Unterholz

Unterholz

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Unterholz vor 4 Jahren 18
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Ode an den Aufsitzmäher
Rasenmähermann!
Wirf den Rasenmäher an!

Lass Stängel und Stemone spritzen.
Kräuter, Grünzeug, kleine Bäumchen
gleich mitschnitzen.

Mach nicht halt vor Veilchen,
Pomeranzen und Orangen - süss und bitter -
und allen Blumenteilchen.

Und oben in den Sandel-Zweigen
schnattern mit die Tannenhäher
und wiegen sich in ihrem Reigen
im 2-Takt deines Tonka-Mähers.

* * *

Kinderchens, der gute Onkel Unterholz dichtet jetzt auch und sagt euch nun, wie das mit den Paföngs geht.
Heute ist es ja so, dass der u. U. ungeübte aber geneigte Parfum-Interessierte / die willige Käuferin im exaltierten Zustand des Sammlungserweiterungs-Dranges in einem Kaufhaus, einer Parfümerie, Drogerie, wasweissich stets mit irrer Kopfnoten-Prahlerei zu beeindrucken oder gar zum Parfumerwerb zu übertölpeln versucht wird.
Vorm Regal kurz aufgesprüht, riecht nicht übel, zack gekauft! So zumindest, sieht die Idealszenerie von Seiten der Verkäuferschaft aus.

Dem frisch beflakonierten Pilger zuhause droht aber meist die eine oder andere ernüchternde Erfahrung, wenn der Kopfnotenbums längst zurück liegt, und sich bereits die postkoitale Depression (oder mindestens Ernüchterung) in Form der letzten Duftphase breitmacht. Auf deinem Handgelenk ist von der lustverheischenden Kopfnote (und der im besten Fall nicht mal üblen Herznote) nichts mehr übrig, dafür ein laues Chemie-Lüftchen, meist von Herstellerseite mit der Bezeichnung "edle / exotische Hölzer" oder gar mit "Sandelholz" bezeichnet und vollmundig mit weiteren Fantasienoten nach Wahl (Vanille=Vanillin, Guajakholz=Guajacol, Ambra=Ambrox etc.) reichhaltig ausgarniert.

Ich sage: Jetzt hört doch mal auf mit eurem Sandelholz-Geraspel! Soviel Sandelgehölz wie die ganze Industrie zu verarbeiten und zu verhackstückeln vorgibt, steht gar nicht mehr senkrecht. Was wir in den meisten schludrigen Pafumkreationen vor uns haben ist schlicht und ergreifend der chemische Ersatz dafür und ich finde, dieser riecht in 90% der Fälle einfach billig, plump, chemisch, unschön, unsexy und nervig. Oder es ist einfach sch** gemacht.

An dieser Stelle können sich also gleich mal 80% aller Hersteller / Parfummarken / Nischenszenies / Duftdesigner/ -innen / (hier wahlweise anderen Vertreter der Industrie einsetzen) ein dickes Scheibchen bei Lush abschneiden. Aber von vorn.

Betritt man erstmals einen Lush-Laden, hat man nicht das Gefühl, hier hochwertige Düfte unter die Nase zu bekommen. Meist wird man ja sofort von einer der etwas übermotivierten Mitarbeiterinnen in die Mangel genommen, dazu der überbordende Badekugel-Bubblegum-Gummibärchen-Nimbus, und man befindet sich bereits rezeptorisch komplett überfordert in den Klauen der Kompagnie. Doch erringt man mit höflichem Lächeln den Freiraum sich erstmal umzusehen, so gelangt man irgendwann vor's Lush-Parfumregal. Zugegeben, optisch ist hier noch Luft nacht oben, aber sei's drum. Wir testen jetzt in Ruhe.

Zuhause mit den aufgetragenen (aber noch nicht gekauften) Düften angekommen, merkt man am Handgelenk schnuppernd, dass die meisten Lush-Kreationen den umgekehrten Weg gehen. Die Kopfnote wirkt im Geschäft vielleicht firmenspezifisch etwas hysterisch, wie auch im Fall von Grass, ein Zuviel an grüner Saftigkeit, irgendwie quietschig-quengelig-überdreht, als liesse man sich von einer Horde Teenager-Waldelefanten mit ADHS den Garten neu gestalten.

Doch irgendwann im Verlauf von Grass, zuerst dachte man noch an einen Spassduft im Auftrag der Rasenbarbier-Gilde, schwant einem, dass man es hier mit einem absolut hochwertigen, gut komponierten Parfum zu tun hat. Wo Chemie so eingesetzt wird, dass es GUT riecht und Naturrohstoffe auch Naturrohstoffe sind und ein harmonisches Gesamtbild ergeben.
Ich würde zwar nicht meine Hand ins Feuer der Wahrheit legen und behaupten, dass hier echtes Sandelholz verarbeitet wurde, aber es RIECHT einfach wie gutes echtes Sandelholz und nicht wie irgend ein dämlicher Ersatz, der, weil billiger, den Aktionären eine fettere Rendite und der Teppichetage dickere Dividenden verspricht...

(ausatmen)

Das wollte einfach mal gesagt sein. So, ich gehe jetzt meinen Rasentraktor ölen. Damit die Nachbarschaft sich an diesem wunderschönen Samstagnachmittag noch ein wenig an seinem satten Sound erfreuen kann.
18 Antworten
Unterholz vor 4 Jahren 10
7
Flakon
5
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7
Haltbarkeit
9
Duft
Colonia mediterranea
In einem St. Galler Warenhaus in der Grabbelkiste fand ich diesen Mediterranean Neroli und da musste ich nicht lange überlegen. Schon vorher hatte ich ihn mal flüchtig probiert; einer der besseren der Essenze-Reihe. Ein Tester war auch noch vorhanden und damit überzeugte er mich restlos. Mittlerweile finde ich ihn richtig gut, auf der Haut allein ist er allerdings ein wenig dünn. Auf Haut UND Textil aufgetragen wirkt er viel dichter. Das kann manchmal den Unterschied ausmachen.

Einige von Zegna‘s Essenze(n) wirken in der Basis etwas künstlich, weshalb ich bei denen nicht gerade in Freudenstürme ausbreche. Ein Trend, der aber auch in der (preislich) gehobenen Parfümerie nicht mehr umkehrbar ist. Bedingt ist das durch die neuen IFRA-Richtlinien, aber letztlich muss das nicht immer eine Qualitätseinbusse darstellen. Es gibt ja viele Marken, die bewusst mit Molekülzauber spielen (Escentric Molecules, Pierre Guillaume, Comme des Garçons etc.) und die dennoch überzeugen können. Med. Neroli ist dagegen sehr traditionell und naturalistisch gehalten. Bemerkenswert, wie dem oder der unbekannten Parfumeurin eine solch feine und unaufdringliche Inszenierung mediterraner Landschaft(en) gelungen ist.

Im Zentrum steht klar Neroli, die Blüte des Bitterorangenbaums. Die Bitterorangenblüte ist herber, weniger süss und lieblich als die Blüte der süssen Orange. Man hat den Eindruck, dass noch Petitgrain (Blätter diverser Agrumen) mitschwingt und begrünt. Rosmarin, Lavendel und Minze tragen ebenfalls zum Bild herb-grüner fliessender Pflanzensäfte bei. Von den Agrumen erkenne ich insbesondere Bergamotte, die hier wirklich perfekt ins bitterliche Bild passt. An dieser Stelle realisiere ich: das sind ja alles Zutaten, die ein Eau de Cologne ausmachen. Tatsächlich eröffnet Med. Neroli mit einem wunderbaren Kölnisch-Akkord. Nur, dass Neroli normalerweise bei einem Cologne eher in der Basis (falls man bei einem solch kurzlebigem Vergnügen von einer sprechen kann) anzutreffen ist, hier aber sofort präsent ist. Verstärkt und saftig akzentuiert ev. durch erwähntes Petitgrain.

Für mich ist und bleibt Med. Neroli während seines Verlaufs ein sehr potentes Eau de Cologne, dessen Einzelteile durch feine Ausbalancierung an Schärfentiefe gewinnen. Es ist als ergänzten sich die Duftstoffe hier ideal, sie stehen in Diskurs miteinander. Harmonie – und doch bleiben Einzelteile erkennbar. Was dieses "Cologne" zu einem mediterranen Erlebnis macht, ist die geschickte Integration von Lavendel und Zypresse, wobei letztere ein sanftes Bild einer toskanischen Landschaft mit weichen Hügeln und Zypressen oder Pinienhainen evoziert.

Die in der Pyramide genannte Basis kann ich so nicht nachvollziehen. Einmal mehr. Ambroxan registriere ich nicht, das irritiert mich meist zuverlässig. Moschus klingt allenfalls plausibel, wobei dieser unter Umständen das beschriebene Duftbild potenziert - den Duft grösser erscheinen lässt. In Med. Neroli eine echte Basis erkennen zu wollen, ist aber meines Erachtens müssig. Die Duftentwicklung hört mit der Herzphase auf und das passt für mich, denn die Haltbarkeit ist für so ein leichtes Parfum (EdT) echt gut, auf meiner Haut immerhin bis 7 Stunden.

Insgesamt eine gelungene Neroli-Interpretation, durch seine Schlichtheit modern und gleichzeitig wunderbar vertraut mit seinen Cologne-Bezügen.
10 Antworten
Unterholz vor 4 Jahren 11
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Kochen mit Lorbeer oder Form folgt Funktion
Wie seine Duftkollegen Muschio Biancho und LiboCedro wäre auch1869 zur Beduftung italienischer Hotel-Bettlaken kein Fehlgriff. Er ist allerdings kein Sauberduft, der an Weichspüler und Waschmittel denken lässt. Er ist schon ein Tick seriöser. Grundsätzlich unzitrisch, unfloral. Irgendwie windfrisch aus dem graugrünen Bereich. Frische kenne ich eigentlich eher in Form von säuerlichen Agrumen, Seife oder dann eben im aldehydisch-floralen Kontext, wobei ja zuletzt meist irgendeine Moschusart ihre blitzsauberen Finger im Spiel hat. Hier ist es eine eher blätterige als eine fruchtige Frische. Wer schon mit Lorbeer(blättern) gekocht hat, mag diese fahlgrün-würzige Komponente erkennen. Ich denke beinahe an grünes Gemüse. Beinahe. In dieser Hinsicht erinnert 1869 auch ein wenig an Comme des Garçons Laurel, nur dass letzterer auf mich noch gegensätzlicher zwischen Naturästhetik und Kunst/Künstlichkeit changiert und somit rustikaler wirkt, wo der Acca Kappa ein klassischeres Bild abgibt.

Gemüse – Kochen – Küche: Stichwörter die uns in unserem Duftbeschrieb womöglich weiterhelfen. Eine Restaurantküche ist kein sinnlicher Ort, sondern strukturierter funktionaler Arbeitsraum. Auch wenn man als Gast im eigentlichen Restaurant sitzt und (idealerweise) wahre Gaumenfreuden erlebt, ist die Küche eher Operationssaal als Kreativlabor und bar jeder Sinnlichkeit. Das klingt jetzt in Verbindung mit einem Duft nicht charmant, aber der Küchenvergleich passt vielleicht doch und soll nicht negativ konnotiert sein. Eine Küche, wo zubereitet, was später gegessen wird, ist was Grundsätzliches, Notwendiges, Strukturiertes. Hygiene wird gross geschrieben. Auch 1869 folgt diesem Form-folgt-Funktion-Prinzip. Ein Duft als formale Erfrischung, als seriöse Begleitung, aber kein Statement. Auffallen ist nicht sein Job. Auch hier könnte man wieder die gestärkte weisse Baumwolle des Restaurantpersonals sehen, das zwischen Haus und Gast vermittelt. Sichtbar und gleichzeitig unsichtbar.

In 1869 spielt Moschus die Hauptrolle, obwohl in der Pyramide nicht angegeben. Nicht ein seifiger, ein ganz dezent trockenpudercremig-kühlsauberer. 1869 ist von Anfang bis Ende von der frisch-blätterigen Sorte, auf holzigem Moschus-Fond. Unliebsame Veränderungen bleiben dem Träger erspart. Ich schreibe bewusst Träger, denn an einer Frau sehe ich 1869 nicht. Insgesamt „well blended“, trocken-sauberes perfektes Timing. Ein Blick auf die Pyramide scheint jede der genannten Noten zu bestätigen, dennoch könnte ich in einem Blindtest wohl keine einzelne herausriechen. Das ist also schon ziemlich gut gemacht. Als ambriert nehme ich allerdings die Basis zu keiner Zeit wahr. Möglich, dass süssliche Bestandteile dem Duft ein gewisses Volumen verleihen, dennoch ist hier letztlich gar nichts vorhanden, das in eine orientalische Richtung weist. Trockener geht nicht.

Die Marke Acca Kappa bietet eine überschaubare Kollektion an Düften und hechelt nicht gleich jedem Trend hinterher. Man konzentriert sich scheinbar ganz auf das schöne Sortiment von Pflegeprodukten. Soweit ich beurteilen kann, ist zumindest das Rasursortiment paraben-, silikon- und erdölfrei. Über Tierversuche habe ich nichts herausgefunden. Sympathisch finde ich immer, wenn man einen Duft niederschwellig mit einem Pflegeprodukt, After Shave oder Rasierschaum kennenlernen kann. Ideal um zu testen, ob der Duft nicht nach einer Woche verleidet.
11 Antworten
Unterholz vor 4 Jahren 8
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Die Lust ist eine Art Vollendung des Wirkens
Derzeit nähere ich mich dem Weihrauch an. Eine Note, die es bei mir schwer hat. Oft empfinde ich Weihrauch in Parfums als dominant, ablenkend oder gar (zer-)störend. Monothematische Düfte damit sind ganz schwierig, je nachdem, welche Aspekte des Räucherharzes herausgearbeitet werden: balsamische, harzige, kampherische, klebrige, koniferische, rauchige, süssliche, teerige, zitrische…

Lange Vorrede, kurzer Sinn: Ich mag Weihrauch nur „hell“. Unsüss, holzig, grün oder im hesperidischen Kontext. Unter Vorbehalt auch mit floralen Begleitern wie Rose, Lavendel oder Jasmin. Was mich überanstrengt, ist die Kombination mit Vanille oder (zu viel) Amber, Leder, Oud oder wenn es schlicht pappsüss, zu harzig oder klebrig riecht.

Geht es um den Rohstoff, so heisst es, die beste Qualität sei das sogenannte Olibanum. Eine helle Weihrauchsorte von der arabischen Halbinsel, die in „Spätlese“ geerntet wird und in dicken hellgelben „Tränen“ in den Handel kommt. Sie deckt quasi das ganze oben genannte Aromenprofil ab und besitzt die tiefste Strahlkraft.

Es gibt wohl keinen weiteren Duftstoff, der so zwingend mit Spiritualität und Religiosität verknüpft wird wie Weihrauch. Ein Grund, warum es einige Düfte mit religiös inspirierten Titeln gibt: Cardinal, Encens Flamboyant, Messe de Minuit, Avignon, Zagorsk, Passage d‘ Enfer, Mea Culpa etc.

Den Bezug zum heiligen Räucherwerk kann ein Parfumeur, eine Parfumeurin gar nicht missachten. Es gibt eigentlich nur die Möglichkeit diese Vorurteile zu bestätigen oder sie auszukontern, indem man etwas macht, das niemand erwartet… Ich denke da an den abstrahierten Weihrauch in Pradas Infusion d' Homme oder Serge Lutens‘ L‘ Eau froide.

Lorenzo Villoresi muss sich das im Titel stehende Zitat von Thomas von Aquin zur Vorlage für seine Kreation genommen haben. Seine Lust ist die der Verführung, der Täuschung und die Neigung zur Pointe à la „Des Kaisers neue Kleider“! Und sein Incensi – Achtung Plural: Weihräuche! – steht ziemlich zwischen Tischen und Stühlen was meine bisherigen Erfahrungen mit Weihrauch betrifft. Da lächelt sich der Villoresi vielleicht grad ins Fäustchen.

Während des gesamten Duftverlaufs ist ein potenter Weihrauch wahrnehmbar. Ich denke, da wurden verschiedene Rohstoffe verwendet, ev. auch das verwandte Elemiharz. Er wirkt frisch, kaum harzig, auch nicht eigentlich rauchig und ist eher von der zitrisch-koniferischen Art. Interessant ist, wie Villoresi den Duft weiter ausgestaltet. Die gourmandige, fruchtige Startphase mit Apfel, Zimt, angesäuert mit ein wenig Zitrone oder Bergamotte, wirkt fast absurd in diesem Kontext. Kirmes? Weihnachten? Heilige 3 Könige? Pot Pourri? Apfelmus mit Zimt? Holy Moly!

Obwohl Incensi während seines gesamten Verlaufs nie wirklich süss wird, hat er von Anfang an ein gewisses Fruchtvolumen. Birnendicksaft statt Zucker. Zimt ist stets wahrnehmbar, das muss man schon mögen, ich denke, hier wurde eine fiese Portion Styraxharz verarbeitet, welches sehr zimtig riechen kann. Incensi verändert sich wenig, von einem klassischen Duftverlauf in 3 Phasen keine Rede. Schnell kann man sandelholzige, schmelzige, ja auch ein wenig salzige (fast schon wurstig-fleischige) weiche Balsamnoten wahrnehmen, die die Eckpfeiler des Parfums sind und den Weihrauch wie in einer Sänfte mit sich tragen. Er entschwindet eigentlich erst ganz zuletzt ins Nirvana, während ein paar süsslich-balsamische Noten hienieden verbleiben müssen um seine Apotheose zu verwalten.

Eine abgestimmte und doch sehr eigenwillige Komposition. Die Projektion ist bei diesem Parfum nicht zu unterschätzen und die Haltbarkeit ist sehr gut. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich Incensi wirklich gelungen finden soll oder ob es sich wie befürchtet um einen fiesen Scherz des Parfumeurs handelt. Und weiter, ob man oft in Stimmung für einen solchen fruchtig-wollüstigen Duft ist. Ich denke da gleich an den Sündenfall im Paradies und wie Hieronymus Boschs obszöne Wimmelbilder diese Geschichte lustvoll inszenieren. Ewiglich locken Teufel, Weib (oder Kerl), Wollust, Versuchung und Verführung… Ein riesen Aufstand, von Menschen, Engeln und Dämonen!

Aber der Mensch ist bei Villoresi nicht Opfer eines strafenden, zornigen Gottes wie im Alten Testament, sondern Spielball eines ganzen Pantheons. Ein Stück Fleisch, ein Gefäss, das man Verführen, an dem man sich verlustieren, das man füllen, beeinflussen und herumreichen kann. Im sexuellen wie im geistigen Sinn. Die alte Geschichte von Göttern, Priestern und Menschen. Doch die letzte Frage lautet: Wer ist hier Täter, wer ist Opfer?

Sweet dreams are made of this
Who am I to disagree
I travel the world and the seven seas
Everybody's looking for something

Some of them want to use you
Some of them want to get used by you
Some of them want to abuse you
Some of them want to be abused
(Eurythmics)
8 Antworten
Unterholz vor 4 Jahren 9
8
Flakon
5
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Neureich und sexy!
Xerjoff steht für mich prominent für jene zig Pseudo-Luxus-Brands, bei denen Marketing und Verpackung nicht ganz im Verhältnis zum eigentlichen Inhalt stehen. Verboten ist das ja nicht, aber es ist auch weit entfernt von sympathisch.

Dennoch gibt es ein paar Xerjoffs, die ich für ziemlich gelungen halte. Die Preise der Italienischen Duftschmiede sind gesalzen, auch wenn die Qualität der Produkte grundsätzlich nicht schlecht ist. Das heisst aber nicht, dass ich bereit bin, für einen der beispielsweise schönen Oud-Stars über 250.—Euro (50 mL) hinzublättern, da wird bei mir einfach eine Schmerzgrenze überschritten. Und immer wieder entdeckt man ja auch Alternativen, die im moderaten Preisbereich liegen und genauso gut gemacht sind. 170.—Euro für den Renaissance (100 mL EdT) ist gerade noch ok für so eine „leichte“ Komposition. Also habe ich mir den auf den Sommer hin trotz meiner obigen Skrupel gegönnt, er ist einfach zu gut. Beim erstmaligen Test vor einigen Jahren hatte ich ihn mit der Höchstnote bewertet. Und das geschieht nicht oft. Allerdings wurde ich dann doch überrascht, wurde der inzwischen reformuliert? Interessanterweise hatte ich den etwas anders in Erinnerung.

Von der Komposition her recht schlicht gehalten, ist das vor allem ein breiter Zitrusduft. Selten wurde der Oberbegriff „Zitrus“ schöner bedient. Zitrone? Mandarine? Grapefruit? Bergamotte? Wahrscheinlich von allen ein wenig. Spritzig, subtil, wirklichkeitsnah und gleichzeitig ein wenig künstlich, luftig, säuerlich erfrischend – alle Vitamine drin – und durch eine kräuterige Zugabe (Minze und ev. Rosmarin?) wirkt es niemals flach. Vielleicht ist es auch das Petitgrain, das erzeugt eine schöne blattgrüne unfruchtige Tonic-Bitterkeit. Die Zitrusfrüchte erhalten im Verlauf einen leicht trocken-cremigen Unterton (kein Nivea!), ohne dass jetzt gleich mit der grossen Moschus-Kelle angerührt wurde. Das passt. Die floralen Komponenten spielen für mich nur soweit eine Rolle, als dass ich den Duft als harmonisch ganzheitlich wahrnehme, eventuell etwas Jasmin ist zu erahnen. Süss ist hier trotz angegebenem „Amber“ nix & null. Interessant auch, dass die Zitrusnoten extrem lange bestehen bleiben, weiss der Teufel wie die Italos das machen (Paradisamide? Hedione?). Als Zitrus-Fetischist ist mir das aber nur Recht.

Nun zu den Unterschieden zur neuen(?) Version. Die Kopfnote fand ich vorher insgesamt spritziger, mehr nach Grapefruit. Was mir damals sehr gut gefiel, war eine schöne Zeder von Beginn an, ich nehme an Texas-Zeder, mit dieser charakteristischen Cumin-artigen, leicht schweissigen Note. Ich finde, die erweitert gerade allzu saubere oder zitruslastige Düfte mit einer leicht angeschmutzten Komponente. Ein ideales Duo mit leicht erdigem Patch, das neu kaum zu erahnen ist. Gesamthaft wirkt der neue Duft etwas künstlicher, weniger spritzig, linearer, und ohne die schöne fast animalische Zedernnote. Dafür gibt’s einen Punkt Abzug.

Da ich zu einem Duft gerne Pröbchen dazu bestelle, habe ich bei Xerjoff online noch eine Auswahl getroffen. Beeindruckend ist auf jeden Fall die Lieferung der Bestellung: Ein Riesenpaket, worin sich wiederum eine weisse Schneewittchensarg-Kartonbox, gross wie eine Mastaba, befindet. Darin liegen abermals die einzelnen Produkte, eingehüllt immerhin in Recyclingseidenpapier. Die Proben sind selbstverständlich in plastifizierte „Xerjoff-Universe“ Kartonklötze mit violettem Kunst-Samt-Interieur gebettet. Puh, und der Renaissance wurde treu diesem Ideal wie ein Pharao nach dem Schichten-Prinzip einkartoniert. Zuletzt ruht der Flakon in einem überdimensionierten Kunstleder-Sarkophag. Wozu das? Ich schätze ja sorgfältige Verpackung, aber das hier ist schon unverhältnismässig. Kitschiger Müll. Zumal die viel zu schönen Umhüllungen eh geradewegs im Endlager landen. Auch in der Luxus-Branche müsste man mal darüber nachdenken, dass man auch umweltschonend etwas schön verpacken kann. Persönlich finde ich es unsexy, für ein Duftwässerchen so viel Abfall zu produzieren und es wird mich vielleicht davon abhalten, nochmals einen Xerjoff zu kaufen.

Wer grundsätzlich Freude an trocken-holzig-cremigen Hesperidiendüften ohne grosse Duft-Dramatik hat, sollte hier mal testen.
Dieser Xerjoff ist sicher nicht „grosses Kino“, aber gerade wegen seiner Tiefstapelei passt er eigentlich überhaupt nicht ins breitspurige Portfolio der Marke. Für mich wohl gerade deshalb ein (halber) Volltreffer.
9 Antworten
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