UntermWert

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1 - 5 von 56
UntermWert vor 7 Monaten 27 36
9.5
Duft
Andenken an eine 104-Jährige
Angelo beschreibt diesen Duft als eine Hommage an seine Großmutter, ihre Güte und ihre Liebe zu Chypre-Düften. Und hiermit hat er ihr wahrlich ein Denkmal gesetzt: ein Duftbild voller Zugewandtheit. Mit geschlossenen Augen rieche ich die Blumen in Großmutters Umarmung. Das Licht, wie es durch die Gardine ihres Wohnzimmerfensters scheint. Ich bin Teil in dem Duftbild, in dem das Kind seine Erinnerungen bündelt, erfüllt von Geborgenheit.

Der Duft erinnert mich in seiner tiefen Emotionalität an Après l‘Ondée ohne das Veilchen und eigentlich ganz anders… aber melancholisch, in liebevoller Erinnerung, absolut tragbar, obwohl Angelo ihn als Duftkunstwerk beschreibt, nicht als Parfum. Der Parfümeur hat hier ein Andenken an seine Großmutter Angeliki geschaffen, die 104 Jahre alt wurde. Und jedes Jahr zu ihrem Todestag soll ein Batch mit 104 Flakons veröffentlicht werden - welch wundervolle Geste, mit der sich die Erinnerung immer wieder aktualisiert und die Liebe zu diesem Menschen ewig weiterlebt. Dazu gibt es einfach nichts mehr zu sagen, außer sich in Demut vor seiner Großzügigkeit zu verneigen, an diesem privaten Erleben olfaktorisch teilhaben zu dürfen, sich treiben zu lassen und die Schönheit des Duftes zu genießen.
Und dabei ist er absolut tragbar, hat klassische Anleihen, mit unsagbarem Tiefgang und duftet einfach schön, blumig und einladend. Die unzähligen Duftnoten sind komplex und gleichzeitig sehr harmonisch verwoben, getragen von Aldehyden und freundlicher Animalik. Es ist schwer für mich, sie einzeln heraus zu riechen, wobei ich glaube, am ehesten Flieder und Freesie und die Behaglichkeit von gut verwobenen Harzen und Bienenwachs wahrzunehmen - die Stimmung ist sehr liebevoll und wunderschön.

Ich habe ihn abends getragen, und am nächsten Morgen rieche ich am Shirt noch deutlich Gartennelke neben Blütenerinnerungen auf einer feinen Hautnote.
Zu meinem Glück, stelle ich fest, denn die Nelke kann mir schon mal zu viel werden, und so bewahrt sie mich davor, meine guten Vorsätze über Bord zu werfen und diesem seltenen Stück hinterher zu jagen…

(mit allerliebstem Dank an Gandix für die Möglichkeit, diesen edlen und besonderen Duft kennen zu lernen)
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Nachtrag: auch wenn der Duft mich zutiefst bewegt hat, möchte ich hier noch anmerken, dass man ihn unbedingt in Ruhe testen sollte. Auf den ersten Riecher hätte ich mich fast zu einem Spontankauf hinreißen lassen, erst am nächsten Tag ist mir aufgefallen, dass wir letztendlich eben doch nicht 100% zueinander passen. Auch möchte ich darauf hinweisen, dass man schon auch animalische Noten mögen sollte, denn die sind definitiv präsent. Diese Rezension ist mein ganz subjektives Dufterlebnis.
Und zuletzt: auf der offiziellen Webseite gibt es zu diesem Duft auch einen Disclaimer zur Duftkonzentration - den sollte man auf jeden Fall auch beachten.
36 Antworten
UntermWert vor 7 Monaten 17 27
7
Sillage
9
Duft
Frühlingserwachen im Orient
Die Sonne steht noch tief über den Dächern, die Kälte der Wüstennacht ist noch nicht gewichen.
Ein Lichtstrahl fällt auf eine Waschgarnitur auf dem Nachttisch, die Aromen von Sandelholzseife und einem Strauß Blumen tanzen auf einem leichten Lufthauch und erfüllen den Raum mit klarer Reinheit.

Narjis eröffnet zitrisch-herb, wobei die Angelika einen spannenden Gegenpol zu Orange und Bergamotte bildet, wie ein zarter, transparenter Vorhang, durch den in feinem Licht ein Strauß Blumen hindurchschimmert. Ich stelle mir ein paar morgendliche Sonnenstrahlen in einem Schlafgemach aus 1001 Nacht vor. Keine schweren Vorhänge, Gewürze oder Früchte, sondern ein geheimnisvoller, leicht seifig-blumiger Hauch, eher kühl. Sehr spannend übernimmt die Narzisse das Zepter, Ylang und Osmanthus bilden den Rahmen. Den seifigen Eindruck schreibe ich Moschus und Sandelholz zu, Iris und Vetiver bilden dann in der Basis wiederum einen schönen Kontrast, der den Duft in Bewegung hält und ihn nicht ins Fluffige abgleiten lässt . Auch der zitrische Eindruck bleibt. Der Star des Duftes ist aber die Narzisse. Gefällt mir sehr.
Ein außergewöhnlicher, schöner Duft, der mit Gegensätzen spielt, mal wie ein frischer Lufthauch, mal ganz dezent blumig-pudrig, immer aber auch ein bisschen herb, nicht zu gefällig. Definitiv kein „Immergeher“, sondern einer, auf den man sich einlassen muss.
Spannend.
Den und die Narzisse nehme ich mir zum Frühling noch mal vor.

Nachtrag: beim „richtigen Tragen“ korrigiere ich die Bewertung auf 9 nach oben… und möchte ihn haben… ich muss das jetzt mal so sagen, ich finde, ich rieche außerordentlich gut damit.

(mit ganz liebem Dank an Susan)
27 Antworten
UntermWert vor 8 Monaten 11 22
7.5
Duft
eingedickter Kindheitstraum in Slowmotion
Winterferien. Abends im Schlafanzug noch mal leise ein Computerspiel spielen. Die Gerüche von heimlich gebunkerten Süßigkeiten liegen süß-würzig in der dunklen Wärme des Kinderzimmers. Zeit vergessen, Rätsel von The Pawn gelöst, pixelige Grafikbilder eröffnen Tore in andere Welten. Seltsam verlangsamt, gleichzeitig fokussiert und davon schwebend, intensives olfaktorisches Erleben und doch noch lange zu unschuldig vor der ersten Zigarette…

Musc des Sables erlebe ich unmittelbar äußerst süß-würzig und während ich der Meinung bin, das wör‘ wohl nicht meins, die Marke ist mir doch zu gourmandig, klebt meine Nase von Benzoe und Moschus magnetisch angezogen am Arm… und ich höre mich denken „boah, wie geil“ (leicht jugendliches Kieksen in der Stimme). Ich weiß nicht, wie kalt es sein müsste, damit ich diesen Duft richtig tragen könnte - aber wie paralysiert in Gedanken versunken genieße ich diese tief süße Würzigkeit, Benzoe, Bittermandel, Kardamom… getragen von Patchouli und Iris - ein eingedickter Kindheitstraum von einer Phantasiewelt in Zeitlupe, Frieden, Verspieltheit in Slowmotion, gehüllt in eine Puderwolke der goldenen Stunde.

Irgendwie wunderschön, aber ich glaube, so sehr kann ich nicht entschleunigen, als dass es mich nicht lähmen würde, damit parfümiert zu sein.

Klasse, und auf ungewöhnliche Art psychedelisch.

Mit liebem Dank an Rieke2021.
22 Antworten
UntermWert vor 9 Monaten 24 35
7
Sillage
8
Duft
Diskret-betörend menschelnde Tropenblüten
Vorab: tropisches Klima ist nicht so meins, dennoch mag ich minimal indolische Blüten manchmal ganz gern - auch wenn ich sie nur selten selbst tragen kann.
Ich hatte Louanges Profanes mal aus Neugier auf den Weißdorn auf meine ML gesetzt. Der Duft eröffnet süß-blumig, aber durch raffiniert verbautes Neroli weder schwülstig noch bouquetbombig. Weißdorn und Lilie wirken hier nicht direkt indolisch, aber ein Sauberduft ist es auch nicht. Spannend. Nun kommt es auf das Guajakholz an, ob sich im Verlauf der mir damit schon häufiger widerfahrene „pelzige Zähne“-Effekt einstellt, oder ob es bei den diskret-betörend menschelnden Blüten bleibt. Der erste Eindruck ist nämlich wirklich schön.
Durch den Weihrauch und das Guajakholz bekommt die Lilie etwas sanft rauchiges, die Benzoe unterstreicht die Süße, läßt sie ein bisschen pudrig werden. Und ich schließe mich Amadea70 an - ich erlebe den Duft ebenfalls sommerlich, süß und unbeschwert. Die Assoziation mit Sonnenmilch finde ich auch stimmig - in einem Sommerurlaub irgendwo im Süden oder auf einer karibischen Insel.
Und ich staune nicht schlecht, dass ich Süße tatsächlich auch sinnlich finden kann.

Leider wird sie im späteren Verlauf immer Benzoe-betonter mit sanfter, aber für mich dennoch zu deutlich wahrnehmbarer Guajak-Akzentuierung. Die Sonnencreme ist der rauchig-vanilligen Benzoe-Note gewichen, die mir letztendlich dann doch eine Spur zu süß ist.

Auch wenn er nicht recht zu mir passen will - ein sehr spannender Duft mit einem schönen Verlauf und sehr sinnlicher Blüteninterpretation. Dabei intensiv, aber nicht laut. Verführerisch, aber nicht lasziv.
Sehr testenswert.

(mit liebem Dank an IrisNobile)
35 Antworten
UntermWert vor 9 Monaten 22 32
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
sanft-seifiges Duftreis-Echo auf Sandel-Skin
In kühler Abendluft nach einem Sommertag seinen Gedanken nachhängen. Die Hitze ist nur noch eine Erinnerung auf der Haut, deren natürlicher, leicht salziger Geruch sich mit dem Duft von Seife und der sanften Brise vermischt. Vielleicht noch einen kleinen Spaziergang am Rande der Natur machen, an einem kargen Strand oder aber auch in einem Bergdorf. In sich selbst zuhause sein - egal von wo aus man in die Nacht hinein atmet und entschleunigt.
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Beim ersten Test von Le Chant de Camargue nehme ich einen starken, blumig-seifig-pudrigen Auftakt wahr, der mich vorschnell denken läßt „ach nee, nichts für mich… zu pudrig“. Aber da lag ich irgendwie nicht ganz richtig. Es ist Sommer, sehr warm, aber auch frisch, da spielt mir meine Nase schon mal einen Streich. Ab ins Freibad, Duft weg. Aus der Nase, aus dem Sinn.
Am Abend erneut aufgesprüht nehme ich nun einen Hauch sanft-holziger Seife wahr - aus dem Kragen düftelt zudem ein warm-cremig-fluffiges Wölkchen von der Reisblüte empor. Der Duft chargiert zwischen sanft-cremig und pudrig mit einer deutlichen „Skin-Note“. Hier nicht animalisch oder verrucht, sondern eben wie frisch gewaschene Haut mit einem Echo von Sandelholz-Seife.
Ich bin überraschend angerührt, da ich seifige Noten in Düften meistens nicht mag, aber in dieser Zurückgenommenheit wirkt das im Sommer sehr stimmig und entspannend. Der Duft ist leise, eher hautnah und zeigt nur wenig Entwicklung. Sehr angenehm unaufgeregt. Die Haltbarkeit liegt bei mir dennoch im guten mittleren Bereich - nach einem weiteren Test an einem geschäftigen, schwülwarmen Tag umgibt mich auch abends noch eine ganz feine Aura.

Erstaunt und angetan habe ich ein wenig recherchiert und bin auf Youtube auf eine Duftbeschreibung gestoßen, in der darauf hingewiesen wird, dass in der Herznote noch Hedione und Paradisone verwendet worden sein sollen, 2 Moleküle, die wohl einen diffusen blumigen Eindruck erzeugen *), den ich auch wahrnehme. Das verleiht dem Duft etwas feminines, allerdings wäre er durchaus auch für Herren einen Test wert, denn den Charakter des Duftes bilden eindeutig die Reisnote und die Sandelmilch. Der grundsätzlich minimalistisch-entspannende Gesamteindruck erinnert mich ein bisschen an Tam Dao von Diptyque.

Wieder einmal ein Duft der leisen Spielart, der den natürlichen Geruch der Haut sanft veredelt, und mich sehr anspricht. Entspannend, sehr alltagstauglich, subtil. Wunderschön.

Mit liebem Dank an BieneMaja für das Sharing.
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*) den Nachweis über die Verwendung der 2 Duftmoleküle konnte ich nicht konkret finden; die floral wirkenden Noten werden mitunter auch dem Camargue-Reis zugeschrieben, den ich im speziellen nicht kenne… wie nun der Effekt erzeugt wurde, bleibt vorerst Geheimnis des Parfumeurs…
32 Antworten
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