VintageGold

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Rezensionen
VintageGold vor 6 Jahren 93 18
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
10
Duft
Lily – meine Shanghai Lily
Auslandssemester. USA. Das erste Mal, dass ich die Staaten besuchte und das erste Mal, dass ich in einem solchen Multikulti-Hort wie meinem Wohnheim lebte, in dem es so viele verschiedene Nationalitäten gab, dass das Thema keinen mehr juckte und alle nur noch Mensch waren. Nirgendwo wurde gefragt, woher man denn käme, was das denn für ein Akzent sei, sondern, „was sind deine Träume?“, „welche Orte auf diesem Planeten hast du schon bereist?“, „was willst du im Leben schaffen und erreichen?“. Eine ambitionierte und gleichzeitig total menschliche Atmosphäre. Und so war auch Lily. Lily, die Austauschstudentin aus Shanghai. Direkt am ersten Tag fiel sie mir auf und weckte mein Interesse. Ihre Haut war so rein, glatt, wie Porzellan mit einer leichten Bräune. Ihre Augen, groß und dunkel, ihr langes, glattes, sattdunkelschwarzes Haar glitt immer wieder über ihre Schultern, als sei es aus Seide. Die Hosts, also die dort beheimateten Studenten, die uns Austauschstudenten während unseres Semesters bei der Einfindung unterstützten, organisierten am ersten Abend einen ersten Einkauf im nächstgelegenen Wallmart. Dort suchten wir uns unsere Utensilien zusammen und immer wieder suchte ich dabei die Nähe zu Lily. Sie machte es mir nicht leicht, da sie in eindeutigen Damenabteilungen unterwegs war und ich meine Schwierigkeiten hatte, so zu tun, als wär dort etwas, das ich brauchte. Immer wieder schnupperte ich einen angenehmen und einzigartigen Duft an ihr, so dass ich sie schnell wiederfand, wenn ich in den benachbarten Gängen entlang lief, um meine Sachen zusammen zu suchen.

Schnell fielen mir dann aber auch die zahlreichen Nebenbuhler auf, die die gleichen Absichten wie ich hegten. Einer hatte es ihr offenbar angetan, Alejo, ein temperamentvoller Ecuadorianer, der schon die ganze Zeit aus der Gruppe herausragte, weil er seine Gitarre überall mit hin schleppte, um darauf zu klimpern. Auf dem Rückweg saß sie im Bus neben ihm und ein Mix aus Eifersucht, Enttäuschung und Verzweiflung ließ mich mit einem dicken Klos im Hals die Fahrt über schmoren. Während der Fahrt versuchte ich mich aufzumuntern, es gab doch noch so viele andere hübsche Mädels, die da mit uns im Bus saßen. Die Irinnen und Britinnen waren äußerst freizügig gekleidet und machten unmissverständlich klar, wie sie ihr Auslandssemester gestalten wollten. Es wär so einfach gewesen, aber der Kopf ließ es nicht zu. Die waren sexy und hübsch, aber zu leicht zu haben und außerdem rochen sie scheiße – im Vergleich zu Lily.

Die erste Woche verging, es wurde viel gefeiert, hier und da wurden Küsse mit den leichten Mädchen ausgetauscht, mein Roommate war ein Spießer, ging immer Punkt 22 Uhr ins Bett und ließ mich kein Mädel mit aufs Zimmer nehmen. So verbrachte ich mehr Zeit im Mädelstrakt unseres Wohnheimes als bei uns Jungs. Lily war immer noch präsent in meinem Kopf und immer wenn ich sie mit Alejo sah kochte etwas Eifersucht auf, aber letztere ließ immer mehr nach. Ich vermied ihre Nähe, weil ich wusste, dass mich das eher runterziehen würde. Doch dann in der zweiten Woche ließ es sich nicht mehr vermeiden. Wir waren wieder feiern und auf dem Rückweg vom Club zum Wohnheim stieg ich in das gleiche Shuttle wie Lily und Alejo, sowie ein paar andere von unseren Leuten. Alejo saß vorne, dirigierte den Shuttle-Fahrer und Lily nahm neben mir Platz. Leicht alkoholisiert legte sie ihre Beine auf meinen Schoß und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Die Hitze stieg mir in den Kopf, meine Hände lagen auf ihren Beinen und ich wusste nichts Besseres mit ihnen anzufangen als sie zu streicheln. Alejo schaute immer wieder besorgt nach hinten, fragte Lily, ob es ihr gut ginge. Leicht genervt ließ sie ihn wissen, dass alles in Ordnung sei. Irgendwann beugte sie sich nach vorne und flüsterte mir ins Ohr „Schrein“. Ich fragte sie, was sie mir damit sagen wolle. „Pig“ war die Antwort. „Aaah, you mean Schwein…“, erwiderte ich. Ja, das war das Wort, das sie meinte und knabberte an meinem Ohrläppchen. Ganzkörpergänsehaut breitete sich bei mir aus und vermutlich klang ich wie ein Vollidiot, als ich irritiert anfing darüber leicht zu gackern. Als ich endlich imstande war das lächerliche Gegackere einzustellen und Alejos strafenden Blick anfing zu ignorieren, drehte ich meinen Kopf zu Lily. In dem Moment, in dem ich sie fragen wollte, was sie denn da eigentlich täte, küsste sie mich. Explosion. Im Kopf, im Brustkorb, in der Hose. Alejo existierte in dem Moment nicht mehr und alle anderen schien scheinbar sowieso nicht zu interessieren, was da gerade passierte. Mit der Ankunft am Wohnheim, traf auch meine Besinnung wieder ein, bis dahin war es ein Strudel der Leidenschaft, in dem ich gefangen war, wie ein Traum, der ewig hielt. Alejo riss die Tür auf, reichte Lily die Hand und geleitete sie heraus. Ich weiß bis heute nicht, wieviel er gesehen hatte, gefühlt kam es mir so vor als hätte er von dem Kuss nichts gesehen, realistisch betrachtet grenzt das an Unmöglichkeit.

Wieder blieb mir nur ein Hauch Shanghai Lily in der Nase zurück. Sie trug es immer, es war ihr Signaturduft, ihr Erkennungszeichen, ihre persönliche Duftmarke. Am nächsten Tag begegnete ich ihr in der Gemeinschaftsküche. Ich fragte sie, ob sie sich an gestern erinnern könne. Ihr Lächeln, der gesenkte Blick nach unten und Schweigen verrieten mir, dass das Erlebte echt war und kein besoffener Unfall. Ihre Bäckchen wurden leicht rot und ich wusste, wenn du ihr jetzt nicht zeigst, was dir der Moment am vorigen Abend bedeutet hat, dann wirst du nie eine größere Rolle als einen kurzen, leidenschaftlichen Moment in ihrem Leben spielen. Ich streifte ihr mit beiden Daumen über Wangen, richtete ihren Kopf nach oben und küsste sie, wie ich noch nie eine Frau geküsst hatte. Sie schmeckte, sie roch gut, wie ein Aphrodisiakum, das Kräfte freisetzt, packte ich sie an der Hüfte und hob sie auf den Tisch. Wenn nicht noch andere im Raum gewesen wären, ich weiß nicht, ob ich da noch irgendwelche Grenzen gekannt hätte.

Mein Semester wurde dadurch turbulent. Ich wollte jede freie Minute mit Lily verbringen, leider beruhte das nicht zu 100% auf Gegenseitigkeit. Sie verbrachte immer noch Zeit mit Alejo. Alejo und ich waren mittlerweile sowas wie Freinde. Wir mochten uns eigentlich, ich fand seine Art cool und sie imponierte mir. Genauso mochte er meine lockere und aufgeschlossene Art. Wir fanden uns damit ab, dass Lily ein Freigeist war und sich nicht festlegen wollte. Genauso hatten wir auch was mit anderen Mädels, wenn sie uns hängen ließ. Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke, dann vermisse ich sie wie nichts anderes. Es war die beste Zeit meines Lebens. Lily ist mittlerweile verheiratet und hat ein Kind. Ihr Mann sieht mir verdammt ähnlich… Mir und nicht Alejo. Manchmal, nein, eigentlich ganz häufig noch, denke ich, dass ich es einfach hätte versuchen und sie fragen sollen, ob sie meine feste Freundin sein wollte. Ich bin mir sicher, dass ich sie eines Tages geheiratet hätte. Alles, das mir jetzt bleibt, ist dieser Duft von Tom Ford.

Jetzt habe ich eine lange Geschichte erzählt, aber die Information, wie ich eigentlich von Shanghai Lily erfahren habe, fehlt noch. Anfangs wusste ich nicht, dass Lily ein Parfüm trug und dachte es sei ihr eigener Körperduft, der einfach so fantastisch riecht. Denn sie schmeckte auch gut und ich führte es auf ihre Körperchemie zurück. In ihrem Zimmer fiel mir nur irgendwann der Flakon auf und ich fragte sie, ob es Zufall sei, dass...
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