight und ungezuckert und glasklar - und auf die allerschönste Art altbacken. Mit einem Sprüher ist man einen ganzen Arbeitstag (ein solcher kann ja ganz furchtbar lang werden!) auf ernsthafte Art rosig beduftet.


Nachtrag:
285 Parfumos besitzen diesen Duft! Ich finde das unglaublich viel - für einen Duft, von dem ich bis vor kurzem noch überhaupt nichts gehört hatte. A hidden gem offensichtlich.

Und noch ein Nachtrag:
Es sind noch nicht einmal drei Monate vergangen und die Anzahl der Besitzer hat sich auf über 300 erhöht. Die Gemeinde wächst...
35 Antworten
Ttfortwo vor 9 Monaten 17 35
9
Flakon
3
Sillage
5
Haltbarkeit
7
Duft
Angenehme Belanglosigkeit
Die Kopfnote funkelt zitrisch, durchaus schön, mildfrisch, mildfruchtig: Bergamotte und Bitterorange glitzern silbrig, und ehe es zu klar und zu glasig wird, dämpft die Grapefruit das Ganze mit ihrer matten zarten Bitternis wieder etwas herunter.

Der Jasmin hat sich säuberlichst gewaschen, hat alle verruchte Schmutzigkeit abgelegt und düftelt jetzt sommerlich hell, mithin eigentlich atypisch, dazu die Zypresse mit einem Hauch bitterer Nadelgikeit.

Relativ schnell kommt noch silbriges Zedernholz dazu und rundet das Ganze mit seiner ätherisch-holzigen Anmutung nach hinten und unten ab.

Das ist alles fragonardtypisch solide gemacht, ein belangloses angenehmes Düftchen mit höchstens mittlerer Haltbarkeit und gesellschaftsverträglicher Sillage.

Ein Duft, der nichts über den Träger erzählen könnte und der im Verlauf seines relativ kurzen Lebens nicht für einen einzigen Moment seine neutrale Freundlichkeit verliert.

Ihn zu haben ist kein Fehler und ihn zu benutzen keine Zumutung – nicht für einen selbst und nicht für alle anderen.
35 Antworten
Ttfortwo vor 12 Monaten 21 37
5
Sillage
6
Haltbarkeit
10
Duft
Kniefall vor Ernest Beaux
Was sein Leben betrifft – nun ja, jeder muß mit seinen eigenen Gespenstern fertig werden.

Was aber seine Meisterschaft als Parfumeur betrifft: Für mich einer der Allergrößten.

"Soir de Paris", das aus Marketinggründen (und zwar wegen der aussprachetechnischen Nähe des französischen „soir“ zum englisch/amerikanischen „sour“ auch als „Evening in Paris“ vermarktet wurde - etwas, was den Franzosen nicht ganz leicht gefallen sein dürfte), ist für mich ein Meisterwerk, auf Augenhöhe mit den weitaus bekannteren Beaux-Schöpfungen für Chanel.

Die Produktion des Extraits muß in den 70ern eingestellt worden sein, womöglich aber auch nur der Verkauf in Deutschland. Meine Mutter, die den Duft über alles geliebt hatte, beklagte sich in dieser Zeit mehrmals bitter darüber, daß er nicht mehr erhältlich sei.

Irgendwann, und das war weit vor meiner Parfumo-Zeit und damit auch ohne die Möglichkeit, mich darüber zu informieren, welchen möglichen Verwerfungen und Heimsuchungen ein Duft hätte ausgesetzt gewesen sein können, habe ich ihr eine neue Flasche gekauft, nicht ahnend, daß der Duft in der Zwischenzeit durch Demachy und Polge komplett neu orchestriert worden war. Die Enttäuschung für uns beide – mich als die Schenkende und Mama als die Beschenkte – hätte nicht größer sein können: Die Mutter brauchte lediglich einen Atemzug, um sofort zu wissen: Das ist er nicht!

Dank unseres Souks habe ich aber jetzt wieder ein winziges Flascherl des alten Extraits in den Händen und bin rechtschaffen begeistert.

Die Kopfnote meiner paar Tropfen könnte vielleicht etwas gelitten haben. Mein Duft hat keinerlei Kippnoten, er hat aber auch keine oder kaum noch Frische in der Kopfnote. Auch vermisse ich bei meinem Extrait die Lindenblüte ein wenig, denn die war vorstellig, wenn Mutti den Duft trug. Ich weiß das tatsächlich, weil am Ende unserer Straße ein Lindenbaum blühte und wir über Paris, die Linden und deren Duft gesprochen hatten.

Wenn überhaupt Fehlnoten vorhanden sind, dann könnte das so eine winzige Ahnung von Lösungsmittel (Wachsmalkreide? Bohnerwachs? Schminke?), sein, wirklich nur ein Hauch, die mein Extrait in der Kopfnote mit sich trägt und von der ich denke, daß sie im frischen Parfum nicht vorhanden oder gewünscht gewesen sein dürfte, auch wenn diese Note nicht stört.

Die zartpudrige Drageesüße des Veilchens dominiert in den ersten paar Minuten, wird aber zügig von dem Duft eines ganzen Korbes von Blüten eingeholt. Und der ist wunderschön. Nein, was schreibe ich denn da? Der ist unfaßbar schön! Ein duftender Garten in einer linden Sommernacht, betörend, sinnlich, innigst verschmolzen, mit diesem winzigen Hauch von Blütensüße, wie es nur alte Düfte so vollendet hinkriegen. So einer Sommernacht, in der sich in einer windstillen, von Mauern umfangenen Ecke des Gartens die Blütendüfte stauen und verdichten und überlagern und verschmelzen. Eine Nacht zum Sich-verlieben und Sich-für-ewig-jung-fühlen. Eine Nacht, in der kleine Wunder passieren können.

Dabei kein Wummser, jedenfalls nicht auf meiner Haut, sondern wundervoll sanft, subtil, ein Hautduft, fast könnte man ihn leise nennen, traumhaft von unten her umfaßt und getragen von den warmen, samtenen Tönen der Basisnoten.

Nach knapp vier Stunden ist der Duft nur noch ein zarter Schleier auf meiner Haut, ein wenig blüten- und nektarsüßer als zuvor, gepaart mit einer ganz zauberhaften, luftigen Balsamik.

Chapeau, Herr Beaux: Diese Luftigkeit! Dieses leise geheimnisvolle Versprechen, dieses Flüstern, dieses Summen. Vollendet erotisch, doch niemals anzüglich. Unfaßbar schön.

So duftet für mich Liebe. So würde ich für den Rest meines Lebens duften wollen.

...

Nachtrag (man sollte einfach lesen können...): Oben in der Parfumobeschreibung steht, daß der Duft 1969 eingestellt wurde. Das paßt größenordnungsmäßig zu meiner Erinnerungszeitschiene. Ich hätte allerdings gedacht, daß er doch noch länger zu erwerben war. Vielleicht hatte meine Mutter allerdings auch nur Glück und hat noch einen oder zwei Restflakons kaufen können.

37 Antworten
1 - 5 von 89