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vor 10 Jahren - 28.04.2014
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Die „allgemeine Wohlfahrtswirkung“ oder: Warum ich als Allergikerin für die Petition gegen Duftstoff-Einschränkungen eintrete

Kürzlich in Frankreich, in einem Restaurant, das der Michelin frisch mit einem Stern geadelt hat. Die Speisekarte las sich verführerisch. Und dann gab’s auch noch ein „Ménu découverte“, sechs Überraschungs-Gänge zu sehr gutem Preis; bei solchen Sachen zeigen sich Köche meist in Topform. Dennoch musste ich vorm Bestellen fragen, schließlich hatten wir die Viecher mittags in der lokalen Markthalle gesehen: Sind bei den Überraschungen Fluss- oder Taschenkrebse dabei? Nein, sagte der Kellner. Wohl aber Hummer und Languste. Ah, gut; das Menü wurde bestellt.

Schalentiere schmecken mir, von Krabben und Garnelen über Austern und Muscheln aller Art bis hin zu Hummern, Langusten und Krebsen. Letztere sind für mich freilich ein Problem. Davon wusste ich nichts – bis ich an der nordamerikanischen Pazifikküste erstmals dungeness crab auf dem Teller hatte. Köstlich. Leider lag ich danach zwei Tage mit heftigsten Gastroenteritis-Symptomen flach. Zufall, dachte ich. Beim zweiten Mal Hundeelend kam mir dann ein Unverträglichkeits-Verdacht. Erst recht, als sich ein paar Monate später der Jammer wiederholte. „Flusskrabben“ hatte ich da beim Italiener um die Ecke verspeist – der Chef, nach Jahrzehnten in Deutschland immer noch sprachlicher Improvisator, hatte „Krebse“ falsch übersetzt.

Allergie, klarer Fall, diagnostizierte meine Hausärztin, Überempfindlichkeit gegen bestimmte Eiweiße, die in Krebsfleisch vorkommen. Wie ich die Stoffe denn eingrenzen könne, die mein Körper nicht verträgt, fragte ich. „Nur auf die harte Tour, durch Ausprobieren“, sagte sie. „Oder Sie versuchen, Ihre Allergene zu umgehen.“ Ich umgehe. Kleinräumig: Ich meide Krebse, esse aber alle anderen Schalentiere. Klar, darin steckt ein Restrisiko – doch ich will mir nicht ohne Not Genüsse versagen. Das Verfahren funktioniert seit über 15 Jahren bestens.

„Meine“ Allergene in Parfums zu meiden, ist mir bisher nicht geglückt. Denn ich habe keine Ahnung, auf welche Stoffe meine Haut mit Rötungen und Reizungen bis hin zu massivem Nesselausschlag reagiert. Im Lauf der Jahre musste ich mich von zwei, drei innig geliebten Signaturdüften trennen, beim Testen gab es mehrfach Auffälligkeiten. Warum, ließ sich mangels detaillierter Inhaltsangabe nie ausmachen. Ganz sicher jedoch weiß ich: An den derzeit von der EU Verdächtigten, etwa an Eichen- und Baummoos, lag es nicht. Düfte, die diese Stoffe enthalten, hatte und habe ich seit jeher, und sie haben mir nie Probleme bereitet.

Können Eichen- und Baummoos denn Allergien auslösen? Auf diese Frage, im Kommentar zu einem anderen Parfumo-Blog gestellt, gibt es nur eine Antwort: Selbstverständlich können sie, ebenso wie (fast) jede andere Substanz (Ausnahmen sind reines Wasser und reiner Zucker). Alles, was Proteine enthält, kann Allergen sein.

Was das bedeutet? Zur Klärung hilft ein Blick darauf, was eine Allergie ist. Nämlich ein Irrtum des menschlichen Immunsystems: Das missversteht harmlose Substanzen als bedrohlich – und antwortet mit Abwehr, die von „zart“ (z. B. leichte Hautrötung) bis „hart“ (z. B. massiver Hautausschlag, Heuschnupfen, Asthma, heftige Gastroenteritis) reichen kann oder sogar das Leben gefährdet (z. B. anaphylaktischer Schock). Wie diese überschießende Reaktion des Immunsystems zustandekommt, dazu gibt es bisher vorwiegend Hypothesen und nur wenig handfest Erklärendes, Bewiesenes.

Eines immerhin ist gewiss: Ein Vergleich von krebserzeugenden Stoffen und Allergenen ist falsch und unangemessen. Denn Karzinogene wirken auf jeden menschlichen Organismus. Allergene hingegen sind eine individuelle Angelegenheit, die nur einzelne Menschen betrifft und die große Mehrheit unberührt lässt.

Sehr viele Stoffe wirken nur für ganz wenige Menschen allergen. Etliche Substanzen wirken allergen auf eine größere Zahl von Menschen. So sind Allergien gegen Schalentiere – siehe mein Selbsterfahrungsbeispiel – nicht selten. Auch in Fisch oder Milch steckt Allergiepotenzial. In Erdnüssen noch mehr, auf sie reagieren angeblich zwei Prozent der Kinder (in Mitteleuropa) überempfindlich, meist in „harter“ Form.

Und manche Stoffe sind Allergene für sehr viele. 15-30 Prozent der Mitteleuropäer (je nachdem, von welcher Statistik man ausgeht) sind allergisch gegen Pflanzenpollen. Unangenehm dabei: Der Wind verbreitet diese Allergene, man kann ihnen kaum ausweichen. Etwa die Hälfte der Pollenallergiker reagiert auf Birkenpollen – besonders unangenehm, denn der Blütenstaub dieser Bäume wirkt sehr aggressiv.

So haben Allergiker denn den Birken den Prozess gemacht. Im Wortsinn: Mehrfach sind Betroffene vor Gericht gezogen, weil sie ihre Nachbarn oder ihre Kommune zwingen wollten, Birken in der Nähe ihrer Wohnung zu fällen. Doch bei den Richtern, manchmal in mehreren Instanzen, sind die Kläger allesamt abgeblitzt.

Die Gründe, die die Richter dafür nennen, sind aufschlussreich – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen EU-Enquete zu Allergenen in Kosmetika. In den Urteilen kann man nachlesen, die „allgemeine Wohlfahrtswirkung“ von Bäumen sei höher zu bewerten als das individuelle Interesse der Kläger, einen bestimmten Baum beseitigt zu sehen. Bei der Beurteilung, ob eine Birke eine unverhältnismäßige Belastung bedeute, sei abzustellen auf „durchschnittlich empfindliche Menschen“; besondere Empfindlichkeiten oder „individuelle gesundheitliche Disposition des Betroffenen“ könnten nicht berücksichtigt werden. Und: Weil so viele verschiedene Pflanzen allergische Reaktionen auslösen, wäre eine dem Gemeinwohl dienliche „durchgrünte Umwelt“ gar nicht mehr möglich, wenn man Allergiker-Wünschen nach Beseitigung all dieser Gewächse nachgäbe. „Wollte man der Argumentation der Kläger folgen, wären wohl viele Straßenbäume in bebauten Gebieten zu entfernen, denn in der Nähe eines jeden dieser Straßenbäume wohne oder arbeite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Allergiker“, heißt es in der Zusammenfassung eines einschlägigen Urteils (Verwaltungsgericht Neustadt, 16.05.2013 - 4 K 923/12.NW).

Als Allergikerin habe ich großes Verständnis für Allergiker-Leiden. Dennoch: Ich gebe den Richtern uneingeschränkt Recht. Sie haben sehr gut abgewogen zwischen Bedürfnissen Einzelner und Gemeinwohl. (Auch ich würde mich übrigens weigern, Birken im eigenen Garten den Wünschen allergiegeplagter Nachbarn zu opfern!)

Mit Blick auf Parfums von einer „allgemeinen Wohlfahrtswirkung“ zu reden, wie sie die Juristen Bäumen zusprechen, wäre lächerlich übertrieben. Aber Düfte tun ihren Benutzern gut, bereiten ihnen Genuss; Grund genug, gelassen über die Inhaltsstoffe nachzudenken. Zumal – anders als bei Pollen, die fliegen, wie der Wind grad will – niemand ohne eigenen Willen (Haut-)Kontakt hat zu Parfum. Was deutsche Richter vorgemacht haben, können die EU-EntscheiderInnen auch: abwägen. Es wäre unverhältnismäßig, Duftstoffe zu verbieten, die einer kleinen Minderheit der Bevölkerung (die Allergiker-Quote bei Eichen- oder Baummoos liegt bei etwa 1-3 Prozent) Probleme machen, für die große Mehrheit aber Genuss, Lebensfreude, Wohlergehen bedeuten.

Inhaltsstoffe deklarieren – das ist eine andere Sache: Ja, bitte!

Der Warnhinweis „Kann Spuren von Erdnüssen enthalten“ ist inzwischen bei vielen Nahrungsmitteln Pflicht, aus guten Gründen, und er ist für Erdnuss-Allergiker eine große Hilfe. Stünde auch auf Kosmetika und Parfums drauf, was drin ist, käme für Allergiker Licht ins Duftstoff-Dunkel. Naturkosmetik-Hersteller machen es längst vor, mit freiweilliger „Volldeklaration“. So kann ich als Verbraucherin prüfen, ob ein Produkt für mich bekömmlich ist. Und ich kann selbst entscheiden.

Als Allergikerin balanciere ich Genuss und Verzicht, Sicherheit und Risiko so aus, dass es für mich persönlich passt. Diese Balance kann ich nur individuell finden; für andere von Allergie Betroffene kann sie völlig anders aussehen. Die Entscheidung , was mir gut tut und worauf ich lieber verzichte, will ich weiterhin selber treffen. Eigenverantwortlich und frei.

Genauso – und damit bin ich wieder beim Anfang dieses Textes, beim Restaurantbesuch – wie ich es bei Nahrungsmitteln tue. Der Schalentier-Gang im Überraschungsmenü, Hummer in raffinierter Langustensauce (mit ebenso raffinierten kleinen Gemüsen dazu), war delikat. Und er ist mir hervorragend bekommen :-D.

Liebe Mit-Parfumos und -Parfumas: Bitte unterzeichnet die Petition!

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