Umkehrfilm

Umkehrfilm

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Umkehrfilm vor 10 Jahren 23 14
10
Flakon
10
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft
Der traurige Serge
Serge Lutens ist eines meiner Lieblingsparfumhäuser. Mir fallen auf Anhieb wenige Düfte von ihm ein, die ich wirklich tragen würde; dennoch habe ich einen unglaublich großen Respekt davor, wie Serge Lutens an die Kreation seiner Düfte herantritt. Ich meine damit vor allem seinen Mut. Wenn man im Bezug auf Düfte so offenkundig Emotionen beschreiben/ beduften möchte, dann läuft man ja allgemein schnell Gefahr, dass man eben nicht verstanden wird. Denn ebenso wie wir alle Farben unterschiedlich wahrnehmen, nehmen wir ja auch Gerüche unterschiedlich wahr. Ergo: Was für den einen nach Sex riecht, riecht für den anderen nach Pissoir (z.B. die Menge an unterschiedlichen Kommentaren zu Kurkdjians Absolue Pour Le Soir).
Allgemein sehe ich Parfums als sehr abstrakt an. Und wie das eben mit abstrakter Kunst so ist, hebt sich ihr abstrakter Charakter schnell dadurch auf, dass man allzu didaktisch versucht sie zu erklären. Mir ist daher meist lieber, wenn dem Betrachter solcher Kunst genügend Raum für Interpretation geboten wird. Also noch ein Ergo: Serge ist sehr mutig.

Nun aber zum Duft.

L'Orpheline startet mit einer ungemein männlichen Rasierwassernote, sehr herb und sehr bestimmend. Weihrauch ist hier kaum wahrnehmbar. Das ganze wirkt eher sehr klar, erfrischend und erinnert mich an Barber Shops. Ein Hauch von Nostalgie und Vergangenem schwingt hier mit. Ich würde den Moschus also eher den Kopf-/ Herznoten zuordnen. Dann passiert etwas seltsames...ich rieche angedeutet auch Patchouli und eine ätherische Note, die mich wirklich stark an Comme des Garcons Hinoki erinnert. Hat der Besucher dieses Barber Shops vorher vielleicht im Garten gearbeitet? Nach einer guten halben Stunde beruhigen sich die Noten ein wenig, werden insgesamt sanfter und machen Platz für ein wenig Rauch. Hier beginnt nun auch der Weihrauch eine ganz leichte Wärme auszustrahlen. Dennoch sorgt der Moschus ständig dafür, dass der Duft auch etwas kaltes hat. Und schon wieder wundere ich mich, da ich eigentlich Moschus eher als warme und Weihrauch eher als kalte Note einordnen würde. Hier ist es genau umgekehrt. Der Moschus wirkt ganz klar und frisch, der Weihrauch leicht rauchig und wärmend. Vielleicht verdrehe ich alles und verstehe den Duft vollkommen falsch, vielleicht spielt er aber auch genau mit diesen Umkehrungen. So und jetzt...hmmm...bin ich schon am Ende mit meiner Beschreibung angelangt?

Was haben wir?
Kalte Noten treffen auf warme Noten.
Wir haben Anlehnungen an Erde, Rauch, Barber Shops und ätherische Noten.
Ein Hauch Nostalgie, meinetwegen auch ein wenig Melancholie, fließen ständig mit.

Was mache ich daraus?
Ich mache daraus den Arbeiter in der Mitte des 20. Jahrhunderts. An einem Sonntag, nach einer Woche harter Arbeit, entscheidet er sich für einen Besuch im Barber Shop und eine ordentliche Rasur. Ungemein schick verlässt er den Laden und macht sich auf den Weg zur Kirche, wo sich der zarte Duft des Weihrauchs in seiner Kleidung festsetzt. Nach dem Kirchgang geht er wieder nach Hause. Er betritt das Haus und macht sich auf in Richtung Küche, wo seine Frau bereits auf ihn wartet. Bei einem Glas Wasser erklärt sie ihm, er solle doch mal aus dem Fenster blicken. Draußen im Garten sieht er seinen Sohn. Der kleine Serge sitz dort traurig auf einer quietschenden Schaukel und hätte sich gewünscht, dass sein Vater sich an diesem Wochenende mehr um ihn als um sich selbst gekümmert hätte.

Damit kann ich eine Seite zuordnen, nämlich die der Eltern. Würde ich den Duft aus der Sicht des kleinen Serge beschreiben, käme mir deutlich stärker ein wahnhaft rebellierender Marilyn Manson in den Kopf. Ein Junge der nicht traurig, sondern vielmehr wütend ist. Und wie bei einem guten Film von David Lynch kann ich am Ende nicht wirklich sagen, was da eigentlich gerade passiert ist, welche Wahrheit ich wirklich wahrgenommen habe, welche Geschichte hier wirklich thematisiert wurde.

L'orpheline ist ungemein befremdlich, unergründlich und in seiner Untragbarkeit, fast schon wieder tragbar. L'orpheline ist grandios.
14 Antworten
Umkehrfilm vor 10 Jahren 35 7
10
Duft
Ich
Wenn ein Duft ein bestimmtes Alter erreicht hat, bzw. eingestellt wurde, schon 21 (ausführliche) Kommentare zu ihm geschrieben wurden, dann geht es nicht mehr darum ihn auseinander zu nehmen, ihn zu beschreiben und in Kopf, Herz und Basis aufzuteilen, sondern um etwas anderes.

Ich saß damals auf einer Couch, als ein Kumpel mir einen fast leeren Flakon unter die Nase hielt. Ziemlich neugierig hab ich mir davon einen Spritzer aufs Handgelenk geklaut und es war um mich geschehen; keine zwei Tage später stand dieses schwere, dunkle Glasmonster in meinem Schrank. Und seitdem hänge ich an ihm. Er hat mich täglich zur Ausbildung begleitet, auf jede Party, auf jeden Geburtstag, zu jedem Einkauf, zur Uni, in jedes Land, zu jedem Date und in jedes Bett. Mir kam es manchmal so vor, als könnte ich mir das Nachsprühen sparen, da der Duft sowieso immer um mich herum wahrnehmbar war. Ich war ganz einfach Gucci. Meine engste Freundin meinte bei einem Clubbesuch mal: ,,...egal wo du irgendwann rumhängst, wenn ich fahren will und dich nicht finden kann, gehe ich einfach meiner Nase nach, dann find' ich dich schon''. Naja...sie fand mich. Immer.

Meine Faszination für diesen Duft hat seinen Ursprung darin, dass es in meinen Augen niemals etwas gab das besser zu mir hätte passen können. Das ist natürlich vollkommener Quatsch, aber es kam mir vor als hätte Almairac diesen Duft nur für mich gemacht. Außerdem war ich noch sehr jung (18?), hab mir einen, für meine Verhältnisse, sehr teuren Gucci Duft zugelegt und ihn, mehr als verschwenderisch, überall auf meinen Körper, meine (Kunst-)Lederjacke, meine zerrissenen Jeans und weißen Tshirts gesprüht. Da geht es um mehr, da geht es um ein Gefühl, eine Lebenseinstellung, um Respektlosigkeit gegenüber überteuerten Konsumgütern, denen man dennoch verfallen zu sein scheint, währenddessen man den Kapitalismus doch eigentlich hasst und ihn am liebsten abschaffen würde. Als ich irgendwann erfahren hatte, dass er eingestellt wurde, hielt ich das noch für einen schlechten Witz. Wobei...eigentlich halte ich das noch immer für einen schlechten Witz. Dieser dunkle Rauch, der süße Weihrauch und das trockene, knarzige Holz. Ich vermisse dich sehr. Die Suche ging also los, ich verlor mich in Foren und Vergleichen, irgendwo muss ich doch einen Ersatz dafür finden.
Unzählige Testläufe später dann die bittere Feststellung: Nein. Es gibt keinen Ersatz. Egal wie nahe sie ihm stehen, sie können ihn nicht ersetzen.

Die letzten Milliliter nutzte ich vor knapp einem Jahr, ohne es vorher gewusst zu haben, an einem sehr besonderen Abend -> ,,Ach muss Liebe schön sein, wenn ich einmal groß bin, möchte ich auch lieben'', mehr Infos will ich dazu nicht geben. Die Flakons verlieren langsam ihren Restgeruch, meine Klamotten sind längst gewaschen und Gucci pour Homme gehört der Vergangenheit an. Könnte ich jetzt noch das Rauchen endgültig aufgeben, ich gebe mir wirklich Mühe, wäre das das Ende einer Ära. Meiner Ära.

Da ich aber ein guter Junkie bin, lagen heute 15ml abgefüllt in meinem Briefkasten. Ich werde sie in Ehren halten und kann nun, wenn mir danach ist, in Erinnerungen an Vergangenes schwelgen. Bleibt also nur noch eines zu sagen:

Fuck you Gucci!
7 Antworten
Umkehrfilm vor 10 Jahren 8
6
Duft
Ma ma ma Machooo
L'Occitane gehört zu den Anbietern, von denen ich mich gerne überraschen lasse. Ich mag die starken Bezüge zur Natur und vorallem die Verkäuferin in dem Laden gleich hier um die Ecke, die mir damals etwas von dem Lavendel geschenkt hat, der eigentlich der Deko dienen sollte. Er trocknet in Ehren vor sich hin, schmückt den Raum und mir wurde mal gesagt, dass er angeblich auch böse Geister fernhalten soll...wenn man dran glauben mag.

Nun aber zu dem Duft, Cade. Der Name und die Pyramide verraten uns, dass wir es hier mit einem Kade-Holz Duft zu tun haben. Kade-Holz ist unter anderem auch als Stech-Wacholder oder Zedern-Wacholder bekannt, eine typische Mittelmeerpflanze also, was bei l'Occitane nicht weiter verwundert.
Der Duft des Wacholders wurde hier sehr schön und sehr natürlich eingefangen, vorerst. Nach dem sehr kurzen, leicht zitrischen Auftakt, steht man quasi direkt vor einem dieser Sträucher. Cade wird innerhalb von Minuten immer wärmer und präsentiert sich als stolzer Mediterrane. Im weiteren Verlauf passiert dann aber etwas das ich mir gerne wegwünschen würde.
Der Duft entwickelt sich in eine, für mich, sehr ölige Richtung. Vergleichen kann ich das mit dem Geruch den ich früher wahrnahm, wenn ich an meinem Auto das Öl nachgefüllt hatte und der Motor des Autos noch leicht warm war. Eine seltsame Mischung aus Öl, Benzin und Asphalt.
Wenn Cade nun also ein typischer Wacholderduft sein soll, dann steht dieser Wacholder ziemlich nah an einer sehr aufgeheizten und gut befahrenen Straße. Ich persönlich fühle mich bei ''Natur trifft auf Öl/Benzin'' immer an Fahrenheit erinnert und tatsächlich teilen sie einen ähnlichen Charakter. Cade ist somit niemals Kopie, definitiv aber Interpretation des gleichen Themas.

Liebhabern solcher Duftrichtungen sei er also ans Herz gelegt, seine Haltbarkeit und Ausstrahlung können nämlich deutlich überzeugen. Cade hält nun schon gute sechs Stunden an mir und gibt anscheinend noch nicht auf. Das will was heißen.

Der Duft hätte mir insgesamt sicher gefallen können, seine Nähe zu Fahrenheit steht dem leider im Weg. Mir ist das insgesamt einfach ein bisschen zu vulgär, zu sehr Macho, zu sehr Tom Selleck.
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Umkehrfilm vor 10 Jahren 14 3
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft
Auf den Sturm folgt Stille.
Vor ein paar Wochen hatte ich einen Thread im Forum gestartet: ,,Die unendliche Weihrauchsuche''. Darin erwähnte ich bereits, in Form einer Auflistung, meine Erfahrungen mit Cardinal. Damals nur auf Papier aufgesprüht, konnte ich mich nicht mit ihm anfreunden. Ein guter Freund schrie zudem sofort auf: Viel zu sakral! Riecht total nach Papst!
Ich übernahm diesen Eindruck, wenngleich ich auch keine direkte Erinnerung, oder persönliche Beziehung zur katholischen Kirche habe. Bzw. gibt es da schon etwas, aber dazu später mehr. Der Papierstreifen wanderte, ohne weitere Auseinandersetzung, sofort in den Mülleimer. Vor knapp einer Woche dann, bekam ich eine nette Zusendung von der lieben Grazia (danke nochmal!), die unter anderem auch Cardinal enthielt. Und so kam der Stein dann auch ins Rollen. Eher zurückhaltend, sprühte ich mir den Duft auf die Innenseite meines Unterarms, direkt auf das Tattoo das sich dort befindet.

Stille - völlige Verwunderung - übertriebenes Kopfkino.

War das wirklich der Duft den ich damals einfach in den Mülleimer geworfen hatte? Ich fühlte mich schuldig, schämte mich und war gleichermaßen erstaunt. Als hätte der Kardinal höchstpersönlich den Mittelfinger gehoben und mir sagen wollen, f** dich und deine vorschnellen Urteile, saß ich da und fühlte mich ertappt. Eine kurze Zeit fühlte ich mich tatsächlich benebelt und musste anfangen zu ordnen, was da eigentlich gerade alles durch meinen Kopf ging. Vielleicht sollte ich nun auf mein ,,katholisches Bild'' eingehen...

1998 war ich genau 10 Jahre alt, auf Video erschien gerade Baz Luhrmann's Verfilmung von Romeo & Julia. Angefixt von der älteren Schwester einer guten Freudin, brauchte ich diesen Film und konnte, nach langem Hin und Her, meine Eltern zu einem Kauf überreden. Ein sehr banales Ereignis meiner Kindheit, das große Folgen mit sich brachte. Immer dann wenn ich nicht gerade mit Freunden spielen war, oder etwas für die Schule machen musste, hatte ich mir diesen Film angesehen. Konnte ich nachts nicht einschlafen, bin ich im Kopf die Dialoge von Anfang bis Ende durchgegangen. Ich war fasziniert von Liebe, Romantik, Drama, Farben, Dialogen und Kitsch, diesen leuchtenden, blauen Kreuzen, den bunten Marienstatuen, den winzigen Details...immer in Verindung mit guter Musik, bösen Drogen und jungen, schwitzenden Menschen, saß stundenlang vor dem Videorekorder mit Kopfhörern in den Ohren und lauschte der Musik aus dem Abspann, bis ich irgendwann alt genug war zu verstehen, dass die Bands dort sogar erwähnt wurden. Also folgte schon sehr bald mein erstes Album von Radiohead (das ich leider irgendwann verloren hatte) und der Groschen war gefallen. Heute glaube ich, dass durch diesen Film mein Verständnis von Ästhetik maßgeblich geprägt und ebenso mein Interesse an den Künsten geweckt wurde. Wenn ich heute an der Uni sitze und Fotografien präsentiere, sehne ich mich danach in meinen Fotos, auch nur annähnernd, eine dermaßen große Emotionalität darzustellen.
Und das ist für mich Cardinal! Eine direkte Konfrontation mit mir selbst, meiner Vergangenheit und dem Menschen, den ich heute am entdecken bin.

Kann man den Duft mit CdG, Montale, usw. vergleichen? Hier passiert soviel mehr, hier stehen sanfte Klänge einem brachialen Orchester gegenüber, neonfarbene Epiphanie auf zu viel Drogen, trifft auf weiße Unschuld.
Durch einen aldehydisch wirkenden Sturm aufgewirbelt, fängt dieser Duft mich auf einem Bett aus trockenen, weißen Laken auf. Ich werde gesegnet ohne gläubig zu sein, verstehe diesen Vorgang viel mehr als eine Art animistisches Ritual. Cardinal entwickelt sich zum Götzen, dem Abgott einer Religion die ich nicht kenne.

Soll ich den Duft weiter auseinandernehmen? Dem Kommentarfeld gerecht werden? Ich entscheide mich dagegen, lasse dem Duft sein unergründliches Wesen und lasse mich von ihm faszinieren. Eigentlich wollte ich gar nicht, dass meine unendliche Weihrauchsuche irgendwo ihr Ende findet.

Ist das der Zenit? Geht da noch was? Ich bin gespannt!
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Umkehrfilm vor 10 Jahren 8 3
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
4
Duft
Große Erwartungen
Mit Andy Tauer ist das so eine Sache. Ich lese so viel Gutes über seine Düfte und bin nach jedem Test total verwundert; verwundert, weil ich die Faszination nicht wirklich teilen kann. Aber naja...wir wissen alle um die Subjektivität von Düften, somit handelt es sich hier wohl wirklich um eine persönliche Abneigung.

Zunächst einmal...was erwarte ich wenn ich Weihrauch lesen:

-rauchiges, kirchliches, mystisches, geheimnisvolles, warmes, beruhigendes, orientalisches, meditatives, klärendes, okkultes, episches usw...

Andy Tauer's Weihrauchvariante ist nichts von alledem. Was ich hier von Anfang an rieche ist eine stechende, unglaublich helle und chemisch wirkende Koriandernote, die eine seltsame Liaison mit Petitgrain eingeht. Und damit endet alles. Ich warte vergebens auf eine dunkle Weihrauchnote, eine pudrige Iris, einen süßen Amber und mein geliebtes Zedernholz.
Alles was ich von meinem Arm wahrnehme, ist eine entwicklungsfreie Duftkomposition die mich auf skurrile Weise an Feuerzeuggas erinnert; an Butan. Und tatsächlich...halte ich ein Feuerzeug in die andere Hand und lasse darin kurz etwas von dem Gas frei, ist das fast der gleiche Geruch wie der, den ich von meinem Arm wahrnehme.

Meiner Meinung nach hat der Duft seinen Namen nicht verdient. Ich muss ihn leider nach zwei Stunden wieder abwaschen, da ich mich von dem Gasgeruch regelrecht belästigt fühle. Interessant finde ich allerdings nach meiner Recherche, was man bei Wikipedia unter Koriander -> Abneigung gegen Korianderblätter findet. Lege ich euch mal ans Herz.

Ich mag mutige und fremdartige Düfte, aber Andy Tauer und ich...das wird nix mehr! Sorry Andy!
3 Antworten
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