Wasserblume
Wasserblumes Blog
vor 5 Jahren - 10.07.2019
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Berliner Luft oder Wie ich im Orientexpress zur Arbeit fuhr

Mein erster Blogeintrag. Tja, was soll ich nur schreiben?

Ich bin bipolar in Berlin aufgewachsen (gerade brüllt Peter Foxx wieder "Aus Schwarz wird blau" und Fairuz besingt parallel dazu herzergreifend unsere Heimatstadt Beirut.)

Müll, Hundehaufen, Verkehrsausdünstungen (auch menschliche quasi in der U-Bahn geborene Ausdünstungen) beherrschen olfaktorisch manch Ecke in meinem Kiez.

Tiergarten am Wochenende, die ganze Sippschaft grillt Lamm und Gockel natürlich alles Halal.

(Das arabische Wort halal oder wie die Türken sagen helal bedeutet „rein“, „erlaubt“ oder „zulässig“. Halal ist neben einer islamischen Speisevorschrift auch Ausdruck für eine ehrliche Lebensführung.)

Papa trug Old Spice (das rote Böttchen auf der Flasche fand ich immer toll)

Meine deutsche Oma trug Vanderbilt ( ich liebte den fragilen Schwan auf dem Flakon)

Ab und zu aber auch White Diamonds von Elisabeth Taylor (der Inhalt missfiel mir schon seit dem ich klein war, aber die Flasche war bling bling)

Mama verehrte die Moschusöle, die es bei Woolworth zu kaufen hab, sie infizierte mich mit dem Moschusgeist.

Genauso wie die Avonberaterin unserer Nachbarin. Gott sei Dank war meine Mutter mit der Nachbarin befreundet, so durften wir dem ein oder andern Duftevent beiwohnen.

Man war ich immer neugierig, die Tiegel und Fläschen und dann kam er der erste Duft, der mich aus den Ship ship (arabisch für Hausschuhe) gehauen hat.

Jeden Sommer, seitdem ich fünf war, flogen wir zur arabischen Oma, die in Ägypten lebte.

Was für ein Fest, der Bazar, Gewürze, Weihrauch, frisches Obst und Gemüse, diverse Tee und Kaffeesorten und allerlei Hölzer. Das Gekreische, der Muezzin, die tranceartigen Huldigungen der Verkäufer, ihre Ware sei die Beste…Mein Kopf schmerzte auf der Stelle, das legte sich wieder, was aber blieb waren die Gerüche. Sie haben sich festgekrallt in meinen Gehirnwindungen, meine Synapsen sind noch immer getränkt von den Ölen, Tinkturen und Rosenwasseressenzen, die sich meine Oma von ihrem Schönheitsguru hat regelmäßig zusammenstellen lassen.

Meine kleine Schwester war komischerweise immun gegen die zahlreichen Düfte. Bis heute hat sich nichts daran geändert. Ich konnte nie verstehen, wenn sie sich geweigert hat mit Omas Rosenwasser besprenkelt zu werden.

Wieder zurück im kalten Germany fand ich partout kein Gefallen an dem Parfum meiner Lehrerinnen und Lehrer. Überhaupt roch hier alles anders. Aber ich stolzierte voller Inbrunst mit dem arabischen Duftöl meiner Situ (arabisch für Oma) natürlich vollkommen über dosiert, auf meine eigene Abschluss Veranstaltung in der 6. Klasse. Komischerweise wollte auf dem Foto niemand neben mir stehen. War mir aber auch egal. Ich fühlte mich wie eine arabische Prinzessin!

In den kommenden Jahren waren das einige meiner Duftstationen:

Wild Love Moschus Öl/Gabriela Sabatini/Joop-Le Bain/ Cashmir und Mira-Bai von Chopard/Chaos von Donna Karan-V/S von Versace/Fleur dìnterdit von Givenchy....

Mein allererster selbstgekaufter und daher für mich heiligster Duft war aber Fleur d'eau von Rochas. Gleichzeitig auch Auftakt meiner Duftsammlung. Den habe ich heute noch und hüte ihn wie meinen größten Schatz.

Huch, ich höre Djinns (arabisch für Geister), die rufen: So ein blasses Wässerchen kommt nicht auf unsere Haut!

Eigenartigerweise faszienierte mich der Duft von Anfang an, vielleicht als notwendiger Kontrapunkt zu allem Schweren. Die Flasche halb Milchglas, halb glattes Glas, Haptik und Duft verschmelzen scheinbar.

(Ach wie gut, das niemand weiß, warum ich Wasserblume heiß'.)

Ortswechsel:

Als ich morgens mal wieder mit der Rheinbahn zur Arbeit fuhr, döste ich so vor mir hin und hörte ein Set von Armen Miran (sehr empfehlenswert).

Die Augen geschlossen, meine Nase hing in meinem parfumierten Bahnschal und auf einmal riß mich etwas aus meinem Sitz und katapultierte mich quasi per Kameltritt in das Land von Ali Baba und die 40 Räuber.

Was zum Teufel…ich öffnete die Augen und sah mir gegenüber sitzend mehrere schwarze Gestalten, bei denen ich nur anhand der Khol (arabisch für Kajal) umrandeten Augen erkennen konnte, dass es auch meine arabischen Tanten hätten sein können.

Man hat nicht viel sehen können, aber olfaktorisch war das Ensemble äußerst präsent. Vom Schaffner im ersten Abteil bis hinten zu den Fahrkartenkontrolleuren, niemanden konnte entgehen, dass ein wohlbetuchter Saudi mit seinem halben Harem auf dem Weg war zu Breuninger, Schnitzler, Kö und Co.

Aber was machen die in meiner Bahn? Bahnfahren aus Vergnügen?

Hin- und hergerissen war und bin ich zwischen Orient und Okzident. Zwei Herzen schlagen doch in meiner Brust. Warum sich für eins entscheiden, wenn man beides haben kann.

Meine Zeit war gekommen den Orientexpress U76 zu verlassen, denn ich musste aussteigen.

ma'a as-salamah! (Arabisch für Auf Wiedersehen!)

Und als ich mich nochmal umdrehte, winkten sie mir sogar zu!

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