Inflation der Langeweile
Ich erinnere mich gerne an Zeiten, in denen ein neuer Duft auf dem Markt mit Freude zur Kenntnis genommen werden konnte. Erst recht, wenn er aus einem klassischen Parfumhaus wie z.B. Dior, Guerlain, Piguet, oder Le Galion kam. Das war fast vergleichbar wie die Premiere eines Musicals oder die Erstaufführung von Filmen wie Dr. Schiwago oder der Pate. Es waren echte kulturelle Ereignisse.
Man spürte geradezu die Leidenschaft, mit der der jeweilige Parfumeur (das *in verkneife ich mir, das versteht sich doch von selbst) sich ans Werk gemacht hatte. Das Ergebnis war nicht selten ein völlig neues Geruchserlebnis. Etwas, das man noch nie unter der Nase hatte und das Begeisterung oder Ablehnung, aber selten Gleichgültigkeit bei uns auslöste. Ich kann mich noch an so viele der Einführungen von inzwischen als Klassiker etablierten Parfuns erinnern. Sehe die Werbematerialien vor mir, kann mich daran erinnern, wie wir die Regalplatzierungen "zelebriert" haben, um dem einen neuen Duft einen adäquaten Auftritt zu ermöglichen, weiß manchmal noch, was ich trug, als z.B. Chamade von Guerlain vorgestellt wurde.
Umso mehr reizt es mich heute, gelangweilt abzuwinken, wenn Marken wie Dior, Roja Dove, Le Galion und eben leider viele andere auch nach dem Motto "viel hilft viel" Parfums in Mengen auf den Markt werfen, ohne sich dabei im klaren zu sein, dass die Wertigkeit, die wir Duftliebhaber für den einzelnen Duft noch verspüren können mit der Anzahl der Neuheiten abnimmt.
Reicht es nicht, Trends bis zum Überdruss zu befeuern? Muss neben der Vielfalt auch noch die Menge davon zeugen, dass man nicht kleckern, sondern klotzen kann?
Wenn man früher Marken des Drogeriesortiments unterstellte, nur Parfums nach Rezepturen zu lancieren, die irgendwo in den Laboren der Aromenhersteller nach 0815-Massengeschmack vorgefertigt in Schubladen auf die nächste Saison warteten, so beschleicht mich der Verdacht, dass das bei so manchen ach so exclusiven Marken auch nicht (mehr) anders läuft.
Auch das andere Ende der Vielfalt macht mir nach anfänglicher Begeisterung keine Freude mehr: Fand ich die ersten Düfte von z.B. Zoologist noch interessant und Zeichen von Kreativität, so geht es mir inzwischen aber bei jedem neuen Tier eher so, dass der Test ganz lustig ist, aber die Anstrengung, möglichst nischig zu sein allzu deutlich durchschimmert. Je untragbarer desto besser? Man kann sich sonst vom gewöhnlichen Duftliebhaber nicht mehr abgrenzen? Ist das das Ergebnis der Tatsache, dass Parfums eben heute kein Luxus mehr sind, sondern zum Markenartikel degradiert wurden? Findet echte Kreativität und Luxuriosität nur noch in Preiskategorien von 500,-- Euro aufwärts statt? Wollen LVHM & Co, so wieder eine Klientel heranziehen, die eben nicht in den Niederungen der Kaufhäuser und Parfümerieketten zu finden ist, sondern exclusiv bei Harrods, in Moskau oder sonst wo einkaufen kann?
Noch wehre ich mich gegen gelegentliche Anflüge von "gute Nacht Freunde, Zeit für mich zu gehen". Noch genieße ich zumindest den roten Faden, der sich in meiner Sammlung nach und nach entwickelt hat. Vielleicht ist es ja aber auch einfach meinem Alter geschuldet, dass ich nicht mehr auf allen Hochzeiten tanzen und jede Banalität beklatschen will, die mir begegnet. Ich bin gespannt, wann mich ein neuer Duft mal wieder wirklich beeindruckt und zwar durch Eleganz, Innovation, Ausstrahlung, Tragbarkeit und "Schönheit". Im Idealfall noch mit einer Geschichte dahinter, die nicht an den Haaren herbeigezogen wurde und mit dem alleinigen Anspruch, dass sich der Nutzer damit wohlfühlt. Nicht mehr und nicht weniger.
Dass das oft eher unbekanntere und, zu meinem Leidwesen, (vermutlich nicht zuletzt auch deshalb) kurzlebige und oftmals längst eingestellte Düfte sind, hängt sicherlich auch mit deren Eigenheit zusammen. Ich frage mich oft, ob solche eigenständigen Parfüms nicht die eigentlichen "Nischen"-Düfte sind, und die Abgrenzung weniger zu Designer- und Drogeriedüften, sondern vielmehr schlichtweg zu 0815-Einheitsbrei, erfolgen müsste.
Erstere kann ich auf dieser Plattform über Rezensionen, Statements und Duftnoten ausfindig machen, und Letztere kann ich getrost ignorieren.
Exakt THIS ! Danke !
Herzlichen Dank für dieses allumfassende und substanzielle Statement!
(Schweigen von Löwenherz und einige inspirierende „Nasen“. Eine gewisse Sättigung )
Neugierde und der Austausch mit Gleichgesinnten führen mich hin und wieder Hierher! Ich hoffe weiterhin von Dir zu erfahren;)) Bleib Gesund!
Unsere Augen Teil unseren Wahrnehmung… ich frage mich was passiert ist , dass auf einem Platz in einer Großstadt 90% der Menschen in T-Shirt, Jeans und Sneaker rumlaufen?!
Ein anderes Thema?Vielleicht.
Ich mag nicht mehr und bleibe bei dem, was mich glücklich macht: Den Klassikern.
Ganz toller Blog!
Aber wenn ich ein paar tausend Düfte durchgetestet habe, wird es wahrscheinlich auch für mich irgendwann langweilig :P
Dann werden es die Großen Häuser aufkaufen, kopieren, flankieren und verwässern. Vielleicht sind wir ja jetzt schon in dieser Phase.
Vielleicht sollte sich jemand mal wieder trauen mit dem Chemiekasten zu spielen, anstatt nach den teuersten Ingredienzien Ausschau zu halten..
Liebe Grüße
AugustA
Ich kann Dich sehr gut verstehen. Es ist grausam was dort draußen in den Regalen steht oder was auf der Straße meine Nase streift. Selbst für mich schon in jungen Jahren war ein neu lancierter Duft eines renommierten Hauses immer wie Weihnachten. Überraschend,neu und in der Regel sehr beeindruckend. Heute ist dem nicht so! Ein Grund warum ich so an den alten Düften festhalte. Weil sie einfach einzigartig waren und nicht austauschbar wie das was dort draußen herum schwirrt!
Das Rad kann nicht neu erfunden werden und der Umsatz nicht in den Himmel wachsen.
Laaaaaaaangweileig
Mir kommt es manchmal vor, wie die letzte Riesenfete der Marktwirtschaft ( auf Pump natürlich ).
Liebe Grüße in den Süden.
Innovation früher: Qualität verbessern
Die Grenzen des Wachstums sind in fast allen Bereichen des Lebens längst erreicht
Dankeschön.
Danke.
Danke für deine Worte. Laß es uns wissen, wenn du tatsächlich mal wieder beeindruckt wurdest (-;
Mir ist diese Flut an Flankern schon längst zu viel geworden und ich wende mich immer öfters älteren Düften zu, die ich früher schon einmal besaß oder nie getestet hatte.
Liegt teilweise an mir, aber auch an dieser vereinheitlichen Übermenge...
Durch die heutige Schnelllebigkeit, Masse, Redundanz und immer kürzere Aufmerksamkeitsspanne lohnt es sich andersherum ganz sicher auch nicht mehr, viel Mühe auf ein einzelnes Parfum zu verwenden. Damit ist es also kaum möglich sich diesem Zeitgeist als Marke entgegen zu stemmen, indem man selbst anders vorgeht.
Jedenfalls sprichst du mir aus der Seele.
MIr gefallen teilweise ältere düfte auch besser als neue, ausser die überladenen vielleicht. Mir ist aber ebenfalls langsam aufgefallen, dass in der Parfümindustrie etwas Einheitsbrei zu herrschen scheint.
Solange aber blindlings alles gekauft wird (von der Masse) was ihnen vorgeworfen wird und der Umsatz läuft sind die Hersteller auch nicht gezwungen innovativ zu sein.
Das gilt übrigens in jeder Branche des Verkaufs...
du hast Recht, aber bitte bleibe hier und gib die Hoffnung auf einen neuen schönen, interessanten gut und liebevoll komponierten, tragbaren Duft nicht auf.
Ist aber zugleich ein Symptom steigender Massenkaufkraft, Ausweitung des Marktes, Demokratisierung des Parfumkonsums, was ja auch zu begrüßen ist, wenn mehr mitmachen können & wollen.
- So wie auch hier, bei PArfumo... Gabs früher auch nicht: so viel Feedback und 75 Pokale binnen 3 Stunden... :D.
Danke für diesen schönen reflektierten Blog und bitte bleib!
Es gibt noch Innovationen, hohe Qualität, Tragbarkeit, Ausstrahlung und Schönheit. Und sogar Liebe.
Wie heißt es doch so schön: Unverhofft kommt oft.
Mich überfordert das ebenso, gleichzeitig ist es belanglos und beliebig. Ermüdend. Und entwertet auch auf eine gewisse Art und Weise. Man kann gar nicht mehr unterscheiden zwischen totaler Belanglosigkeit, Mittelmaß und tatsächlichem Highlight, weil der BÄMM-Effekt fast gar nicht mehr eintritt aufgrund von Reizüberflutungssymptomen.
gestiegen.
Kaum ist ein Duft halbwegs erfolgreich, wird noch ein Intense, Extreme, Sport, Eau Fraiche oder wie sie alle heißen hinterhergeworfen. Ich sehe das Phänomen nicht nur bei Düften, sondern leider in vielen Bereichen. Bei vielen technischen Geräte, z.B. Smartphones, wird der Kunde auch völlig überfordert, wenn die Modellpalette riesig befüllt wird und es zu jedem Gerät auch noch ein Pro, Plus, Ultra oder Mini zur Auswahl gibt. Die Hersteller wollen eben jede Nische abgrasen.
Ebenso schmerzt mich der Niedergang eines meiner liebsten Häuser, Penhaligon's: seit 2014 zweiundfünfzig (!!!) Neuerscheinungen, wovon mich immerhin noch ganze zwei Düfte nachhaltig überzeugen konnten.
Ermüdend.